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Wie doch Daniel Christian Wahls Satz: „Wir müssen die kulturellen Narrative, die unsere vorherrschende Weltsicht und damit auch unser Handeln prägen, überdenken“ auch gerade jetzt stimmt. Seinen höchst lesenswerten Aufsatz haben wir ins Deutsche übersetzt.

Neues Lernen

Von Daniel Christian Wahl

„Bildung … ist das Mittel, mit dem Männer und Frauen sich kritisch und kreativ mit der Realität auseinandersetzen und entdecken, wie sie an der Veränderung ihrer Welt teilnehmen können.“  Paulo Freire

Eine Reihe konvergierender Krisen macht nun eine grundlegende Veränderung des menschlichen Einflusses auf die Erde notwendig – ja sogar dringend erforderlich – und zwar von einem überwiegend ausbeuterischen, zerstörerischen und degenerativen zu einem wiederherstellenden, heilenden und regenerativen Verhalten.

Der Klimawandel, der Verlust der biologischen Vielfalt und das obszöne Ausmaß an Ungleichheit sind nur Symptome der zugrunde liegenden Ursachen. Um sie wirksam zu bekämpfen, müssen wir flussaufwärts gehen. Wir müssen uns nicht nur genauer ansehen, was wir wissen, sondern auch, wie wir es wissen. Wir müssen die kulturellen Narrative, die unsere vorherrschende Weltsicht und damit auch unser Handeln prägen, überdenken.

In seinem Buch „The Turning Point“, das vor über 30 Jahren veröffentlicht wurde, nannte Fritjof Capra die Ursache dieser konvergierenden Krisen „eine Krise der Wahrnehmung“. Einer von Capras Mentoren, Gregory Bateson, formulierte es so: „Die großen Probleme in der Welt sind das Ergebnis des Unterschieds zwischen der Art und Weise, wie die Natur funktioniert, und der Art und Weise, wie die Menschen denken“, und fügte hinzu: „Es gibt Zeiten, in denen ich mich selbst dabei ertappe, zu glauben, dass es etwas gibt, das von etwas anderem getrennt ist.“

In dieser Zeit des Übergangs sind wir – wie Joanna Macy vorschlug – in eine doppelte Rolle berufen, nämlich sowohl Sterbebegleiter eines obsoleten Systems („die industrielle Wachstumsgesellschaft“) als auch Hebammen für etwas Neues zu sein: vielfältige regenerative Kulturen überall („die lebenserhaltende Gesellschaft“). In dieser Zeit des Übergangs muss die Bildung Menschen aller Altersgruppen zu drei Dingen befähigen:

i) sich an „Halteaktionen“ zu beteiligen, die den anhaltenden Schaden des zerstörerischen und ausbeuterischen Systems, von dem wir uns entfernen, verringern und/oder stoppen,
ii) mit anderen beim „Aufbau neuer Systeme“ zusammenzuarbeiten und auf gemeinschaftlicher und bioregionaler Ebene an der Einführung regenerativer Muster zu arbeiten, und
iii) die Menschen in die Lage zu versetzen, „mit neuen Augen zu sehen“, indem wir die kulturellen Narrative, Organisationsideen und Geschichten, die wir darüber erzählen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, und über unsere Beziehung zur größeren Lebensgemeinschaft verändern.
Wir befinden uns in einer Zeit zwischen den Narrativen, in der wir uns von einem Narrativ und einer Weltanschauung, die sich auf Trennung und konkurrierende Knappheit konzentrieren, hin zu einem Narrativ und einer Weltanschauung entwickeln, die unser „Zusammensein“ mit allem anderen und unser Potenzial zur gemeinsamen Schaffung von Fülle anerkennt.

Die Bereitschaft, regenerativ zu leben und gemeinsam mit den Menschen um uns herum regenerative Kulturen zu schaffen, wird durch das Verständnis unserer grundlegenden Verflechtung, gegenseitigen Abhängigkeit und unseres „Zusammenseins“ mit den Prozessen genährt, die Gesundheit, Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit auf der Ebene des Einzelnen und seiner Gemeinschaften aufrechterhalten.

Die Erziehung zu regenerativen Kulturen ist ein nie endender Prozess des Aufbaus und der Erneuerung der Fähigkeit der Menschen vor Ort, sich an der koevolutiven Gegenseitigkeit zu beteiligen – untereinander, mit den regionalen Ökosystemen, in planetarischer Solidarität und mit der Fähigkeit zu reagieren.
Gesundheit und Ganzheit sind keine statischen Zustände, sondern evolutionäre Prozesse, an denen wir teilnehmen. Ein Rückzug auf die Aufrechterhaltung von Strukturen, die nicht mehr funktionieren, ist also keine gesunde Reaktion auf die Krisen, mit denen wir jetzt konfrontiert sind. Wenn wir Gesundheit als einen dynamischen Prozess koevolutiver Gegenseitigkeit verstehen, der die Gesundheit der Zellen mit der Gesundheit der Organe, des Einzelnen, der Familien, der Gemeinschaften, der Städte, der Bioregionen, der Ökosysteme und der Gesundheit des Planeten verbindet, erkennen wir, dass systemische Gesundheit und Wohlbefinden ein viel besserer Erfolgsindikator sein könnten als unzureichende wirtschaftliche Indikatoren wie das BIP.

Aus dieser Perspektive schlug ich in meinem Buch vor, dass eine „regenerative menschliche Kultur gesund, widerstandsfähig und anpassungsfähig ist; sie kümmert sich um den Planeten und um das Leben in dem Bewusstsein, dass dies der effektivste Weg ist, um eine blühende Zukunft für die gesamte Menschheit zu schaffen.“ Die erste Hälfte dieses Satzes wurde inzwischen als eines der Prinzipien der globalen zivilgesellschaftlichen Antwort auf den Klimawandel und den kaskadenartigen Zusammenbruch der Ökosysteme aufgegriffen, als Prinzip Nummer 3 von Extinction Rebellion.

Es ist wichtig zu betonen, dass solche regenerativen Kulturen je nach den Orten und Bioregionen, aus denen sie hervorgehen, unterschiedlich sein werden. So wie die biologische Vielfalt des Lebens zu seiner Fähigkeit zur kreativen Evolution beiträgt, so stellt auch unsere kulturelle Vielfalt einen Reichtum an Erfahrungen und Perspektiven dar. Es geht nicht darum, dass wir alle in allem übereinstimmen oder die Welt auf die gleiche Art und Weise sehen müssen, sondern darum, dass wir uns alle in unserer Vielfalt auf eine Art und Weise beteiligen wollen, die die Gesundheit, das Wohlbefinden und das evolutionäre Potenzial der gesamten Menschheit und des gesamten Lebens fördert.

Es gibt kein Patentrezept für die Schaffung regenerativer Kulturen. Ich muss Sie da leider enttäuschen. Es gibt nur einen Prozess der Auseinandersetzung mit der Gemeinschaft und dem Ort auf eine Art und Weise, die Sinn- und Beziehungsmuster webt, die dazu beitragen, das einzigartige, dem Ort entspringende Potenzial einer regenerativen Kultur zu manifestieren, die ein Ausdruck dieser Menschen an diesem Ort – oder besser als dieser Ort – ist.

Generell sollten wir uns vor Menschen hüten, die Patentrezepte und schnelle Antworten anbieten, da wir mit einer Vielzahl konvergierender Krisen und so genannter „bösartiger Probleme“ konfrontiert sind. Regenerative Praxis geht nicht von Problemen aus, sondern von Potenzialen. Das Potenzial von Menschen und Orten, ihre einzigartige Essenz auf eine Weise zu manifestieren, die einem größeren Ganzen Wert, Bedeutung und Gesundheit verleiht.

Kulturen werden nicht entworfen, sie entstehen durch die Beteiligung von uns allen. Fragen statt Antworten und Lösungen sind ein zuverlässigerer Kompass auf unserem Weg in eine ungewisse Zukunft. Diese Erkenntnis war – für mich persönlich – ein wichtiger Schritt, um zu verstehen, wie es möglich sein könnte, das Entstehen vielfältiger regenerativer Kulturen überall zu fördern, ohne ein vorgefertigtes Paket von Lösungen vorzuschreiben.

Ich glaube, dass der Prozess des „gemeinsamen Auslebens der Fragen“ im Mittelpunkt der gemeinsamen Schaffung von regenerativen Kulturen steht. Ich glaube auch, dass lebenslanges Lernen und Bildung eine entscheidende Rolle bei der jetzt notwendigen Neugestaltung des menschlichen Einflusses auf die Erde und auf einander spielen.

Bildung ist der Prozess, durch den wir uns selbst und einander befähigen, unsere einzigartigen Beiträge im Dienst der evolutionären Reise des Lebens anzubieten. Sie sollte uns in die Lage versetzen, das zu tun, was das Leben zuallererst tut: „Bedingungen schaffen, die dem Leben förderlich sind“ (Janine Benyus).
Das Loslassen von Mustern, die nicht mehr dienlich sind, um das latente Potenzial dessen, was entstehen will, zu manifestieren, ist Teil der regenerativen Musterbildung des Lebens. Wahrhaft transformative Bildung unterstützt uns auf einem lebenslangen Lernweg – einer Pilgerreise und einer Ausbildung -, wie wir angemessen an der größeren Gemeinschaft des Lebens teilnehmen können.
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Vollständiger englischer Originaltext mit Links:

Neues Lernen DCW

“Education … the means by which men and women deal critically and creatively with reality and discover how to participate in the transformation of their world.”
— Paulo Freire

A series of converging crisis is now creating a necessity — even an urgency — for a fundamental transformation of the human impact on Earth from being predominantly exploitative, destructive and degenerative to being restorative, healing and regenerative.
Climate change, biodiversity loss, and obscene levels of inequality are but symptoms of underlying causes. To address them effectively we have to go upstream. We have to take a closer look at not just ‘what we know’ but ‘how we know’. We have to reexamine the cultural narratives that inform our dominant worldview and through that our actions.

In his book ‘The Turning Point’ — published over 30 years ago, Fritjof Capra called the route cause of these converging crises ‘a crisis of perception.’ One of Capra’s mentors, Gregory Bateson put it this way: “The major problems in the world are the result of the difference between how nature works and the way people think” and added “there are times when I catch myself believing there is something which is separate from something else.”

In this time of transition we are — as Joanna Macy suggested — called into a dual role of being both hospice workers of a dying system (“the industrial growth society”) and midwifes of something new: diverse regenerative cultures everywhere (“the life-sustaining society”). In this time of transition education has to enable people of all ages to do three things:

i) engage in ‘holding action’ that reduce and/or stop the ongoing damage of the destructive and exploitative system we are moving away from,
ii) to cooperate with others in ‘building new systems’ and work on putting regenerative patterns in place at the community and bioregional scale, and
iii) to enable people to ‘see with new eyes’ by shifting the cultural narratives, organising ideas, and stories we tell about what it means to be human and about our relationship with the wider community of life.

We are in a time between narratives, changing from a narrative and worldview focussed on separation and competitive scarcity to a narrative and worldview that recognizes our ‘interbeing’ with everything else and our potential to co-create collaborative abundance.

The intention to live regeneratively and to co-create regenerative cultures with the people around us is nutured by understanding our fundamental interconnectedness, interdependence and ‘interbeing’ with the processes that maintain health, resilience, and adaptability at the level of individuals and their communities.

Education for regenerative cultures is a never ending process of building and renewing the capacity of people in place to participate in co-evolving mutuality — with each other, with the regional ecosystems — in planetary solidarity — and with response-ability.

Health and wholeness are not a static states but evolutionary processes in which we participate. So a bounce-back to maintain structures that no longer serve is not a healthy response to the crises we are now facing. If we understand health as a dynamic process of co-evolving mutuality that links cellular health to organ health to individuals, families, communities, cities, bioregions, ecosystems and to planetary health, we come to see that systemic health and wellbeing might be a much more appropriate indicator of success than inadequate economic indicators like GDP.

It is from this perspective I suggested in my book that a “regenerative human culture is healthy, resilient and adaptable; it cares for the planet and it cares for life in the awareness that this is the most effective way to create a thriving future for all of humanity.” The first half of this sentence has since been taken up as one of the principles of the global civic response to climate change and cascading ecosystems collapse, as principle number 3 of the Extinction Rebellion.

It is important to highlight that such regenerative cultures will be different depending on the places and bioregions they emerge from. Just as life’s biodiversity adds to its capacity for creative evolution, so does our cultural diversity constitute a wealth of experience and perspectives. The point is not that we all need to agree on everything or see the world in the same way, rather it is that in our diversity we all aim to participate in ways that support the health, well-being and evolutionary potential of all of humanity and all of life.

There is no one-size-fits-all receipt for creating regenerative cultures. Sorry to disappoint. There is only a process of engaging with community and place in ways that weave patterns of meaning and relationship which will contribute to manifesting the unique place-sourced potential of a regenerative culture that is an expression of these people in — or better as — that place.

In general we should be wary of people who are offering silver bullet solutions and quick answers as we are faced with multiple converging crises of so called ‘wicked problems’. Regenerative practice does not start from problems it starts from potential. The potential of people and place to manifest their unique essence in ways that add value, meaning and health to a greater whole.

Cultures are not designed, they emerge through the participation of all of us. Questions rather than answers and solutions are a more reliable compass as we navigate our way into an uncertain future. This insight was — for me personally — an important step in understanding how it might be possible to nurture the emergence of diverse regenerative cultures everywhere without prescribing a pre-supposing cookie-cutter set of solutions.

I believe the process of ‘living the questions together’ lies at the heart of how we can co-create regenerative cultures. I also believe that life-long learning and education play a critical role in the now necessary redesign of the human impact on Earth and on each other.
Education is the process by which we enable ourselves and each other to offer our unique contributions in service to life’s evolutionary journey. It should enable us to do what life does first and foremost “creating conditions conducive to life” (Janine Benyus).
Letting go of patterns that no longer serve in order to manifest the latent potential of what wants to come into being is part of life’s regenerative patterning. Truly transformative education supports us on a life long path of learning — a pilgrimage and an apprenticeship — of how to participate appropriately in the wider community of life.

„Ja, ja, unsere Nation hat gemordet, präzise, industriell und systematisch. Stimmt schon. Aber wir haben damit nichts mehr zu tun. Es waren doch unsere Väter und Großväter, nicht wir.“ Dieser grollend vorgebrachte Entschuldungsversuch wird mir immer wieder gegen die Ohren geschlagen, als gäbe es das nationale Trauma nicht, durch das die Unempfindlichen wie grobe Riesen waten durch Schlamm. Als ob es die Überlebenden nicht gäbe und deren Kinder und Kindeskinder, denen wir in die Augen schauen müssen, und sei es auch nur innerlich.

Freilich, einen schrecklichen Vorteil haben unsere Mordtaten: Sie sind vorbei und vergangen. Wie aber gehen wir mit den mörderischen Folgen unseres imperialen Lebensstils um? Mit den verbrannten und brennenden Wäldern, mit den Müttern, aus deren Brüsten keine Milch mehr rinnt, weil wir ihnen, unserer Adipositas zuliebe, nicht die Butter vom Brot, sondern das Brot von der Erde nehmen? Mit den hungernden Fischern, denen wir die Fische wegfangen für die Fülle unserer Supermärkte, mit den Verhungernden, auf deren Böden wir Nelken anbauen und Rosen zur Zierde unserer grauen Winter.

Sie bleiben grau und werden grauer, denn diese achtlosen Mordtaten vergehen nicht, sondern wachsen als Schuldberg von Tag zu Tag. Und wie gehen wir damit um? Wir schnippen ihn weg und werden Vegetarier. Besser als nichts, aber leider auch nicht mehr.

Menschen, die es wagen, gegen den Widerstand des griechischen Staates die Insel Samos zu betreten, müssen mit mehrjährigen Gefängnisstrafen rechnen – sofern sie freundlicherweise nicht zuvor im Meer ertrunken sind. Was zunächst wie der legitim hoheitliche Akt eines europäischen Staates anmutet, erweist sich bei näherer Betrachtung als Veitstanz der Gerechtigkeit.

Kann die Überschreitung einer Grenze Unrecht sein? Wird mit solcherlei Gesetzen nicht die Willkür zum Maß der Justiz und die Dummheit ihr Lehrer? Macht die juristische Strafbewehrung im Fall der Übertretung einer abstrakten Linie namens Grenze nicht Justitia zur beliebigen Hure eines jeden Möchtegern-Potentaten, auch wenn er sich „demokratischer Politiker“ oder Nationalstaat nennt? Haben Nationalstaaten ein Anrecht auf Beliebigkeit und Willkür?

Warum die Empörung?

Nun, nehmen wir an, ich wohnte im unterfränkischen Waldbüttelbrunn und wollte die von Julius Echter von Mespelbrunn erbaute gotische Kirche von Gaubüttelbrunn besuchen, so könnte ich die rund 19 Kilometer in, sagen wir einmal, vier Stunden gut bewältigen. Ich durchquerte Eisingen und Kleinrinderfeld und wanderte schließlich, Kirchheim hinter mir lassend, fröhlich singend meinem Ziel entgegen. Doch kurz vor Gaubüttelbrunn versperrt mir ein Schlagbaum den Weg, und auf meine Frage, warum ich nicht weitergehen könne, bescheidet mich ein Uniformierter, hier beginne das Hoheitsgebiet des neuen Warlords von Lauda-Königshofen, das ich nur gegen Vorzeigen eines Visums betreten dürfe.

Mein kurz aufflammender Zorn sinkt angesichts einer drohend auf meine Brust gerichteten Maschinenpistolenmündung in sich zusammen. Ich entschuldige mich untertänigst, freue mich, überlebt zu haben, und mache mich auf den Rückweg, um am Folgetag meinen Visumsantrag im Rathaus von Waldbüttelbrunn zu stellen. Dort erfahre ich, dass ich gegen vorherige Bereitstellung von 10.000 Euro innerhalb von zwei Monaten ein solches Dokument mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg erwerben könne. Ich entschließe mich, dem Warlord von Lauda-Königshofen meine Reverenz nicht zu erweisen und eine weniger bewehrte Kirche zu besichtigen.

Oh Gesetz, du schlotterichte Königin! Verstehen Sie mich? Wären Sie nicht empört an meiner Stelle? Oder sollten es wenigstens sein!

Wurden solche Grenzlinien nicht allesamt (oder doch beinahe alle) in Gewaltprozessen ausgehandelt? Sind sie nicht letzten Endes allesamt (oder doch beinahe alle) die Ergebnisse von Willkür in juristischem Gewand, also letztlich von einer einstigen Rechtsbeugung, die durch Gewaltprozesse Legitimität erhielt? Ja, sind Grenzen wie die erdachte zwischen Kirchheim und Gaubüttelbrunn oder die ebenfalls nur erdachte, aber existierende zwischen der offenen See der Ägäis und der Insel Samos nicht allesamt Beweisstücke real existierenden Unrechts?

Und richtig gefolgert: Gilt dies nicht letztlich für alle nationalstaatlichen Grenzen Europas und der Welt? Sie unterscheiden sich durch nichts von den Grenzen eines von einem Vierjährigen eifersüchtig bewachten Sandkastens im Garten seiner Eltern – außer durch die Machtmöglichkeiten ihrer Verteidigung. Aber schafft meine Möglichkeit, Sie zu erschießen, weil Sie in meinem Sandkasten spielen möchten, bereits Unrecht auf Ihrer Seite und auf der meinen Recht? Legitimität gar? Von Seriosität einmal ganz zu schweigen?

Verschärft muss meine Frage also lauten: Nicht kann, sondern darf die Überschreitung einer Grenze in einem Rechtsstaat, der dieses Namens würdig ist, jemals Unrecht sein? Oder anders herum: Ist die Würde des Menschen durch nationalstaatliche Grenzen eben doch antastbar?

Siehe dazu: The real crime is the border regime sowie https://freethesamostwo.com.

Die Maßnahmen gegen Pandemie verschärfen die Hungersituation weltweit

Von Andreas Chajm Langholf

Zu Beginn: Bitte halten Sie kurz inne und ergänzen Sie: „Jedes fünfte Kind auf der Welt … “
Die Antwort, die in diese Rezension eingestreut ist, wird Sie überraschen und – hoffentlich – auch schockieren, so wie mich, als ich sie im vorliegenden Buch las.

„Wege aus der Ernährungskrise“ ist Teil der jährlich erscheinenden Reihe „Almanach Entwicklungspolitik“. Diese wird von der Entwicklungsorganisation CARITAS mit jährlich wechselnden Schwerpunktsetzungen wie Afrika (2020), Migration (2019), Klima und Armut herausgegeben.

Die Corona-Pandemie verschärft mit den dagegen ergriffenen Maßnahmen die Hungersituation im Übrigen drastisch, sodass die UNO bereits im April letzten Jahres vor „Hungersnöten biblischen Ausmaßes“ warnte. Leider ist diese Warnung im medialen Gewitter weitgehend untergegangen  – und das vor dem Hintergrund, dass über 820 Millionen Menschen hungern und zwei Milliarden unterernährt sind, – Tendenz bereits seit 2015 übrigens wieder steigend.

Zu Gliederung und Inhalten im Einzelnen

Nach dem Vorwort und der Schilderung entwicklungspolitischer Trends finden sich 15 gut recherchierte, mit Quellen, Anmerkungen und Begriffsdefinitionen belegte Artikel von ausgewiesenen Experten auf ihren Gebieten, übersichtlich gegliedert in drei Teile, sowie der Versuch einer Synthese aus Sicht der CARITAS Schweiz.

Teil I gibt einen Überblick über die verschiedenen Aspekte des Problemfeldes Hunger, angefangen mit einer Übersicht zur gegenwärtigen Ernährungssituation sowie den Faktoren, die Hunger und Mangelernährung begünstigen; überdies zu strukturellen Problemen sowohl im agrarindustriellen wie politischen System. Dazu gibt es auch eine interessante historische Einordnung zu Mustern, Erklärungen und politischen Antworten der letzten 150 Jahre.

Dieser Beitrag leitet über zum Teil II mit lokalen und globalen Ansätzen der Hungerbekämpfung. Hier wird bereits ein weiter Bogen gespannt von Marktzugang über Wertschöpfungsketten bis hin zu Agrarökologie und Klimawandel.

Teil III thematisiert dann die großen Herausforderungen der Zukunft und Lösungsansätze wie Ausweitung des Ökolandbaus, mehr Landrechte für Frauen sowie benachteiligte Gruppen und präsentiert das Thema „Zugang zur Nahrung“.

Zwei Aspekte ziehen sich inhaltlich durch das Buch:

  • Bei Beendigung der Verschwendung und gerechter Verteilung gäbe es genug Nahrung für alle!
  • Wenn Worte Nahrung wären, dann gäbe es keinen Hunger!

Persönliche Bewertung

Tragischerweise fehlt den Verantwortlichen–und das sind nicht nur Politiker und Wirtschaftsbosse, sondern auch wir KonsumentInnen – aktuell trotz großer Verlautbarungen und nachhaltiger Entwicklungsziele der UNO oft noch der politische Wille, am großen Hungern in einer Welt des Überflusses etwas zu ändern. Dabei wird heute gerne von Politiker betont, es zähle jedes Leben.

Das Buch ist ein sehr gutes Überblickswerk zur ganzheitlichen Behandlung dieses komplexen Problemfeldes, dem nicht mit einfachen Ansätzen monokausal beizukommen ist. Ausgiebigen Quellen und Links laden zur weitergehenden Beschäftigung mit diesem Thema ein.
Ach ja, übrigens: Nur jedes 5. Kind im Alter zwischen 6 und 23 Monaten erhält laut FAO eine Ernährung, die den minimalen (!) Anforderungen für eine gesunde Ernährung entspricht.

 Manuela Specker, Wege aus der Ernährungskrise, 258 S., Caritas-Verlag 2020, ISBN 978-3-85592-173-7

Der Autor:

Andreas Chajm Langholf ist Diplom-Agraringenieur und seit vielen Jahren im Umweltschutz tätig.

Er verfasste freiberuflich Studien, u.a. für BUND und Artikel, u.a. in IGEL, Unabhängige Bauernstimme, Lebendige Erde, Sennaciulo, Kontakto u.a. und veröffentlicht auf Deutsch, Englisch und Esperanto. Darin beschäftigt er sich neben Ernährung auch mit den Themen Systemkritik, Konsum und nachhaltiger Lebensweise.

Daneben gibt er im kleinen Stil Seminare zu Selbstversorgung, lehrte zu Ernährung an Schulen und Universitäten und betreut Bauernhoffreizeiten für Kinder.

[Foto von Lothar Dieterich auf Pixabay ]

Dies ist eine Fortsetzung einer mehrteiligen Artikelserie.

Teil 1 findest du HIER

Teil 2 findest du HIER

Teil 3 findest du HIER

Teil 4 findest du HIER

Teil 5 findest du HIER

Teil 6 findest du HIER

Siebenter Teil: Druckanfragen für die Idee des Obdachlosengeldes

von Kilian Manger

Im letzten Artikel habe ich von meiner Idee eines solidarischen Regionalwährungsexperiments erzählt. Ich stand vor der Aufgabe, Spielgeldscheine drucken zu lassen, die ein einfaches Sicherheitsmerkmal besitzen, sodass sie sich nicht völlig einfach mit einem Farbkopierer vervielfältigen lassen.

In irgendeinem Gespräch mit Fachleuten, die Erfahrungen mit Regionalwährungen haben, hatte ich wohl den Begriff „Sicherheitsdruckerei“ aufgeschnappt. Ach ja, dabei muss es sich wohl um Druckereien handeln, die fälschungssichere Geldscheine herstellen. Ich bediente eine Internetsuchmaschine mit diesem Stichwort und bekam sofort die Internetauftritte einiger Sicherheitsdruckereien geliefert. Als ich am Telefon von meiner Idee des solidarischen Regionalwährungsexperiments erzählte und den Begriff „Spielgeld“ aussprach, kam mir prompt eine entsetzte Antwort entgegen: „Höre ich da Falschgeld? Wenn Sie vorhaben, irgendwelche Scheine zu drucken, die in ihrem Aussehen den Banknoten einer existierenden Währung auch nur ähneln, werden wir Ihnen dabei sicherlich nicht weiterhelfen. Wenn Sie Geld fälschen, dann steht die Kriminalpolizei schneller vor Ihrer Haustüre als Sie denken.“ Kurz darauf war unsere Telefonverbindung unterbrochen. Ich denke, mein Gesprächspartner hatte das Telefonat bewusst unangekündigt abgebrochen.

Da hatte mich der Mitarbeiter der Sicherheitsdruckerei falsch verstanden. Bei meinem Projekt geht es nicht darum, das gesetzliche Zahlungsmittel zu kopieren, sondern darum, eine andersartige Alternative vorzustellen, auf die Lebenssituation finanziell benachteiligter Menschen aufmerksam zu machen sowie Fehler in der Architektur des Weltfinanzsystems in die öffentliche Diskussion zu tragen. Abgesehen von den Missverständnissen war ich bei dieser Sicherheitsdruckerei sowieso an der falschen Adresse. Sie vermarkten nur Sicherheitspapier im vierzig-Tonnen-Maßstab. Mit einer solchen Sicherheitsdruckerei arbeiten also nur Unternehmen zusammen, die LKW-Ladungen voller Papier brauchen. Wieder etwas gelernt. Ich bekam im Telefonat noch den Tipp, mich bei einer normalen kleineren Druckerei zu melden. Das half mir weiter.

Durch kurze Internetrecherche wurde mir klar, dass die üblich bekannten Druckereien, die man normalerweise für den Druck von Hochzeits-Einladungskarten oder Visitenkarten beauftragen würde, passende Ansprechpartner für mich darstellen. Hier lassen sich Scheine mit silbrigen Glitzereffekten drucken, die dadurch zumindest vor der Vervielfältigung durch einen Farbkopierer geschützt sind.

Bei meinem ersten Druckauftrag erfuhr ich, dass meine Druckdaten zur Verarbeitung in der Druckerei nicht wirklich geeignet sind. Die Druckerei war so kulant, mir die Druckdaten kostenlos anzupassen, teilte mir aber mit, ich solle bei weiteren Aufträgen nur Bilddateien im CMYK-Farbraum einschicken. Auch was mit diesem Fachbegriff gemeint ist, wurde mir sehr freundlich erklärt. Mit etwas Unterstützung einer Mitarbeiterin des Rechenzentrums unserer Universität und eines Studenten aus der Informatik-Fachschaft fand ich daraufhin auch das Open-Source-Zeichenprogramm „Krita“. Dieses läuft sogar auf meinem Laptop mit Linux-Betriebssystem einwandfrei, unterstützt die Anfertigung von Grafiken im CMYK-Farbraum und kann die für den Heißfoliendruck benötigten speziellen Farbpixel mit einem Farbauftrag von 400 % Farbwert in Bilddateien einbauen.

Mir ist es also mittlerweile gelungen, ein paar erste, leicht kopiergeschützte Scheine anfertigen zu lassen, die sich theoretisch für meine Idee eines sehr klein skalierten solidarischen Regionalwährungsexperiments eignen. Sicherlich ist die zwischenmenschliche Arbeit bei der Umsetzung meiner Projektidee wichtiger und schwieriger als die nun gelöste technische Herausforderung des Scheinedruckens. Meine ersten Anfragen bei den Inhabern kleiner Geschäfte in Würzburg wurden zumindest mit Rückfragen und Interesse belohnt. Auch die Erlaubnis, ein Werbeplakat für meine Idee aufzuhängen, wurde mir gegeben. Die Schreinerei der Bentheim Werkstatt des Blindeninstituts Würzburg fertigte mir sogar kleine Holzständer an, die ich nutzen kann, um öffentlich auf die Idee des solidarischen Regionalwährungsexperiments hinzuweisen. Meiner bisherigen Erfahrung nach reagieren sozial angehauchte Menschen und Mitarbeiter in gemeinnützigen Einrichtungen sehr positiv und interessiert auf meine Idee.

Eine tatsächliche Umsetzung des Projekts wird es allerdings nur geben können, wenn sich zumindest ein paar Geschäfte und Einwohner der Stadt bereit erklären, den Versuch zu starten, eine erste Anzahl von vielleicht zwei oder drei Scheinen als Zahlungsmittel zu verwenden. Eine wie im vorigen Artikel erwähnte Einrichtung der niederschwelligen Obdachlosenhilfe, die sich durch die Herausgabe der Scheine an bedürftige Menschen ins Projekt einbringen könnte, habe ich bisher noch nicht angefragt. Auch die Internetseite des Obdachlosengeldes steht noch nicht.

Nächstes Ziel: Menschen, Läden, Gruppen, Initiativen und Einrichtungen finden, die mitmachen. Ob das funktioniert? Keine Ahnung. Ich bin gespannt, wie die Leute auf mein Bildungs-, Aufklärungs- und Mitmachprojekt reagieren.

 

Zeichenprogramm mit Unterstützung des CMYK-Farbraums: https://wiki.ubuntuusers.de/Krita/
Blindeninstitut Würzburg: https://www.blindeninstitut.de/de/wuerzburg/bentheim-werkstatt-gmbh/eingliederung-ins-arbeitsleben/
Regionalwährung bei Dresden: https://stories-of-change.org/filme/elbtaler/

Dies ist eine Fortsetzung einer mehrteiligen Artikelserie.

Teil 1 findest du HIER

Teil 2 findest du HIER

Teil 3 findest du HIER

Teil 4 findest du HIER

Teil 5 findest du HIER .

Sechster Teil: Ein Blick in die Zukunft. Wie die nächsten Schritte in meinem Projekt aussehen könnten.

von Kilian Manger

Mein Plan, andere Menschen auf die Thematik Geldsystem aufmerksam zu machen, ist voll und ganz aufgegangen. Seit ich meine eigenen Ideen ins Internet gestellt habe, hatte ich immer einen Anlass, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten und mein Thema anzusprechen: Ich erzähle von meinem selbstinitiierten Bildungsprojekt und berichte von meinen bisherigen Erfahrungen. Meistens werden die Menschen dann von ganz alleine neugierig und stellen weitere Fragen.

Vor ein paar Monaten kam mir die Idee, dass ich aus meinem Bildungsprojekt ein „Mitmachprojekt“ erwachsen lassen könnte. Wenn ich eine Art Spiel starte, bei dem Geschäfte, Initiativen, Vereine, Gruppen und Einwohner der Stadt Würzburg mitmachen können, wird das vielleicht dazu beitragen, noch schneller bei einer noch größeren Anzahl möglicher Interessenten Begeisterung zu wecken. Ein spielerischer Einstieg könnte für viele Menschen ein leichter Weg sein, sich mit den Fehlern in der Architektur unseres bestehenden Geldsystems vertraut zu machen.

Für dieses Vorhaben habe ich bisher einen groben Plan entworfen. Das Spiel selbst würde ich als eine Art „solidarisches Regionalwährungsexperiment“ beschreiben, das im Kern von der Großzügigkeit der Mitwirkenden und der Idee des Schenkens getragen wird. Ich denke, viele Menschen freuen sich, wenn man sie dazu einlädt, bei einem Spiel des Schenkens mitzumachen. Vielleicht fühlen sie sich geschmeichelt, wenn man mit einer solchen Einladung offenbart, dass man an ihre Herzlichkeit und Großzügigkeit glaubt.

Wenn mein Plan aufgeht, würde ich bei diesem Regionalwährungsexperiment dafür sorgen, dass eine geringe Anzahl selbst erzeugter Spielgeldscheine, für die mir die Bezeichnung „Obdachlosengeld Würzburg“ eingefallen ist, in den Umlauf kommen. Meiner Einschätzung nach würde eine kleine Anzahl von eins bis zehn Scheinen vollkommen ausreichen, um das Spiel durchzuführen. Im Sinne einer Spielregel würde man unter allen freiwilligen Teilnehmer*innen vereinbaren, jedem solchen Schein anfänglich einen Wert von 2 € zuzuerkennen.

In den Umlauf kommen würden diese Scheine durch eine örtliche Einrichtung der niederschwelligen Wohnungslosenhilfe. Das heißt konkret, finanziell benachteiligte Menschen, die unter Obdachlosigkeit leiden, würden diese neu erzeugten Scheine geschenkt bekommen und hätten die Erlaubnis, damit in teilnehmenden Läden einzukaufen. Die Scheine könnten dort in den teilnehmenden Läden dann zum gleichen Preis an hilfsbereite Kunden weiterverkauft werden, damit die Ladeninhaber nicht auf den Kosten der Geschenke sitzen bleiben. Ein Käufer eines solchen Scheines könnte in einem der beteiligten Geschäfte wieder mit dem Schein einkaufen. Auf diese Weise würde man den Schein von Person zu Person weitergeben und die ursprünglichen Kosten für das Geschenk an den bedürftigen Menschen immer wieder an den jeweils nächsten Beteiligten übertragen. Auf dem Schein sollte eine Tabelle aufgedruckt sein, die vorgibt, dass dieser Komplementärgeld-Schein an gewissen Stichtagen einen Teil seines Werts verliert. Während der Wert des Scheins zu Beginn auf 2 € eingestuft ist, würde er im Laufe der Zeit immer mehr an Kaufkraft verlieren, bis er schließlich nach zwei Jahren seine Wirkung als Zahlungsmittel komplett verloren hätte. Das Spiel mit dem Obdachlosengeld hätte also ein von Beginn an festgelegtes zeitliches Ende. Bis dahin sind die Scheine dann durch mehrere Hände gewandert, konnten ihre Wirkung als Zahlungsmittel entfalten und die Kosten für das kleine Geschenk an einen finanziell benachteiligten Menschen hätten sich auf mehrere Teilnehmerinnen und Teilnehmer aufgeteilt.

Beim Obdachlosengeld handelt es sich demnach um Schwundgeld. Diese Idee vom schrumpfenden Geld, die mich aus unterschiedlichen Gründen sehr begeistert, stammt nicht von mir. Ich werfe hier einfach die Stichworte „Initiative für Natürliche Wirtschaftsordnung“ und „Gleichgewichtsgeld“ in den Raum und lege dir ans Herz, einmal im Internet danach zu suchen, wenn du mehr darüber erfahren willst.

Falls sich tatsächlich Menschen für die Teilnahme an einem solchen Spiel gewinnen lassen, würde man dadurch einerseits auf die Lebenssituation obdachloser Menschen und andererseits auf alternative Geldsysteme aufmerksam werden. Das Spiel würde dazu anregen, intensiver über den Mechanismus der Geldschöpfung nachzudenken, denn bei jedem Geldsystem – auch im bestehenden Weltfinanzsystem – gibt es Menschen, die finanziell davon profitieren, wenn neues Geld erzeugt und in den Umlauf gebracht wird. Auch die Möglichkeit des schrumpfenden Geldes und dessen Vorzüge gegenüber dem zinsbehafteten Geld sind sicherlich vielen Menschen bisher unbekannt.

Um mit diesem Spiel beginnen zu können, ist eine technische Herausforderung zu meistern: Es braucht Scheine, die zumindest so fälschungssicher sind, dass sie sich nicht kostengünstig beim nächstgelegenen Copyshop vervielfältigen lassen. Eine solche Möglichkeit der Geldfälschung würde verständlicherweise das Risiko entstehen lassen, dass jemand auf genau diese Weise das Projekt sabotiert, weshalb sich in einem solchen Fall aller Voraussicht nach erst gar keine Mitspieler finden lassen würden.

Von Anfang an war ich sehr zuversichtlich, dass ich eine Möglichkeit finden würde, solche Spielgeldscheine mit Kopierschutz drucken zu lassen, auch wenn ich nicht wusste, welche Firma das wohl für mich machen könnte. Regionalwährungen gibt es an vielen Orten und den daran beteiligten Initiativen ist es schließlich auch gelungen, einigermaßen fälschungssichere Scheine zu erzeugen. Außerdem war mir bewusst, dass es für verschiedenste Veranstaltungen Eintrittskarten sowie für den öffentlichen Nahverkehr Tickets mit silbrigen Glitzerstreifen gibt, die sich der einfachen Vervielfältigung durch Farbdrucker entziehen.

Im nächsten Artikel schreibe ich über meine Versuche, dieses technische Problem der Erzeugung kopiergeschützter Scheine zu lösen.

REGIOS eG: https://www.regios.eu/regiogeld
Regionalentwicklung: http://www.regionalentwicklung.de/regionales-wirtschaften/regionalgeld
Chiemgauer Regiogeld: www.chiemgauer.info

Dies ist die Fortsetzung einer mehrteiligen Artikelserie.

Teil 1 findest du HIER

Teil 2 findest du HIER

Teil 3 findest du HIER

Teil 4 findest du HIER

Ein bisschen Kopfzerbrechen und weiter geht’s.

von Kilian Manger

Der vorangegangene vierte Teil dieser Artikelserie machte deutlich, wie ausgesprochen positiv die vielen Reaktionen ausfielen, die mir bei meiner Tätigkeit in der Verbreitung geldreformerischer Ideen entgegengebracht wurden. Dieser fünfte Teil soll nun einen Aspekt in den Mittelpunkt stellen, den ich im Zusammenhang mit meiner geldsystemkritischen Auseinandersetzung als besonders anstrengend empfand.

Die Reaktionen anderer Menschen auf meine Mithilfe in der Bildungs- und Aufklärungsarbeit zu den Fehlern in der Architektur des bestehenden Geldsystems waren stets von Aufgeschlossenheit und Interesse geprägt. Meine Hinweise auf die Reformvorschläge der Geld-Szene wurden immer wieder gut angenommen. Gemeinsam mit einem Mitstudenten konnte ich in Würzburg eine Film- und eine Diskussionsveranstaltung organisieren, zu der mehr als 20 Gäste erschienen. Die beiden Räume dafür durfte ich dank unserer katholischen Hochschulgemeinde und unserer evangelischen Studentengemeinde kostenlos nutzen. Auch an einer vom Bündnis Grundeinkommen organisierten Konferenz, der BGE-Open, durfte ich teilnehmen und traf dort wieder auf viele interessante Menschen samt ihrer Projekte und Ideen.

Eine kleine Würzburger Gruppe von Verfechtern der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens organisiert regelmäßig Aktionen in der Innenstadt, bei der Fußgänger unter Zuhilfenahme einer „Bodenzeitung“ (siehe Link unten) auf die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens aufmerksam gemacht werden. In dieser Gruppe habe ich guten Anschluss gefunden und tolle Menschen kennengelernt. So auch einen ehemaligen Mitarbeiter eines industrienahen Zeitschriftenverlags, dessen medienkritische und geldpolitische Ansichten mich später noch intensiver begleiteten. Als wir mit unserer Bodenzeitung in der Fußgängerzone standen, kam er mit einem Buch über ein alternatives Geldsystem, von dem ich zuvor schon viel Positives gehört hatte, auf uns zu und fing begeistert an, sich mit uns auszutauschen.

Mir ist es schon mehrfach aufgefallen, dass Gespräche über das sensible Thema Geld hochdynamisch sind. So sprangen wir auch in dieser Begegnung sehr schnell von einem Thema zum nächsten. Ein Gespräch voller Überlegungen, die emotional hoch aufgeladen waren. Unsere Unterhaltung führte uns zum Thema Politik, vom Meinungsaustausch über politische Parteien wechselte das Gespräch auf das Thema Migration und vom Gedankenaustausch zu derzeit weltweit stattfindenden Migrationsbewegungen gelangten wir über den Islam zum Christentum. So entfaltete sich eine angeregte, fast zweistündige Konversation über Jesus, das Christentum und den Islam. Wir tauschten unsere E-Mail-Adressen aus und als ich ihn einige Zeit später kontaktierte, um ihn über eine bevorstehende Abendveranstaltung zu informieren, schickte er mir drei Links zu verschiedenen gefilmten Interviews: „Schau dir mal diese drei Videos an. Ich habe da was in den alternativen Medien gefunden …“ Eigentlich jedes seiner Videos, aber ganz besonders die dreistündige Videoaufzeichnung eines Interviews zwischen Ken Jebsen und Bernd Senf (siehe Link unten) fand ich sehr beeindruckend. Diese Videos waren für mich der Auftakt, mich näher mit machtpolitischen Schwierigkeiten bei der Umsetzung geldreformerischer Ideen zu beschäftigen.

Ein anderes Beispiel für eine interessante und prägende Begegnung mit einem faszinierenden Menschen entstand auf folgende Weise: Eine katholische Ordensschwester, die ich von einem Silvesterkurs im Kloster kenne, erzählte mir von ihrem Schwager, der genauso wie ich eine große Faszination für alternative Geldsysteme entwickelt hatte. Er sei sogar an der Gründung eines Forschungsinstituts mitbeteiligt gewesen, das sich ganz gezielt der Frage nach den unserem Geldsystem innewohnenden Problemen widmet. Manchmal sei er bis tief in die Nacht wach geblieben, wenn er noch etwas herausfinden oder austüfteln wollte.

Als ich ihn kontaktierte, um mich kurz vorzustellen und ihn darum zu bitten, etwas von seinem Wissen mit mir zu teilen, bekundete er seine Freude über mein Interesse und schickte mir eine Sammlung verschiedener Internetseiten. Er meinte, es handle sich dabei um seine favorisierten Informationsquellen, die ich gerne nutzen könne, wenn ich lernen will, wo die großen Probleme unserer Welt herkommen. Seiner E-Mail fügte er die Warnung hinzu, dass ein zu hoher Konsum der dort verbreiteten Informationen ungesund sei. Er selbst sei einmal depressiv geworden und hatte psychosomatische Gesundheitsstörungen von zu viel Erkenntnis und Problembewusstsein – aber das helfe nicht weiter, um die Welt zu ändern.

Später durfte ich diesen Menschen, ein Informatiker und Experte auf dem Gebiet der Kryptowährungen, auch persönlich kennenlernen. Er habe sich vor einiger Zeit einmal mit politischen Verschwörungstheorien auseinandergesetzt. Er habe vieles, was er damals über die heutige weltpolitische Situation zu hören bekam, für so widerwärtig gehalten, dass er es nicht glauben wollte. Also habe er damit begonnen, gründlich zu recherchieren – mit dem Ziel im Kopf, eine dieser gespenstischen Behauptungen zu falsifizieren. Blöderweise, so erzählte er mir, kam er zu dem Ergebnis, dass sein bisheriges eher naiv-optimistisches Bild von unserer heutigen weltpolitischen Situation falsch sein musste und dass manchen dieser schmerzhaften Theorien tatsächlich ein wahrer Kern innezuwohnen scheint. Diese Erkenntnis schlug sich wohl eine Zeit lang auf seine psychische Gesundheit nieder.

Das Gespräch mit ihm tat mir gut. Er ist ein begnadeter Musiker. Als er nach unserer Diskussion die Gitarre in die Hand nahm und zu singen begann, entstanden bei mir das Gefühl und der Eindruck, dass dieser Mensch mit seinem Scharfsinn und seinem politischen Wissen eine große Last auf seinen Schultern zu tragen scheint: Aus Wissen erwächst Verantwortung.

Ähnlich wie er hatte auch ich ein prägendes, wenn nicht ganz so gravierendes Erlebnis, das mir zumindest drei Tage lang Kopfzerbrechen und leichte Bauchschmerzen verursachte. Es war ein achtstündiges Gespräch bei einem Besuch bei einem Rentner, den ich über meine Begegnungen in geldsystemkritischen Kreisen kennenlernen durfte.

Eines scheint dem Thema Geldsystem innezuwohnen: Wenn man sich damit beschäftigt, stößt man wie von alleine irgendwann auf Menschen, deren sonderbare und aggressive politische Meinungen Unwohlsein verursachen. Wenn man sich mit der Architektur unseres Geldsystems und dessen historischer Entstehung ernsthaft auseinandersetzt, kommt man an machtpolitischen Überlegungen nicht vorbei. Mir scheint unser Geldsystem tatsächlich einer der dunkelsten Flecken unserer heutigen Demokratie zu sein: Den Tag hat es noch nicht gegeben, an dem sich reiche und arme Menschen an einen Tisch setzen, ehrlich über die Verteilung von Eigentum, Vermögen und Besitz diskutieren und einen Plan für ein faires Geldsystem entwerfen, von dem alle Menschen gleichermaßen profitieren – von der politischen Umsetzung ganz zu schweigen.

So waren es immer auch Einzelne mit ihren Ideen, Geschichten und Eigenarten, die mich auf meinem Weg der Beschäftigung mit dem Thema Geldsystem begleitet und motiviert haben.

Link zu meinem Projekt: https://sites.google.com/site/projektzeitschein
Bündnis Grundeinkommen: https://buendnis-grundeinkommen.de
Bodenzeitung: https://www.grundeinkommen.de/15/07/2014/aufmerksamkeit-durch-bodenzeitung.html
alternatives Geldsystem: https://gradido.net
Interviewgespräch zwischen Ken Jebsen und Bernd Senf: https://kenfm.de/bernd-senf
Buchempfehlung: „Schulden: Die ersten 5000 Jahre“ von David Graeber