Schlagwortarchiv für: Solidarität

Dieser Essay von Fabiana Fondevila ist Teil der Anthologie “Frieden mit der Natur – 19 Annäherungen”, die kürzlich zum 40-jährigen Bestehen des Verlags NEUE ERDE erschien. Alle Texte gehen davon aus, dass es unter den Menschen erst Frieden geben wird, wenn wir als Menschheit Frieden schließen mit der Natur.

Fabiana beschreibt, wie sehr ein Besuch in den Regenwäldern Costa Ricas ihre Naturwahrnehmung verstärkt und vertieft hat: “Um genau zu sein, hatte der Dschungel die Lautstärke eines inneren Dialogs erhöht, den ich schon mein ganzes Leben lang führe.” Über die Biophilie, die Liebe zum Leben, führen ihre Gedanken zur Biopraxis, …”egal, wo wir leben – in der üppigen Wildnis des Dschungels oder auf einer belebten Straße in der Stadt – wir können uns selbst zu Lebensaktivisten erheben und unsere eigene Agenda festlegen”.

Zum Essay “Von Verwaltern des Lebens zu Lebensaktivisten”.
(Alle bereits online stehenden Essays findest du unter https://www.ökoligenta.de/category/frieden-mit-der-natur.)

Lohnenswert für alle, die erfahren möchten, wie wir gemeinsam die Erde transformieren können, ist der kostenfreie Online-Kongress “Frieden mit der Natur – Gemeinsam für eine Neue Erde” am 25.10.2024

 

Eine wirkungsvolle Abwendung der Klimakrise und des Artensterbens ist mit den bestehenden juristischen und politischen Möglichkeiten unerreichbar. Wälder, Flüsse, Tierarten sowie ganze Ökosysteme sollten Rechtspersonen sein, die juristisch in eigenem Namen auftreten und Klage führen können.

Jedoch sind der bedrohte Schweinswal in der Ostsee oder die ausbleibenden Wildbienen im Schwarzwald vor Gericht bis heute nur eine Sache, die keine eigenen Rechte hat. Weil nur Menschen Rechte haben können? Wieso ist dann ein Kapitalunternehmen eine Rechtsperson, aber ein Wald mit seiner lebendigen Vielfalt und seiner Bedeutung für uns Menschen oder für denkende Wesen wie Wal, Hund oder Schimpanse jedoch nicht? Eine Tierart oder ein Ökosystem erfüllen nicht nur „Dienstleistungen“ für den Menschen, sie haben einen Wert und sogar eine Würde an sich. Dennoch unterliegen sie regelmäßig einseitigen menschlichen Interessen; ob die Alpentäler, der Vogel des Jahres, der Amazonas, Korallenriffe… es scheint heute absurd, dass sie ihr Recht auf Leben juristisch nicht einfordern können.

Unterstütze die Forderung “Die Rechte der Natur anerkennen und durchsetzen” des Netzwerkes Rechte der Natur auf ABSTIMMUNG21 [dort zuerst anmelden, dann den Button “Hier kommen Sie zur Themenwahl” anklicken und im Suchfeld unter “Themenvorschläge” eingeben: “Rechte der Natur”| Alternativ: Diesen Dateipfad in den Browser eingeben: www.abstimmung21-mitmachen.de/proposals/163-die-rechte-der-natur-anerkennen-und-durchsetzen]

ABSTIMMUNG21 organisiert bundesweite Volksabstimmungen zu brennenden Fragen der Zeit einfach selbst – bis Abstimmungen auf Bundesebene gesetzlich verankert sind.

Weitere Informationen über das Netzwerk Rechte der Natur und der Forderung finden Sie auch unter www.rechte-der-natur.de sowie auf der Seite von Abstimmung21 im obenstehenden Link.

Und in den sozialen Medien:
FACEBOOK: www.facebook.com/netzwerk.rechtedernatur
INSTAGRAM: www.instagram.com/rechtedernatur
LINKEDIN: www.linkedin.com/in/rechtedernatur
X: www.x.com/DerNatur83338

Als politischer Dissident in der Tschechoslowakei machte sich Václav Havel eine scharfe strategische Erkenntnis zu eigen, die ihm sein Kollege Václav Benda vermittelt hatte. Wie kann man die Menschenwürde und die politische Handlungsfähigkeit für ernsthafte Veränderungen fördern, während man „innerhalb der Lüge“ eines totalisierenden politischen Systems lebt – in seinem Fall des kommunistischen Staates?

Havel beklagte „die irrationale Eigendynamik der anonymen, unpersönlichen und unmenschlichen Macht“ und argumentierte, dass die Menschen eine parallele Polis schaffen müssten. Da Havel das Engagement der Bürger gegenüber dem Staat als vergeblich oder enttäuschend bescheiden ansah, plädierte er für die Schaffung von „informierten, unbürokratischen, dynamischen und offenen Gemeinschaften“.

Diese wurden als Ausweg aus der Sackgasse betrachtet, da sie als eine Art entstehende Parallelwirtschaft und präfigurative Gesellschaftsordnung fungieren könnten. Eine parallele Polis könnte einen Raum bieten, in dem gewöhnliche Menschen, die von einem unterdrückerischen System bedrängt werden, moralisches Handeln und Wahrheit geltend machen können.

Sie könnten ihr Engagement für soziale Solidarität trotz eines äußerst feindseligen Umfelds in die Tat umsetzen. Schon der Prozess des Aufbaus einer parallelen Polis könnte dazu beitragen, Vertrauen, Offenheit, Verantwortung, Solidarität und Liebe im öffentlichen Leben wiederherzustellen.

Ich glaube, dass das Bestreben, ein Commonsverse aufzubauen – ein stückweises, noch im Entstehen begriffenes Unterfangen –, dem Bestreben ähnelt, eine parallele Polis aufzubauen. Es geht darum, gesunde Werte und verschiedene Arten des Seins, des Wissens und des Handelns zu ehren.

Da wir innerhalb der Normen und Institutionen der kapitalistischen politischen Ökonomie auf globaler Ebene leben, bietet das Commoning den Menschen Möglichkeiten, ein gewisses Maß an Selbstbestimmung und Autonomie gegenüber den kapitalistischen Märkten und der staatlichen Macht zu behaupten.

Von Gleichgesinnten betriebene, sozial konviviale Modelle der Versorgung und Verwaltung bieten wichtige „sichere Räume“ für die Entfaltung einer gesünderen kulturellen Ethik jenseits von transaktionalem Individualismus, materiellem Eigeninteresse und Kapitalakkumulation.

Obwohl Commoning nicht direkt politisch ist – es konzentriert sich in der Regel mehr auf die Befriedigung spezifischer existenzieller Bedürfnisse und den Schutz gemeinsamen Reichtums (Land, Wasser, Softwarecode, kreative Werke) -, läuft es häufig auf eine indirekte Form politischen Handelns hinaus.

Die Existenz von Allmendegütern ist oft ein stiller moralischer Vorwurf an das herrschende System. Sie bekräftigt, dass andere, sozial konstruktivere Wege der Bedürfnisbefriedigung möglich sind. Sie macht eine organisierte Gruppe von Menschen mit strukturell ehrgeizigen Zielen sichtbar.

Der Commons-Diskurs, wie er von verschiedenen transnationalen Netzwerken des Commoning propagiert wird, lenkt unsere Aufmerksamkeit auf neuartige praktische Lösungen.

Der Aufstieg der Open-Source-Software in den späten 1990er Jahren ist trotz ihrer winzigen Größe und des Fehlens konventioneller Finanzmittel ein solches Beispiel. Open Source (oder genauer gesagt sein Vorläufer „freie Software“3) stellte eine ernsthafte moralische und marktwirtschaftliche Herausforderung für die Vorherrschaft von Microsoft dar, die schließlich ein robustes neues Paradigma der offenen und gemeinschaftlichen Softwareentwicklung hervorbrachte.

In ähnlicher Weise provozierte der Aufstieg lokaler ökologischer Lebensmittelsysteme in den 1980er und 1990er Jahren eindringliche Fragen zu den Pathologien des industriellen Lebensmittelsystems, wie z. B. dessen Abhängigkeit von Monokulturen, Pestiziden und gentechnisch verändertem Saatgut sowie von Praktiken, die den fruchtbaren Boden ausbeuten.

Im Laufe der Zeit hat diese einheimische, lokal ausgerichtete Bewegung die Agrarökologie, die Permakultur, die gemeinschaftsgestützte Landwirtschaft und die Slow-Food-Bewegung hervorgebracht.

Diese Bemühungen zielen alle darauf ab, den gemeinsamen Reichtum (Land, Lebensmittel, Code) mit Sorgfalt und ganzheitlicher Aufmerksamkeit zu verwalten. Sie versuchen, dem Reichtum seinen Warencharakter zu nehmen, um seine Unabhängigkeit von der Finanzwirtschaft und den kapitalgesteuerten Märkten zu gewährleisten.

Sie wollen die Menschen in die Lage versetzen, ihre eigenen Versorgungssysteme zu verwalten, wobei sie den Schwerpunkt auf Zugang, Transparenz und Fairness legen.

Heute trägt das Commonsverse diese Agenda in einem breiteren Rahmen in viele weitere Bereiche des Wandels. Die Commons werfen nicht nur tiefgreifende Fragen zur Markt-/Staatsordnung und zum neoliberalen Kapitalismus in verschiedenen Bereichen auf (Landwirtschaft, Städte, Cyberspace, Wälder, Wasser, Ozeane), sondern bieten auch eine Vision und ein Arsenal an Instrumenten für den Aufbau funktionierender Alternativen.

Zeitgenössisches Commoning ist bedeutsam, weil es sich auf einer zellulären Ebene der Kultur, vor Ort, in den Herzen und Köpfen der Menschen entfaltet. Es dient als Raum, in dem die Bestrebungen und die Vorstellungskraft der Menschen angeregt werden und sich ihre Subjektivität und kulturellen Zugehörigkeiten verändern.

Manuela Zechners Bericht über selbstverwaltete Nachbarschaftsräume in Barcelona weist auf „radikalere, kontinuierliche und kollektive Modalitäten der Beteiligung“ hin, als die Stadtverwaltung im Allgemeinen fördert oder zulässt.

Unter der Stadtverwaltung von Barcelona en Comú sind autonome Nachbarschaftsgruppen nun berechtigt, ihre eigenen Projekte (Gebäude, soziale Dienste, Informationsbeschaffung) mit Unterstützung der Stadt und rechtlicher Anerkennung zu verwalten. Aktivistengruppen und Bürgervereinigungen verwalten auch La Borda, eine große Wohnungsbaugenossenschaft, die Konzertsäle, Werkstätten, ein Bibliotheksarchiv, eine Bar und ein Unterstützungszentrum als Gemeingüter verwaltet.

Durch diese Übertragung von Befugnissen und Verantwortung werden nicht nur die materiellen oder politischen Bedürfnisse der Menschen befriedigt, sondern auch ihre kreative Handlungsfähigkeit, ihr Gefühl der Kontrolle, ihre Würde und ihre kulturellen Bereiche in einer Weise gestärkt, die von der herkömmlichen Politik und Bürokratie oft ignoriert wird.

Wie solche Beispiele zeigen, kann Commoning eine wichtige Quelle für soziale Innovation sein. Die engen „politisch-ontologischen Grundlagen“ der neoliberalen Institutionen sind genau das, was sie daran hindert, kreative Energien, soziale Zusammenarbeit und Bürgerinitiative zu mobilisieren.

Staatliche Institutionen neigen dazu, einen strikten Instrumentalismus, quantitative Messgrößen und marktorientierte Interventionen zu bevorzugen, was erklärt, warum sie so viele „Projekte mit leerem Herzen“ hervorbringen … „Präfigurative Initiativen“ wie das Commoning „bleiben unterhalb des Radars der Anerkennung und Unterstützung“.

Gibt es einen konstruktiven Weg, diese Schwierigkeiten zu überwinden? Koen P.R. Bartels plädiert für die Entwicklung von „relationalen Ökosystemen“ der Allmende als einen Weg, der neoliberale Institutionen von ihren eigenen hegemonialen Vorurteilen befreien könnte.

Durch die Förderung von Gemeingütern könnte der Staat damit beginnen, die tatsächlichen Gefühle, Erfahrungen, Talente und Bestrebungen der Menschen zu ihren eigenen Bedingungen anzuerkennen, und auf diese Weise dazu beitragen, konstruktive soziale Innovationen anzuregen.

Die große Herausforderung könnte darin bestehen, die Beziehungsdynamik des Commoning als konstruktive soziale Kraft besser sichtbar zu machen. Catherine Durose und ihre Mitautoren bieten einige ausgezeichnete Vorschläge an, beginnend mit der Notwendigkeit, „die Mikropraktiken des Commoning besser zu verstehen“ und „wie lokale Akteure zur urbanen Transformation beitragen können“.

Wie in den obigen Beispielen sind auch hier die Mikropraktiken und das Gefühlsleben des Commoning für Sozialwissenschaftler, Politiker und Regierungsbeamte oft unergründlich. Sie erkennen in der Regel nicht, dass Praxisgemeinschaften ein sehr nuanciertes, realistisches und sogar tiefgreifendes Verständnis ihrer Probleme und möglichen Lösungen haben können.

Das Problem ist, dass ihr Erfahrungswissen, das nicht theoretisch ist und nicht von Experten stammt, oft als unzureichend fachkundig, zu quantitativ oder nicht mit den Verwaltungssystemen kongruent abgetan wird.

Die tatsächlichen Befugnisse des Commoning werden in der Theorie nicht anerkannt und sind daher eher unsichtbar. Wir täten gut daran, uns an Elinor Ostroms trockene Feststellung zu erinnern, dass „ein Ressourcenarrangement, das in der Praxis funktioniert, auch in der Theorie funktionieren kann“.

Um die Entwicklung geeigneterer „Theorien“ über Gemeingüter zu beschleunigen, machen Durose et al. einen wertvollen Vorschlag, indem sie zu einem „größeren systemischen Vergleich“ von Gemeingüterpraktiken aufrufen, zusammen mit einer besseren fortlaufenden Interpretation der Feldarbeit, die dabei zutage tritt.

Eine neue Sichtbarkeit von Commons-Projekten, von Fall zu Fall, wird mit der Zeit die Theorien und den Diskurs über das Commoning stärken. Der Aufruf von Durose et al. zu einem „Wissensmyzel“ ist zeitgemäß und wichtig. Ein kollaboratives Netzwerk zur Angleichung des Wissens über Commoning in Praxis und Theorie würde das Commonsverse sicherlich sichtbarer machen.

Es würde auch dazu beitragen, die blinden Flecken in der Wahrnehmung neoliberaler Institutionen und Politik aufzudecken und neue Perspektiven für Untersuchungen und Innovationen in der öffentlichen Verwaltung zu eröffnen.

Für den Moment möchte ich nur den grundlegenden Punkt unterstreichen, dass jegliche Veränderungen im demokratischen Gemeinwesen und in der Politik auf der Mikroebene der alltäglichen Praxis und Kultur ansetzen müssen. Dies ist eine der wichtigsten Lehren aus den Occupy-Lagern im Jahr 2011, den Protesten auf öffentlichen Plätzen in Ägypten, Tunesien und der Türkei sowie der wachsenden Klimaschutzbewegung.

Es wird immer wichtiger zu erkennen, dass politischer Wandel nicht ohne persönliche, erfahrungsbasierte Bewusstseinsveränderungen stattfinden wird.

Wie Manuela Zechner darlegt, führen mikropolitische Bestrebungen zu neuen Weltanschauungen, und diese persönlichen Veränderungen verzweigen sich im Laufe der Zeit nach außen und finden ihren Ausdruck auf der Makroebene der Gesellschaft – im Recht, im institutionellen Leben und in der Konfiguration der staatlichen Macht.

Commoning dient bereits als Vehikel für größere gesellschaftliche Veränderungen, wie sie in sozialen Vereinigungen zu beobachten sind, die normalerweise nicht miteinander verbunden sind:

  • Nachbarschaften und Netzwerke gegenseitiger Hilfe, Online-Communities und Open-Source-Design- und Produktionsnetzwerke („kosmolokale Produktion“);
  • agrarökologische Projekte und gemeinschaftliche Landtreuhänderschaften; Komplementärwährungen und gegenseitige Kreditsysteme;
  • digitale autonome Organisationen und Plattform-Kooperativen;
  • das „Engagement-Pooling“ indigener Völker
  • und von Hacker-Gemeinschaften geschaffene Online-Infrastrukturen.

Diese kooperativen Sozialformen, die auf den unterschiedlichsten Schauplätzen agieren, verändern die Alltagssubjektivität der Menschen und damit auch ihre Vorstellungen von sozialem und politischem Wandel.

In diesem Sinne entfalten sich vor unseren Augen bereits neue Formen demokratischer Möglichkeiten…

[Originalartikel: What might a parallel polis feel like? David Bollier’s idea of a “commonsverse” – a world in which commons are viable & valued – could tell us]

Vielen Bürgern ist nicht bewusst, welche enormen Treibhausgas-Einsparungen notwendig wären, um die Erderwärmung zumindest auf ein akzeptables Maß zu begrenzen. In Deutschland liegt der durchschnittliche CO2 Pro-Kopf-Verbrauch bei ca. 10 Tonnen im Jahr. Tatsächlich müsste der Verbrauch weniger als 2 Tonnen betragen, d.h. der Energieverbrauch jedes Einzelnen von uns müsste um ca. 80 Prozent sinken.

Was lässt sich also tun?

Politik, Industrie, Gesellschaft – oder die Diffusion von Verantwortung

 

Die Politik kann es nicht richten, die Industrie will es nicht richten, und wir Bürger sehen uns vor einer unlösbaren Aufgabe aufgrund der Größe des Problems.

 

Warum ist dies so?

Von Seiten der Politik betrachtet:

Wer wiedergewählt werden will, ist auf Massenzustimmung der Bevölkerung angewiesen. Verbote und Zwänge finden deshalb keine gesellschaftliche Mehrheit. Außerdem sind Wirtschaft und Politik eng miteinander verflochten. Eine Regierung ist ferner massiv von einer gut funktionierenden Wirtschaft abhängig, die keine zusätzlichen Aufwände für Klimaschutz will. Politik ist in Sachzwängen verhaftet und unterstützt vornehmlich ihre wirkmächtigste Klientel. Wirklich wirkungsvolle Maßnahmen gegen den Klimawandel bedeuten politischen Selbstmord.

Von Seiten der Industrie betrachtet:

Das primäre Ziel der Industrie ist Wachstum und Profit, nicht Klimaschutz. Ein Umbau der Produktion, hin zu klimafreundlichen Prozessen bedeutet zunächst Investitionen, die die Wettbewerbsfähigkeit negativ (z.B. gegenüber den USA und China) beeinflussen. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor: Inwieweit sind die Konsumenten gewillt, für echte CO2-freie Produkte einen höheren Preis zu akzeptieren.
Die mit Erdöl und Erdgas arbeitende Industrie wird zurzeit doppelt gefördert:

  • Sie muss für die Folgekosten der verursachten Schäden nicht bezahlen
  • Sie erhält umfangreiche Subventionen

Welche Unternehmen würden freiwillig unwirtschaftliche Entscheidungen treffen und dadurch einen Wettbewerbsnachteil riskieren?

Welche Rolle spielen wir Konsumenten?

Betreffen die erforderlichen Klimaschutz-Maßnahmen die persönliche Komfortzone (oder den eigenen Geldbeutel), nimmt die Akzeptanz für Klimaschutzmaßnahmen dramatisch ab. Zudem ist der Einfluss des Einzelnen sehr begrenzt, und führt daher schnell zur Resignation. Auch der Effekt der Abnutzung spielt eine Rolle. Immer wiederkehrenden Katastrophenmeldungen führen zu einer Gewöhnung, und irgendwann hört man nicht mehr zu. Darüber hinaus schmelzen die Gletscher ja nicht in unseren Vorgärten und die untergehenden Inseln in der Karibik sind weit weg. Doch ist die Umwelt- und Klimakrise die zentrale Bedrohung des künftigen Wohlstands. Vom Wegschauen hat sich aber noch selten ein Problem gelöst. Ebenso wenig hilft Wunschdenken weiter à la: Der Markt wird schon die richtigen Technologien zur Lösung der Erderwärmung entwickeln. Neue Techniken tauchen nicht einfach aus dem Nichts auf, um dann zeitgerecht unsere Probleme zu lösen.

Ein möglicher Gamechanger in der Klimapolitik

Unterschiedlichste Zielkonflikte, ökologisches Bewusstsein und ökonomische Zwänge, Eigennutz und Moral sowie die Unschärfe gesellschaftlicher Verantwortung bilden einen Teufelskreis. Klimaschutz darf daher nicht der Freiwilligkeit des Einzelnen, der Industrie oder den Regierungen von Staaten überlassen werden.

Eine Lösung des Problems ist nur denkbar, wenn marktwirtschaftliche Gesetze im Einklang mit ökologischer Nachhaltigkeit funktionieren. Möglich wird dies durch ein System, das nach dem Verursacherprinzip die kleinste Einheit am Markt berücksichtigt, nämlich den Konsumenten. Denn er hat eine enorme Steuerungswirkung auf die Produktionsprozesse der Industrie. Ein solches System könnte mittels eines ökologischen Grundeinkommens die Macht und das Steuerungspotential für Klimaschutz komplett in die Verantwortung aller Bürger legen – mehr dazu am Ende des Artikels.

Wir leben alle innerhalb desselben Systemdesigns, das den gegenwärtigen Zustand unserer Mitwelt ermöglichte. Deshalb müssen wir als Gesellschaft auch wieder gemeinsam aus der Krise herausfinden, und zwar ohne jemanden dabei abzuhängen. Die Frage nach mehr oder weniger Schuld hilft dabei nicht weiter. Wir müssen die generellen Spielregeln ändern. Dazu braucht es einen Paradigmenwechsel – einen systemischen Ansatz, der all die teils sehr unterschiedlichen Lebensrealitäten, individuellen Konsumpräferenzen und Interessenkonflikte der Menschen berücksichtigt, und nur so weit regulierend eingreift, wie absolut unerlässlich ist.

Zu schaffen ist ein Modell ökologischer Leitplanken, in dem jeder Bürger mittels persönlicher Emissionsbudgets selbst darüber entscheiden kann, wie er Klimaschutz in sein Leben integriert – und nicht ob. Und überdies ein Maximum an persönlicher Konsumentscheidungsfreiheit ermöglicht, allerdings innerhalb ganz klar gesteckter ökologischer Grenzen für alle. Ein solches Konzept entbindet die Politik von der Notwendigkeit, kleinteilige und oft unpopuläre ordnungsrechtliche Maßnahmen erlassen, umsetzen und kontrollieren zu müssen

Emissionsminderung – „too little and too late“

Mit den gängigen Werkzeugen EU-Emissionshandel und CO2-Steuer werden wir das Klimaziel voraussichtlich verfehlen. Die Wunschvorstellung, über Geldpreissignale die erforderlichen Verhaltensänderungen bei den Konsumenten zu bewirken, ist krachend gescheitert. Das was durch die enormen Preissteigerungen an den Tankstellen und beim Heizen tatsächlich an Emissionen eingespart wurde, bewegt sich leider nur im einstelligen Prozentbereich. Wie sollte es auch über Verteuerungen funktionieren können?! Schließlich stehen uns Verbrauchern nicht annähernd in ausreichendem Maße klimaneutrale Konsum- und Mobilitätsalternativen zur Verfügung.
Darüber hinaus ist der Weg, Klimapolitik über Konsumverteuerung zu gestalten, aus verschiedenen weiteren Gründen nicht zielführend. Zum einen unterliegt man der irrigen Annahme, dass ein höherer Preis automatisch auch in gleichem Maße die Nachfrage reduziert. Die Lenkungswirkung eines höheren Geldpreises ist unzureichend, weil es den Effekt der Preiselastizität gibt. Nach den eisernen Gesetzen des Marktes führt normalerweise ein Ansteigen des Preises zu einer verringerten Nachfrage – jedoch bei weitem nicht in gleichem Maße. Die Bürger zahlen die Aufschläge zwar widerwillig, aber sie zahlen sie – notgedrungen. Deshalb trifft es auch beim Klima nicht zu, dass sich durch Verteuerungsmaßnahmen die (Über)Nutzung der Atmosphäre mit klimaschädlichen Gasen in ausreichendem Umfang verringern, geschweige denn limitieren ließe. Denn ein jeder kann grundsätzlich nach wie vor unbegrenzt emittieren, einzig die Kosten dafür erhöhen sich. Es fehlt eine konkrete Verknappung der Emissionen durch Budgetierung!

Warum man die Klimakrise nicht innerhalb des Geldsystems lösen kann

Unser herkömmliches Geld alleine ist ungeeignet, die Belastung der Ökosysteme durch unseren Konsum transparent abzubilden. Denn es gibt viele Produkte in unserer modernen Konsumgesellschaft, die zwar ökonomisch sehr günstig herzustellen sind, und folglich auch billig verkauft werden, deren Herstellung oder Betrieb aber mit hohen Umweltkosten verbunden sind. Solange unsere Konsumgüter nicht generell klimaneutral produziert werden, veranschaulicht die vereinfachte Gleichung „mehr Geld = mehr Emissionen“ die allgegenwärtige Klima- bzw. Emissionsungerechtigkeit zwischen Arm und Reich. Dennoch nutzen Verteuerungen im Kampf gegen den Klimawandel wenig. Denn eingespartes Geld an der einen Stelle wird in der Regel an anderer Stelle wieder ausgegeben – z.B. für einen zusätzlichen Urlaub (Rebound-Effekt). Auch deshalb ist es unerlässlich, wirksamen Klimaschutz bzw. unsere konsumbedingten Emissionen vom Geldsystem abzukoppeln – beispielsweise durch eine komplementäre Klimawährung!

Nationalstaatliche Interessen mit globalen Notwendigkeiten vereinbaren

Die Umweltbelastungen drastisch zu reduzieren um planetare Grenzen einzuhalten, ist keine Wahlmöglichkeit, sondern eine zwingende Notwendigkeit. Es braucht also ein Modell, das nationalstaatliche Interessen mit globalen Notwendigkeiten vereinbaren kann. Eine wirkungsvolle und zugleich sozial-gerechte Alternative könnte ein Vorschlag der NGO SaveClimate.Earth sein. Deren Lösungsvorschlag besteht darin, ein konsequent verursacherbasiertes System auf Konsumentenebe zu etablieren. Persönliche handelbare CO2-Budgets und das daraus resultierende veränderte Kaufverhalten baut den notwendigen Veränderungsdruck auf die Wirtschaft auf, ihre Produktionsprozesse immer nachhaltiger zu gestalten, denn die Industrie produziert das, was wir mit unseren begrenzten Budgets kaufen (können). Ein solches System erlaubt uns, auf ökologische Herausforderungen zügig und angemessen zu reagieren.

Wir brauchen einen Paradigmenwechsel …

  • der Treibhausgase im Zusammenhang mit unserem Konsum zugleich lückenlos erfasst, transparent abbildet, und gerecht abrechnet
  • hin zu einem System, bei dem der Einzelne frei über sein Konsumverhalten entscheiden kann, allerdings innerhalb klar gesteckter Grenzen für alle
  • der ein punktgenaues und flexibles Erreichen des Klimaziels garantiert
    hin zu einem Modell, das administrativ relativ unaufwändig ist, und darüber hinaus zur Verringerung der sozialen Ungleichheit beiträgt
  • weg von Maßnahmen die überwiegend auf Verteuerung bzw. Einschränkung und Verzicht setzen, überwiegend einkommensschwächere Haushalte überproportional betreffen, und die inländische emissionsintensive Industrie ins Ausland vertreiben, wo weniger strenge Umweltauflagen gelten
  • weg von kleinteiligen oft unpopulären Maßnahmen, hin zu persönlichen handelbaren Emissionsbudgets

 

Die politischen Debatten über Regelungen bis ins kleinste Detail könnten entfallen, da die Konsumenten durch ihre Kaufentscheidungen, auf Basis günstigerer ökologischer Preise, die notwendigen Transformationsprozesse in der Wirtschaft auslösen und unterstützen.
Denn durch den marktwirtschaftlichen Ansatz einer vom Geldsystem entkoppelten Klimawährung kommen automatisch die am besten geeigneten Methoden bzw. Techniken zur Anwendung, die mit dem geringsten Aufwand die beste Emissionsreduktion bewirken. Und dies ohne die Notwendigkeit zusätzlicher Verteuerungen bzw. staatlicher oder ordnungsrechtlicher Interventionen.

 

Die NGO SaveClimate.Earth, Organisation für nachhaltige Ökonomie, hat zu handelbaren persönlichen Emissionsbudgets ein Konzept ausgearbeitet, das Initial auf EU-Ebene eingeführt werden könnte.

 

Es gibt Antworten darauf,

  • wieso ein Emissionshandel auf Bürger-Ebene dem Zertifikatehandel der Industrie und der CO2-Steuer überlegen ist.
  • wie persönliche handelbare Emissionsbudgets der effektive und sozial-gerechte Gegenentwurf zu allen aktuellen Maßnahmen sein könnten und wir so ein festgelegtes Emissionsziel garantiert einhalten können.
  • wie die Etablierung einer komplementären Ressourcenwährung ECO (Earth Carbon Obligation) als globales CO2-Äquivalent aussehen könnte.
  • wie die monatliche Auszahlung des ECO als ökologisches Grundeinkommen in Form eines persönlichen handelbaren CO2-Budgets funktioniert.
  • wie ein separates Emissionspreisschild in der Klimawährung ECO dafür sorgt, dass die Klimaschädlichkeit von Produkten miteinander vergleichbar wird.
  • wie wir unseren individuellen CO2-Konsum über ein eigenes Klimakonto bezahlen könnten.

 

 

Das Buch zum Konzept der Klimawährung ECO ist im Oekom Verlag erschienen und kann kostenlos als E-Book heruntergeladen werden.

 

 

 

Manchmal, wenn ich ganz allein bin mit mir in der Natur – und das können Augenblicke sein –, empfinde ich eine so herzliche Verwandtschaft mit dem Leben um mich, dass ich es umarmen möchte, wie man das eben mit Freunden tut. Dann kann ich schon mal meine Brust an einen Baumstamm drücken und mein Anderssein vergessen, aber dann kommt das Schlimme: Eine Scham steigt in mir auf. Wie kann ich als Erwachsener, als Mensch, einen Baum umarmen! Ist das nicht kitschig?

Zwei schwierige Fragen

Nein, ist es nicht, im Gegenteil. Kitsch ist das Nachgemachte, Unechte. Im Gefühl der Verbundenheit mit der Natur flammt die Erkenntnis auf, dass aus ihr die Quelle unserer Existenz entspringt. Letztlich müsste der Aufruf lauten: Nicht zurück zur, sondern zurück in die Natur! Nur: Wie kann man an einen Ort zurückkehren, an dem man sich ohnehin befindet?

Nötig ist die Forderung „Zurück in die Natur“ geworden, weil wir uns schon vor Jahrhunderten von der Natur verabschiedet haben, auf dass wir sie uns nach Belieben unterwerfen können. Aber kann man etwas unterwerfen, das man selbst ist? Ja, offenbar kann man das; es gelingt, indem man sich geistig-seelisch zweiteilt, eine innerpsychische, kulturelle Schizophrenie herstellt, „die Natur“ als das Fremde abspaltet – und modern wird.

Was wäre ein Fluss ohne Mündung?

„Zurück in die Natur“ bedeutet, die Perspektive wechseln: Nicht die Natur ist für mich da, sondern ich bin für die Natur da oder, noch richtiger für mich: Wir sind einander geschenkt. Ob ich es will und begreife oder nicht, ich reihe mich ein in Ebbe und Flut der Nahrungsketten, liefere meine Moleküle ab an der großen Theke des Lebens zur weiteren Verwendung. In die Natur zurückzukehren, wäre gleichsam das Ende der Besserwisserei, das Ende einer westlichen Haltung, die besagt: „Natur, schön und gut, aber wir können es besser.“ „Zurück in die Natur“ wäre der Weg vom homo arrogans zum homo sapiens.

„Zurück in die Natur“ bedeutet auch, den Tod nicht mehr als Ende, als die Verneinung des Lebens zu verstehen, sondern als die Mündung des Flusses, die uns ins Meer entlässt. Es ist zwar richtig, dass es nach der Mündung keinen Fluss mehr gibt, aber was wäre der Sinn eines Flusses ohne Mündung? Und auch: Was wäre ein Meer ohne Flüsse?

Wir brauchen kein Jenseits

Was ist Seele? So unterschiedlich die Definitionen dafür ausfallen, als Trägerin unserer Lebendigkeit scheint sie uns eine Selbstverständlichkeit. Wer seine Seele aushaucht, der ist nicht mehr, was er zuvor war. Hat denn nicht alles Lebendige Seele, von der Amöbe bis zum Menschen, von der Alge bis zur Rebe? Kann denn ein Lebewesen unbeseelt sein oder umgekehrt: Kann etwas Seelenloses sterben? Niemand käme auf die Idee, von einem gestorbenen Auto zu sprechen oder einer gestorbenen Spülmaschine. Sie sind „kaputt“.

Sind Körper und Seele nicht eins, statt, wie uns weisgemacht wird, gespalten zu sein? Ist nicht die Trennung von Körper und Seele eine Hilfskonstruktion zunächst der monotheistischen Religionen und später des Materialismus, der ohne Seele auszukommen glaubt? Ist ein seelenloses Biotop vorstellbar? Ist das kein Widerspruch in sich? Und sind nicht auch das Wasser dort, die Binsen und Mückenlarven, die Frösche und der Reiher, das Holz und die Steine Teil eines komplexen Ganzen? Nichts davon ist ein beliebig austauschbares „Ding“, sondern Mitgewachsenes und Zugehöriges, aus der Zeit Geborenes. Ist es nicht so, dass es in der Natur nur Ganzes gibt, und wenn wir Teil der Natur sind, dann sind auch wir unteilbar ganz. Wir benötigen kein Jenseits dafür. In einer ungetrennt beseelten Welt können wir uns auch ohne Transzendenz aufgehoben und weitergetragen fühlen.

Essbar sein

Wenn wir also „zurück in die Natur“ wollen – kommst du mit? –, dann verlassen wir die anatomische Perspektive, steigen vom hohen Ross bzw. westlichen Elfenbeinturm und lassen uns überwältigen, öffnen uns für die Schönheit, aber auch für den Tod und das Endliche, die die Grundlage sind für die Vielfalt und überwältigende Fülle des Seins. Dann sind wir bereit, unser nach Sicherheit, Distanz und Dominanz strebendes Ich preiszugeben, um ein neues, integres, weil integrales Ich zu entdecken im Kontakt mit der Welt, die wir sind. Der Hamburger Biologe und Philosoph Andreas Weber geht noch einen Schritt weiter und spricht davon, „essbar zu sein“. Sich nach Unsterblichkeit zu sehnen, sagt er, sei eine „ökologische Todsünde“. Särge sind unser letzter Trennungsversuch, im Sarg sind wir noch nicht essbar für die Würmerwelt, zögern wir unsere Essbarkeit noch ein wenig hinaus; als Asche in der freien Natur wären wir hingegen essbar in einer quasi vorverdauten Form. In der Erkenntnis unserer Essbarkeit vereinigen sich Mystik und Biologie.

Wo endet die Innenwelt?

In die Natur zurückzukehren, heißt anzuerkennen, dass auch unsere Geschwisterwesen eine Innenwelt besitzen, dass sie die Welt subjektiv wahrnehmen, so wie wir auch. Letztlich weiß jeder um die Innenwelt allen Lebens, und einen Schritt weitergedacht: dass eine Wechselbeziehung zwischen Innen- und Außenwelt existiert. Alles fühlt, will heil und gesund sein, kann froh sein oder leiden, alles nimmt wahr, nur nicht unbedingt so wie „wir Menschen“. Aber wer ist schon „wir“? Du als Leserin fühlst anders als ich, die Innenwelt jedes Menschen unterscheidet sich von der des anderen; das ist unsere alltägliche Erfahrung. Und falls du einen Hund hast oder eine Katze, dann trifft das auch auf sie zu, nicht wahr? Letztlich gibt es dieses „wir“ gar nicht, diesen statistischen Querschnitt des Innenlebens aller Menschen, sehr wohl jedoch deine und meine Innenwelt und die aller anderen. So erhebt sich die Frage: Bei welchen Lebewesen, bei welcher Art endet die Innenwelt? Haben nur Lebewesen mit einem dem Menschen ähnelnden Nervensystem eine Innenwelt? Welche Innenwelt haben Vögel, Fische, Schlangen, Insekten, Pflanzen? Andreas Weber konnte unter dem Mikroskop beobachten, wie sich Einzeller furchtsam vor dem tödlichen Tropfen Alkohol auf dem Glas unter der Linse zurückzogen. Wollen schon Einzeller leben? Alles spricht dafür. Nicht nur wir blicken auf unsere Mitwelt, sie blickt auch zurück – und vermutlich vom Menschen dauertraumatisiert.

Radikale Wechselseitigkeit statt Romantik

Wenn wir einen Apfel essen, dann wird er zu einem Teil unseres Körpers; mit anderen Worten: Ein Teil eines Apfelbaums verwandelt sich in dich oder mich. Der Gedanke mag zunächst verblüffend erscheinen, und doch handelt es sich bei diesem Vorgang um den Normalzustand in der Natur und gilt sogar für die Steine, auch wenn deren Verwandlungsprozess hin zum Mineral und damit zum Pflanzennährstoff länger dauert als bei anderen Wesen. Nichts ist auf der Erdoberfläche, das nicht in den großen Stoffwechsel einbezogen wäre, und wer weiß: Vielleicht ist unser Planet ja ein Molekül im Stoffwechsel des Universums?

Hier geht es um keine Hirngespinste, romantischen Gefühle oder Rousseauschen Ideale, sondern um eine notwendige Revolution, wenn wir das Niveau unserer Zivilisation halbwegs aufrechterhalten wollen. Was ansteht, ist eine radikale Wechselseitigkeit und Gegenseitigkeit, die uns von Grund auf erfasst und in der der Mensch auf eine fundamentale Art und Weise Verantwortung übernimmt, wie er sich einer fühlenden, verletzlichen, gleichwürdigen Welt gegenüber verhält. Dann endet die seit Jahrhunderten andauernde Suche nach dem Sinn, weil wir auf eine ganz selbstverständliche Weise in Verbundenheit blühen und weil dieses Blühen nur geschieht, weil jedes Wesen mit dem anderen verschränkt, verknüpft und verwoben ist. Es ist ein Blühen von Geschwistern.

Symbiose statt Kampf

„Zurückkehren in die Natur“ würde bedeuten, respektvoll anzuerkennen, dass die anders-als-menschliche Welt eben nicht aus Dingen besteht, mit denen wir verfahren können, wie es uns beliebt oder gefällt; dass wir auch dann in die Welt eingreifen, wenn wir dort kein Leben erkennen können. Denn jeder Eingriff bleibt ein Eingriff in die Lebensströme und Zusammenhänge der Welt, und nur selten – wenn überhaupt – wissen wir genau um die Folgen unseres Tuns. Schon morgen kann unser Eingriff etwas anderes bedeuten als heute. „Zurück in die Natur“ erkennt: Leben ist Synergie und Symbiose, nicht Kampf. Noch wehren wir uns gegen die Umarmung der Bäume. Deshalb, so Andreas Weber, brauchen wir „eine Revolution der Seele – und eine tiefgreifende Neuausrichtung unserer Beziehungen“. Nur dann haben wir eine Chance auf eine lebenswerte, der bisherigen Gegenwart ähnliche Zukunft.

Zur Vertiefung: Andreas Weber, Essbar sein. Versuch einer biologischen Mystik, Verlag thinkOya, ISBN 978-3-947296-09-5, 26,80 Euro

 

Von Bobby Langer

Philip aus Sachsen-Anhalt betreibt mit seiner englischen Geschäftspartnerin Becky eine Kombination aus Bäckerei und Café im Zentrum von San Marcos La Laguna am Lago Atitlan, dem zweitgrößten See Guatemalas. Philip ist seit sechs Jahren dauerhaft im Land und kann über die Lebenssituation in diesem mittelamerikanischen Land gut Auskunft geben.

300 statt 1200 Euro

„Die meisten Leute in Mitteleuropa“, sagt er, „stellen sich Guatemala viel unterentwickelter vor, als es tatsächlich ist. Dabei kann man in diesem Land wunderbar Fuß fassen und leben. Und die meisten Menschen hier, überwiegend Indigene, sind freundlich und entgegenkommend. Natürlich sollte man bereit sein, Spanisch zu lernen.“

„Erst vor zwei Tagen“, berichtet er, „hatte ich Kontakt mit einer Wienerin, die sich mit dem Gedanken trägt auszuwandern. Allein für ihre Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung in der österreichischen Hauptstadt zahlt sie 1200 Euro kalt. Hier in Guatemala würde sie Probleme haben, eine Wohnung für 600 Euro zu finden, denn solche Luxusapartments gibt’s nicht viele. Dafür könnte sie direkt am See leben und unter Umständen, die es in Europa so kaum gibt. Natürlich bekommst du auch für 300 Euro schon was Passables.“ Und, ergänzt er, wer bereit sei, unter indigenen-nahen Umständen zu leben, komme auch mit 200 Euro klar. Umgekehrt könne man hier, „entsprechende Kohle vorausgesetzt“, besser leben als zu Hause. Als Extrembeispiel nennt Philip die Casa Floresta. Die könne sich jeder selbst im Internet anschauen.

Alles hat zwei Seiten

Da ist also diese paradiesische Seite von Guatemala. „Wenn du allerdings krank bist“, ergänzt er nüchtern, „solltest du dir die Umstände klarmachen, mit denen du hier rechnen musst.“ Hier im Ort gebe es die Maya-Klinik, in der naturheilkundlich alles behandelt wird, was „normale“ Krankheiten angeht. „Alle Arzneien dort bauen sie in eigenen Gärten an. Außerdem gibt es ein paar Chiropraktiker aus den USA.“

Wer ein Krankenhaus, zum Beispiel für chirurgische Eingriffe, benötigt, der muss nach Panajachel über den See (mit dem Boot ca. 30 Minuten; zwar kämen die Boote oft, aber nach keinem Fahrplan und bei zu hohem Wellengang auch mal gar nicht), nach Xela (78 km/2 h) oder Antigua (135 km/3,5 h). Oder natürlich nach Guatemala City, noch ein kleines Stück weiter, wo es dann alles gebe, was ein europäisches Herz begehrt. „Aber schon in Xela“, erzählt Philip, „haben sie eine gute Ultraschallausrüstung. Das weiß ich, weil wir sie kürzlich selbst genutzt haben, weil meine Freundin schwanger ist.“ Hier könne man allerdings nicht bis zur letzten Minute warten wie in Deutschland, wo in 15 Minuten ein Krankenwagen zur Stelle ist. „Definitiv“, findet Philip, „brauchst du hier ein Stück mehr gesunden Menschenverstand, aber dann hat man keine großen Probleme.“

Für Arbeitnehmer wie für Unternehmer gebe es eine kostenlose staatliche Krankenversicherung, die IGGS, die empfiehlt er allerdings nur für die Erstversorgung. Wer auch immer sich hier ansiedelt, von dem wünscht sich der Staat den Abschluss einer solchen Versicherung. In Krankenhäuser dieser Versicherungsstufe will man allerdings nur zur Not. Man kann sich hier auch privat versichern und hat dann einen 24-Stunden-Service. Voraussetzung dafür ist ein eigenes Bankkonto. Die Kosten beginnen bei ca. 63 € im Monat.

Krass connected

Offiziell gibt es in Guatemala einen Mindestlohn von 3200 Quetzales. Er kenne aber, von ihm selbst abgesehen, niemanden, der das bezahlt – kontrolliert werde das in aller Regel nämlich nicht. Er selbst bezahle das als Einstiegsgehalt; Mitarbeiter, die länger bleiben, erhalten deutlich mehr. EuropäerInnen könnten, findet er, in Guatemala locker einen Job finden – und würden in der Regel, wegen ihrer anderen Fähigkeiten und ihrer höheren Verlässlichkeit, besser bezahlt. „Ein Arbeitsamt oder etwas Vergleichbares gibt es hier aber nicht. Man muss einfach losgehen und quatschen. Außerdem gibt es zu praktisch jedem Ort eine Facebook Community. Darüber sind die Leute krass connected.“ Seine Freundin sei da zum Beispiel in einer Mütter-Gruppe. Einer unterstützt den anderen. „So viel Zusammenhalt hast du in Berlin nicht. Für Mütter ein paar Wochen vor der Geburt und ein paar Monate danach gibt es zum Beispiel den ‚Food Train‘. Da kochen andere abwechselnd in der Nachbarschaft für dich mit und bringen dir das Essen vorbei – alles umsonst, ohne Erwartung auf eine Gegenleistung. Ich bin ja nicht unbedingt der Freund der Hippies hier, aber so was haben sie drauf, das ist guter alter Hippiespirit.“

 

Eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen

„Eine Aufenthaltsgenehmigung bekommst du erst einmal für drei Monate. Danach musst du aus- und dann wieder einreisen. Das ist zwar nicht schwierig, aber nervig ist es trotzdem. Falls du die drei Monate überziehst – in meinem Fall waren es gleich neun Monate, brauchst du gute Gründe. Als ich damals an der Grenze nach Mexiko meinen Pass vorgewiesen habe, gab das erst einmal heftiges Stirnrunzeln. Aber ich konnte eine Steuernummer und eine Wirtschaftssteuernummer – als Unternehmer – vorweisen. Als ich dann noch 1500 Quetzales ‚einstecken‘ hatte, bekam ich drei Stempel und das Problem war gegessen. Mein Anwalt meinte, wegen so was kommt hier keiner in den Knast. Einen Antrag auf eine Aufenthaltsgenehmigung kann du stellen, wenn du innerhalb von zwei Jahren wenigstens sechs Monate nachweislich im Land warst.“ Um an eine Staatsbürgerschaft ranzukommen, braucht man mehr Geduld, muss warten können, und Vitamin B hilft auf jeden Fall weiter.“

Arbeitsgenehmigung inklusive

„Praktisch ist, dass du hier keine Arbeitsgenehmigung brauchst“, betont Philip. Die sei mit der Einreise nach Guatemala automatisch erteilt – was auch bedeutet, dass man hier sein eigenes Business gründen kann. „Du gehst dann zur Steuerbehörde und beantragst eine Steuernummer bzw. zusätzlich eine Wirtschaftssteuernummer. Dann kann es schon losgehen.“ Um von der weitverbreiteten Korruption wegzukommen, hat der Staat vor Kurzem noch eine Regelung eingeführt: „Sobald du etwas kaufst, was teurer als 2500 Quetzales ist, musst du beim Kauf deine Steuernummer angeben oder, wenn du keine hast, deine Passnummer. So konsequent ist man nicht einmal in Deutschland.“

Ein Aspekt des guten Lebens hier, den er ein paar Mal erwähnt, sind die ausgesprochen angenehmen Temperaturen. Nachts gehen die, rund ums Jahr, selten unter 15 Grad und tagsüber selten über 25 Grad. Nicht umsonst nenne sich Guatemala „Das Land des ewigen Frühlings“. Auch die Regenzeit lasse sich gut aushalten. „Meistens schüttet es dann zwei Stunden täglich, dann ist es aber auch wieder schön.“

In diesen jeweils ca. 15 Minuten dauernden Gesprächen unterhalten sich Thomas Hann und Bobby Langer über die Möglichkeiten unserer Zeit, zum Beispiel darüber, ob es so etwas wie deutsche Tugenden gibt, ob es im Gegensatz zum zwölfjährigen “1000jährigen Reich” ein tatsächliches “1000-jähriges Reich der Menschheit” geben könnte oder über eine resiliente Gesellschaft und die entsprechenden Perspektiven daraus. Hier beginnt die Playlist:

Die Himmel sind weit
und weniger fern, als wir dachten.
Es gibt ein Über-den-Wolken
in uns auch,
nicht nur die Dunkelheit und die Blendgranaten,
sondern tausend Lichter am Ende der Tunnel;
die Hoffnung, die uns, und sei sie noch so klein,
für einander am Leben hält und
uns in einem Lächeln verbindet,
in einem heimlichen, verstohlenen,
revolutionären Lächeln.

Nun lasst uns also die Hände ergreifen,
die dargebotenen, die ausgestreckten,
die hilfesuchenden auch.
Nun seht, dass die Tage länger werden
und nicht von Dauer sind Krieg und Verderben.
Die Bleikammern der Herzen sind überwindbar
und die Birken vor Birkenau grünen
wider alles Erwarten.

Bobby Langer

 

Anders zusammen leben

Wie wollen wir leben? Wie kommen wir miteinander klar, wie viel Platz brauchen wir, wie viel Zeug brauchen wir? Und was hat das damit zu tun, wie das mit dem Klima, mit der Natur, mit der Erde und mit uns weitergeht? Schon interessante Fragen. Immer mehr Menschen fragen sich das gerade. Einige sehen die Lösung in einem Leben in Gemeinschaft.

–> zu Asras Beitrag

–> Asras Beitrag als Video

Das Paradies ist der Ort, den wir gerne erreichen würden. Aber er liegt hinter uns, unerreichbar verschollen in der Vergangenheit. Erst allmählich dämmert uns, dass es nicht nur der Apfel war, weshalb wir von dort vertrieben wurden. Und je mehr wir das verstehen und verinnerlichen, desto mächtiger baut sich ein neuer Sehnsuchtsort auf, ein Ort, an dem wir sein können, ohne haben zu müssen, an dem wir nicht an Geld oder Leistung gemessen werden, an dem wir zu Hause sein und uns geborgen fühlen können; und der dennoch ein moderner Ort ist. Weiterlesen