Schmelzendes Eis
von Peter Wyler*
Wir hören und lesen: Der Juli 2023 war temperaturmässig der heisseste in der Geschichte der Menschheit. Weltweit schmelzen die Gletscher und der «ewige Schnee» in den Bergen. Auch die Eisflächen an den Polen unserer Erde nehmen drastisch ab.
Die menschengemachte Klimaerhitzung ist wie eine Metapher. Je mehr zwischen den Menschen, ja selbst in mir und dir, so scheint mir, Kälte und Eiszeit herrscht, Gefühle und Beziehungen abgekühlt oder eingefroren sind, desto mehr und schneller schmilzt das Eis auf unserem Planeten. Eiseskälte gibt es (zum Glück nicht überall) zwischen Frauen und Männern, zwischen Eltern und ihren Kindern, zwischen Familien, unter Gruppen, Völkern und Staaten. Auch zwischen Regierungen und «dem Volk» herrschen Abkühlung bis eisige Erstarrung. In der Politik geschieht eiskaltes Lobbying und knallharte Interessensvertretung – anstatt wirklichem Erschaffen von Gemeinwohl und dringend notwendigen Lösungen.
Vor lauter Ansprüchen von uns Menschen haben die Bedürfnisse vieler Mit-Lebewesen auf dieser Erde nichts mehr in unseren frierenden Herzen verloren. Tausende Lebewesen-Arten sind durch unser Verhalten ausgestorben, bevor wir die Wunder des Lebens in ihnen erkennen und bestaunen konnten. Unsere Gefühle sind abgekühlt bis tiefgefroren, abgeschottet, abgestumpft, weggedrängt. Die Verbindung in unser Innerstes und Wärmendes wie durch eine «Eiswand» getrennt.
«Je erkalteter unsere Gefühlswelt, desto mehr und rascher schmilzt das Eis auf unserem Heimatplaneten.»
Oder als konstruktivere, aufmunterndere Version: «Je erwärmender, lebendiger und friedfertiger unsere Gefühlswelt und unsere allseitigen Beziehungen, desto weniger überhitzen wir mit unserem Konsumverhalten den blauen Planeten. Und desto weniger zerstören wir die Natur und unsere Lebensgrundlagen.»
Ob die Klimaerhitzung noch rechtzeitig von uns gemeinschaftlich und weltweit gestoppt, sowie das Eis auf den Bergen, an den Polen und die Biodiversität wieder regenerierbar sind, können wir nicht sicher voraussehen.
Lassen wir das Eis in unseren Herzen schmelzen. Begegnen wir uns selbst und allem wieder mit Offenheit, Wärme und Zuneigung. Das ist der fruchtbare Boden für wachsende Verbundenheit, mehr Lebenstiefe, Freude und Geborgenheit. Wenn das Eis in uns und zwischen uns schmilzt, erwärmt sich der Boden des Verbundenseins, gedeihen daraus frische, kräftige, vielfältige, tragfähige Gemeinschaften. So beginnen die eigenen Probleme, wie auch die der Menschheit, zu schmelzen …
*© Peter Wyler, CH-8707 Uetikon am See, 24. August 2023
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