Schlagwortarchiv für: Zukunft

von Peter Zettel

Wir sehen die Fragmentierung in der Welt und suchen, sie zu überwinden. Durch mehr Menschlichkeit, einen anderen Umgang miteinander, humanitäres Verhalten. Doch es wird uns wohl kaum wirklich gelingen, dadurch die Fragmentierung im Denken der Menschen zu überwinden.

Solange wir nach dem Licht streben und der Dunkelheit in uns selbst zu begegnen scheuen, solange werden wir nicht erkennen können, worum es in Wirklichkeit geht. Denn es ist nicht wie in einem Zimmer, wo ich nur das Licht anzumachen brauche, um die Dunkelheit zu vertreiben. Weiterlesen

50 Tipps, wie Sie einsteigen, mitmachen und helfen können

Eine Rezension von Bobby Langer

Wer sich auch nur ein bisschen mit der Klimakrise auseinandersetzt, kann angesichts der monumentalen Probleme leicht den Mut verlieren. Also schnell den Teppich anheben und das Problem drunterschieben? Mit Gerd Pfitzenmaiers Mut machendem Handbuch kann jeder ohne Umschweife zum Aktivisten werden. Man spürt, dass sich der Autor seit Jahrzehnten damit befasst, komplexe Mitweltthemen für ein breites Publikum verständlich aufzubereiten.

Mut machend ist das Buch auf zweierlei Weise: Weiterlesen

Das Paradies ist der Ort, den wir gerne erreichen würden. Aber er liegt hinter uns, unerreichbar verschollen in der Vergangenheit. Erst allmählich dämmert uns, dass es nicht nur der Apfel war, weshalb wir von dort vertrieben wurden. Und je mehr wir das verstehen und verinnerlichen, desto mächtiger baut sich ein neuer Sehnsuchtsort auf, ein Ort, an dem wir sein können, ohne haben zu müssen, an dem wir nicht an Geld oder Leistung gemessen werden, an dem wir zu Hause sein und uns geborgen fühlen können; und der dennoch ein moderner Ort ist. Weiterlesen

Wie doch Daniel Christian Wahls Satz: “Wir müssen die kulturellen Narrative, die unsere vorherrschende Weltsicht und damit auch unser Handeln prägen, überdenken” auch gerade jetzt stimmt. Seinen höchst lesenswerten Aufsatz haben wir ins Deutsche übersetzt.

Neues Lernen

Von Daniel Christian Wahl

„Bildung … ist das Mittel, mit dem Männer und Frauen sich kritisch und kreativ mit der Realität auseinandersetzen und entdecken, wie sie an der Veränderung ihrer Welt teilnehmen können.“  Paulo Freire

Eine Reihe konvergierender Krisen macht nun eine grundlegende Veränderung des menschlichen Einflusses auf die Erde notwendig – ja sogar dringend erforderlich – und zwar von einem überwiegend ausbeuterischen, zerstörerischen und degenerativen zu einem wiederherstellenden, heilenden und regenerativen Verhalten.

Der Klimawandel, der Verlust der biologischen Vielfalt und das obszöne Ausmaß an Ungleichheit sind nur Symptome der zugrunde liegenden Ursachen. Um sie wirksam zu bekämpfen, müssen wir flussaufwärts gehen. Wir müssen uns nicht nur genauer ansehen, was wir wissen, sondern auch, wie wir es wissen. Wir müssen die kulturellen Narrative, die unsere vorherrschende Weltsicht und damit auch unser Handeln prägen, überdenken.

In seinem Buch „The Turning Point“, das vor über 30 Jahren veröffentlicht wurde, nannte Fritjof Capra die Ursache dieser konvergierenden Krisen „eine Krise der Wahrnehmung“. Einer von Capras Mentoren, Gregory Bateson, formulierte es so: „Die großen Probleme in der Welt sind das Ergebnis des Unterschieds zwischen der Art und Weise, wie die Natur funktioniert, und der Art und Weise, wie die Menschen denken“, und fügte hinzu: „Es gibt Zeiten, in denen ich mich selbst dabei ertappe, zu glauben, dass es etwas gibt, das von etwas anderem getrennt ist.“

In dieser Zeit des Übergangs sind wir – wie Joanna Macy vorschlug – in eine doppelte Rolle berufen, nämlich sowohl Sterbebegleiter eines obsoleten Systems („die industrielle Wachstumsgesellschaft“) als auch Hebammen für etwas Neues zu sein: vielfältige regenerative Kulturen überall („die lebenserhaltende Gesellschaft“). In dieser Zeit des Übergangs muss die Bildung Menschen aller Altersgruppen zu drei Dingen befähigen:

i) sich an „Halteaktionen“ zu beteiligen, die den anhaltenden Schaden des zerstörerischen und ausbeuterischen Systems, von dem wir uns entfernen, verringern und/oder stoppen,
ii) mit anderen beim „Aufbau neuer Systeme“ zusammenzuarbeiten und auf gemeinschaftlicher und bioregionaler Ebene an der Einführung regenerativer Muster zu arbeiten, und
iii) die Menschen in die Lage zu versetzen, „mit neuen Augen zu sehen“, indem wir die kulturellen Narrative, Organisationsideen und Geschichten, die wir darüber erzählen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, und über unsere Beziehung zur größeren Lebensgemeinschaft verändern.
Wir befinden uns in einer Zeit zwischen den Narrativen, in der wir uns von einem Narrativ und einer Weltanschauung, die sich auf Trennung und konkurrierende Knappheit konzentrieren, hin zu einem Narrativ und einer Weltanschauung entwickeln, die unser „Zusammensein“ mit allem anderen und unser Potenzial zur gemeinsamen Schaffung von Fülle anerkennt.

Die Bereitschaft, regenerativ zu leben und gemeinsam mit den Menschen um uns herum regenerative Kulturen zu schaffen, wird durch das Verständnis unserer grundlegenden Verflechtung, gegenseitigen Abhängigkeit und unseres „Zusammenseins“ mit den Prozessen genährt, die Gesundheit, Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit auf der Ebene des Einzelnen und seiner Gemeinschaften aufrechterhalten.

Die Erziehung zu regenerativen Kulturen ist ein nie endender Prozess des Aufbaus und der Erneuerung der Fähigkeit der Menschen vor Ort, sich an der koevolutiven Gegenseitigkeit zu beteiligen – untereinander, mit den regionalen Ökosystemen, in planetarischer Solidarität und mit der Fähigkeit zu reagieren.
Gesundheit und Ganzheit sind keine statischen Zustände, sondern evolutionäre Prozesse, an denen wir teilnehmen. Ein Rückzug auf die Aufrechterhaltung von Strukturen, die nicht mehr funktionieren, ist also keine gesunde Reaktion auf die Krisen, mit denen wir jetzt konfrontiert sind. Wenn wir Gesundheit als einen dynamischen Prozess koevolutiver Gegenseitigkeit verstehen, der die Gesundheit der Zellen mit der Gesundheit der Organe, des Einzelnen, der Familien, der Gemeinschaften, der Städte, der Bioregionen, der Ökosysteme und der Gesundheit des Planeten verbindet, erkennen wir, dass systemische Gesundheit und Wohlbefinden ein viel besserer Erfolgsindikator sein könnten als unzureichende wirtschaftliche Indikatoren wie das BIP.

Aus dieser Perspektive schlug ich in meinem Buch vor, dass eine „regenerative menschliche Kultur gesund, widerstandsfähig und anpassungsfähig ist; sie kümmert sich um den Planeten und um das Leben in dem Bewusstsein, dass dies der effektivste Weg ist, um eine blühende Zukunft für die gesamte Menschheit zu schaffen.“ Die erste Hälfte dieses Satzes wurde inzwischen als eines der Prinzipien der globalen zivilgesellschaftlichen Antwort auf den Klimawandel und den kaskadenartigen Zusammenbruch der Ökosysteme aufgegriffen, als Prinzip Nummer 3 von Extinction Rebellion.

Es ist wichtig zu betonen, dass solche regenerativen Kulturen je nach den Orten und Bioregionen, aus denen sie hervorgehen, unterschiedlich sein werden. So wie die biologische Vielfalt des Lebens zu seiner Fähigkeit zur kreativen Evolution beiträgt, so stellt auch unsere kulturelle Vielfalt einen Reichtum an Erfahrungen und Perspektiven dar. Es geht nicht darum, dass wir alle in allem übereinstimmen oder die Welt auf die gleiche Art und Weise sehen müssen, sondern darum, dass wir uns alle in unserer Vielfalt auf eine Art und Weise beteiligen wollen, die die Gesundheit, das Wohlbefinden und das evolutionäre Potenzial der gesamten Menschheit und des gesamten Lebens fördert.

Es gibt kein Patentrezept für die Schaffung regenerativer Kulturen. Ich muss Sie da leider enttäuschen. Es gibt nur einen Prozess der Auseinandersetzung mit der Gemeinschaft und dem Ort auf eine Art und Weise, die Sinn- und Beziehungsmuster webt, die dazu beitragen, das einzigartige, dem Ort entspringende Potenzial einer regenerativen Kultur zu manifestieren, die ein Ausdruck dieser Menschen an diesem Ort – oder besser als dieser Ort – ist.

Generell sollten wir uns vor Menschen hüten, die Patentrezepte und schnelle Antworten anbieten, da wir mit einer Vielzahl konvergierender Krisen und so genannter „bösartiger Probleme“ konfrontiert sind. Regenerative Praxis geht nicht von Problemen aus, sondern von Potenzialen. Das Potenzial von Menschen und Orten, ihre einzigartige Essenz auf eine Weise zu manifestieren, die einem größeren Ganzen Wert, Bedeutung und Gesundheit verleiht.

Kulturen werden nicht entworfen, sie entstehen durch die Beteiligung von uns allen. Fragen statt Antworten und Lösungen sind ein zuverlässigerer Kompass auf unserem Weg in eine ungewisse Zukunft. Diese Erkenntnis war – für mich persönlich – ein wichtiger Schritt, um zu verstehen, wie es möglich sein könnte, das Entstehen vielfältiger regenerativer Kulturen überall zu fördern, ohne ein vorgefertigtes Paket von Lösungen vorzuschreiben.

Ich glaube, dass der Prozess des “gemeinsamen Auslebens der Fragen” im Mittelpunkt der gemeinsamen Schaffung von regenerativen Kulturen steht. Ich glaube auch, dass lebenslanges Lernen und Bildung eine entscheidende Rolle bei der jetzt notwendigen Neugestaltung des menschlichen Einflusses auf die Erde und auf einander spielen.

Bildung ist der Prozess, durch den wir uns selbst und einander befähigen, unsere einzigartigen Beiträge im Dienst der evolutionären Reise des Lebens anzubieten. Sie sollte uns in die Lage versetzen, das zu tun, was das Leben zuallererst tut: “Bedingungen schaffen, die dem Leben förderlich sind” (Janine Benyus).
Das Loslassen von Mustern, die nicht mehr dienlich sind, um das latente Potenzial dessen, was entstehen will, zu manifestieren, ist Teil der regenerativen Musterbildung des Lebens. Wahrhaft transformative Bildung unterstützt uns auf einem lebenslangen Lernweg – einer Pilgerreise und einer Ausbildung -, wie wir angemessen an der größeren Gemeinschaft des Lebens teilnehmen können.
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Vollständiger englischer Originaltext mit Links:

Neues Lernen DCW

“Education … the means by which men and women deal critically and creatively with reality and discover how to participate in the transformation of their world.”
— Paulo Freire

A series of converging crisis is now creating a necessity — even an urgency — for a fundamental transformation of the human impact on Earth from being predominantly exploitative, destructive and degenerative to being restorative, healing and regenerative.
Climate change, biodiversity loss, and obscene levels of inequality are but symptoms of underlying causes. To address them effectively we have to go upstream. We have to take a closer look at not just ‘what we know’ but ‘how we know’. We have to reexamine the cultural narratives that inform our dominant worldview and through that our actions.

In his book ‘The Turning Point’ — published over 30 years ago, Fritjof Capra called the route cause of these converging crises ‘a crisis of perception.’ One of Capra’s mentors, Gregory Bateson put it this way: “The major problems in the world are the result of the difference between how nature works and the way people think” and added “there are times when I catch myself believing there is something which is separate from something else.”

In this time of transition we are — as Joanna Macy suggested — called into a dual role of being both hospice workers of a dying system (“the industrial growth society”) and midwifes of something new: diverse regenerative cultures everywhere (“the life-sustaining society”). In this time of transition education has to enable people of all ages to do three things:

i) engage in ‘holding action’ that reduce and/or stop the ongoing damage of the destructive and exploitative system we are moving away from,
ii) to cooperate with others in ‘building new systems’ and work on putting regenerative patterns in place at the community and bioregional scale, and
iii) to enable people to ‘see with new eyes’ by shifting the cultural narratives, organising ideas, and stories we tell about what it means to be human and about our relationship with the wider community of life.

We are in a time between narratives, changing from a narrative and worldview focussed on separation and competitive scarcity to a narrative and worldview that recognizes our ‘interbeing’ with everything else and our potential to co-create collaborative abundance.

The intention to live regeneratively and to co-create regenerative cultures with the people around us is nutured by understanding our fundamental interconnectedness, interdependence and ‘interbeing’ with the processes that maintain health, resilience, and adaptability at the level of individuals and their communities.

Education for regenerative cultures is a never ending process of building and renewing the capacity of people in place to participate in co-evolving mutuality — with each other, with the regional ecosystems — in planetary solidarity — and with response-ability.

Health and wholeness are not a static states but evolutionary processes in which we participate. So a bounce-back to maintain structures that no longer serve is not a healthy response to the crises we are now facing. If we understand health as a dynamic process of co-evolving mutuality that links cellular health to organ health to individuals, families, communities, cities, bioregions, ecosystems and to planetary health, we come to see that systemic health and wellbeing might be a much more appropriate indicator of success than inadequate economic indicators like GDP.

It is from this perspective I suggested in my book that a “regenerative human culture is healthy, resilient and adaptable; it cares for the planet and it cares for life in the awareness that this is the most effective way to create a thriving future for all of humanity.” The first half of this sentence has since been taken up as one of the principles of the global civic response to climate change and cascading ecosystems collapse, as principle number 3 of the Extinction Rebellion.

It is important to highlight that such regenerative cultures will be different depending on the places and bioregions they emerge from. Just as life’s biodiversity adds to its capacity for creative evolution, so does our cultural diversity constitute a wealth of experience and perspectives. The point is not that we all need to agree on everything or see the world in the same way, rather it is that in our diversity we all aim to participate in ways that support the health, well-being and evolutionary potential of all of humanity and all of life.

There is no one-size-fits-all receipt for creating regenerative cultures. Sorry to disappoint. There is only a process of engaging with community and place in ways that weave patterns of meaning and relationship which will contribute to manifesting the unique place-sourced potential of a regenerative culture that is an expression of these people in — or better as — that place.

In general we should be wary of people who are offering silver bullet solutions and quick answers as we are faced with multiple converging crises of so called ‘wicked problems’. Regenerative practice does not start from problems it starts from potential. The potential of people and place to manifest their unique essence in ways that add value, meaning and health to a greater whole.

Cultures are not designed, they emerge through the participation of all of us. Questions rather than answers and solutions are a more reliable compass as we navigate our way into an uncertain future. This insight was — for me personally — an important step in understanding how it might be possible to nurture the emergence of diverse regenerative cultures everywhere without prescribing a pre-supposing cookie-cutter set of solutions.

I believe the process of ‘living the questions together’ lies at the heart of how we can co-create regenerative cultures. I also believe that life-long learning and education play a critical role in the now necessary redesign of the human impact on Earth and on each other.
Education is the process by which we enable ourselves and each other to offer our unique contributions in service to life’s evolutionary journey. It should enable us to do what life does first and foremost “creating conditions conducive to life” (Janine Benyus).
Letting go of patterns that no longer serve in order to manifest the latent potential of what wants to come into being is part of life’s regenerative patterning. Truly transformative education supports us on a life long path of learning — a pilgrimage and an apprenticeship — of how to participate appropriately in the wider community of life.

Buchbesprechung von Sten Linnander

Ich dachte, ich wüsste mehr oder weniger Bescheid über die Probleme auf Erden, vom Klimawandel bis zu den ökologischen Schäden in der Landwirtschaft, über Mikroplastik in den Weltmeeren, Luftverschmutzung, Fischfangmethoden und Greenwashing und über die ökologischen und menschlichen Sünden des patriarchalen Kapitalismus. Von wegen.

Ich habe Hunderte von Weckrufen gelesen, aber keinen, der mich annähernd so getroffen hat wie diejenigen in diesem Buch. So wie die Erde eine Einheit ist, so ist dieses Buch so etwas wie eine sehr sorgfältig recherchierte Gesamtdiagnose dieser Einheit. Obwohl mir viele Detailfakten neu waren, war es die Gesamtschau, die mich wachrüttelte.

Wir sind eine Spezies, die dabei ist, ihre lebendige Heimat so weit zu zerstören, dass ihr Überleben, wie das ihrer pflanzlichen und tierischen Mitbewohner, real bedroht ist. Wer die gefährlichen Konsequenzen seines Handelns erkennt und dennoch leugnet, und sein Handeln nicht ändert, ist psychisch krank.

Die Analyse in diesem Buch ist glasklar und hundertfach belegt, und zeigt auch auf, was getan werden muss. Heute können wir nicht sagen: „Wir haben es nicht gewusst.“ Die notwendige Umkehr ist tiefgreifend und fängt mit einer neuen Denkweise an. Heute ist es nicht so sehr eine Frage der Überwindung des individuellen Egoismus, sondern des Egoismus der gesamten Menschheit, der sich in einer anthropozentrischen Sichtweise äußert, sodass der Autor sie als die Hauptursache für den globalen ökologischen Zusammenbruch sieht.

Dazu kommt, dass die Wirtschaft oft versucht, von ihrer Verantwortung abzulenken, indem sie auf das Verhalten der Einzelnen hinweist: Privatautos und Urlaubsflüge. Obwohl dies wichtig ist, lenkt sie dabei bewusst „von den gewaltigen Veränderungen ab, die die Industriegesellschaft als Ganzes und insbesondere die ölbasierte Agrarindustrie vornehmen müssen“. Und „Zu lange war das Wirtschaftsmodell des Kapitalismus die Wachstumsökonomie [… ], ein kollektiver Wahn, der den Menschen von der Natur entkoppelt sieht“.

Nach jedem Kapitel über die Herausforderungen, die uns bevorstehen bzw. schon ins Haus stehen, gibt es Vorschläge, was der Einzelne tun kann. Zu seinen ausgezeichneten Vorschlägen möchte ich einen Vorschlag dazufügen, der eine gleich große Wirkung haben könnte: Verbreiten Sie dieses Buch! – an Familie, Freunde und Bekannte und, wenn Sie können, werden Sie aktiv, damit das Buch in den Gremien gelesen wird, die (noch) das Sagen hier auf Erden haben. Es sollte Pflichtlektüre in den oberen Schulklassen oder im ersten Uni-Jahr, in den Parteien, in den Firmen und in jeder Familie sein, damit wir klar wissen, womit wir alle gemeinsam konfrontiert sind.

Abschließend möchte ich betonen, dass trotz der vielen Probleme, die das Buch aufzeigt, es doch ein sehr positives Buch ist, und man spürt die Liebe des Autors zu dem Planeten, zur Natur und zu den Menschen. Das merkt man an Zitaten wie: „Die menschliche Spezies könnte ein Segen für diese Erde sein.“

Fred Hageneder, Nur die eine Erde – Globaler Zusammenbruch oder globale Heilung – unsere Wahl. Verlag Neue Erde (2021), 376 S., 22 Euro, ISBN 978-3-89060-796-2,Inhaltsverzeichnis

Rezension von „Das Gottesmädchen“

Um es gleich vorweg zu sagen: Männer spielen in dem Roman von Ismael Wetzky keine herausragende Rolle. In den Hauptrollen sind Gisele, eine Philosophiestudentin, und ihre ultrasexy Freundin Chloë, beide definitiv U30. Noch jünger ist nur noch Gott bzw. ihre Erscheinungsform. Gott tritt nämlich in Gestalt eines jungen Mädchens von elf, zwölf Jahren auf.

Damit nicht genug der Überraschungen in diesem Roman. Die Sprache auf den rund 400 Seiten ist so jung – und gekonnt jung – wie die Protagonistinnen. Man begrüßt sich lässig mit „Hi!“, findet Dinge „abgefahren“, „ultraspannend“ oder „echt mega“, und dass Modeschimpfwörter wie „Fuck“ etc. fallen, stört nicht, sondern passt. Tatsächlich gelingt es Ismael Wetzky, seine Mädels in einer Jugend-Kunstsprache reden zu lassen, die überzeugend ist, in keiner Weise aufgesetzt wirkt und auch für ältere Semester wie den Rezensenten gut und amüsant lesbar ist. Fiktion und Realität mischen sich, etwa, wenn echt funktionierende Links in den Text eingefügt sind. Weiterlesen

Wer wollen wir gewesen sein? Eine gute Nachdenk- und Vorfühlübung, zu der Harald Welzer aufruft. Zunächst einmal: Wer ist wir? Für mich gibt es da die Familie, die Deutschen, die Erdbürger.

Wer wollen wir als Familie gewesen sein? Wollen wir eine Familie gewesen sein, die am großen Konsumrad mitgedreht, die das Ritual der jährlichen Bruttosozialprodukt-Erhöhung ideologisch mitgetragen und die Vorherrschaft der westlichen Industriekultur individuell untermauert hat? Wollen wir also Kinder in die Welt geschickt haben, die die Botschaft der Wegwerfkultur in die Welt hinausgetragen haben? Oder wollen wir als kleinste Gruppeneinheit der Gesellschaft an einer Veränderung hin zu einer lebenswerten Mitwelt mitgebaut haben? Kurz: Wollen wir destruktiv oder konstruktiv gewesen sein?

Und als Deutsche? Wollen wir das Bruttosozialglück als erster europäischer Staat eingeführt haben? Wollen wir das Land gewesen sein, in dem die Menschenwürde fundamental ernstgenommen wird, und mit fundamental meine ich unter anderem: ernster als das Bruttosozialprodukt? Oder wollen wir nach dem Holocaust nun auch noch herzhaft zum Holocaust der Mitwelt beigetragen haben und damit sowohl zu einem massenhaften Artensterben als auch zum Tod von Menschen, der die Zahl der im Nationalsozialismus Ermordeten zigfach übertreffen wird? Wollen wir Komplizen in einem globalen Spiel gewesen sein, das, mit EU-Unterstützung, die südliche Sphäre unsere Planeten in eine Art Klima-Konzentrationslager verwandelt hat?

Und als Erdbürger? Ach, darüber mag ich kaum nachdenken. Nur dies: Wollen wir die gewesen sein, die ihren Enkeln erklären müssen: „Ja, wir haben es gewusst. Die Spatzen haben es von allen Dächern gepfiffen. Aber die Mitwelt ging uns am A … vorbei. Hauptsache, wir konnten noch ein Weilchen länger unseren SUV fahren.“ Oder auf gut Bayerisch: Die Erde, die Mitmenschen, die Mitwelt – das war uns alles Wurscht. Denn bekanntlich kommt erst das Fressen und dann die Moral. Dem großen B.B. verpflichtet, haben wir uns daran gehalten.

Aus einer Kooperation von ökoligenta mit der britischen Plattform The Daily Alternative

13.10.2021

Ein Essay von Jonathan Rowson, Direktor von Perspectiva, über neue Perspektiven zur Klimakrise. Was ist das Wesen des “Wir”, das dieses Problem angeht?

Die Gesamtzahl der Todesopfer von COVID-19 nähert sich inzwischen fünf Millionen, und eine Rückkehr zu unserem früheren Normalitätsempfinden scheint unwahrscheinlich, da Bio-Prekarität zu unserem ökologischen Standard geworden ist. Der Klimawandel wird ein unbestimmter Notfall bleiben, dessen Auswirkungen wahrscheinlich schlimmer sein werden, als die meisten sich vorzustellen wagen.

Ich sage das zum einen, weil die Auswirkungen bisher schlimmer waren als erwartet, zum anderen, weil die Gesamtemissionen von Kohlendioxid in naher Zukunft eher steigen als sinken werden, zum Dritten, weil neue Begriffe wie “nukleare Wirbelstürme” und “Kühlgrenztemperatur” in unser Lexikon Einzug halten, und zum dritten, weil einige Wissenschaftler, wie ein kürzlich erschienener Dokumentarfilm zeigte, begonnen haben, öffentlich über den Klimakollaps zu weinen. Das ist eine andere Art von Daten, aber möglicherweise die überzeugendste Art.

Der technologische Wandel ist exponentiell, und eine Kombination aus speicherbaren und transportierbaren erneuerbaren Energien in Verbindung mit einer bescheidenen politischen Entschlossenheit könnte unseren Lebensraum für eine gewisse Zeit überlebensfähig halten.

Der technologische Wandel ist exponentiell, der Wandel in der Politik ist eisig. Und die Rufe nach Veränderungen bei der Machtverteilung und -ausübung verhallen ungehört, vor allem weil der öffentliche Raum weitgehend von privaten Interessen geprägt ist und Smartphones, die neue Achse der Welt, von vornherein süchtig machen. Wir sind über das Zetern hinaus.

Es besteht die Gefahr, dass der Wandel um seiner selbst willen aufgewertet und die Trägheit unterbewertet wird, aber in jedem Fall ist die Immunität gegenüber dem Wandel Teil des Dilemmas. Ich war vierundzwanzig, als die von den USA angeführten Alliierten 2001 in Afghanistan in den Krieg zogen, um Al-Qaida auszurotten, und bin jetzt, da er 2021 in einem anti-heroischen Abgang endet, vierundvierzig. Ich habe ein merkwürdiges Gefühl bemerkt. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich Zeuge eines Zyklus internationaler Aktivitäten mit einem erkennbaren Anfang, einer Mitte und einem Ende.

Ich fühlte mich an T.S. Eliots Satz erinnert: “Wir werden nicht aufhören zu forschen. Und das Ende all unserer Erkundungen wird sein, dass wir dort ankommen, wo wir angefangen haben, und diesen Ort zum ersten Mal verstehen.” Nach zwei Jahrzehnten, vielen Billionen Dollar und reichlich Blutvergießen war das Land in vielerlei Hinsicht wieder da, wo es angefangen hatte.

Wir alle müssen so viel Freude am Leben finden, wie wir können, aber ein Teil dieser Freude kann und muss sich jetzt vielleicht aus der Auseinandersetzung mit der Zerrissenheit ergeben, in die wir verwickelt sind.

Posttragische Sensibilitäten

Wir sollten uns also nicht an einer naiven Positivität orientieren, die besagt: “Wir haben die Technologie”, und auch nicht an einem Wachstumstrugschluss, der die individuelle Entwicklung in unserer Nische mit der Kultivierung von Tugenden innerhalb von Machtsystemen in großem Maßstab verwechselt; und auch nicht an der ökumenischen Denkweise – “wir brauchen eine neue Erzählung” -, dass es einen einzigen, klaren, phantasievollen Weg für acht Milliarden missratene Menschen geben könnte.

Ich bin sehr dafür, positiv zu denken, aber es ist an der Zeit, die Tragödie anzuerkennen, weil sie überall sowohl latent als auch manifest ist, und weil uns die Tragödie Sinn, Bedeutung und Verwirklichung erkennen lässt. Das Wissen um die Tragödie gibt uns den Mut, das Leben ernst zu nehmen und es zu lieben, obwohl und gerade weil es so ist, wie es ist.

Im griechischen Mythos war die Hoffnung, die in der Büchse der Pandora zurückblieb, nachdem all das Schlechte herausgeflogen war, eine Art Erwartung (die meisten Gelehrten übersetzen das griechische Wort elpis mit “Erwartung”), aber die Hoffnung, die wir heute brauchen, muss aktiv sein. Unser Gefühl für Macht und Möglichkeiten entsteht durch Handeln, und wir können uns buchstäblich nicht vorstellen, wozu wir fähig sind, bevor wir nicht den Mut zum Handeln finden.

Aber Handlungen, die aus Verblendung entstehen, werden schnell auf Gegenkräfte aus ihrem eigenen Schattenmaterial stoßen, sei es, dass Mutter Natur zuletzt zuschlägt oder die KI sich der menschlichen Kontrolle entzieht – beides ist wohl bereits im Gange. Techno-Optimismus im Allgemeinen und grünes Wachstum im Besonderen sind Beispiele für diese Art von Wahnvorstellungen, aber auch der Liberalismus im Allgemeinen leidet darunter.

WirWer?

Da die Sprache einer der wichtigsten aktiven Bestandteile des sozialen Wandels ist und unsere dringlichsten ökologischen Herausforderungen ein noch nie dagewesenes kollektives und koordiniertes Handeln erfordern, haben wir keine andere Wahl, als sorgfältiger auf die Art und Weise zu achten, wie wir das “wir” – das problematischste Pronomen von allen – verstehen und sprechen.

Ich spreche nicht von einer postmodernen Aufforderung, vielfältiger und inklusiver zu sein. Vielmehr möchte ich darauf hinweisen, dass die Probleme, die wir als wirtschaftliche, politische, epistemische, technologische oder spirituelle Probleme betrachten, in gewisser Weise auch Probleme unserer Grammatik sind.

Die meist unreflektierte Art und Weise, in der wir das “wir” in unseren Diskussionen über die Ausrichtung der Gesellschaft verwenden, ignoriert sehr oft unterschiedliche Wahrnehmungen, konkurrierende Interessen und Machtdynamiken und verschleiert dadurch die Art der Arbeit, die getan werden muss. Es ist eine Umkehrung von Figur und Grund erforderlich, bei der nicht mehr davon ausgegangen wird, dass unsere kollektive Wahrnehmung, unser Verständnis und unsere Interessen von und an der Welt einen stabilen Standpunkt darstellen, während die Figur oder Situation, die wir gemeinsam betrachten, in Frage gestellt bleibt.

Ich denke, die Herausforderung ist umgekehrt, nämlich uns so in unsere Lage zu versetzen, dass wir das betreffende Wir klarer sehen und vorrangig danach handeln.

Die größte Einschränkung bei der Vorstellung, dass wir mit einem Klimanotstand konfrontiert sind, besteht beispielsweise darin, dass es kein “Wir” als solches gibt, das sich damit befasst. Das “Wir”, das sagen will, dass es einen Notfall gibt, ist nicht dasselbe “Wir” wie das “Wir”, das es hören muss, und das “Wir”, das es hören muss, hat verschiedene Vorstellungen von der Art des “Wir”, das etwas dagegen tun sollte.

Das nicht triviale Problem besteht darin, dass “Wir” ein Begriff ist, der implizit zu der Annahme führt, dass es eine optimal kooperative Form des kollektiven Handelns auf globaler Ebene geben könnte. Diese Art von demokratischem (“wir, das Volk”) und globalem Wir (die Menschheit) wird in Fragen wie der folgenden vorausgesetzt:

  • Was müssen wir tun, um den Klimawandel zu bekämpfen?
  • Wie können wir zusammenarbeiten, um eine bewusstere Gesellschaft zu schaffen?
  • Was können wir tun, um das epistemische Gemeingut [die gemeinsamen Erkenntnisgrundlagen, der Ü.] zu stärken?
  • Wie können wir die Demokratie vor sich selbst retten?
  • Warum können wir die technologische Innovation nicht so kanalisieren, dass sie allen zugutekommt?

Ich beginne zu glauben, dass diese Fragen im Grunde genommen von hinten nach vorne gestellt werden müssen. Betrachten Sie die folgende alternative Formulierung für diese Art von Rätseln:

  • Wie könnte man die Realität des sich anbahnenden Klimakollapses auf eine Weise begreifen und darauf reagieren, die uns hilft, das Wir zu verändern, das es nicht geschafft hat, ihn zu verhindern?
  • Wie können die Institutionen und Normen der Demokratie so gestärkt werden, dass sie dazu beitragen, ein Wir zu schmieden, das des Ideals würdig ist und nicht eines, das es vernichtet?
  • Wie könnte Technologie am besten gestaltet, besessen, reguliert und vielleicht sogar in gewissem Sinne entthront werden, um die Art von Wir zu fördern, die eine gute Gesellschaft möglich macht?

Die intellektuelle Funktion wird heute in vielerlei Hinsicht gedemütigt, aber einer der Hauptgründe, warum wir uns abmühen, unserer Misere einen Sinn zu geben, ist, dass wir gezwungen sind, uns auf ein Wir zu berufen, das nicht wirklich existiert, und wenn wir so reden, als ob es existiert, ruft das eine weit verbreitete Dissonanz hervor. Vielleicht ist dies ein Teil des Zusammenbruchs des mentalen/rationalen Bewusstseinsmodus’, den Visionäre wie Jean Gebser prophezeit haben.

Ich behaupte, dass dieser Fehler in der Wahrnehmung und im Verständnis grammatikalisch bedingt ist, weil “Wir” als beschreibendes Pronomen verwendet wird, das alle Menschen einschließt, aber es sollte in einer dynamischeren und hybriden Form verwendet werden, vielleicht als abstraktes Substantiv, das als lebendige Frage dargestellt wird.

Ich bin Minna Salami dankbar, dass sie “WirWer” als alternative Formulierung vorgeschlagen hat, wie in “WirWer müssen dringend etwas gegen den Klimawandel unternehmen!” Ich erwarte nicht, dass irgendjemand bald anfängt, so zu reden, aber es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn er es täte.

Ich werde daran erinnert, dass Liebe, laut Iris Murdoch, “die äußerst schwierige Erkenntnis ist, dass etwas anderes als man selbst real ist”. Wenn die Liebe tatsächlich die Antwort ist, dann ist die extrem schwierige Bewusstwerdung auch die Antwort. Die Beatles (kein Geringerer als sie) sagten: “All you need is love”, und sie könnten Recht haben, während das Fetzer-Institut, einer der Hauptunterstützer von Perspectiva, weiterhin großen Wert auf die Liebe als zugrundeliegende Realität, als moralische Richtschnur und als spirituelle Inspiration legt.

Ich bin sehr dafür. Und doch geht es bei der Liebe, die wir auf globaler Ebene brauchen, nicht darum, dass sich alle auf denselben süßen Geschmack der Gefühle einlassen.

Die äußerst schwierige Erkenntnis ist nicht nur, dass es eine Welt jenseits unserer Köpfe gibt, oder dass die Menschen unterschiedliche Werte, Persönlichkeiten und Prioritäten haben. Wir können mit Problemen des kollektiven Handelns umgehen, und wir können verschiedene Arten von Gemeingütern grundsätzlich verwalten, wie Elinor Ostrom, die einzige Frau, die den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhalten hat, gezeigt hat.

Dennoch gibt es in der Bevölkerung typischerweise 3-5 % Soziopathen und einen alarmierenden Anteil von Menschen, die zu autoritären Einstellungen neigen, und heutzutage werden ihre Stimmen in einer Weise verstärkt, die anderen Angst macht. Man sollte meinen, dass der offensichtliche ökologische Zusammenbruch unseres gemeinsamen Planeten die Zusammenarbeit beflügeln würde, aber es sieht eher nach einer Zeit der Polarisierung und Fragmentierung als nach Konvergenz aus.

Wir haben eine Gestalt. Es ist ja nicht so, dass die Welt nicht schon versucht hätte, ein gewisses Selbstverständnis als ein Organismus, eine Familie, zu entwickeln, und das hat sich im letzten Jahrhundert institutionell zumindest angedeutet.

Der Völkerbund (1919) führte zu den Vereinten Nationen (ca. 1941), und es gab so etwas wie eine internationale Nachkriegsordnung auf der Grundlage des Bretton-Woods-Abkommens für die globale Makroökonomie (1944) und der UN-Menschenrechtserklärung (1948). Während des Kalten Krieges (1947-1991) kam es zu einer grundlegenden Spaltung, aber dennoch wurden wichtige internationale Pakte über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie bürgerliche und politische Rechte (1976) geschlossen, und es gab viele Wellen der Globalisierung, die wir in den 1990er Jahren ernstzunehmen begannen.

Als ich in den neunziger und nuller Jahren als Schachspieler unterwegs war, wurde ich mit dem lateinischen Motto des Weltschachbundes F.I.D.E. vertraut: Gens una Sumus. Es bedeutet ‘wir sind ein Volk’. Und doch sind wir es nicht, noch nicht.

[Übersetzung von https://www.thealternative.org.uk/dailyalternative/2021/9/25/alternative-editorial-guest-rowson-impossible-we]

Übersetzung erfolgte durch Bobby Langer in Absprache mit Indra Adnan

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Der vollständige Essay (hier um Einiges gekürzt) findet sich unter whatisemerging.com/opinions/the-impossible-we

Informationen zu Jonathan Rowson auf Wikipedia

Seine Homepage: jonathanrowson.me

(Foto von Bekky Bekks auf Unsplash)

von Theresia Maria Wuttke

Wir brauchen die Transformation unserer Gesellschaft vom Ich zum Du zum Wir, denn in der Wir-Qualität verbinden sich die Potenziale des Einzelnen mit den Potenzialen von vielen zum Wohle des Ganzen. Weiterlesen

Rezension von Lic. Theol. Peter Schönhöffer M.A. (Ingelheim)

Ein waschechter Narzisst, der erfolgsverwöhnt und doch leidenschaftlich-umtriebig aus der Perspek­tive eines kritischen Hedonismus schreibt… so gar nichts für mich an und für sich. Und doch sei die Lektüre, die sich wie in einem Sog lesen lässt, tatsächlich für Herz und Verstand, Eros und Logos empfohlen. Hier meldet sich eine fein ausbalancierte Stimme, hinter der im wahrsten Sinne des Wortes ein mit vielen post­modernen Wassern gewaschener Lebenscoach zu erspüren ist – und der – wenn man sich am narziss­tischen Stallgeruch nicht stört, eine Menge zu sagen hat, was viele tiefreichend angeht.

Wir stehen wohl gesellschaftsgeschichtlich gesehen tatsächlich an einem Punkt, den Heike Pourian von „sensing the change“ nüchtern so bezeichnet: „Lange konnten wir den Schmerz nicht erkennen, den wir mit unserer Zivilisation verursacht haben. Nun beginnen wir, das wahrnehmen zu können.“ Wenn dem so sein sollte, dann ist dieses Buch indes wie eine immerfort Nachdenkenswertes hervorsprudelnde Quelle auf dem Weg dorthin. Es schaut sich den Zusammenhang von Depression und fehlender Sakralität an, geht (ganz der Hedonist!) auf eine „postreligiöse Spiritualität“ zu, entwickelt einige in der Tat beeindruckende Facetten davon, lädt das „Schwert der Klarheit ein“, bleibt nicht bei Halbheiten stehen und ruft voller Glauben an deren Veränderungsfähigkeit alle aktiven Männer und Frauen als ekstatische Wesen, die sie sind, in einer geradezu mitreißenden Weise dazu auf, nicht länger weit unter ihren Potenzialitäten zu verbleiben; selbst wenn das 10.000 Jahre aus uns lastende Patriarchat noch tief in uns sitzt und seine Nachwirkungen uns nicht einfachhin freigeben werden.

Auf diesem Weg lockt er sogar achtungsvoll den Wert alter Traditionen in neuem Gewand hervor und nimmt sich neben einer zuweilen tiefreichenden Kritik an zu kurz greifendem Feminismus und Konflikten aus dem Weg gehender psychospiritueller Szene auch die Zeit, auf eine sensible Weise, taugliche männliche Vorbilder zu zeichnen, die „nicht im Vorgarten der neuen Heiligtümer sitzen bleiben“ werden. So enthält das in kürzester Zeit bereits in dritter Auflage erscheinende Werk eine wertvolle Fülle an sehr lebens­praktisch evoziertem „Zukunftswissen“, immer wieder herausfordernd-zupackende rhetorisch ange­schärfte Passagen, eine kristallklare Sprache und einen spannungsvollen Erkenntnisweg. Selbst ohne in einem tie­feren Sinn wissenschaftlich fundiert daherzukommen, kann man ganz offensichtlich eine Menge aufregen­den Erkenntnis­gewinn gebären und Stoff zur weiteren Auseinandersetzung bieten, der an vielen Stellen ge­radezu weisheitliche Qualitäten erreicht und Leser, Leserin und LGBTQI+-community stets nicht so einfach davonkommen lässt.