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von Peter Zettel

Rote oder blaue Pille?

Gestern sah ich in einem Video-Gespräch im Hintergrund ein Bild mit einer roten und einer blauen Pille. Ganz klar eine Anspielung auf den Film „Matrix“. Was mich zu der erstaunten Frage veranlasste „Du hast dich noch nicht entschieden?“

Sein „Doch, habe ich!“ klang mir jedoch nicht überzeugend, denn hätte er sich entschieden, wäre da eine Pille weg. Falls Sie den Film nicht kennen:

Neo wird vor die Wahl gestellt, eine blaue oder eine rote Pille zu schlucken. Nimmt er die blaue, geht es für ihn zurück in seine heile Welt, die nicht der Realität entspricht. Die rote Pille bewirkt das genaue Gegenteil und befreit ihn aus der Simulation.

Also ich kenne keinen Philosophen oder Wissenschaftler, den ich ernst nehmen würde, der nicht die rote Pille geschluckt und eine eindeutige Meinung hätte. Der Weg Suche nach der Wahrheit lässt nämlich keinen anderen Weg zu. Rote oder blaue Pille?

Die Entscheidung muss man treffen: Will ich wirklich die Wahrheit über mich selbst wissen oder möchte ich nur meine Ansichten bestätigt haben? Die Wahrheit kann nämlich ganz schön hart sein.

Weiter mit Mit den Wölfen heulen …

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Kein Geringerer als Fritjof Capra meinte zu dem im Folgenden besprochenen Buch „Regenerative Kulturen gestalten“: „Dieses Buch ist ein wertvoller Beitrag zu der Diskussion über die Weltanschauung, die wir brauchen, um unsere gesamte Kultur so zu gestalten, dass sie sich regeneriert und nicht zerstört.“

Rezension von Bobby Langer

Womit Fritjof Capra die Aufgabenstellung, um die es geht, auf den Punkt gebracht hat: „unsere gesamte Kultur so zu gestalten, dass sie sich regeneriert und nicht zerstört.“ Die Betonung liegt auf „gesamte Kultur“. Kein Mensch, auch keine Organisation könnte diese Mammut-Aufgabe schaffen. Und doch muss sie sein, wenn wir nicht im größten anzunehmenden Unglück landen wollen, das dereinst die Menschheit ereilen wird.

Richtige Fragen statt richtiger Antworten

Daniel Christian Wahl (DCW) hat diese ungeheure Aufgabe mit seinem Buch in den Blick genommen. Nicht weil er wüsste, wie es geht, sondern weil er zumindest ganz gut weiß, wie es nicht geht: mit business as usual. So besteht seine Leistung letztlich aus einer gedanklichen Doppelarbeit: einerseits die ausgetretenen Pfade der Irrtümer und zuverlässigen Zerstörungen zu analysieren und andererseits Mittel und Methoden zu beschreiben, mit denen sich erstere vermeiden lassen. Die wichtigste Methode dabei lässt sich mit Rilkes berühmtem Satz zusammenfassen: „Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich, ohne es zu merken, eines fremden Tages in die Antworten hinein.“ Es geht also nicht darum, die richtigen Antworten zu geben, sondern die richtigen Fragen zu stellen. Erst wenn es uns gelingt, die Richtung zu ändern, mit der wir uns in die Zukunft bewegen, können sich brauchbare Erfolge einstellen. Was geschieht, wenn wir das nicht tun, beschreibt ein chinesisches Sprichwort: „Wenn wir unsere Richtung nicht ändern, werden wir wahrscheinlich genau dort landen, wo wir gerade hingehen.“

Aber lohnt es sich denn überhaupt, die Richtung zu ändern, um die kulturellen Errungenschaften der Menschheit zu erhalten? Immer wieder taucht diese Frage auf, die wohl die gesamte Transformationsbewegung weltweit umtreibt. DCW hat darauf eine klare Antwort:

„Wir wissen weder, dass eine andere Spezies Gedichte schreibt oder Musik komponiert, um das verbindende Gefühl, das wir Liebe nennen, widerzuspiegeln, noch wissen wir, wie sich das Vergehen der Jahreszeiten für einen Mammutbaum anfühlt oder wie ein Kaiserpinguin subjektiv die ersten Sonnenstrahlen nach dem antarktischen Winter erlebt. Aber gibt es nicht etwas Schützenswertes an einer Spezies, die sich solche Fragen stellen kann?“

Vier Einsichten für eine lebenswerte Zukunft

Wie ein roter Faden zieht sich eine Kern-Einsicht des Autors durch alle Kapitel: dass wir nämlich nicht wissen können, was auf uns zukommt. Nur wenn wir kokreativ mit dieser Unsicherheit umzugehen bereit sind und unser Verhalten immer wieder neu justieren, haben wir eine echte Chance. Eine zweite Einsicht gesellt sich zur ersten. Sie ist der Natur abgeschaut: Zu schaffen sei ein lebendiger, ein regenerativer Prozess, der bis ins Detail das Leben fördert. Denn Natur ist Leben, das Leben fördert. Und auch mit einem dritten Prinzip ist die Natur als Vorbild zu nehmen: dass sie nämlich ­– so groß sie ist und so universell ihre Gesetze sind – nicht in Monopolen funktioniert, sondern in kleinen, lokalen und regionalen Netzwerken, Netze in Netzen in Netzen. Was wir brauchen, schreibt DCW, ist ein „Feingefühl für den Maßstab, die Einzigartigkeit des Ortes und die lokale Kultur“. Und: „Wir müssen das traditionelle ortsbezogene Wissen und die Kultur wertschätzen, ohne in die Fallen eines wiederauflebenden radikalen Regionalismus und engstirnigen Pfarrei-Denkens zu tappen … Systemische Gesundheit als emergente Eigenschaft regenerativer Kulturen entsteht, wenn lokal und regional angepasste Gemeinschaften lernen, innerhalb der durch die ökologischen, sozialen und kulturellen Bedingungen ihrer lokalen Bioregion gesetzten ‚förderlichen Einschränkungen‘ und Möglichkeiten in einem global kooperativen Kontext zu gedeihen.“

Ein viertes Prinzip lässt sich von diesen drei nicht trennen: das Vorsorgeprinzip, das damit beginnt, für die jederzeit möglichen Änderungen der Umstände vorgesorgt zu haben. Unter Vorsorge versteht DCW aber auch unsere Haltung, mit der wir gestaltend mit der Welt umgehen. „Wir brauchen dringend einen hippokratischen Eid für Design, Technologie und Planung: Do no harm! Um diesen ethischen Imperativ in die Tat umzusetzen, brauchen wir eine salutogene (gesundheitsfördernde) Absicht hinter allem Design, aller Technologie und Planung: Wir müssen Design machen für Menschen, Ökosysteme und die Gesundheit des Planeten.“ Ein solches Design „erkennt die untrennbare Verbindung zwischen menschlicher, ökosystemischer und planetarischer Gesundheit an“. Um da hinzukommen, sei das Meta-Design, das „Narrativ der Trennung“, zu ändern hin zu einem „Narrativ des Interbeing“; Design sei der Ort, an dem sich Theorie und Praxis treffen.

Mit Bescheidenheit und Zukunftsbewusstsein handeln

Auf Basis dieser Überlegungen und Analysen entsteht im Laufe der rund 380 Seiten dann doch eine Art Werkzeugkasten für den Umbau der westlichen Industriekultur. Dazu hat DCW alle gedanklichen und praktischen Ansätze der letzten Jahrzehnte ausgewertet und in seine Überlegungen miteinbezogen. Es geschieht ja schon so viel weltweit auf allen Kontinenten. Nun gilt es, alle diese Bemühungen in einen gemeinsamen Prozess einmünden zu lassen, um „the great turning“, wie Joana Macy das nannte, ins Werk zu setzen.

Konsequenterweise hat DCW zu jedem Kapitel ein Fragenset erarbeitet, das dabei unterstützen soll, den statischen Ist-Zustand des jeweiligen Themas aufzugeben und in einen zukunftsfähigen Prozess zu überführen: die chemisch-pharmazeutische Industrie, die Architektur, die Stadt- und Regionalplanung, die industrielle Ökologie, die Gemeinschaftsplanung, die Landwirtschaft, das Unternehmens- und Produktdesign. Denn „systemisches Denken und systemische Interventionen sind mögliche Gegenmittel für die unbeabsichtigten und gefährlichen Nebenwirkungen der jahrhundertelangen Konzentration auf reduktionistische und quantitative Analysen, die von dem Narrativ der Trennung geprägt sind“. So lautet eine Kernfrage, um die so unabdingbare „transformative Resilienz“ zu erreichen: „Wie können wir angesichts der Unvorhersehbarkeit und Unkontrollierbarkeit komplexer dynamischer Systeme mit Bescheidenheit und Zukunftsbewusstsein handeln und vorausschauende und transformative Innovationen anwenden?“

Tatsächlich hat es etwas Entlastendes zu wissen, dass wir keine endgültigen Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit geben müssen bzw. gar nicht geben sollen. „Indem wir die Fragen gemeinsam leben“, schreibt DCW, „anstatt uns mit endgültigen Antworten und dauerhaften Lösungen zu beschäftigen, können wir den vergeblichen Versuch aufgeben, unseren Weg in die Zukunft zu kennen.“ So hat sein Buch letztlich mehrere Wirkungen auf den Leser: Es ist entlastend, inspirierend, informativ, Hoffnung machend und praxisorientiert zugleich – ziemlich viel für ein Buch.

Daniel Christian Wahl, Regenerative Kulturen gestalten, 384 S., 29,95 Euro, Phänomen Verlag, ISBN 978-84-125877-7-7

Interview mit Bobby Langer im SOL-Magazin 1/2023:

Nur so ist die Transformation unserer Gesellschaft zu einer nachhaltigen möglich, meint Bobby Langer im Interview. Von Mario Sedlak

Bobby Langer arbeitet von Würzburg aus unermüdlich am Wandel. Sein Hauptwerkzeug ist die von ihm mitgegründete Website www.oekoligenta.de.

SOL: „Ökoligenta“ ist die Nachfolge von „intelligenter“?

Bobby Langer: Das ist ein Begriff aus dem Roman Jamilanda von Alander Baltosée, in dem detailliert dargelegt wird, wie eine sozial-ökologische Gesellschaft aussehen könnte. Mit „Ökoligenz“ ist ein Bewusstsein gemeint, das ökologisch wertvoll und kulturell intelligent handelt. Emotionale und rationale Intelligenz werden mit der Intelligenz natürlicher Kreisläufe verbunden. Das ist eine neue Eigenschaft, die der Mensch braucht.

Also wir brauchen einen neuen Menschen?

Nicht einen neuen, sondern einen „erweiterten“ Menschen, der sich seines Eingebettetseins in die großen natürlichen Zusammenhänge bewusst ist und die auch immer mitdenkt.

Wie hat die Ökoligenta-Plattform begonnen?

Vor 4 Jahren ist sie entstanden. Ursprünglich wollten Freunde und ich eine Umweltmesse zur Vernetzung der sozial-ökologischen Bewegungen machen. Leider ist das grandios an Sachzwängen gescheitert. Aber der Gedanke der Zusammensicht der verschiedenen Aspekte der sozial-ökologischen Transformation war da, und daraus haben wir die Seite Ökoligenta gebaut.

Wie habt ihr euch gefunden?

Ich bin seit 1976 in der Umweltbewegung aktiv und habe da 1001 Kontakte. Ungefähr 15 Leute konnte ich für die Idee, Ökoligenta zu gründen, begeistern.

Und heute?

Aktuell sind wir zu sechst. Teamverstärkung wäre dringend gewünscht. Bei vielen Leuten lässt das Engagement erheblich nach, sobald es in Arbeit ausartet.

Einmal im Monat schicken wir einen Wandel-Newsletter. Das sind 30-40 Stunden Arbeit pro Monat. Wir achten darauf, dass in dem Newsletter keine Negativinformationen sind, sondern wirklich nur Aspekte, die zum Wandel beitragen. Über das, was nicht geht, wird ohnehin sehr viel berichtet.

Der Wandel-Newsletter geht auch als Presseaussendung an rund 1000 Redaktionen in Deutschland. Dafür zahle ich 2400 € im Jahr. Da geht’s darum, den Leuten Material an die Hand zu liefern, an das sie sonst häufig gar nicht kommen.

Was wollt ihr erreichen? Was sind eure Erfolge?

Wir wollen die verschiedenen „Blasen“ innerhalb der Transformationsbewegung überbrücken, d. h. die Leute vernetzen und damit den Wandel beschleunigen. Wir haben 350 Organisationen aufgelistet. Oft sage ich Leuten: „Schau in die Liste, da gibt’s noch die und die Organisation!“ In 50 % der Fälle wissen die Leute nicht, dass es noch eine andere Organisation gibt, die das Gleiche macht wie sie selber.

Eine große Kluft gibt es nach wie vor z. B. zwischen Linken und Naturschützern, die einander verachten, obwohl beide eigentlich das Gleiche wollen. Beide haben viel mehr Gemeinsamkeiten, als sie denken.

Ein interessanter Aspekt aus der gewaltfreien Kommunikation ist, dass man in dem Augenblick, wo man ganz bestimmte feste Positionen einnimmt, bereits beginnt, eine Gewaltposition aufzubauen. In der Natur und im gesamten Kosmos gibt’s nie feste Positionen, sondern alles befindet sich in einem ständigen Wandel. Es ist eine jugendliche Form des Denkens, wo man gerne Dinge verabsolutiert, weil man jetzt „weiß“, was die Wahrheit ist. Auch wenn Windräder heute gut sind, könnte es in 5 Jahren was Besseres geben.

Wir dürfen die Leute nicht verschrecken. Dann können wir die kritische Masse erreichen, und die sozial-ökologische Transformation kommt ins Rollen. Man sagt, dass dafür schon 5 % ausreichend wären.

von Frank Braun

Über die Medienberichterstattung zur letzten Generation

Es macht mich unglaublich traurig, wie sie über die letzte Generation berichten. Das ist manipulierend und in der Sache nicht wirklich hilfreich. Da ist kein Versuch zu erkennen, die Frage zu klären, was denn junge Menschen dazu bringt, mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen (was übrigens noch nicht einmal eindeutig klar ist, siehe nächster Absatz). Glauben sie wirklich, dass diese Menschen nicht auch lieber glücklich das Leben genießen würden, ohne möglicherweise Gesetze zu brechen? Da ist keine Auseinandersetzung mit der Frage von Recht und Moral, zu der wir durchaus unterschiedliche Meinungen haben dürfen. – Gott sei Dank leben wir in einem Land, wo das möglich ist. –

Nein, all das spielt keine Rolle. Einzig der Fakt, dass hier Menschen Geld erhalten, um möglicherweise damit auch Widerstand zu leisten gegen einen Lebensstil, der Natur und Menschen rund um uns herum aufzehrt, um unsere Wachstumsmaschine zu ölen. Dafür ist jedes Mittel recht, auch der Rechtsbruch gegen Menschenrechte, die SDGs, etc. Ich bin selbst Betriebswirtschaftler. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir uns über gut bezahlte Manager aufregen, die für Nestle, Monsanto, Apple und Co. Unrecht einfach in unseren toten Winkel verlagern, in sogenannte Länder mit Entwicklungsbedarf, wo Umwelt und Menschenrechte der eigenen Not geopfert werden, da es zunächst einmal darum geht, den Tag zu überleben. Ich habe bis Februar 22 drei Jahre in Peru gelebt und dort gesehen, was unser Lebensstil anrichtet. Dafür ist es ok, Geld zu verdienen?

Und dann ist da die Frage von Recht, die ja hier immer wieder als Argument genommen wird. Niemand von ihnen erwähnt dabei Artikel 20 Absatz 4 unseres Grundgesetzes, der es in bestimmten Situationen erlaubt, sich über geltendes Recht hinwegzusetzen, um Rechtsbruch zu vermeiden. Ich sehe diesen Artikel selbst mit großem Respekt und bin mir bewusst, welche Sprengkraft darin liegt. Aber es gibt diesen Artikel seit den 1968-iger Jahren aus gutem Grund! Auch wird nicht erwähnt, dass sich Deutschland der Menschenrechtscharta, den Nachhaltigen Entwicklungszielen etc. verpflichtet hat und diese bis 2030 umsetzen will. Ziel 13 formuliert hier explizit den Klimaschutz. Es ist also nicht nur ein Recht, sondern sogar eine Pflicht unser aller, für den Klimaschutz, Umwelt- und Menschenrechte einzutreten!

Und nun also dieser Shitstorm, „Klimaaktivisti“ nähmen Geld für ihre Arbeit. Ja und? Das macht mich unglaublich wütend, das als Argument zu verwenden, als ob es für die aktuelle Debatte rund um die Aktionen der Letzten Generation eine Rolle spielen würde, ob die Leute das bezahlt oder unbezahlt täten? Tut es nicht! Also lasst uns bei den Fragen bleiben, die es zu klären gilt, anstatt Menschen zu diskreditieren, weil sie – wie wir alle – Geld zum Leben brauchen!

Die ganze Umwelt-, Klima- und Soziale-Gerechtigkeits-Bewegung, die seit Jahrzehnten unermüdlich daran arbeitet, dass sich daran etwas ändert, arbeitet, so sie es denn nicht ehrenamtlich tut, vorwiegend in befristeten Teilzeitarbeitsverträgen, zu Konditionen, die für die meisten ihrer Leser:innen lächerlich wären. Das gilt für traditionelle Organisationen wie den NABU genauso wie für neue Bewegungen wie die For Future-Bewegung.

Gleichzeitig ist der Wunsch nach Information und Weiterbildung riesig. Täglich bekommen wir Anfragen von Schulen, Konfirmandengruppen, Kirchengemeinden etc., die uns anfragen, ob wir denn mit ihnen Workshops, Seminare, Vorträge etc. zu Fragen wie Fairer Handel, Klima, Ökologie, den SDGs etc. machen könnten. Geld hätten sie aber keines. So machen das Zehntausende von Menschen meist ehrenamtlich oder eben in den wenigen bezahlten Stellen. Selbstausbeutung ist hier tägliche Realität, weil die meisten dieser Menschen im Herzen für ihre Arbeit brennen und sie nicht allein wegen des Geldes verrichten.

Auch die erst seit 2021 existierende Bewegung „Aufstand der Letzten Generation“ versucht, einen Beitrag zu sozialer und ökologischer Gerechtigkeit zu leisten. Deren Forderungen sind übrigens m.E. keineswegs radikal. Bei den Blockadeaktionen im Dezember standen zwei Kernforderungen im Fokus:

  • ein sofortiges Tempolimit von 100 km/h auf deutschen Autobahnen, um “jährlich bis zu 5,4 Millionen Tonnen CO2” einzusparen. “Es ist sofort umsetzbar und das nahezu kostenlos.“
  • ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket: “Bezahlbare Bahnen sind in Zeiten steigender Lebenshaltungskosten nur gerecht! Außerdem würde ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket sogar noch mehr CO2 einsparen als ein Tempolimit.“

Ist das wirklich so wirklichkeitsfern und radikal? Zudem ist das Festkleben auf Straßen oder das beschmieren von Kunst nur ein kleiner Teil der Arbeit, den diese Bewegung leistet.

Ich sehe durchaus auch manche der Aktionsformen der letzten Generation kritisch, aber wir sollten das Kind nicht mit dem Badewasser auskippen, denn eines kann ich gut verstehen: Es gibt eine wachsende Anzahl junger Menschen, die sich nicht erst genommen fühlen, die Angst um ihre Zukunft haben, die verzweifelt sind und nicht mehr weiterwissen. Nun fangen Medien an, diese Menschen lächerlich zu machen, sie an den  Rand zu drängen, anstatt sich mit der eigentlichen Kernfrage zu befassen:
Warum leben wir einfach so weiter, als wüssten wir nicht, dass unser Lebensstil Menschenleben kostet, das Klima verändert, die Biodiversität vernichtet?

Das wiederum liegt meines Erachtens daran, dass wir alle Komplizen dieses Lebensstils sind. Das wohl niemand unter uns Schreibenden von sich sagen könnte, er lebe kompromisslos einen sozial und ökologisch gerechten Lebensstil – auch ich nicht! Das wiederum macht uns Angst, denn eigentlich wissen wir alle, dass FAIRänderungen unabdingbar sind. Es fehlt uns gerade der Mut und die Fantasie zu sehen, wie das gehen könnte, also verharren wir lieber und machen erst einmal weiter so.

Können wir bitte mit dieser verlogenen Doppelmoral aufhören.
Können wir bitte aufhören, die Gesellschaft zu polarisieren. Am Ende wollen wir alle eine gutes Leben leben. Dieses Bedürfnis tragen wir alle in uns!
Können wir bitte endlich anfangen, gemeinsam und ernsthaft an Lösungen zu arbeiten, wie sich das ändern kann. Und ja, für Länder wie Deutschland wird das bedeuten, sich an einigen Stellen radikal zu ändern. Ich bin überzeugt, das ist nicht nur möglich, sondern wird am Ende Raum geben – auch bei uns -, dass die Utopie einer Welt ohne Ausbeutung Realität werden kann.

p.s. Ich bin selbst auch freier Redakteur und habe erst vor kurzem einen Artikel zur Frage von zivilen Widerstand und Recht verfasst.

Die Himmel sind weit
und weniger fern, als wir dachten.
Es gibt ein Über-den-Wolken
in uns auch,
nicht nur die Dunkelheit und die Blendgranaten,
sondern tausend Lichter am Ende der Tunnel;
die Hoffnung, die uns, und sei sie noch so klein,
für einander am Leben hält und
uns in einem Lächeln verbindet,
in einem heimlichen, verstohlenen,
revolutionären Lächeln.

Nun lasst uns also die Hände ergreifen,
die dargebotenen, die ausgestreckten,
die hilfesuchenden auch.
Nun seht, dass die Tage länger werden
und nicht von Dauer sind Krieg und Verderben.
Die Bleikammern der Herzen sind überwindbar
und die Birken vor Birkenau grünen
wider alles Erwarten.

Bobby Langer

 

von Bobby Langer

„I want you to panic!“ Kaum ein anderer Satz von Greta Thunberg hat mehr Kritik und Widerstand ausgelöst. Mir ging es genau umgekehrt. Auf mich wirkte er wie ein Hammer, der alten Mörtel von Ziegeln klopft, inneren Mörtel, versteht sich. Sie sei eben eine Jugendliche, hieß es noch in den freundlichsten Berichten; genau umgekehrt, tönte es, müsse man auf die Klimakrise reagieren, umsichtig, mit Bedacht, erwachsen. Nein, dachte ich, das haben wir die letzten 30 Jahre getan, oder jedenfalls so getan als ob. Und jedes Mal drängten sich andere, emotionale Themen in den Vordergrund. Jeder Faschingszug, jedes Bundesligaspiel, jede Ministerpräsidentenwahl im unbedeutendsten Bundesland war und ist wichtiger, weil emotional besetzt, als die Klimakrise. Die Gesellschaft reagiert eben nicht umsichtig, mit Bedacht und erwachsen, sondern ratlos, neurotisch und kindisch. Von außen gesehen: geistesgestört. Weiterlesen

von Isabel Batista

(zu Teil 2)

Unsere Welt ist ein lebendiges System aus Zyklen, Rhythmen und Prozessen. Es unterliegt bestimmten Naturgesetzen. Doch mit unserer Art des Lebens und Wirtschaftens verstoßen wir jeden Tag aufs Neue gegen diese Naturgesetze. Das hat schwerwiegende Veränderungen auf dem Planeten Erde verursacht. Um den Prozess der Zerstörung zu stoppen, müssen wir zu Systemwandlern werden. Wir müssen die von uns geschaffenen Systeme wieder in Einklang mit den Naturgesetzen bringen. Eines dieser Systeme ist die Landwirtschaft. Weiterlesen

Fridays for Future haben die Forderung nach einem Sondervermögen Klimaschutz in Höhe von 100 Mrd. Euro. Warum? Wozu?

„Die Klimakrise ist kein Wohlfühlproblem“, sagt Luisa Neubauer, „sondern eine Katastrophe.“ Das pfeifen inzwischen die Spatzen von den Dächern, etwa des Ahrtals, nicht jedoch im Regierungsviertel.

„Wir riskieren, dass unser Wirtschaftsmodell wegbricht.“

Inzwischen hat sich sogar Marcel Fratzscher in die Diskussion eingeschaltet. Der Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und Professor für Makroökonomie an der Berliner Humboldt-Universität formuliert ähnlich dringlich wie Luisa Neubauer: „Wir haben eine dramatische Situation für die Wirtschaft. Viele Unternehmen können mit den hohen Energiepreisen über fossile Energieträger nicht umgehen, sind von Insolvenz und Überschuldung bedroht. Wir riskieren, dass unser Wirtschaftsmodell wegbricht.“ Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten, so der Professor, würden in Zukunft deutlich weiter zunehmen, „wenn es uns jetzt nicht gelingt, die notwendige Transformation voranzubringen“. Der Einwand, 100 Milliarden Euro seien zu viel Geld für Klimaschutzmaßnahmen, sei falsch, genau das Gegenteil treffe zu. „Je länger wir warten, desto höher sind nicht nur die Kosten für die Menschen, sondern eben auch die wirtschaftlichen Kosten für Unternehmen.“ Fratzscher will deshalb die Initiative von Fridays for Future „ganz nachdrücklich unterstützen“.

Auch das „Haus Wirtschaft“ braucht ein solides Fundament

Wer ein Haus plant, benötigt ein geologisches Gutachten. Warum? Die Antwort ist jedermann einsichtig. Wer will schon, dass sein Haus wegrutscht, einsinkt oder auf einer alten Giftmülldeponie errichtet wird?

Wer ein Haus baut, braucht also ein solides Fundament, auch unterhalb der Bodenplatte. Das gilt nicht nur für relativ kleine wirtschaftliche Vorhaben, sondern auch für große. Die Bodenplatte, wenn man so will, auf der die deutsche Wirtschaft ruht, ist ihre zuverlässige Energieversorgung. Aber unter der Bodenplatte bröckelt es nicht nur, sondern es verschieben sich ganze Gesteinsschichten – nicht erst, seit uns die Gasversorgung knapp wird, sondern seitdem man zuverlässig weiß, dass die fossilen Ressourcen garantiert wegbrechen werden, also seit Jahrzehnten.

Zukunftsvergessen und ruchlos

Der gesunde Menschenverstand legt folglich seit Jahrzehnten nahe, sich verantwortungsvoll um eine weniger riskante Energieversorgung zu kümmern. Aber seit Jahrzehnten funktioniert der gesunde Menschenverstand nicht. Im Gegenteil: Die Bundesregierung pumpt nach wie vor 65 Milliarden Euro im Jahr in Erdöl und Erdgas, statt diese widersinnigen Investitionen in zukunftsfähige Quellen umzulenken. Da setzt das Aushängeschild der deutschen Finanzwirtschaft, die Deutsche Bank, noch den i-Punkt an Zukunftsvergessenheit und Ruchlosigkeit obendrauf: mit ihrer geplanten Finanzierung der EACOP-Pipeline, mit der 1445 Kilometer geheiztes Erdöl vom Westen Ugandas durch Tansania zum Indischen Ozean gebracht werden soll. Rund 7000 Menschen wurden dafür bereits zwangsumgesiedelt, weitere ca. 90.000 Menschen sollen noch ihre Heimat verlieren – ganz abgesehen davon, dass das Tilenga-Ölfeld zum Teil im Murchison-Falls-Nationalpark liegt, dem größten und ältesten ugandischen Nationalpark. Aber wen kümmert das schon, außer Luisa Neubauer? Bei einem 3,5-Milliarden-Dollar-Projekt lässt sich schließlich gut verdienen. Und was tut die Bundesregierung? Es geht sie nicht wirklich etwas an, auch nicht die Bundesumweltministerin.

Das Geld im Land lassen

Gewichtige Argumente pro 100 Mrd. Euro liefert auch Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin. 100 Mrd. Euro in Klimaschutzmaßnahmen in Deutschland würden das Geld im Land lassen und den Menschen zugute kommen, statt „weiter auf den Import von Öl, Kohle und Gas zu setzen“. Allein in diesem Jahr würde Deutschland voraussichtlich weit über 100 Milliarden Euro für den Import dieser fossilen Energieträger ausgeben. Quaschning: „Zwischen 1990 und heute hat Deutschland mehr als 1500 Milliarden Euro nur für den Import von Öl, Kohle und Gas ausgegeben, das heißt also Geld, was aus Deutschland weg ist und was wir nicht investieren können.“

Die Transformation nicht verschlafen

Mit Bezug auf die Green-New-Deal-Überlegungen der Europäischen Union findet Fratzscher die Fridays-Forderung eher moderat. In Brüssel gehe man von einem zusätzlichen Investitionsbedarf von 10.000 Milliarden bis 2050 aus. Für Deutschland seien das hochgerechnet 120 Mrd. pro Jahr bzw. drei Prozent des BIP. Hoffnungen weckt in Fratzscher „die tolle Forschungslandschaft. Wir waren weltweit die ersten, die in die Energiewende eingestiegen sind, aber wir haben irgendwann immer die Puste verloren“. Es ist also neues Luftholen angesagt. Um die Energiewende voranzubringen, braucht Deutschland aus Quaschnings Sicht „das größte Fort- und Weiterbildungsprogramm, das die Bundesrepublik Deutschland jemals gesehen hat. Und Sie können natürlich ohne Geld keine Weiterbildung machen, also auch hier brauchen wir natürlich massive Investitionen.“ Und Fratzscher warnt: „Wir können es uns in Deutschland nicht leisten, diese Transformation zu verschlafen, weil sonst andere Länder und andere Unternehmen – Wettbewerber von deutschen Unternehmen – da schneller sind.“

Nein, diese Überschrift, so sehr sie einer ähnelt, ist keine. Sie fasst nichts zusammen, liefert allenfalls Stichworte, wirkt „nach unten“ in den Text hinein, und der Text klimmt nach oben und keimt in den drei Lücken zwischen den Worten und den dreißig Buchstaben. Die Kommata und später die Punkte sind Pflanzlöcher, größere Verschnaufpausen, durch die hindurch – wie durch die kleinen Lücken – Sinn entsteht und wieder verraucht.

Wohin?

Seit einer geraumen Weile denkt es in mir über die neue Ontologie nach, die wir so dringend brauchen, keinen Paradigmenwechsel, der sich so leicht dahinsagen und einfordern lässt, sondern tatsächlich ein neues Verständnis für das Wesen des Seins und, sich daraus entwickelnd, einen anderen Umgang mit unserer Mitwelt, der sich so sehr von allem Bisherigen unterscheidet wie Traumwelt von Alltagswelt, eine neue, geistige Weltordnung.

Es geht also um nichts weniger als um einen Ontologiewechsel. Ein paar Sätze zum Ausgangspunkt, nein zur Ausgangsebene, die so selbstverständlich unser tägliches Sein bestimmt, dass es schwerfällt, sie sprachlich fassend der bewussten Wahrnehmung zuzuführen: Wir schlafen ein und erwachen, schlafen ein und erwachen, unser ganzes Leben lang. Dieser Rhythmus unserer geistigen Bewegung verläuft Tag für Tag in eine Richtung: von der Traumwelt zur Wirklichkeit bzw. zu dem, was wir so nennen. Im abgrenzenden Begriff der Wirklichkeit spiegelt sich eine unüberhörbare Überheblichkeit gegenüber der Traumwelt, der ich nicht folgen möchte. Ich werde die beiden Wirklichkeiten deshalb im Folgenden entweder einfach Nacht und Tag oder Traumwirklichkeit und Standardwirklichkeit nennen.

Dieser Richtungsverlauf von der Nacht zum Tag durchzieht unsere komplette Weltanschauung. Wie wir der Traumwirklichkeit entkommen wollen, so sollen wir der Kindheit entrinnen, den Idealen der Jugend, den romantischen Gefühlen und einem anarchischen Weltwahrnehmung. Ziel ist eine vorgestellte „höhere Plattform“ der Standardwirklichkeit, von der herab wir auf die Welt schauen: erwachsen, objektiv, wissenschaftlich, nüchtern, diszipliniert und eingeordnet in eine logisch erklärbare, durchstrukturierte Welt, die Emotion, Gefühl und Intuition lediglich einen Unterhaltungswert zuweist. Weg also von der Nacht, hin zum Tag, zu gedanklicher Klarheit und patriarchaler Würde.
Und doch ist diese Ausrichtung unserer lebenslangen, inneren Orientierung schon bei einem oberflächlichen Blick irreführend. Denn wir kommen nicht aus dem Tag und wir enden nicht im Tag, sondern in der Nacht bzw. einer zeitlosen Traumwirklichkeit, der wir anfangs entstiegen sind.

Was würde nun bedeuten, wenn wir vom Tag zur Nacht hin lebten, wenn nicht eine turmhohe Ratio das Ziel unserer täglichen, inneren Ausrichtung wäre, sondern zeitentiefe Intuition; wenn wir den allbestimmenden Zeitpfeil in Frage stellten, wenn wir uns innerlich nicht bewegten wie ein technikgetriebenes Schiff auf den jeweils nächsten Hafen zu, sondern wie das allgetriebene Meer und seine Gezeiten? Was würde das bedeuten hinsichtlich der großen Komplexe Arbeit, Bildung, Erziehung, Gewalt, Industrie, Justiz, Mann/Frau, Mitwelt, Sexualität, Sprache, Werte und Wirtschaft?

Und als letzte große Frage: Was machte es mit unserer Vorstellung des Heiligen? Auf jeden Fall würde es aus den konfessionellen Katakomben an die frische Luft geholt. Würde es am Ende bedeuten, das Ziel allen Denkens und Handelns wäre ein heiliges Leben, die in den Alltag übersetzte Ultima Intuitio?

Diese Welt ist dabei, sich selbst zu vernichten, und nur die Erschaffung einer anderen Welt kann diesen Kurs umkehren. Glücklicherweise ist eine andere Welt immer noch möglich, auch wenn die Chancen, sie zu erreichen, mit bedrohlicher Geschwindigkeit abnehmen.

Diese Welt befindet sich schon seit langem auf einem langsamen Kurs in Richtung Selbstvernichtung, aber es gab Wendepunkte, an denen der Kurs der Zerstörung beschleunigt wurde. Einer davon ist ein Tag, der sich unauslöschlich in mein Gedächtnis eingebrannt hat, und auch in das anderer Menschen meiner Generation: der 6. August 1945. An diesem Tag befand ich mich zufällig als Betreuer in einem Sommerlager. Am Morgen verkündete der Lautsprecher, dass die Vereinigten Staaten Hiroshima mit einer Atombombe zerstört hatten. Es wurde gejubelt und alle gingen fröhlich zu ihrer nächsten Aktivität, Schwimmen, Baseball, was auch immer. Etwas später konnte ich einige Zeitungen lesen und stellte fest, dass die allgemeine Reaktion ähnlich war: Man jubelte, dass der Krieg vorbei war, und machte dann weiter wie bisher.

Das war eine doppelte Lektion. Die erste Lektion war, dass die menschliche Intelligenz in all ihrer Herrlichkeit Mittel zur Selbstvernichtung entwickelt hatte; die zweite, dass die menschliche Intelligenz nicht die moralische Fähigkeit entwickelt hatte, zu begreifen, was sie tut, und ihren Todeswunsch zu kontrollieren. Um genau zu sein, geht es nicht nur um die Vernichtung unserer eigenen Spezies, sondern auch darum, einen Großteil des Lebens mit uns zu vernichten. Die menschliche Intelligenz hatte diese Stufe noch nicht ganz erreicht, aber es war offensichtlich, dass sie es bald tun würde, und das tat sie auch. Als die Vereinigten Staaten und dann die Sowjetunion 1953 thermonukleare Waffen zündeten [Wasserstoffbomben], die alles zerstören konnten, war das eine große Leistung.

Lassen wir diese Einschränkungen beiseite und kehren wir zur wesentlichen Lektion zurück: Die technische und wissenschaftliche Intelligenz des Menschen übertraf die menschliche moralische Intelligenz bei weitem. Die Fähigkeit zu zerstören ist nicht mit der Fähigkeit gleichzusetzen zu verstehen, was wir tun, und den Kurs zu ändern. Diejenigen, die eine große Ähnlichkeit zu heute sehen, irren sich nicht. Es gab einige, die verstanden, was wir taten, und die die Notwendigkeit eines Kurswechsels erkannten. Dazu gehörten die Wissenschaftler, die das Bulletin der Atomwissenschaftler schufen und die berühmte Weltuntergangsuhr. Der Zeiger zeigte eine bestimmte Entfernung zu Mitternacht an – Mitternacht bedeutet das Ende des menschlichen Experiments auf der Erde – die Uhr ist eine Art Maß für die Kluft zwischen technischer und moralischer Intelligenz.

Die Uhr wurde zum ersten Mal 1947 gestellt. Im Jahr 1953 mit der Explosion von Wasserstoffbomben auf sieben Minuten vor Mitternacht. Seitdem wurde der Minutenzeiger auf zwei Minuten vor Mitternacht vorverlegt. Er schwankte aufgrund von Analysen der Weltlage. Er erreichte erst wieder zwei Minuten im letzten Jahr der Amtszeit von Donald Trump. Die Analysten gaben die Minutenmessung auf und gingen zu den Sekunden über. 100 Sekunden vor Mitternacht, da steht die Uhr jetzt. Im nächsten Januar wird sie neu gestellt, und es würde mich nicht wundern, wenn sie sich dem Ende nähert.

1945 wusste man noch nicht, dass ein weiterer Wendepunkt bevorsteht, die Vergiftung der Atmosphäre und eine neue geologische Epoche, die Geologen als Anthropozän bezeichnen, eine Epoche, in der menschliche Aktivitäten das globale Klima radikal beeinflussen, und zwar nicht zu seinem Vorteil. Nun, ich füge eine weitere persönliche Einstellung hinzu. Wie ernst die Sache ist, erfuhr ich vor 50 Jahren, als ich in einer einzigen Woche Anrufe von zwei Freunden erhielt. Der eine war der Lehrstuhlinhaber für Geowissenschaften in Harvard,

der andere war der Leiter der Meteorologie am MIT. Beide informierten mich über neue Beweise, dass es soeben den Anschein hatte, dass der CO2-Gehalt in der Atmosphäre stark ansteigt und wir auf eine Katastrophe zusteuern. Nun, wie wir alle wissen, war diese Schreckensnachricht auch den Führungskräften der Unternehmen für fossile Brennstoffe gut bekannt. Ihre Wissenschaftler waren in der Tat federführend bei der Erforschung dieser Dinge und der Aufdeckung der düsteren Folgen. Die Reaktion der Führungskräfte bestand darin, die Zerstörung zu beschleunigen und jede Gefahr auszuschalten, dass die Bevölkerung ihr düsteres Schicksal verstehen könnte.

Einige dieser Schritte zur Vernichtung sind nicht so bekannt, wie sie sein sollten. Sie sind lehrreich. Ein wichtiger Fall ist das, was mit der republikanischen Partei geschah, die bald die Macht in den Vereinigten Staaten übernehmen wird, so scheint es, vielleicht praktisch für immer, da sie ganz offen versucht, die amerikanische Demokratie zu untergraben. Die Partei ist zu 100 Prozent der Verweigerer einer Sache von außerordentlicher Bedeutung. Das war nicht immer der Fall, und der Übergang sagt uns etwas über die Institutionen, die die Menschen aufgebaut haben, und über die Herausforderungen, die sie für das Überleben darstellen.

Erinnern wir uns an das Wahljahr 2008: Der republikanische Präsidentschaftskandidat war John McCain. Er hatte eine Klimaflanke in seinem Programm, nicht sehr viel, aber immerhin. Auch die republikanischen Gesetzgeber begannen, ähnliche Bemühungen in Betracht zu ziehen. Als das riesige Energiekonglomerat der Gebrüder Koch davon Wind bekam, wurden sie sofort aktiv. Seit Jahren hatten sie hart daran gearbeitet, dass die Republikaner die freie Nutzung fossiler Brennstoffe voll und ganz unterstützten, und sie würden diese Abweichung von der Unterordnung unter ihre Interessen nicht dulden. Sie starteten einen riesigen Moloch zur Bestechung des Kongresses, drohten mit massiver Lobbyarbeit und täuschten Bürgerinitiativen vor. Kein Stein, der nicht umgedreht wurde. In kürzester Zeit kapitulierten alle republikanischen Spitzenkandidaten bei den letzten republikanischen Vorwahlen im Jahr 2016. Jeder Kandidat hat entweder geleugnet, dass es eine globale Erwärmung gibt, oder gesagt, dass sie vielleicht stattfindet, wir aber nichts dagegen unternehmen werden. Der Sieger Donald Trump setzte alles daran, die Nutzung fossiler Brennstoffe zu maximieren, einschließlich der zerstörerischsten von ihnen, und Vorschriften abzubauen, die die Umwelt schützen könnten. Natürlich hat er sich auch aus den internationalen Bemühungen zur Bewältigung der Krise zurückgezogen.

Donald Trump gehört die Partei, die sehr wahrscheinlich wieder die totale Kontrolle über die Regierung erlangen wird. Dies ist nicht Andorra, dies ist die Regierung des mächtigsten Landes der Menschheitsgeschichte, und das ist kein Witz für unsere traurige Welt. Nun, eine Auswirkung des Verrats der Führung ist, dass unter den Republikanern und denen, die den Republikanern zuneigen, nur 20 Prozent der globalen Erwärmung oberste Priorität einräumen. Es ist nur das kritischste Problem, mit dem die Menschheit je konfrontiert war, zusammen mit dem Atomkrieg, also warum sollte man sich darum kümmern. Das sagen uns unsere Politiker und ihre Medien-Echokammer, und tatsächlich ist die globale Erwärmung in den letzten Jahren zusammen mit einem dritten Faktor in die Einstellung der Weltuntergangsuhr eingeflossen, nämlich der Verschlechterung des Bereichs des rationalen Diskurses, der die einzige Hoffnung bietet, der Katastrophe zu entkommen.

Das Beispiel der Unternehmen für fossile Brennstoffe mag irreführend sein. Sie folgen einfach den normalen kapitalistischen Prinzipien, Prinzipien, die Adam Smith vor 250 Jahren beschrieben hat. Er wies darauf hin, dass die Herren der Menschheit – er meinte die Kaufleute und Fabrikanten Englands England -, die Herren der Menschheit, schon immer der abscheulichen Maxime folgten: alles für sich selbst und nichts für andere. Die Herren verfolgen diese Maxime nicht, weil sie besonders böse sind. Es ist ein institutioneller Imperativ: Diejenigen, die die Maxime nicht befolgen, werden verdrängt durch diejenigen, die sie befolgen. Das ist das Wesen des unregulierten Marktes, der ein Todesurteil für die menschliche Spezies und auch für die Kollateralschäden unter dem übrigen Leben auf der Erde ist. Unkontrollierte Märkte sind auch aus anderen Gründen ein Todesurteil, auf das bereits vor über einem Jahrhundert der große politische Ökonome Thurstein Viblin hinwies; nämlich, dass Erfolg auf dem Markt die Erzeugung von Bedürfnissen voraussetzt, die den Konsum ankurbeln, der den Planeten und in der Tat auch ein menschenwürdiges Leben vernichtet. Es gibt also bessere Möglichkeiten, seine Zeit zu verbringen, als sich in einem endlosen Stau zu ärgern. Und riesige Industrien sind damit beschäftigt, uns zu einem solchen Lebensstil zu bewegen. Nicht einer besseren Welt, die möglich wäre, mit Institutionen, die sich den menschlichen Bedürfnissen widmen, anstatt dem privaten Profit und der Zerstörung der Umwelt, die das Leben erhält.

Wir haben es hier also mit der menschlichen Intelligenz zu tun. Sie hat sich wirksame Mittel zur Selbstvernichtung ausgedacht und spielt ständig mit deren Einsatz. Im Moment hat sie auch soziale Institutionen entwickelt, die ein Todesurteil sind, und es ist ihr bisher nicht gelungen, die gähnende Lücke zwischen der Fähigkeit zur Zerstörung und der Fähigkeit zur Schaffung dieser anderen Welt, die möglich ist, zu schließen. Und hier kommt das Weltsozialforum ins Spiel. Seine Aufgabe ist es, diese Lücke zu schließen, denn wir wissen, was getan werden muss. Wir wissen, wie wir die Welt zumindest von Atomwaffen befreien können, das Rüstungskontrollregime, das die republikanische Partei seit 20 Jahren demontiert hat, wieder aufzubauen und dieses Regime zur Beseitigung dieser Geißel voranzutreiben.

Wir wissen, wie man das macht. Es gibt auch detaillierte, durchaus machbare Vorschläge, wie man die Klimakrise überwinden und zu einem viel besseren Leben übergehen kann. Es gibt sogar eine Resolution im US-Kongress, die von Alexandria Ocasio-Cortez gesponsert wurde, einer jungen Abgeordneten, die auf der Bernie-Sanders-Welle ins Amt gehievt wurde, zusammen mit Ed Markey, einem erfahrenen Senator, der sich seit langem um die Umweltzerstörung sorgt. Die Entschließung ist lesenswert. Sie beschreibt in allen Einzelheiten einen vernünftigen und realisierbaren Ansatz zur Beendigung der Krise und zur Eröffnung des Weges zu einer viel lebenswerteren Welt. Es ist nicht das einzige derartige Programm, das Sie bei der Internationalen Energieagentur lesen können, die sich auf die Energiekonzerne stützt, denn mehrere Wirtschaftswissenschaftler, darunter mein Kollege Robert Holland, haben detaillierte Vorschläge ausgearbeitet, die alle ziemlich ähnlich sind. Sie können jetzt schon im Kongress umgesetzt werden. Es ist nur eine Resolution, aber mit genügend intensiven Bemühungen der Bevölkerung könnten sie zu Gesetzen werden und in Kraft treten. Dasselbe gilt auch für andere Länder. Das Fenster der Gelegenheit ist kurz und schließt sich, aber es ist noch da. Die Umwandlung tödlicher gesellschaftlicher Institutionen ist eine größere Herausforderung, aber auch eine, die mit engagierten Bemühungen bewältigt werden kann. Wir wissen also, wie es geht, aber ist es auch zu schaffen? Die Antwort liegt in Ihren Händen und in den Händen von Menschen wie Ihnen.

Wir könnten diese Frage in einen breiteren Kontext stellen. Ich nehme an, dass Sie alle mit dem berühmten Paradoxon der Physiker Aaron und Enrico Fermi vertraut sind, hervorragende Astrophysiker, die wussten, dass es in Reichweite der Erde eine riesige Anzahl von Planeten gibt, die die Bedingungen für Leben und höhere Intelligenz aufweisen, aber trotz eifrigster Suche können wir keine Spur von ihrer Existenz finden. Wo sind sie also? Nun, eine Antwort, die ernsthaft vorgeschlagen wurde und nicht von der Hand zu weisen ist, lautet, dass sich eine höhere Intelligenz tatsächlich unzählige Male entwickelt hat, aber sie hat sich als tödlich erwiesen. Sie hat die Mittel zur Selbstvernichtung entdeckt, aber nicht die moralische Fähigkeit entwickelt, sie zu verhindern. Das ist eine Möglichkeit, die man im Moment sicher nicht gut ignorieren kann. Vielleicht ist es sogar eine inhärente Eigenschaft dessen, was wir höhere Intelligenz nennen. Wir führen jetzt ein Experiment durch, um herauszufinden, ob dieses düstere Prinzip auf den modernen Menschen, also uns, zutrifft. Wir sind vor zwei- oder dreihunderttausend Jahren auf der Erde angekommen. Das ist ein Wimpernschlag in der evolutionären Zeit. Es bleibt nicht viel Zeit, um die Antwort zu finden, genauer gesagt, um die Antwort zu bestimmen. Das werden wir so oder so tun, eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Die Herausforderung ist einzigartig in der Geschichte der Menschheit. Sie wird sich jetzt stellen, denn wir sind nicht dazu verdammt, alle auf einmal zu sterben, sondern zu einer Welt, in der diejenigen, die sterben, die Glücklichen sein werden. Die Lösungen warten auf uns, warten darauf, dass wir die Lücke zwischen unserer Fähigkeit zu zerstören und unserem Willen, eine bessere Welt zu schaffen, die möglich ist, schließen. Das ist die Herausforderung. Wir können ihr nicht ausweichen.

(https://www.youtube.com/watch?v=UYDkmZAbTx0)

Wer ist Noam Chomsky? →  https://de.wikipedia.org/wiki/Noam_Chomsky