In diesem dritten Teil geht es darum, dass wir lernen, innerhalb der planetaren Grenzen zu leben.

Teil 3 von Daniel Christian Wahl

Teil 1

Teil 2

In diesem zweiten Teil der Reihe geht es um den sogenannten Earth Overshoot Day, den Tag im Jahr, an dem wir dem Ökosystem mehr entnommen haben, als dieses natürlicherweise regenerieren kann.

Teil 2 von Daniel Christian Wahl

Teil 1

Teil 3

Krankheiten vermeiden? Besser Gesundheit kreieren. Umweltschäden reparieren? Besser ökologische Systeme schaffen, die sich selbst am Leben halten und regulieren können. Gesellschaftliche Brüche kitten? Besser aktiv Gemeinschaften organisieren, die die psychosoziale Gesundheit und das Wohlergehen einer möglichst großen Anzahl von Menschen dauerhaft gewährleisten. Unser politischer Diskurs ist zu sehr darauf fixiert, allgegenwärtige Verschlimmerungen aufzuhalten, abzumildern und im besten Fall rückgängig zu machen. So bleiben wir auf das Negative und dessen „Bekämpfung“ fixiert. Ins Positive gewendet, sollten ökologische und soziale Systeme mit einem hohen Grad an Resilienz geschaffen werden — weniger abhängig von andauernder menschlicher Korrektur, selbstreparierend, nachhaltig. Wie das funktionieren könnte, zeigt der Autor in seiner dreiteiligen Serie auf.

Teil 1 von Daniel Christian Wahl

Teil 2

Teil 3

von Peter Wyler*

Wir hören und lesen: Der Juli 2023 war temperaturmässig der heisseste in der Geschichte der Menschheit. Weltweit schmelzen die Gletscher und der «ewige Schnee» in den Bergen. Auch die Eisflächen an den Polen unserer Erde nehmen drastisch ab.

Die menschengemachte Klimaerhitzung ist wie eine Metapher. Je mehr zwischen den Menschen, ja selbst in mir und dir, so scheint mir, Kälte und Eiszeit herrscht, Gefühle und Beziehungen abgekühlt oder eingefroren sind, desto mehr und schneller schmilzt das Eis auf unserem Planeten. Eiseskälte gibt es (zum Glück nicht überall) zwischen Frauen und Männern, zwischen Eltern und ihren Kindern, zwischen Familien, unter Gruppen, Völkern und Staaten. Auch zwischen Regierungen und «dem Volk» herrschen Abkühlung bis eisige Erstarrung. In der Politik geschieht eiskaltes Lobbying und knallharte Interessensvertretung – anstatt wirklichem Erschaffen von Gemeinwohl und dringend notwendigen Lösungen.

Vor lauter Ansprüchen von uns Menschen haben die Bedürfnisse vieler Mit-Lebewesen auf dieser Erde nichts mehr in unseren frierenden Herzen verloren. Tausende Lebewesen-Arten sind durch unser Verhalten ausgestorben, bevor wir die Wunder des Lebens in ihnen erkennen und bestaunen konnten. Unsere Gefühle sind abgekühlt bis tiefgefroren, abgeschottet, abgestumpft, weggedrängt. Die Verbindung in unser Innerstes und Wärmendes wie durch eine «Eiswand» getrennt.

«Je erkalteter unsere Gefühlswelt, desto mehr und rascher schmilzt das Eis auf unserem Heimatplaneten.»

Oder als konstruktivere, aufmunterndere Version:  «Je erwärmender, lebendiger und friedfertiger unsere Gefühlswelt und unsere allseitigen Beziehungen, desto weniger überhitzen wir mit unserem Konsumverhalten den blauen Planeten. Und desto weniger zerstören wir die Natur und unsere Lebensgrundlagen.»

Ob die Klimaerhitzung noch rechtzeitig von uns gemeinschaftlich und weltweit gestoppt, sowie das Eis auf den Bergen, an den Polen und die Biodiversität wieder regenerierbar sind, können wir nicht sicher voraussehen.

Lassen wir das Eis in unseren Herzen schmelzen. Begegnen wir uns selbst und allem wieder mit Offenheit, Wärme und Zuneigung. Das ist der fruchtbare Boden für wachsende Verbundenheit, mehr Lebenstiefe, Freude und Geborgenheit. Wenn das Eis in uns und zwischen uns schmilzt, erwärmt sich der Boden des Verbundenseins, gedeihen daraus frische, kräftige, vielfältige, tragfähige Gemeinschaften. So beginnen die eigenen Probleme, wie auch die der Menschheit, zu schmelzen …

*© Peter Wyler, CH-8707 Uetikon am See, 24. August 2023

Bobby Langer: Jascha, dein kürzlich erschienenes Buch „Die große Kokreation“ bezeichnet sich als „Standardwerk für transformative Kokreation in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft“. Ist das ein Buch für Spezialisten bzw. Experten, also zum Beispiel Soziologen oder Politologen, oder schreibst du für eine breitere Zielgruppe?

Jascha Rohr: Ich schreibe für alle, die sich engagieren, die Dinge bewegen und verändern wollen und wissen, dass das gemeinsam besser geht als alleine. Das ist, so hoffe ich, eine sehr breite Zielgruppe, die Expert:innen einschließt, sich darüber hinaus aber auch an Führungskräfte, Aktivist:innen, Unternehmer:innen, Projektleiter:innen, lokal Engagierte und viele mehr richtet, die den Anspruch haben, mit ihrer Arbeit einen positiven Beitrag zur Gestaltung der Welt zu leisten.

B.L.: Was verpasst man, wenn man es nicht gelesen hat?

J.R.: Das Buch ist voller Modelle, Methoden, Theorie und Praxis, so dass wir zu informiert Handelnden werden können. Ich persönlich sehe den wertvollsten Beitrag des Buches aber darin, dass es ein neues ökologisches Paradigma anbietet, mit dem wir die Prozesse von Entwicklung, Veränderung und Gestaltung viel besser verstehen und anwenden können.

B.L.: Du sagst, es gehe dir um die „Neuerfindung unserer planetaren Zivilisation“. Das klingt im ersten Moment ziemlich abgehoben. Weshalb hältst du diese Neuerfindung für notwendig?

J.R.: Das ist natürlich erst einmal eine Provokation. Und eine homogene globale Zivilisation gibt es in diesem Sinne auch gar nicht. Aber klar ist: Wenn wir global so weitermachen wie bisher, zerstören wir unsere Lebensgrundlagen und damit das, was wir Zivilisation nennen. Das kennen wir aus der Vergangenheit der Menschheit im Kleinen. Da konnte es dann aber immer an anderer Stelle weitergehen. Kollabieren wir heute als globale Zivilisation, gibt es keinen Ausweichplaneten. Diesmal muss es uns gelingen, uns neu zu erfinden, bevor wir komplett kollabieren. Das nenne ich Neuerfindung unserer Zivilisation.

B.L.: Wer bist du, um sagen zu können, du wärest zu einer solchen Konzeptleistung in der Lage?

J.R.: Mein Beruf ist es, seit ca. 25 Jahren kleine und große Gruppen darin beizustehen, sich selbst neu zu erfinden – vom Dorf bis zur nationalen Ebene habe ich Beteiligungs- und Gestaltungsprozesse konzipiert und begleitet. Meine Leistung dabei ist es, den Prozess zu strukturieren und zu halten, in dem diese Gruppen sich selbst erfinden. Ich bin so etwas wie eine Gestaltungshebamme. In diesem Sinne würde ich mir auch nicht anmaßen, alleine unsere Zivilisation neu zu erfinden. Aber ich fühle mich gut darauf vorbereitet, auch große internationale und globale Prozesse zu konzipieren, methodisch zu unterstützen und zu begleiten, in denen die Beteiligten miteinander beginnen, „Zivilisation“ neu zu erfinden.

B.L.: Gibt es nicht mehr als eine Zivilisation auf dem Planeten? Wenn du also von „planetarer Zivilisation“ sprichst, klingt das so, als würdest du die westliche, industriell geprägte Zivilisation mit der planetaren gleichsetzen?

J.R.: Ja genau, das klingt so, dessen bin ich mir bewusst, und das ist natürlich nicht so. Und doch gibt es so etwas wie eine globale diverse Gesellschaft, globale Märkte, eine globale politische Arena, eine globale Medienlandschaft, globale Diskurse, globale Konflikte und globale Prozesse, zum Beispiel in Bezug auf Corona oder den Klimawandel. Dieses sehr heterogene Feld nenne ich vereinfacht globale Zivilisation, um klarzumachen: Dieses globale Feld ist in seiner Ganzheit eher toxisch als heilsam. Es muss transformiert werden im Sinne einer globalen Regeneration.

B.L.: Du schreibst ein ganzes Buch lang über Methoden und Werkzeuge. Hast du keine Sorge, dass deine Zielgruppe auf Inhalte pocht?

J.R.: Das ist die Krux. Es gab viele, die hätten sich lieber ein einfaches Rezeptbuch gewünscht: Lösungen zum Nachmachen. Und genau da wollte ich ehrlich bleiben: Aus dieser Rezeptlogik müssen wir aussteigen, sie ist Teil des Problems. Nachhaltige Lösungen haben immer damit zu tun, dass wir lokale Kontexte verstehen und dafür angepasste Lösungen entwickeln. Das habe ich aus der Permakultur gelernt. Dazu müssen wir uns trainieren und ausbilden. Dafür braucht es Methoden und Werkzeuge. Den Rest müssen die Kokreator:innen vor Ort leisten.

B.L.: Du schreibst: „Benutzen wir … die Werkzeuge der alten Zivilisation, kann nur eine neue Version der alten Zivilisation dabei herauskommen.“ Das ist logisch. Nur: Wie willst du als Kind der alten Zivilisation Werkzeuge einer neuen Zivilisation finden?

J.R.: Das geht nur über Transformationsprozesse. Und ich benutze diesen Begriff nicht leichtfertig, sondern in aller Konsequenz und Tiefe: Jede:r, der oder die mal einen Kulturschock erlebt hat und sich in eine neue Kultur einleben musste, der oder die eine religiöse Einstellung geändert hat, das berufliche Leben neu begonnen hat oder eine langfristige Beziehung für eine neue verlassen hat, kennt solche einschneidenden Veränderungsprozesse. Ich selbst habe meine ganz persönlichen Krisen und Auseinandersetzungen gehabt, in denen ich immer wieder zumindest Aspekte der „alten Zivilisation“ persönlich transformieren konnte. Meine Gründungen der Permakultur Akademie, des Instituts für partizipatives Gestalten und der Cocreation Foundation waren jeweils von genau solchen Erkenntnisprozessen getragen, die dann ihren gestalterischen Ausdruck in diesen Organisationen gefunden haben. Aber natürlich bin auch ich noch verhaftet, ich verstehe mich als Mensch in Transition.

B.L.: Obwohl du deine Augen nicht vor der Lage der Menschheit verschließt („Der Einsatz ist hoch, die Welle gefährlich, möglicherweise tödlich“), ist der Grundtenor deines Buches ausgesprochen positiv. Woher nimmst du deinen Optimismus?

J.R.: Der Optimismus ist eine Überlebensstrategie. Ohne ihn hätte ich gar nicht die Kraft, das zu tun, was ich tue. Woher sollen wir die Energie für so viel Wandel und Gestaltung nehmen? Ich glaube, dass wir das nur schaffen, wenn wir aus dieser Aufgabe Kraft, Freude, Lebendigkeit und Fülle für uns schöpfen. Ich mache das mit Hoffnung spendenden Narrativen. Wenn ich mich damit selbst manipuliere, nehme ich das gerne in Kauf: Lieber eine positive selbsterfüllende Prophezeiung als eine negative!

B.L.: Das Buch war der Band 1. Was können wir von Band 2 erwarten?

J.R.: In Band 1 haben wir den Werkzeugkoffer gepackt und uns den Kollaps und die Vision angeschaut. In Band 2 gehen wir in die Transformation, in die Höhle des Monsters sozusagen. Die drei bestimmenden Themen werden sein: Resonanz, Trauma und Krise. Heftiger Stoff, aber auch unglaublich spannend! Ich forsche gerade sehr stark dazu, was es in Gruppen heißen kann, das kollektive Nervensystem zu beruhigen, zu regulieren und Traumata zu integrieren. Ich glaube – eine weitere grobe Metapher –, dass unsere globale Zivilisation sich am besten mit einer Suchtanalogie beschreiben lässt: Wir sind süchtig nach Energie und Konsum. Eine nachhaltige Regeneration wird uns nur gelingen, wenn wir von der Nadel kommen. Das ist keine einfach zu lösende Sachthematik, sondern ein kollektivpsychologisches Problem. Aber meine Arbeitsweise ist ja generativ, ich bin selbst gespannt, was im weiteren Schreibprozess passiert.

Rezension

Internetseite zum Buch

Jascha Rohr, Die große Kokreation. Eine Werkstatt für alle, die nicht mehr untergehen wollen. 400 S., 39 Euro, Murmann Verlag, ISBN 978-3-86774-756-1

Eine Rezension von „Schöner grüner Schein“

Von Bobby Langer

„Was auch immer Sie lieben, es ist bedroht. Aber lieben ist ein Tätigkeitswort. Möge diese Liebe uns ins Handeln bringen.“

Es gibt so etwas wie das „fröhliche gute Gewissen der Grünen“. Gemeint sind damit nicht nur die Parteimitglieder, sondern alle, die auf diesem Segelschiff der Illusionen mitschwimmen. Im Schiffsbauch befindet sich die Vorstellung eines Green New Deal, mit dem wir die westliche Industriegesellschaft ohne sonderliche Abstriche retten und weiterbetreiben können.

Die Autoren von „Schöner grüner Schein“, Derrick Jensen, Lierre Keith und Max Wilbert, bezeichnen die Segelmeister und Passagiere dieses Segelschiffs als die „Hellgrünen“.  Mit ihrem jüngst auf Deutsch erschienenen Buch tun sie alles, um Bewegung in die Wogen zu bringen und dieses ruhige Gewissen aufzuscheuchen. Kapitel für Kapitel belegen sie, dass eine „grüne“ Industriegesellschaft nur um den Preis weiterer und unaufhaltsamer Umweltzerstörungen möglich ist. „Hellgrüne Lösungen sind nur dazu da, den lebenden Planeten wieder und immer weiter zu zerstören.“

So sei also an den Anfang dieser Besprechung einerseits eine Warnung gestellt, andererseits ein Versprechen. Eine Warnung, weil die Lektüre der 463 Textseiten einem die „grüne Unschuld“ nimmt und der „deflorierte Leser“ danach ernüchtert seine Positionen überdenken muss; ein Versprechen hingegen für all jene, die schon immer das „Weiter so“ unter grüner Flagge mit Bauchgrimmen wahrgenommen haben. Hier bekommen sie endlich das inhaltliche, argumentative Rüstzeug für die nächste Debatte. Denn wenn in diesem Buch etwas nicht fehlt, dann sind das die Fakten: Fakten zur Solar- und Windindustrie, Fakten zur grünen Energiespeicherung, Fakten zu Recycling und Effizienz, zur grünen Stadt, zum grünen Netz und zur Wasserkraft sowie diversen Scheinlösungen wie Geothermie oder Kohlenstoffabscheidung.

Das Spektrum des Umweltschutzes [aus Sicht der Autoren]

Tiefgrün

Sowohl der lebende Planet als auch die nichtmenschlichen Lebewesen haben das Recht zu existieren. Das menschliche Wohlergehen hängt von einer gesunden Ökologie ab. Um den Planeten zu retten, müssen die Menschen innerhalb der Grenzen der natürlichen Welt leben.

Lifestylisten

Der Mensch ist von der Natur abhängig, und die Technologie wird die Umweltprobleme wahrscheinlich nicht lösen, aber politisches Engagement ist entweder unmöglich oder unnötig. Das Beste, was wir tun können, ist, uns in Eigenverantwortung zu üben … Der Rückzug wird die Welt verändern.

Hellgrüne

Es gibt ernsthafte Umweltprobleme, aber grüne Technologie und grünes Design sowie ethisches Konsumverhalten werden es möglich machen, den modernen, energieintensiven Lebensstil auf unbestimmte Zeit fortzusetzen.

Vernünftige Nutzer

Es gibt zwar ökologische Probleme, aber die meisten davon sind nicht so schlimm und können durch ein angemessenes Management gelöst werden.

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Alles, worum Derrick Jensen bittet, ist „ehrlich mit uns selbst zu sein“. Was er damit meint, zeigt er am Beispiel einer „unschuldigen“ Brille: „Sie besteht aus Plastik, für das Öl und Transportinfrastrukturen benötigt werden, und aus Metall, für das Bergbau, Öl und Transportinfrastrukturen erforderlich sind … und die moderne Glasherstellung erfordert Energie und Transportinfrastruktur. Die Minen, aus denen die Materialien für meine Lesebrille kommen, müssen irgendwo liegen, und die Energie für die Herstellung muss auch irgendwoher kommen.“ Es gibt nun mal kein Abrakadabra-Simsalabim für irgendein Industrieprodukt, auch wenn es uns so vorgespiegelt wird. Wir meinen, wir bräuchten nur das nötige Kleingeld zu haben, und schon „zaubern“ wir uns, ohne Umweltkosten, unseren Komfort herbei – eine kindliche Vorstellung.

Ein kleiner Wermutstropfen angesichts der vielen Fakten ist ihr relatives Alter. Der US-Titel „Bright Green Lies: How the Environmental Movement Lost Its Way and What We Can Do About It” erschien 2021. Die im Buch genannten Zahlen sind also wenigstens fünf Jahre alt. Andersherum wissen wir: So gut wie nichts hat sich seither zum Besseren gewendet.

Wie gut, dass das Autorenteam einen nicht im Regen stehen lässt. Auf rund 40 Seiten befasst es sich mit „wirklichen Lösungen“, an denen – zumindest dieser Logik nach – kein Weg vorbeigeht. Letzten Endes gehe es um alles oder nichts. Zu einer zukunftsfähigen Lösung, so die Autoren, werden wir erst kommen, wenn wir bereit sind, „eine Lawine von Wehmut auszuhalten … Aber wenn man diesen Planeten liebt, muss man es tun“. Was anstehe, sei eine Reindigenisierung der westlichen Lebensweise. „Wir müssen erkennen, dass, da die Erde die Quelle allen Lebens ist, die Gesundheit der Erde bei unseren Entscheidungsprozessen an erster Stelle stehen muss … Wenn wir unsere Werte ändern, werden bisher unlösbare Probleme lösbar.“ Wir müssen aufhören, uns die falschen Fragen zu stellen.  „‚Wie können wir weiterhin industrielle Energiemengen gewinnen, ohne Schaden anzurichten?‘, ist die falsche Frage. Die richtige Frage lautet: ‚Was können wir tun, um der Erde zu helfen, die durch diese Kultur verursachten Schäden zu reparieren?‘“

Zurück zum Einstieg: Dieses Buch ist schwer verdauliche Kost, nicht weil es schwer zu lesen wäre, sondern weil es seinen Leserinnen und Lesern von Kapitel zu Kapitel mehr den Staub der Illusionen aus dem Zivilisationsmäntelchen klopft. „Schöner grüner Schein“, schreibt Vandana Shiva, sei „ein dringend notwendiger Weckruf, wenn wir verhindern wollen, dass wir schlafwandelnd aussterben – und damit den 200 unserer Mitgeschöpfe und Verwandten folgen, die täglich von einer extravistischen, kolonisierenden Geldmaschine in den Tod getrieben werden, die von grenzenloser Gier geschmiert und vom mechanistischen Geist des Industrialismus geleitet wird.“

Schöner grüner Schein. Warum »grüne« Technologien derselbe Irrweg in Grün sind. Von Derrick Jensen, Lierre Keith und Max Wilbert, Verlag Neue Erde, 517 S., 36 Euro, ISBN 978-3-89060-838-9

In diesen jeweils ca. 15 Minuten dauernden Gesprächen unterhalten sich Thomas Hann und Bobby Langer über die Möglichkeiten unserer Zeit, zum Beispiel darüber, ob es so etwas wie deutsche Tugenden gibt, ob es im Gegensatz zum zwölfjährigen “1000jährigen Reich” ein tatsächliches “1000-jähriges Reich der Menschheit” geben könnte oder über eine resiliente Gesellschaft und die entsprechenden Perspektiven daraus. Hier beginnt die Playlist:

Ein Katalysator für die Wandelbewegung – das ist eine Selbstbeschreibung von Ökoligenta, einer Plattform, die unzählige Mosaiksteinchen des ökosozialen Wandels zusammenträgt. Damit will Ökoligenta zeigen, was es alles schon gibt und vor allem, wie das gute Leben für alle aussehen kann. Im Mut-Talk erzählt Bobby auch über seinen persönlichen Lebens- und Wachstumsweg und die bunten Biografien der Menschen hinter Ökoligenta.

Der Philosoph und Kognitionsforscher Thomas Metzinger fordert eine neue Bewusstseinskultur ein

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Je selbstsüchtiger einer ist, desto mehr verliert er sein wahres Selbst. Je selbstloser einer handelt, desto mehr ist er er selbst. Michael Ende

Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Ein neues Paradigma steht an, ein Ontologiewechsel. Die Notwendigkeit einer sozial-ökologischen Transformation hat sich schon bis in Regierungskreise herumgesprochen. Doch zwischen Wunsch und Wirklichkeit klafft eine ganze Milchstraße von Schwierigkeiten: zum Beispiel die komplette Europäische Union und die Einzelinteressen jedes ihrer Mitglieder. Oder das Überlebensinteresse jedes kapitalistisch strukturierten Unternehmens weltweit. Und ganz zuletzt, aber wenigstens ebenso wichtig: das scheinbare Recht auf wohlständige Sattheit aller TeilnehmerInnen der Konsumgesellschaften auf der Erde. Ihnen allen ist gemeinsam: Mehr Bescheidenheit gliche einem kollektiven Versagen.

Ivan Illich hat das Problem so zusammengefasst: „Wenn Verhalten, das zum Wahnsinn führt, in einer Gesellschaft als normal gilt, lernen die Menschen, um das Recht zu kämpfen, sich daran zu beteiligen.“

Mit nur einem Hauch von Realismus könnte man also die Flinte ins Korn werfen, denn jeder Schuss wäre bei einem solchen Berg an Widrigkeiten sein Pulver nicht wert. Und im Vergleich zu der Annahme, in Establishment-Kreisen fasste jemand das Ziel einer sozial-ökologischen Transformation mit dem angemessenen Ernst ins Auge, wirken die Allmachtsphantasien eines Pubertierenden geradezu realistisch.

Neuer Denkansatz macht Hoffnung

Wenn es da nicht einen ganz anderen, hoffnungsvollen Denkansatz gäbe. Der US-amerikanische Philosoph David R. Loy formuliert es in seinem Buch „ÖkoDharma“ so: „… die ökologische Krise [ist] mehr als ein technologisches, ökonomisches oder politisches Problem … Sie ist auch eine kollektive spirituelle Krise und ein möglicher Wendepunkt in unserer Geschichte.“ Harald Welzer spricht von erforderlichen „mentalen Infrastrukturen“ und vom „Weiterbauen am zivilisatorischen Projekt“, auf dass eines Tages nicht mehr „die, die Müll produzieren“ ein „höheres gesellschaftliches Ansehen [genießen] als die, die ihn wegräumen“.

Und weil dieses Weiterbauen so schwierig, ja schier nicht machbar erscheint, hat sich der Innovationsforscher Dr. Felix Hoch mit einem kompakten Band nur diesem Thema gewidmet: „Schwellen der Transformation – Erkennen und Überwinden innerer Widerstände in Transformationsprozessen“. Thomas Metzinger, der an der Uni Mainz Philosophie und Kognitionswissenschaften lehrte, hat sich mit seinem kürzlich erschienenen Buch „Bewusstseinskultur – Spiritualität, intellektuelle Redlichkeit und die planetare Krise“ dem neuen Denkansatz ebenfalls gestellt. Verdienstvollerweise hat er das nicht auf einem akademisch hochfliegenden Niveau getan, sondern gut lesbar, klar und knapp auf 183 Seiten.

Inhaltlich leicht macht er es einem allerdings nicht. Schon in den ersten Zeilen nimmt er den Stier bei den Hörnern: „Wir müssen uns ehrlich machen … Die globale Krise ist selbstverschuldet, historisch beispiellos – und es sieht nicht gut aus … Wie bewahrt man seine Selbstachtung in einer historischen Epoche, in der die Menschheit als ganze ihre Würde verliert? … Wir brauchen etwas, das im tatsächlichen Leben einzelner Menschen und Länder auch dann trägt, wenn die Menschheit als ganze scheitert.“

Beschönigung der Lage ist Metzingers Sache nicht. Im Gegenteil sagt er voraus, „dass es in der Geschichte der Menschheit auch einen entscheidenden Kipppunkt geben wird“, einen Panikpunkt, nach dem „die Einsicht in die Unumkehrbarkeit der Katastrophe auch das Internet erreichen und sich viral verbreiten“ wird. Doch dabei belässt es Metzinger nicht, vielmehr sieht er ebenso nüchtern die Möglichkeit, dem Unvermeidlichen auf sinnvolle Art und Weise die Stirn zu bieten.

Die Herausforderung annehmen

Dass das nicht einfach ist bzw. sein wird, versteht sich von selbst. Immerhin hat sich weltweit eine Gruppe von Menschen gebildet, Metzinger nennt sie die „Freunde der Menschheit“, die vor Ort alles dafür tun, „neue Technologien und nachhaltige Lebensweisen zu entwickeln, denn sie möchten Teil der Lösung gewesen sein“. Sie alle ruft Metzinger auf, an einer Bewusstseinskultur zu arbeiten, deren erster Schritt vielleicht der schwerste ist, „die Fähigkeit, nicht zu handeln … die sanfte, aber sehr präzise Optimierung von Impulskontrolle sowie eine schrittweise Bewusstwerdung der automatischen Identifikationsmechanismen auf der Ebene unseres Denkens“. Eine würdevolle Lebensform, so Metzinger, entstehe aus „einer bestimmten inneren Haltung angesichts einer existenziellen Gefährdung: Ich nehme die Herausforderung an“. Nicht nur Individuen, auch Gruppen und ganze Gesellschaften könnten so angemessen reagieren: „Wie kann es gelingen, angesichts der planetaren Krise in Bewusstheit und Anmut zu scheitern? Es wird uns nichts anderes übrig bleiben, als genau das zu lernen.“

Die zu entwickelnde Bewusstseinskultur wäre eine „Form des Erkenntnishandelns, die nach würdevollen Lebensformen sucht … Als antiautoritäre, dezentralisierte und partizipatorische Strategie wird Bewusstseinskultur im Wesentlichen auf Gemeinschaft, Kooperation und Transparenz setzen und sich so ganz automatisch jeder kapitalistischen Verwertungslogik verweigern. So gesehen handelt es sich … um den Aufbau eines soziophänomenologischen Raums – und damit einer neuen Art von gemeinsam geteilter geistiger Infrastruktur“.

Einen Entdeckungskontext entwickeln

Um sich nicht ideologisch zu verfestigen, besteht die hauptsächliche Herausforderung in der Entwicklung eines „Entdeckungskontexts“, der nicht vorgibt, „genau zu wissen, was sein sollte und was nicht … eine neue Form von ethischer Sensibilität und Echtheit … in Abwesenheit von moralischer Gewissheit … das Umarmen von Unsicherheit“. Daniel Christian Wahl hat dies als „Resilienz“ beschrieben. Sie hätte zwei Merkmale: einerseits die Fähigkeit lebender Systeme, ihre relative Stabilität im Laufe der Zeit aufrechtzuerhalten, andererseits die Fähigkeit, „sich als Reaktion auf veränderte Bedingungen und Störungen zu verändern“; Letzteres nennt er „transformative Resilienz“. Es gehe darum, „weise zu handeln, um eine positive Entwicklung in einer unvorhersehbaren Welt zu ermöglichen“. Sich offen zu halten, sich in einer Kultur des Nichtwissens in eine unvorhersehbare Zukunft zu tasten, bezeichnet Thomas Metzinger als „intellektuell redliche Bewusstseinskultur“. Ziel wäre eine „säkulare Spiritualität“ als eine „Qualität inneren Handelns“.

Säkulare Spiritualität ohne Selbsttäuschung

Mit den meisten spirituellen Bewegungen der letzten Jahrzehnte in Europa und den USA geht Metzinger freilich hart ins Gericht. Sie hätten ihren fortschrittlichen Impuls lange verloren und seien häufig zu „erfahrungsbasierten Formen privat organisierter religiöser Wahnsysteme verkommen … folgen kapitalistischen Imperativen der Selbstoptimierung und zeichnen sich durch eine etwas infantile Form von Selbstgefälligkeit“ aus. Ähnliches gelte für die organisierten Religionen, sie seien „von der Grundstruktur her dogmatisch und damit intellektuell unredlich“. Seriöse Wissenschaft und säkulare Spiritualität hätten eine doppelte gemeinsame Basis: „Erstens der unbedingte Wille zur Wahrheit, denn es geht um Erkenntnis und nicht um Glauben. Und zweitens das Ideal der absoluten Ehrlichkeit sich selbst gegenüber.“

Erst die neue Bewusstseinskultur, eine „säkulare Spiritualität von existenzieller Tiefe ohne Selbsttäuschung“, ein neuer Realismus, würde es ermöglichen, aus dem jahrhundertelang gepflegten, „giergetriebenen Wachstumsmodell“ auszusteigen. Dies könnte „zumindest einer Minderheit von Menschen dabei helfen, ihre geistige Gesundheit zu schützen, während die Gattung als ganze scheitert“. Metzinger geht es in seinem Buch nicht darum, Wahrheiten zu verkünden, sondern darum, mit größtmöglicher Nüchternheit den gegenwärtigen Entwicklungen ins Auge zu schauen: „Bewusstseinskultur ist ein Erkenntnisprojekt, und in genau diesem Sinne ist unsere Zukunft auch weiterhin offen.“

Thomas Metzinger, Bewusstseinskultur. Spiritualität, intellektuelle Redlichkeit und die planetare Krise, 22 Euro, Berlin Verlag, ISBN 978-3-8270-1488-7

Rezension von Bobby Langer

“Bewusstseinskultur” zählt aus unserer Sicht zu den wesentlichen Büchern des Wandels, die wir zur Lektüre und Vertiefung empfehlen.

von Peter Zettel

Rote oder blaue Pille?

Gestern sah ich in einem Video-Gespräch im Hintergrund ein Bild mit einer roten und einer blauen Pille. Ganz klar eine Anspielung auf den Film „Matrix“. Was mich zu der erstaunten Frage veranlasste „Du hast dich noch nicht entschieden?“

Sein „Doch, habe ich!“ klang mir jedoch nicht überzeugend, denn hätte er sich entschieden, wäre da eine Pille weg. Falls Sie den Film nicht kennen:

Neo wird vor die Wahl gestellt, eine blaue oder eine rote Pille zu schlucken. Nimmt er die blaue, geht es für ihn zurück in seine heile Welt, die nicht der Realität entspricht. Die rote Pille bewirkt das genaue Gegenteil und befreit ihn aus der Simulation.

Also ich kenne keinen Philosophen oder Wissenschaftler, den ich ernst nehmen würde, der nicht die rote Pille geschluckt und eine eindeutige Meinung hätte. Der Weg Suche nach der Wahrheit lässt nämlich keinen anderen Weg zu. Rote oder blaue Pille?

Die Entscheidung muss man treffen: Will ich wirklich die Wahrheit über mich selbst wissen oder möchte ich nur meine Ansichten bestätigt haben? Die Wahrheit kann nämlich ganz schön hart sein.

Weiter mit Mit den Wölfen heulen …