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Von Maria Schöller

„Corona“ spaltet die Gesellschaft. Es bilden sich „Corona-Lager“, die ihre jeweiligen Positionen mit Zähnen und Klauen verteidigen. Diese Spaltung macht mir Angst.

Vor wenigen Tagen habe ich zum Austausch darüber eingeladen, in einem Format, welches das Zuhören, das Hinspüren und das Aushalten unterschiedlicher Meinungen und unserer Reaktionen darauf in den Mittelpunkt stellt.

Unter den anwesenden Menschen waren unterschiedliche Standpunkte vertreten – oftmals mehrere innerhalb einer Person. So entschieden wir uns dafür, die Standpunkte zu benennen und ihnen unabhängig voneinander unsere Stimme zu leihen. Was ist mir aus dieser Position heraus wichtig?

Da standen nun also unterschiedliche Einstellungen nebeneinander – so ziemlich gleichwertig! Ich habe sie im Nachhinein ergänzt und teilweise umbenannt, in:

  • Gesundheit und Verantwortung (Alle müssen Verantwortung für die Eindämmung des – für manche Menschen und unser Gesundheitssystem ernsthaft bedrohlichen – Virus übernehmen.)
  • Bevormundet (Ich bin aufgebracht über den Eingriff der Regierungen und Behörden in mein persönliches Leben!)
  • Verarscht (Was geht – im Hintergrund – wirklich vor sich?)
  • Lebendig leben! (Nur der Tod ist sicher. Ich will so richtig leben!)
  • Mitschwimmend (Ich mache für mich das Beste daraus; möchte möglichst unbeeinträchtigt leben, ohne Probleme zu bekommen.)

Wie kann es sein, dass sich all diese Positionen irgendwie richtig und irgendwie unvollständig anfühlen? Bedrohliche Angst hier, ein zusammenkrampfendes Herz da. Ein mulmiges Gefühl dort drüben. Was ist denn nun „richtig“??

Diese Situation kenne ich aus meinem Leben: dass mehrere Standpunkte, die sich scheinbar widersprechen, gleichzeitig wahr sind. Dass es in mehreren Bereichen meines Lebens gleichzeitig knirscht und ich nicht verstehe, warum. Und immer wieder zeigt sich: Wenn dies der Fall ist, liegt die Lösung des Problems auf einer anderen Ebene. Die Sichtweise eines sehr geschätzten Menschen taucht in mir auf:

Das Virus ist eine Art des Lebens, sich selbst zu regulieren und zu entfalten.

Ich spüre in mich hinein und merke ein feines “Einrasten”. Mein System sagt “JA!” Ja, auf dieser Ebene passen all die Positionen zusammen: Das Virus und die globalen Reaktionen konfrontieren uns mit dem, was uns wichtig ist; halten uns einen Spiegel vor, in dem unterschiedliche Menschen – entsprechend ihren Werten – unterschiedliche Dinge sehen.

Ja, mir ist wichtig, rücksichtsvoll miteinander umzugehen; auch auf die Schwächeren und Anfälligeren in unserer Gesellschaft/auf unserem Planeten zu achten und gemeinsam Verantwortung zu übernehmen.

Ja, ich möchte mich möglichst autonom entfalten. Ich möchte, dass mir zugetraut wird, dass ich selbstverantwortlich gute Einschätzungen und Entscheidungen treffen kann.

Ja, ich möchte, dass wir dort hinschauen, wo’s weh tut. In vielen Lebensbereichen wurden wir über lange Zeit manipuliert, belogen und betrogen. Vieles, was uns als wahr und richtig eingetrichtert wurde, ist so nicht haltbar. Ich denke da auch an endloses Wirtschaftswachstum, an scheinbar unbegrenzte Ressourcen, an die Ausbeutung anderer Menschen/Lebewesen/Ökosysteme zugunsten weniger – weil es „leider geil“ ist, das neueste, billigste Zeug zu kaufen. Es gärt und fault schon lange. Nun fangen immer mehr Menschen an, dies zu riechen und zu spüren. Wir können die Prozesse von Angst, Schmerz, Trauer und Wut durchschreiten und dann mit klarem Blick neue Wege suchen und gehen.

Ja, ich möchte mich auf das Wesentliche besinnen. Was bedeutet Menschsein für mich? Was ist unser Wesenskern? Was ist mir wirklich wichtig im Leben?

So können all diese Positionen (und wahrscheinlich noch weitere) nebeneinanderstehen; sind einander ergänzende Aspekte, die mir alle wichtig sind.

Die bisherige „Integration“ meiner Gedanken und Gefühle – möglichst unbehelligt mitzuschwimmen – stellt sich in diesem Licht als lauwarmer Durchschnitt heraus. Wie könnte eine wahrhafte Integration all dieser Facetten aussehen? Ich weiß es noch nicht. Ich spüre, dass sie alle gemeinsam auf einen Tisch gehören. Dass wir immer Wichtiges übersehen, wenn wir einen oder alle anderen Aspekte ausblenden. Ich möchte uns alle einladen, in jeden dieser Aspekte so richtig einzutauchen. Was sehen wir in welchem Spiegel – und was können wir daraus lernen?

Ich spüre Erleichterung. Genieße die momentane Klarheit. Spüre staunende Bewunderung für die Spielweise des Lebens, uns mit einem Schlag global so vielfältige Spiegel vorzuhalten; uns Impulse zur Besinnung und (Neu-)Orientierung zu geben.

„Wer gibt, dem wird gegeben werden.“ Ein scheinbar einfacher Spruch, eine Forderung wie gleichermaßen Weisheit aus dem neuen Testament. Kennt man. Abgehakt. Passend für arme Leute und Hungerleider, die nichts haben und drauf angewiesen sind, dass sie dem Schicksal eine Gabe abluchsen, bei der sie mehr bekommen als sie gegeben haben. Oder?

Kein Spruch jedenfalls für die moderne Gesellschaft. Stammt ja auch von einem vor 2000 Jahren hingerichteten Sprücheklopfer. Wer weiß, vielleicht ja sogar zu Recht! „Wer gibt, dem wird gegeben werden“ – als ob man das schon mal erlebt hätte! Sagen wir mal, du spendest für Misereor. Und was kriegst du zurück? Im besten Fall ein vollautomatisiertes Dankeschön. Und wenn du einem, der nichts hat, was schenkst, ein Stück Pizza, ein Kilo Äpfel oder ein Butterbrot, dann musst du vielleicht noch mit nem fiesen Spruch rechnen, mitten in der Fußgängerzone.

So weit die banale Einordnung des Spruchs, den wir alle kennen. Und den wir alle nicht wirklich ernst nehmen. Und so weit auch ein Missverständnis. Denn „Wer gibt, dem wird gegeben werden“ adressiert niemanden. Da ist nicht von einem, der braucht, die Rede, sondern von dem Akt des Gebens ohne Absicht. Von einer inneren Haltung vielleicht sogar. Da ist kein Bettler genannt, kein Hungernder, keine Kreatur in Not. „Wer gibt“ – reduzierter könnte man es nicht ausdrücken. Einer, der gibt, vollzieht einen Akt, dessen Gegenteil das Nehmen ist. Und mit hoher Wahrscheinlichkeit geht es dabei gar nicht um materielle Werte, um Dinge, um kostbaren Besitz. Vielmehr ist der Gebende einer, der sich aktiv der Welt zuwendet, der eine Fülle zur Verfügung hat, einen inneren Reichtum, der ihm das Geben leicht macht. Der Gebende ist kein Bedürftiger. Man muss nichts haben, um jemandem – oder der Welt – ein Lächeln zu schenken oder eine helfende Hand. Oder eine Umarmung, Mitgefühl oder Trost. „Wer gibt, dem wird gegeben werden“ ist ein durch und durch antikapitalistischer Spruch. Ist ja auch alt genug dafür und entstand in einem ersten kapitalistischen Großreiche der Weltgeschichte.

Und nun kommt die große Frage: Was bist du für einer? Bist ein Gebender oder ein Nehmender? Wie begegnest du der Welt und deinen Mitmenschen? Den Tieren, der Mutter Erde? Und um es auf den Punkt zu bringen: Bist du ein Liebender? Lebst du in der Magie der Gabe? Das Schöne dabei: Falls nicht – Du kannst das in jeder Sekunde deines Lebens ändern.

Von Semra Mete

„Teilen ist heilen“ – intuitiv stimme ich der Bedeutung dieses Spruchs zu, doch mein kritischer Verstand möchte genauer wissen, wie das zu verstehen ist. Wann entstand bei mir in der Vergangenheit das Bedürfnis, etwas mit meinen Mitmenschen teilen zu wollen? Es war zumindest immer dann der Fall, wenn ich mit positiven Gefühlen so stark aufgeladen war, so dass es aus mir raus musste. Sei es eine neue Erkenntnis, sei es eine sehr bewegende Geschichte oder eine Nachricht. Auf jeden Fall etwas, was ich schön finde, was mich innerlich in Bewegung setzt, es weiterzugeben.

Metaphorisch kann ich es so beschreiben, dass „etwas“ in mir Wellen schlägt, sich in mir ausdehnt, ähnlich wie Wasserwellen durch mich hindurchgehen und so andere Menschen erreichen können. Also, basierend auf meiner eigenen Erfahrung komme ich zu der Erkenntnis, dass eine auf Liebe, Freude, Schönheit ausgerichtete, von Natur aus hochschwingende Information sich in uns, durch uns so sehr ausdehnt, dass wir das tiefe, starke Bedürfnis spüren, diese „Botschaft“ mit unseren Mitmenschen zu teilen … so im Sinne des Spruchs „Hundert Kerzen lassen sich an einer entzünden. Das Gute nimmt zu, wenn man es teilt.“ Noch klarer kann der Heilungseffekt des Teilens, finde ich, nicht in Worte gefasst werden. Daraus folgt für mich die Erkenntnis, dass Teilen das Wachsen miteinander ist. Der, der das Gute teilt, trägt zum Wachstum anderer bei und wächst dabei selber.

Angst blockiert unser natürliches Bedürfnis nach Teilen

Was ist aber mit Menschen, die das Gute nicht teilen (wollen) bzw. bewusst oder unbewusst Negativität verbreiten? Was für Störfaktoren muss es in solchen Menschen geben, die den natürlichen „Ausdehnungsprozess“ des Guten behindern? Nach langem Überlegen komme ich zu der Ansicht, dass das Schöne, die Liebe, das Freudige in uns sich nicht ausbreiten können, solange wir mit zu Boden drückenden Gefühlen wie Angst, Neid, Zweifel, Scham, Neid oder Gier behaftet sind. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass ich sehr lange meine Wahrheiten, mein Weltbild, die ich intuitiv eigentlich gerne mit meinen Mitmenschen teilen wollte, aus Angst vor Kritik oder Bloßstellung lieber für mich behalten hatte.

Je mehr wir uns aber unseren Blockaden bewusst werden, uns unseren tief sitzenden Ängsten öffnen und uns mit ihnen bewusst auseinandersetzen, desto mehr Blockaden lösen sich auf und desto freier kann das hochschwingende Gute in uns fließen und Zugang zu unserem Umfeld finden!

Teilen meiner Krankheitsgeschichte

Letztlich war auch die verinnerlichte Botschaft des Spruchs „TEILEN IST HEILEN“ der Beweggrund für mich, meine Krankheitsgeschichte (Neurodermitis/Schuppenflechte) in Form eines kleinen Buches zu verfassen, und meine gewonnenen Erkenntnisse aus meinen Erfahrungen in dieser Zeit mit meinen Mitmenschen zu teilen. Denn ich selbst wurde durch die Heilungsgeschichten anderer Menschen stark inspiriert und gestärkt, meinen Weg zu gehen, auf dem ich die volle Gesundung erfahren habe.
Wie schön es sich doch anfühlt, wenn ich mich auf das mentale Bild fokussiere, wo immer mehr inspirierende Geschichten geteilt werden, die das Licht im Herzen von Hunderten, ja zig Tausenden von Menschen anzünden und so immer höheres Erleuchten auf dieser Erde bewirken. → Semras Buch

In einer bitteren Stunde habe ich folgende Änderung des Grundgesetzes vorgeschlagen:

“Der Satz ‘Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt’ möge umgeschrieben werden in ‘Die Würde des in Deutschland legal gemeldeten, weißhäutigen, gesunden, heterosexuellen, nicht vorbestraften, stabilen, wohlsituierten und arbeitstüchtigen Menschen unter 60 Jahren ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen behält sich die staatlichen Gewalt bis auf weiteres vor.’ ”

Umso mehr habe ich mich gefreut, kürzlich von Heiko Lietz folgenden Text erhalten zu haben:

Zum Tag des Grundgesetzes, am 23. Mai 2020 Friedensdom

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

wieder haben wir uns zusammengefunden, um an diesem Tag darüber nachzudenken, was es mit der Würde des Menschen auf sich hat. Es zieht sich ja wie ein roter Faden durch die Geschichte der Menschheit, dass es die Herrschenden mit der Würde des Menschen nie so genau  genommen haben, wenn es um die Durchsetzung ihrer eigenen Interessen ging. Das war in der Sklavenhaltergesellschaft ähnlich wie im Feudalismus. das setzte sich fort im Kapitalismus und das ist auch im Sozialismus nicht viel anders gewesen. Deswegen stellt sich auch für uns heute die Frage, was wir dazu beitragen können, diese unzureichenden Verhältnisse zum Besseren zu wenden.

Es ist deswegen gut und wichtig, dass wir uns aus Anlass dieses Tages wieder einmal darauf besinnen, was unsere Gesellschaft eigentlich im Innersten zusammenhält. Entstanden ist dieses Grundgesetz aus den bitteren Erfahrungen der schlimmsten, menschenverachtenden Jahre deutscher Geschichte, der Nazidiktatur. In diesen Jahren wurde die Würde der Menschen nicht nur angetastet. Sie wurde verletzt, mit Füßen getreten, stranguliert, wurde für vogelfrei erklärt.  Juden, Sinti und Roma und viel andere wurden vergast, Systemgegner jeder politischen und religiösen Richtung wurden inhaftiert, gefoltert und hingerichtet. Als die Nazis dieses menschenverachtende Regime durch einen mörderischen Krieg über die ganze Welt ausbreiteten, verhinderten dies die Alliierten unter ungeheurem Blutvergießen. 1945 stand die Welt vor einem Scherbenhaufen. Um diesem ungeheuren Ausbruch von Brutalität und Menschenverachtung einen Riegel vorzuschieben, gründeten sie die Vereinten Nationen. Zum obersten Leitmotiv wurde in ihrer Charta die Würde des Menschen. Damit diese aber nicht zu abstrakt bleibt, entfalteten sie diese in überschaubaren Kriterien und verabschiedeten 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.

Als sich die Bundesrepublik Deutschland 1949 gründete, machte sie diese grundlegenden Einsichten zur Basis des Grundgesetzes.

Folgender Satz wurde zum nicht verhandelbaren Fundament, zum ewigen Bestandteil für das friedliche Zusammenleben aller Menschen in Deutschland:

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Es sind jetzt schon 71 Jahre her, seit dieser Artikel zur alleinigen Richtschnur deutscher Politik gemacht wurde. Leider wurden aber nicht alle Menschenrechte als einklagbare Grundrechte in diesem Grundgesetz verankert. Die sozialen wirtschaftlichen und kulturellen Menschenrechte blieben draußen vor, z.B. das Recht auf Arbeit, auf soziale Sicherheit oder das Recht auf Bildung.

Als sich unser Land Mecklenburg-Vorpommern 1994 eine eigene Verfassung gab, stand ebenfalls die Würde des Menschen im Mittelpunkt.

Dort heißt es im Artikel 5: Das Land Mecklenburg-Vorpommern ist um des Menschen willen da; es hat die Würde aller in diesem Land lebenden oder sich hier aufhaltenden Menschen zu achten und zu schützen.

Alle, d. h. nicht nur die deutschen Staatsbürger, sondern genauso auch die Flüchtlinge, Asylantragsteller, Durchreisende und alle, die sich, aus welchen Gründen auch immer, hier bei uns aufhalten. Das ALLLE Menschen damit eingeschlossen sind, ist mir als einer, der diese Verfassung als Mitglied der Kommission mitgeschrieben hat, besonders wichtig gewesen.

Es war aber schon ein Fortschritt gegenüber dem Grundgesetz, dass die sozialen wirtschaftlichen und kulturellen Menschenrechte wenigstens als Staatzielbestimmungen aufgenommen wurden. Aber einklagbar wurden sie deswegen auch nicht.

So besteht die heutige Aufgabe auch weiterhin, sich entschieden für ihre Einklagbarkeit einzusetzen.

Das gilt umso mehr, weil sich in unserem Land schon wieder mehr und mehr Menschen gibt, die diese unveräußerlichen Rechte kappen wollen. Sie verbreiten die Parolen “Deutschland den Deutschen, Ausländer raus” auf Straßen und Plätzen, in ihren Zeitungen und in sozialen Medien. Sie stecken Flüchtlingsheime an und schrecken inzwischen auch nicht mehr vor Mord und Totschlag zurück. Sie haben sich inzwischen auch in einer Partei eingenistet, um für eine Alternative zu kämpfen, in der die Würde JEDES Menschen nicht mehr gilt. Sie knüpfen dabei in ihrem Reden und Tun immer erkennbarer an Gedanken der Nazis an.  Der Schoß ist schon wieder sehr fruchtbar geworden, aus dem dies aller kriecht. Es ist deswegen höchste Zeit, dass wir uns noch vernehmbarer für diesen Artikel im Grundgesetz und unserer Verfassung einsetzen.

Aber mit der Corona-Epidemie steht dieser Kampf um die Grundrechte wieder ganz neu im Mittelpunkt. Immer wieder haben sich in den letzten Wochen Menschen auf Kundgebungen zusammengetan, um dafür zu kämpfen, dass das Grundgesetz mit seinen Grundrechten nicht auf der Strecke bleibt. Sie fühlen sich ihrer persönlichen Freiheitsrechte beraubt und meinen allen Ernstes, dass wir uns bereits in einer Gesundheitsdiktatur befinden. Auf diesen Kundgebungen haben sich inzwischen aber auch Menschen eingefunden, die das gesamte gesellschaftspolitische System aushebeln wollen. Dazu gehören Neonazis genauso wie Verschwörungstheoretiker.

Ist das wirklich so? Werden die Grundrechte wirklich außer Kraft gesetzt, wenn es darum geht, das Leben vieler Menschen vor dem Tod durch das Virus zu bewahren? Ist es nicht die Pflicht eines Staates, in dieser sehr schwierigen Situation eine Güterabwägung zu treffen? Das ist bei uns in Deutschland auch bei vielen Mängeln im Vergleich zu anderen Staaten wirklich recht gut gelungen. Wer das zu leugnen versucht, handelt unverantwortlich und verdreht die Tatsachen.

Aber wie müssten wir mit denen umgehen, die sich davon nicht überzeugen lassen wollen?

Gut wäre es, wenn wir alle miteinander in ein ehrliches Gespräch kommen könnten, wo wir unsere Meinungen und Ansichten miteinander austauschen, um in diesen Gesprächen gute Antworten auf die enormen Einschränkungen des gesamten gesellschaftlichen Lebens zu finden. Das ist sicher eine außerordentliche Herausforderung, denn keiner von uns ist im Besitz der Wahrheit und weiß schon im Vornherein, was richtig und was falsch ist, was der Würde des Menschen dienlicher ist oder was sie erneut gefährdet. Deswegen ist es umso wichtiger, gerade heute offen miteinander zu reden und gemeinsam gute Lösungen zu finden, damit die Würde des Menschen auch in dieser schwierigen Situation nicht angetastet wird.

 

 

Drei Beispiele von AkteurInnen der Wandelbewegung, die – vermutlich – nichts von einander wissen:

  • Das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung dürfte kaum Kontakt haben zu
  • SOL – Menschen für Solidarität, Ökologie und Lebensstil oder zu
  • den Transformativen Theaterworkshops

Alle drei sind natürlich auf ökoligenta vertreten, aber das kann nur ein Anfang sein. Viel besser wäre, sie würden miteinander kommunizieren, sich vielleicht sogar “irgendwie” zusammentun. Damit das immer besser geschehen kann (und sie alle sichtbarer werden), wurde kürzlich das “Wandelbündnis – Gesamtverband für den sozial-ökologischen Wandel” gegründet. Ein klassischer Verband ist das aber nicht. Warum nicht? Weil das Wandelbündnis kein eigenes Thema hat (wie Wirtschaft, Kultur, IT etc.). Alles, worum es geht, ist die sozial-ökologische gesellschaftliche Transformation voranzubringen – auf allen Ebenen, mit allen Themen. Das gelingt am besten, wenn jede/r einzelne AkteurIn mit seinem Thema gestärkt wird.

Die Logik freilich scheint schwer verständlich. Schon geht es los mit Besitzstandswahrung, Ängsten um Terrainverlust etc. Dabei ist und bleibt es so: Je mehr wir uns umeinander kümmern und einander vernetzen, helfen und verstärken, umso stärker wird jede/r Einzelne.

Aber vielleicht tickst Du ja gar nicht so, liebe Leserin, lieber Leser. Vielleicht überlegst Du ja längst, einen Mitgliedsantrag zu stellen? Das würde mich freuen.

Wenn du, liebe Leserin, lieber Leser, mir erzählst, du magst keine Pizza – und mit „keine“ meine ich wirklich „keine“ –, dann gehörst du zu den Ausnahmemenschen dieser Republik. Die türkische Lahmacun beziehe ich hier ausdrücklich ein, die französische Croque, die georgische Chatschapuri, die libanesische Manakish und die japanische Okonomiyaki. Nur: Wie kommst du zur Pizza? Daran scheiden sich die Geister. Und das hat eine Menge mit gesellschaftlichem Wandel zu tun.

Wären wir hier die Brigitte oder ein anderes Mainstream-Medium, dann würden wir fragen: Welcher Pizza-Typ sind Sie? Wir hier sagen aber „du“ und gehen die Sache etwas anders an.

Was wir Pizzafreunde weltweit gemeinsam haben: Wir bestellen sie uns gelegentlich in einem Restaurant und lassen uns bedienen. Doch wie, wenn wir zu Hause bleiben?

Welcher Pizzatyp bist du?

Am einfachsten ist es, zum Handy zu greifen, den Lieferservice unserer Wahl anzurufen und 20 Minuten später die heiße Pizza auf dem Teller zu haben. Hoffentlich trennen wir dann den Müll (der volumenmäßig in etwa der Pizza gleichkommt) in Pappe und Alu. Na gut. Wer’s mag. Vom Energieaufwand für die Verpackung und den Antransport mal ganz abgesehen. Aber das ist ja nicht unser Problem, oder?

 

 

 

Schon ein bisschen mehr Arbeit macht die Fertigpizza aus dem Gefrierfach: aufstehen, aufs Blech geben, Ofen einschalten, richtigen Garpunkt beachten, rausnehmen, auf Teller legen – essen. Uahh, viel Arbeit. Außerdem muss man sie vorher eingekauft und eingefroren haben. Momentane Gelüste haben da keine Chance. Uahh, Einschränkung.

 

 

 

Beinahe schon mit Kochen hat der Pizza-Teigling zu tun. Auch der kommt aus dem Gefrierfach, aber man muss ihn noch selbst belegen. Der Belag muss vorhanden sein und natürlich auch der passende Käse, idealerweise – für Nichtveganer – der Büffelmozzarella oder ein Blauschimmelkäse. Sehr viel mehr Arbeit; doch dafür hat man seine Lieblingsauflage drauf, was ja auch nicht zu verachten ist.

 

 

 

Jetzt lassen wir mal ein paar Zwischenschritte aus und kommen zur Vollendung: Du mahlst dein Dinkelmehl aus frischem Vollkorn, benutzt frische Hefe für den Teig sowie Tomaten, Kräuter und Zucchini aus deinem Garten für die Auflage und Ziegenkäse von der regionalen Käserei. Alles in Bioqualität, versteht sich. Deine Einkäufe hast du so geplant, dass du nicht extra fahren musst, und die Essenreste landen im Kompost.

 

 

Der entscheidende Zwischenschritt

Vermutlich muss ich jetzt nicht mehr erläutern, was Pizzaessen mit gesellschaftlichem Wandel zu tun hat. Nur dies: Zwischen der Liefervariante und der Bio-Genussvariante liegt ein Bewusstseinsprozess. Die Produktion von Lebensmitteln ist ein großes, internationales Geschäft, bei dem der am meisten verdient, der mit dem billigsten Rohstoff- und Lohneinsatz, aber der verlockendsten Verpackung, am teuersten verkaufen kann. Das muss ich nicht mitmachen und gleich noch die Pestizide von Bayer, Monsanto & Co mitbezahlen. Aber davon mal ganz abgesehen: Das, was ich in meinen Körper „reinwerfe“, kommt auch hinten wieder raus. Nicht nur am Po. Gesund oder ungesund, bio oder konventionell hergestellt: Das schlägt sich auf meiner Haut und in meinen Organen nieder. Und ganz nebenbei auch in meinem Kopf.

Tipp für alle, die tiefer einsteigen wollen: die Ernährungs-Docs

von Peter Zettel

Was für eine Frage! Die Antwort darauf bin ich ja selbst, denn dieser Körper, zu dem ich „ich“ sage, ist ja selbst eine Gemeinschaft aus ganz, ganz vielen Zellen, Bakterien und was weiß ich noch alles. Und da gibt es keinen, der der Chef wäre und das Sagen hätte und bestimmen könnte, was die anderen zu tun haben, nein, den gibt es nicht. Irgendwie machen die das untereinander aus. Selbst darüber, ob eine Katze und eine Maus eine Gemeinschaft sind, wenn sie in freier Wildbahn leben, ja, auch darüber kann man einmal nachdenken. Denn sie bilden wie die ganze Natur definitiv eine Gemeinschaft. Dumm nur, dass die Regeln vielen Menschen so grausig anmuten. Was aber nicht an den Regeln liegt, sondern an der üblichen menschlichen Sichtweise.

Also bleibe ich mal bei mir selbst, genauer bei meinem Körper. Dass der ganz selbstverständlich nicht für sich alleine existieren kann, will ich der Einfachheit halber mal weglassen. Jede einzelne Zelle ist für sich, aber eben nicht alleine, sondern sie lebt in Gemeinschaft mit allen anderen. Dabei praktizieren diese Zellen keine Basisdemokratie, da wäre ich schon längst tot, wenn sie das täten, nein, ich denke die praktizieren eher ein anarchistisches System, wo jeder ganz von alleine weiß, was sein Job ist und was er zu tun hat. Wahrscheinlich ist das auch Ausdruck von Schwarmintelligenz. Wir Menschen schauen ja immer auf das Ganze und wollen die Regeln vom Ganzen her erkennen, dabei funktioniert Schwarmintelligenz ganz anders, sozusagen von innen nach außen: Jeder orientiert sich an denen, die ihm am nächsten sind und fertig. Was ganz offensichtlich funktioniert! Was wahrscheinlich nicht bedeutet, dass das alles ist. Aber die Natur organisiert sich wohl wesentlich einfacher, als viele Menschen denken, weshalb sie möglicherweise auch solche Schwierigkeiten haben, sie zu verstehen.

Wenn nun schon der scheinbar Einzelne tatsächlich kein Einzelner ist, sondern in Wahrheit eine Gemeinschaft, dann gilt das erst recht für alles, womit wir in Beziehung stehen. Nehme ich da nur die allernächsten, wird das Dilemma schon offensichtlich. Jedenfalls meistens. Die Frage ist nämlich, ob ich überhaupt in der Lage bin, eine ernsthafte Beziehung zu leben! Wenn ich mir all die gesellschaftlichen Verwerfungen anschaue, angefangen in den Familien und dann weiter über den Umgang der einzelnen Länder miteinander bis hin zur Wirtschaft, dann wird, zumindest für mich, offensichtlich, dass in unsere menschlichen Gemeinschaften ein Webfehler eingebaut ist. Und wir wissen ja genau, was es für den einzelnen Körper bedeutet, wenn in der Organisation seiner Zellen ein Webfehler enthalten ist. Der kann dann als Ganzes ganz einfach nicht mehr problemlos seinen Job verrichten. Jede Krankheit ist nichts anderes als ein solcher Webfehler, davon bin ich überzeugt. Was jedoch nicht bedeutet, dass das Problem gelöst ist, wenn man eine Pille einwirft. Die kupieren nur die Symptome, sie lösen aber die Ursache nicht auf.

Was auf der körperlichen Ebene passieren kann und oft auch passiert, findet sich immer wieder auf der zwischenmenschlichen, der gesellschaftlichen wie der wirtschaftlichen Ebene, nämlich ein Webfehler, ein Organisationsdefizit. Ob in meinem eigenen Körper, in Partnerschaften, in der Gesellschaft wie der Wirtschaft geht es immer nur um Organisationsdefizite, um nicht zu sagen: um entsprechende Fehler. Wir Menschen haben uns ziemlich offensichtlich nach Strukturen zu organisieren gelernt, die anderen als natürliche Interessen dienen. Um das aber auf der zwischenmenschlichen Ebene abzuhalten, haben wir auch noch die dazugehörige Pille erfunden, nämlich die Konvention. Solange wir uns an die Regeln der Konvention halten, treten wir uns sozusagen nicht auf die Füße und merken nicht, was wir da tatsächlich machen. Wir leben deshalb nicht in einer Gemeinschaft, sondern einer Pseudo-Gemeinschaft.

„Das verbreitetste Anfangsstadium und einzige Stadium vieler Gemeinschaften, Gruppen und Organisationen ist das der Pseudogemeinschaft, ein Stadium der Vortäuschung und des Scheins. Die Gruppe tut so, als sei sie bereits eine Gemeinschaft, als gäbe es unter den Gruppenmitgliedern nur oberflächliche, individuelle Differenzen und kein Grund für Konflikte. Zur Aufrechterhaltung dieser Vortäuschung bedient man sich vor allem einer Anzahl unausgesprochener allgemeingültiger Verhaltensregeln, Manieren genannt: Wir sollen unser Bestes tun, um nichts zu sagen, was einen anderen Menschen verstören oder anfeinden könnte; wenn jemand anderes etwas sagt, das uns beleidigt oder schmerzliche Gefühle oder Erinnerungen in uns weckt, dann sollen wir so tun, als mache es uns nicht das Geringste aus; und wenn Meinungsverschiedenheiten oder andere unangenehme Dinge auftauchen, dann sollten wir sofort das Thema wechseln. Jede gute Gastgeberin kennt diese Regeln. Sie mögen den reibungslosen Ablauf einer Dinnerparty ermöglichen, aber mehr auch nicht. Die Kommunikation in der Pseudogemeinschaft läuft über Verallgemeinerungen ab. Sie ist höflich, unauthentisch, langweilig, steril und unproduktiv.“ Das schrieb Scott Peck.

Und genau so ist es. Sie ist höflich, unauthentisch, langweilig, steril und unproduktiv. Andere formulieren es ein wenig drastischer, sie vertreten die Ansicht, dass dieses Verhalten schlicht und einfach krank ist. Das sehe ich auch so. Und genau deswegen wäre der Rückzug in das Alleinsein nichts anderes als eine Flucht, denn nichts und niemand existiert nur für sich. Haben wir also den Mut, uns darauf einzulassen! Doch was passiert, wenn wir sozusagen bereit sind, den Fehde-Handschuh anzunehmen, den das „normale“ Leben dem wahrhaftigen Leben hinhält? Bei der Pseudogemeinschaft geht es um das Kaschieren von individuellen Differenzen, im Stadium des Chaos geht es vorrangig um den Versuch, diese Differenzen auszulöschen. Man versucht, einander zu bekehren, zu heilen, auszuschalten oder ansonsten für vereinfachte organisatorische Regeln einzutreten. Es ist ein unsinniger Prozess, ein Nullsummenspiel, bei dem es nur Sieger und Verlierer geben kann und der zu nichts führt.

Doch steht man diese Phase durch, ohne sich das Hirn einzuschlagen oder wieder in die Pseudogemeinschaft zurückzufallen, dann tritt sie allmählich in die „Leere” ein, wenn alles weggeräumt ist, was zwischen den Einzelnen und der Gemeinschaft steht. Und das ist eine Menge, all die Vorurteile, Meinungen oder Erwartungen wie der Wunsch zu bekehren, zu heilen oder auszuschalten, der Drang zu siegen genauso wie die Angst, sich zum Narren zu machen oder das Bedürfnis, die Kontrolle über alles zu haben. Oft geht es aber auch darum, einen verborgenen Kummer, Abscheu oder tiefe Angst vor etwas zuzulassen und sich selbst einzugestehen, bevor der Einzelne für die Gruppe völlig „präsent” sein kann. Ich kann nicht präsent sein, solange ich etwas verberge. Das verlangt fraglos Mut. Hinterher fühlt man sich sehr erleichtert, doch während dieses Prozesses leider oft auch sterbenselend. Es verlangt eine Menge Konsequenz, um nicht schnell das Thema zu wechseln, wenn es unangenehm zu werden droht. Doch schafft man es, das auszuhalten, dann passiert ein Wandel, ein wirklicher Wandel. Wo sich bisher meist jeder hinter einer Maske zu verbergen suchte, sind auf einmal Offenheit, Ehrlichkeit und Ernsthaftigkeit da. Was bisher unmöglich schien, ist mit einem Mal möglich, egal ob es sich um Partnerschaften, Gesellschaften oder wirtschaftliche Organisationen handelt.

Der Weg in das Alleinsein ist also nur da angesagt, wo der Weg in die Gemeinschaft nicht gegangen werden will. Das ist dann der Fall, wenn die Menschen nicht bereit sind, in einen wirklich ernsthaften und wahrhaftigen Dialog einzutreten.

Das klingt alles ein bisschen wie “kann nicht wahr sein”. Dr. Ha Vinh Tho erzählt davon, wie er in Bhutan Glücksminister wurde und was das konkret bedeutet hat, zum Beispiel, wie sein 1. Arbeitstag aussah. Das 26-minütige, deutschsprachige Interview mit dem heute in der Schweiz lebenden Halbvietnamesen ist sehr inspirierend. Let’s do it!!!

Leo hält nichts von dem ganzen Öko-Zeugs. Aber er mag Mona, die bei Transition ist und an der Verschönerung ihrer Stadt arbeitet:

Asrid Raimann wollte wissen, was Menschen dazu bewegen könnte, ihre Stadt zu verwandeln: “Ich bin zum Schuster gegangen und habe ihn gefragt, was seiner Meinung nach passieren müsste, damit die Stadt zur Transition Town wird. (Schuster wissen immer alles.) Er meinte: ‘Nix. Da gibts nix. Die werden sich in hundert Jahren nicht ändern. Die sind einfach zu dumm.’ Weil ich das nicht glaube, hab ich einen Comic gemacht: MOSCHBERG. Und darin die Geschichte von Mona und Leo.“

von Peter Zettel

Von kompliziert zurück zu komplex. Keine Sorge, die Welt bleibt, wie sie ist und auch schon immer war, da muss man nichts ändern. Tiere haben es da verdammt gut. Die verhalten sich ganz klar nach komplexen Prinzipien, die denken nicht kompliziert, so wie wir Menschen das so wunderbar können.

Die Menschheit hat sich in dem komplexen Lebensraum Erde einen ganz eigenen geschaffen, mit eigenen Spielregeln. Und da dieser Raum vor allem mechanische Dinge enthält, brauchte es dafür mechanische Regeln. Wie soll man sonst auch Häuser, Viadukte und all die Dinge bauen, die das Leben so angenehm machen? Das Blöde war nur, dass der Mensch irgendwann auf die unsinnige Idee kam, diese mechanischen Regeln auch auf sich selbst anzuwenden. Echt dumm gelaufen, aber passiert ist nun einmal passiert.

Seit ungefähr einem Jahrhundert sind die Physiker darauf gekommen, dass unser Verständnis von der Welt irgendwie unvollständig ist. Das hatten auch schon andere Philosophen vor ihnen erkannt, nur die Physiker konnten das ganz pragmatisch auch noch nachweisen. Ihre Erkenntnisse waren eben nicht philosophischer Natur, sondern technischer. Die Erörterung grundsätzlicher Fragen kam bei ihnen erst danach. Und diese Erkenntnisse haben still und leise unsere Menschenwelt verändert, und das gewaltig. Weil diese Erkenntnisse in unsere Technik allgegenwärtig und nicht mehr wegzudenken sind. Und scheinbar hat das auch unser Denken verändert.

Ob das der einzige Grund ist, warum wir gerade Feuer unter dem Dach haben und ob die Tatsache der regelrechten Explosion der Bevölkerungszahlen dabei eine Rolle spielen, vermag ich nicht zu sagen. Aber ich vermute, dass es das grundlegende Problem deutlicher und drängender macht. Technisch sind wir interessanterweise einen Schritt zurückgegangen, wir haben nämlich damit begonnen, die Komplexität zu entdecken. Das ist ja keine neue Erfindung, die galt schon immer, nur wir Menschen haben das ganz offensichtlich perfekt ausgeblendet. Oder ignoriert, keine Ahnung.

Wir stoßen gerade mit unserer Art, die Dinge nach mechanischen Regeln managen zu wollen, gewaltig an die Wand. Mir kommt das vor wie in der Truman Show. Alles nur ein Fake. Sehr realistisch, aber eben nicht echt und am wirklichen Leben komplett vorbei. Ich jedenfalls fühle mich seit einiger Zeit wie Truman Burbank und bin mit meinem geistigen Segelboot gerade durch den Horizont gekracht. Auf einmal sieht alles ganz anders aus. Nur nach welchen Regeln soll man sich da orientieren, wenn die alten doch irgendwie nicht stimmen, unvollständig sind?

Immanuel Kant hat für die Menschenwelt seiner Zeit einen perfekten Gedanken ausgesprochen, seinen kategorischen Imperativ: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.“ Das könnte auch heute noch perfekt funktionieren. Könnte man meinen. Tut es aber leider nicht. Auch nicht, wenn ich in die Zeitung schaue, auch ganz offensichtlich nicht. Denn irgendwie haben wir den Horizont des mechanischen Denkens und damit auch den eigenen Horizont, also unser eigenes Weltbild, durchstoßen. Wenn schon Physiker sagen, dass das mit den Naturgesetzen nichts ist, es sind nämlich keine Gesetze, sondern nur Beschreibungen, dann gilt das auch für unser eigenes Denken (sehr empfehlenswert: Natalie Knapp, Der Quantensprung des Denkens: Was wir von der modernen Physik lernen können).

Wir „funktionieren“ ganz anders, als wir üblicherweise dachten. Und mit starren Gesetzmäßigkeiten ist da kein Kohl mehr zu gewinnen. Gesetze, Regeln und Methoden funktionieren nicht, haben sie auch noch nie wirklich. Nur jetzt bekommen wir das gewaltig zu spüren und merken, dass wir auf der falschen Seite des Astes sitzen, an dem wir sägen. Was also tun? Klar, anderes denken, keine Frage. Doch damit ist der Umgang miteinander noch nicht so geordnet, dass wir sagen könnten, es passt. Jede Zeit braucht ethische Prinzipien, die die Menschen zum einen verstehen und die auch zum anderen den Erfordernissen ihres alltäglichen Lebens gerecht werden.

Natürlich sollte man sich immer noch an Regeln und Gesetze halten, so wie auch Newtons Physik noch immer ihre Gültigkeit hat. Aber es ist etwas dazugekommen, lässt uns die Welt mit anderen Augen sehen. Der Anwendungsbereich der klassischen Physik ist kleiner geworden, er gilt eben nicht mehr für das Miteinander, für unsere Beziehungen. Wie gesagt, es hat noch nie wirklich funktioniert, nur jetzt merken wir es überdeutlich. Das heißt, wir müssen auch unsere Ethik unserem veränderten Weltbild entsprechend neu formulieren.

Täten wir das, wäre es wohl wesentlich leichter, sich in dieser neuen alten Welt angemessen zu bewegen. Wir brauchen definitiv das Verständnis für eine weitergehende Ethik. Meine Überzeugung ist, dass wir nicht mehr nur vom Handeln ausgehen dürfen, wie Kant, sondern wir müssen wesentlich grundsätzlicher vom Denken ausgehen. Etwa in dieser Art: Denke so, dass deine Gedanken, Ideen und Vorstellungen das Leben aller lebenswerter machen. Ich weiß, das ist noch nicht griffig genug. Doch die Richtung stimmt!