Schlagwortarchiv für: Wahrnehmung

von Bobby Langer

„I want you to panic!“ Kaum ein anderer Satz von Greta Thunberg hat mehr Kritik und Widerstand ausgelöst. Mir ging es genau umgekehrt. Auf mich wirkte er wie ein Hammer, der alten Mörtel von Ziegeln klopft, inneren Mörtel, versteht sich. Sie sei eben eine Jugendliche, hieß es noch in den freundlichsten Berichten; genau umgekehrt, tönte es, müsse man auf die Klimakrise reagieren, umsichtig, mit Bedacht, erwachsen. Nein, dachte ich, das haben wir die letzten 30 Jahre getan, oder jedenfalls so getan als ob. Und jedes Mal drängten sich andere, emotionale Themen in den Vordergrund. Jeder Faschingszug, jedes Bundesligaspiel, jede Ministerpräsidentenwahl im unbedeutendsten Bundesland war und ist wichtiger, weil emotional besetzt, als die Klimakrise. Die Gesellschaft reagiert eben nicht umsichtig, mit Bedacht und erwachsen, sondern ratlos, neurotisch und kindisch. Von außen gesehen: geistesgestört. Weiterlesen

von Peter Zettel

Falsche Frage! Ich gestehe, ich habe das Buch nicht gelesen, nur das Abstract darüber. Vielleicht ist der Titel ja auch nur der Köder, damit es gekauft wird. Aber darum geht es mir nicht, sondern um eine grundsätzliche Frage. Im Abstract ist unter anderem das zu lesen:

„Immer wieder bekräftigen die Vereinten Nationen und Regierungen, die Biodiversität schützen zu wollen. Doch die politischen Ziele werden immer wieder verfehlt. Kann der Schutz der Biodiversität juristisch erzwungen werden? Dazu wurde schon vor Jahrzehnten die Idee eines Klagerechtes für Tiere und Ökosysteme entwickelt.“ Weiterlesen

von Bobby Langer

Zufriedene Menschen haben keinen guten Ruf. Sie gelten bestenfalls als naiv, schlimmstenfalls als dumm. Zufrieden sind Tiere in Käfighaltung, die es nicht besser wissen, zufrieden sind aber auch freilebende Tiere in einer relativ unbedrohten Natur. Zufrieden sind Geisteskranke und Säuglinge an der Mutterbrust.

Eine schauerliche Beschreibung von Zufriedenheit liefert Wikipedia: „Die Zufriedenheit tritt im Leben nicht automatisch ein, sondern sie muss sich in der ständigen Auseinandersetzung mit der Unzufriedenheit behaupten.“ Mit anderen Worten: Es gibt keine grundsätzlich zufriedenen Menschen (es sei denn die Unzurechnungsfähigen). Unzufriedenheit ist also der vorherrschende Seinszustand.

Ist Zufriedenheit weiblich?

Tatsächlich habe ich schon eine Reihe zufriedener Menschen kennengelernt: meine Großmutter zum Beispiel, die aus Schlesien vertrieben war und doch in eine geradezu provokative Zufriedenheit fand; zwei alte österreichische Sennerinnen, die sich von einem 14-Stunden-Arbeitstag nicht aus der Ruhe bringen ließen; eine junge Mutter, obwohl der Erzeuger sich weigerte, die Vaterrolle zu übernehmen; ein schottischer Landwirt, der seine Heimat nie verlassen hatte und mit 16 Arbeitsstunden einverstanden war – am Sonntag genehmigte er sich zwei, drei Stunden weniger. Würde ich mir das Gedächtnis ein wenig mehr zermartern, fände ich sicherlich einige zufriedene Menschen mehr. Auffällig an meiner zufälligen Zusammenstellung ist die weibliche Häufung.

Zufriedenheit, nicht Befriedigung

Eins sei grundsätzlich angemerkt: Zufriedenheit darf nicht verwechselt werden mit Befriedigung. Nun geht es mir hier gar nicht um eine genauere Betrachtung der Zufriedenheit, sondern mehr um die Konsequenzen von Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit. Der Frieden bildet nicht umsonst den Kern des Wortes Zufriedenheit. Frieden ist keine kurzfristige Situation, sondern ein anhaltender Zustand. Zufriedene Menschen sind tendenziell friedliche Menschen. Sie lieben fröhliche oder auch stille Geselligkeit, den Kreis der Familie oder von Freunden. Konflikte hingegen meiden zufriedene Menschen tunlichst; lieber beschäftigen sie sich damit, den Zustand ihrer inneren Ruhe auszugestalten und das vorhandene Gute zu ergänzen und auszubauen. Streitlustigen gehen sie aus dem Weg oder sie wenden sich von ihnen ab.

Das Bewusstsein der Lücke

Streit ist dem Zufriedenen ein fremder und befremdlicher Zustand. Wird der Zufriedene zum Streit gezwungen, dann kann er zwar hart kämpfen, aber er kämpft nicht um Sieg, sondern um die Wiederherstellung der Zufriedenheit. Man könnte geradezu sagen: Im Kampf zwischen bedrohten Zufriedenen und bedrohenden Unzufriedenen kämpfen beide Parteien aneinander vorbei. Weil der Unzufriedene sich Zufriedenheit wünscht, jagt er ihr hinterher und versucht, sie zu erzwingen. Der mentale Grundzustand des Unzufriedenen ist das Bewusstsein einer unerklärlichen Lücke, die er ständig zu füllen versucht. Dem Zufriedenen ist dieser mentale Grundzustand fremd.

Bedeutungsfelder

Über Zufriedenheit und ihr Gegenteil habe ich bisher nur auf der individuellen Ebene gesprochen. Übergangsweise kann man sich vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn eine ganze Gruppe von Zufriedenen zusammenlebt. Dabei entstehen Bedeutungsfelder wie Beistand, Glück, Harmonie, Heimat, Vertrauen und Frieden, allesamt mit dem Verdacht kritikloser Naivität belastet. Andererseits kann man sich die Folgen ausmalen, wenn eine Gruppe von Unzufriedenen zusammenkommt. Dabei werden Streit entstehen, Auseinandersetzung, Dominanz, Hierarchie, Gewalt und Krieg.

Brutstätte der Unzufriedenheit

Eine Steigerungsform einer solchen dissonanten Situation entsteht, wenn man die Unzufriedenheit zur Grundlage einer Gesellschaftsordnung macht; und wenn sich diese Gesellschaftsordnung einer Wirtschaftsordnung unterwirft, in der es kein Genug gibt, sondern es immer mehr und besser und größer und bequemer werden muss. Die vom kapitalistischen Wirtschaftssystem gezauberte Konsumgesellschaft ist eine Brutstätte der Unzufriedenheit sowie Entfremdung und damit latent gewalttätig. Der Strom der immer neu geweckten Wünsche treibt das Konsumrad an, das so lange in Schwung bleibt, solange es nur zu einer kurzfristigen Befriedigung kommt und keine dauerhafte Zufriedenheit entsteht.

Reizorientiert, fremdbestimmt und krank

Der Drang nach immer mehr erzeugt eine permanente Unzufriedenheit, seelisches Leid und eine Grundstimmung der Friedlosigkeit, wenn nicht der Gewalt bzw. Gewaltbereitschaft. So zurechtgetrimmte Menschen leben reizorientiert und ohne inneres Fundament, sind auf eine geradezu lustvolle Art und Weise fremdgesteuert und deshalb leicht zu (ver)führen. Da dieser „konsumistische Formungsprozess“ in immer jüngeren Jahren beginnt und in seinen Konsequenzen nur von wenigen Eltern durchschaut wird, setzt auch die Anspruchshaltung gegenüber den Lebensumständen immer früher ein. Unzufriedenheit stellt sich schon in der Grundschule ein, wenn nicht bereits im Kindergarten. Einher gehen damit entgleisende kindliche Seelen und gestörte Familien und Beziehungen.

von Peter Zettel

Die Mehrzahl der Menschen denkt in Bildern. Ohne das fällt es ihnen schwer, sich etwas „vorzustellen“. Also suche ich auch bei abstrakten Themen eine Bildersprache, um dem Bedürfnis nach Bildern gerecht zu werden. Wie etwa das Motorradfahren.

Doch da komme ich schnell an meine Grenzen, denn jemand, der nicht Motorradfahren kann, kann das nicht verstehen, Einfach, weil ihm die Erfahrung fehlt. Sie oder er kann es sich einfach nicht vorstellen. Oder wenn ich jemanden den Doppelspaltversuch erklären will. Die meisten sagen dann „Interessant!“, verstehen aber oft nicht, was das für sie bedeuten könnte.

Es ist ja aus der Geschichte bekannt, dass Visionen oft nicht das bringen, wofür sie einmal gedacht waren. Visionen sind letztlich ein Trick, denn es kommt letztlich auf die Emotionen an. Emotionen erzählen, was uns betrifft, was uns bewegt, was uns wichtig ist. Visionen projizieren gedachte Emotionen in die Zukunft. Sie erzählen davon, mit welchen Themen wir in die Zukunft aufbrechen oder aufbrechen wollen.

Das bedeutet jedoch nicht, dass der andere identische Emotionen hat wie ich. Und da Emotionen eine Folge des Denkens sind, ändern sie sich auch schnell, sobald etwas zu dem bisher Gedachten hinzukommt. Das wiederum wirf für mich die Frage auf, ob es bei der Vorstellung von etwas tatsächlich um Emotionen geht – und nicht vielmehr um Propriozeption?

Propriozeption ist der Sinn für mich selbst, für die Position meiner Glieder und die Lage des Körpers im Raum. Sie wird ermöglicht durch bestimmte Rezeptoren in Muskeln, Gelenken und Sehnen, die das Gehirn permanent informieren und so ein Bild von mir selbst in mir entstehen lassen, das mir dann wiederum ermöglicht, mich zu bewegen oder anzuziehen.

Wenn ich Feldenkrais praktiziere, mache ich nichts anderes, als eine eingeschränkte oder nicht vorhandene Propriozeption meines Körpers dadurch zu korrigieren, dass ich beziehungsweise mein Gehirn über die Anleitung die Erfahrung mache, dass es auch anders und leichter geht. Das betrifft jetzt nur meinen Körper. Die Frage ist, ob es mit meinem Weltbild, meinem Verständnis von der Welt nicht genauso ist.

„Eigentlich“ ist das keine Frage, denn es ist ganz offensichtlich so. So, wie es eine körperliche Propriozeption gibt, gibt es auch eine geistige. Die aktiviere ich – wie die körperliche – nur durch eigene Erfahrung. Solange ich den Vorstellungen eines anderen folge ist das so wie im Fernsehen Fußball zu schauen und mich dabei ganz sportlich zu fühlen.

Gedanken eines anderen bleiben immer nur eine Vorstellung für mich und werden nie Realität, solange ich die dem Gedanken zugrundeliegende Erfahrung nicht selbst gemacht habe. Ohne es zu verifizieren wird es nie Realität für mich, was wiederum nichts anderes als Propriozeption im Geistigen bedeutet. Die Richtigkeit eines Gedanken zu bestätigen verlangt, dass ich es mir vorstellen kann und die Erfahrung dazu habe.

Ohne diese innere Erfahrung bleibt es ein Mystizismus.

Nein, diese Überschrift, so sehr sie einer ähnelt, ist keine. Sie fasst nichts zusammen, liefert allenfalls Stichworte, wirkt „nach unten“ in den Text hinein, und der Text klimmt nach oben und keimt in den drei Lücken zwischen den Worten und den dreißig Buchstaben. Die Kommata und später die Punkte sind Pflanzlöcher, größere Verschnaufpausen, durch die hindurch – wie durch die kleinen Lücken – Sinn entsteht und wieder verraucht.

Wohin?

Seit einer geraumen Weile denkt es in mir über die neue Ontologie nach, die wir so dringend brauchen, keinen Paradigmenwechsel, der sich so leicht dahinsagen und einfordern lässt, sondern tatsächlich ein neues Verständnis für das Wesen des Seins und, sich daraus entwickelnd, einen anderen Umgang mit unserer Mitwelt, der sich so sehr von allem Bisherigen unterscheidet wie Traumwelt von Alltagswelt, eine neue, geistige Weltordnung.

Es geht also um nichts weniger als um einen Ontologiewechsel. Ein paar Sätze zum Ausgangspunkt, nein zur Ausgangsebene, die so selbstverständlich unser tägliches Sein bestimmt, dass es schwerfällt, sie sprachlich fassend der bewussten Wahrnehmung zuzuführen: Wir schlafen ein und erwachen, schlafen ein und erwachen, unser ganzes Leben lang. Dieser Rhythmus unserer geistigen Bewegung verläuft Tag für Tag in eine Richtung: von der Traumwelt zur Wirklichkeit bzw. zu dem, was wir so nennen. Im abgrenzenden Begriff der Wirklichkeit spiegelt sich eine unüberhörbare Überheblichkeit gegenüber der Traumwelt, der ich nicht folgen möchte. Ich werde die beiden Wirklichkeiten deshalb im Folgenden entweder einfach Nacht und Tag oder Traumwirklichkeit und Standardwirklichkeit nennen.

Dieser Richtungsverlauf von der Nacht zum Tag durchzieht unsere komplette Weltanschauung. Wie wir der Traumwirklichkeit entkommen wollen, so sollen wir der Kindheit entrinnen, den Idealen der Jugend, den romantischen Gefühlen und einem anarchischen Weltwahrnehmung. Ziel ist eine vorgestellte „höhere Plattform“ der Standardwirklichkeit, von der herab wir auf die Welt schauen: erwachsen, objektiv, wissenschaftlich, nüchtern, diszipliniert und eingeordnet in eine logisch erklärbare, durchstrukturierte Welt, die Emotion, Gefühl und Intuition lediglich einen Unterhaltungswert zuweist. Weg also von der Nacht, hin zum Tag, zu gedanklicher Klarheit und patriarchaler Würde.
Und doch ist diese Ausrichtung unserer lebenslangen, inneren Orientierung schon bei einem oberflächlichen Blick irreführend. Denn wir kommen nicht aus dem Tag und wir enden nicht im Tag, sondern in der Nacht bzw. einer zeitlosen Traumwirklichkeit, der wir anfangs entstiegen sind.

Was würde nun bedeuten, wenn wir vom Tag zur Nacht hin lebten, wenn nicht eine turmhohe Ratio das Ziel unserer täglichen, inneren Ausrichtung wäre, sondern zeitentiefe Intuition; wenn wir den allbestimmenden Zeitpfeil in Frage stellten, wenn wir uns innerlich nicht bewegten wie ein technikgetriebenes Schiff auf den jeweils nächsten Hafen zu, sondern wie das allgetriebene Meer und seine Gezeiten? Was würde das bedeuten hinsichtlich der großen Komplexe Arbeit, Bildung, Erziehung, Gewalt, Industrie, Justiz, Mann/Frau, Mitwelt, Sexualität, Sprache, Werte und Wirtschaft?

Und als letzte große Frage: Was machte es mit unserer Vorstellung des Heiligen? Auf jeden Fall würde es aus den konfessionellen Katakomben an die frische Luft geholt. Würde es am Ende bedeuten, das Ziel allen Denkens und Handelns wäre ein heiliges Leben, die in den Alltag übersetzte Ultima Intuitio?

Hannah Arendt erschien es ganz einfach. Angesichts der kleinbürgerlichen Mörder des Nationalsozialismus war die „Banalität des Bösen“ deutlich erkennbar. Seither ist ihre Erkenntnis tausendfach wiederholt und auf alle Bösewichte der Geschichte angewendet worden.

Statt dieser Litanei eine weitere Strophe hinzuzufügen, möchte ich mich lieber dem scheinbaren Gegenteil zuwenden, der Banalität des Guten, die ein befreundeter Philosoph kürzlich erwähnte. Sie kommt dann am schnellsten zustande, wenn es zur Identifikation einladende Stellvertreter gibt, Weiterlesen

„Ohne Staunen, ohne Begeisterung geschah nichts Großes und Gutes auf der Welt.“ Gottlieb Herder

Von Sepp Stahl, 20.01.2022

Am Anfang der Philosophie steht Staunen.

Aristoteles sieht im Staunen den Beginn des Philosophierens, das einen starken Akzent auf Verwunderung legt. „Das Staunen ist ein Zustand, der vor allem dem Freund der Weisheit (Philosophen) zukommt, ja es gibt keinen anderen Anfang der Philosophie als diesen.“ So Plato. „Das Höchste, wozu der Mensch gelangen kann, ist Erstaunen.“ J.W. Goethe

Auch am Anfang jeder Religion steht das Staunen. Staunen, sich wundern, innehalten und betrachten gehören zum Ursprung aller Religionen. Das Staunen ist eine Spielart des Glaubens – wer staunt, lässt sich berühren. Weiterlesen

von Peter Zettel

Der lange Weg von normal zu natürlich beginnt mit dem Versuch der Definition von „normal“: Hanna Arendt schreibt in „Eichmann in Jerusalem“, dass „das Beunruhigende an der Person Eichmann doch gerade war, dass er war wie viele und dass diese vielen weder pervers noch sadistisch, sondern schrecklich und erschreckend normal waren“

Ein Nazi-Mörder – und ganz normal? Ich kenne einen persönlich, ein ganz normaler Mann, allseits beliebt – und ein Nazi-Mörder: Weiterlesen

Letzthin bin ich in Gedanken durchgegangen, was man sich üblicherweise wünscht zu Weihnachten: frohe Weihnachten, fröhliche Weihnachten, frohes Fest, schöne Festtage; und mich dann gefragt, wer das noch wirklich ernst meint oder noch genauer: wie ernst das überhaupt gemeint sein kann? Damit will ich nicht auf dem alten Gedanken herumreiten, dass Weihnachten zum Konsumfest verkommen ist. Sorry, mit 68 Jahren habe ich diese Klage mindestens schon 30-mal gehört. Nachdenklich werde ich eher bei dem Wort „Fest“.

Wenn ich an „Fest“ in seiner ursprüng­lichen Form denke, dann sehe ich Deutschland, sagen wir mal, vor 300 Jahren, also 1721. Der größte Teil der Bevölke­rung lebte von der Hand in den Mund, Hunger, Krankheit und Tod waren für die meisten von uns die ständige Begleitung und Bedrohung. Aber manchmal blieb doch etwas übrig, das man beiseitelegen konnte für besondere Gelegen­heiten. Und wenn dann jeder von seinen Habselig­keiten etwas dazutat, alle die Großmütter und -väter, die Mumen und Oheime, Vettern und Basen, Nachbarn und das ganze Dorf, dann konnte ein „Fest“ gefeiert werden. Und Groß und Klein war dabei. Dann zog man seinen Sonntagsstaat an, vergaß für ein paar Stunden alle Mühsal, tanzte und war „guter Dinge“. Und vielleicht hat man dann, vor dem nächsten Unwetter, der nächsten Dürre, vor dem nächsten Übergriff des Gutsherren oder dem kommenden Krieg, bereitwillig und lustvoll „über die Stränge geschlagen“, ein- oder zweimal im Jahr. Was für rauschende Höhepunkte müssen das gewesen sein!

Und heute? Was ist heute ein Fest? Jeder Kindergeburtstag ist ein Fest, jede Grillparty, jedes Club-Wochenende. Und wenn junge Leute abends weggehen, dann treffen sie sich zum „Feiern“. Nach einem Grund muss man nicht fragen, Feiern ist Selbstzweck geworden. Die Zweieinhalbliter-Flasche ist für ein paar Euro zu haben. Es geht uns so gut, dass wir jede Woche Feste feiern können. Und natürlich erodiert die Freude im Dauerregen der Spaßveranstaltungen, und das Wort „Fest“ bekommt in so einer Situation einen lauwarmen Geschmack, Weihnachten hin oder her.

Ich selbst bin ja so gar kein Feiertyp. Ein Gläschen Rotwein, ein gutes Gespräch, Nähe genießen, Vertrautheit mit Menschen, die ich mag und die mich mögen, nachdenkliche, ja auch besinnliche Stunden: gerne. Da blitzen dann immer wieder mal Minuten auf, die zu feiern sind oder doch wären, kurze Glücksspritzer auf die Alltagssuppe.

Rezension von „Das Gottesmädchen“

Um es gleich vorweg zu sagen: Männer spielen in dem Roman von Ismael Wetzky keine herausragende Rolle. In den Hauptrollen sind Gisele, eine Philosophiestudentin, und ihre ultrasexy Freundin Chloë, beide definitiv U30. Noch jünger ist nur noch Gott bzw. ihre Erscheinungsform. Gott tritt nämlich in Gestalt eines jungen Mädchens von elf, zwölf Jahren auf.

Damit nicht genug der Überraschungen in diesem Roman. Die Sprache auf den rund 400 Seiten ist so jung – und gekonnt jung – wie die Protagonistinnen. Man begrüßt sich lässig mit „Hi!“, findet Dinge „abgefahren“, „ultraspannend“ oder „echt mega“, und dass Modeschimpfwörter wie „Fuck“ etc. fallen, stört nicht, sondern passt. Tatsächlich gelingt es Ismael Wetzky, seine Mädels in einer Jugend-Kunstsprache reden zu lassen, die überzeugend ist, in keiner Weise aufgesetzt wirkt und auch für ältere Semester wie den Rezensenten gut und amüsant lesbar ist. Fiktion und Realität mischen sich, etwa, wenn echt funktionierende Links in den Text eingefügt sind. Weiterlesen