von Peter Zettel

Der lange Weg von normal zu natürlich beginnt mit dem Versuch der Definition von „normal“: Hanna Arendt schreibt in „Eichmann in Jerusalem“, dass „das Beunruhigende an der Person Eichmann doch gerade war, dass er war wie viele und dass diese vielen weder pervers noch sadistisch, sondern schrecklich und erschreckend normal waren“

Ein Nazi-Mörder – und ganz normal? Ich kenne einen persönlich, ein ganz normaler Mann, allseits beliebt – und ein Nazi-Mörder: Weiterlesen

Rezension von „Das Gottesmädchen“

Um es gleich vorweg zu sagen: Männer spielen in dem Roman von Ismael Wetzky keine herausragende Rolle. In den Hauptrollen sind Gisele, eine Philosophiestudentin, und ihre ultrasexy Freundin Chloë, beide definitiv U30. Noch jünger ist nur noch Gott bzw. ihre Erscheinungsform. Gott tritt nämlich in Gestalt eines jungen Mädchens von elf, zwölf Jahren auf.

Damit nicht genug der Überraschungen in diesem Roman. Die Sprache auf den rund 400 Seiten ist so jung – und gekonnt jung – wie die Protagonistinnen. Man begrüßt sich lässig mit „Hi!“, findet Dinge „abgefahren“, „ultraspannend“ oder „echt mega“, und dass Modeschimpfwörter wie „Fuck“ etc. fallen, stört nicht, sondern passt. Tatsächlich gelingt es Ismael Wetzky, seine Mädels in einer Jugend-Kunstsprache reden zu lassen, die überzeugend ist, in keiner Weise aufgesetzt wirkt und auch für ältere Semester wie den Rezensenten gut und amüsant lesbar ist. Fiktion und Realität mischen sich, etwa, wenn echt funktionierende Links in den Text eingefügt sind. Weiterlesen

„Spüren was ist“ – Rezension von Bobby Langer

Mit Messern sollte man vorsichtig umgehen, sie am Griff anpacken und nicht an der Schneide. Lässt sich dieser Satz auf Bücher übertragen? Im Endeffekt ja. Was ich damit meine?

Manche Bücher sind harmlos wie stumpfe Messer. In so ein Buch kann ich mich hineinwerfen und das Buch lässt das mit sich geschehen, weil es genau diesen Typ von Leser will. Dann zieht es mich am Handlungsstrang bis ans Ende, an dem ich aufatmen kann: „Ah, das war also der Mörder!“ Oder: „Ja, so ist das Leben.“ So zu lesen ist ein bisschen wie Sex ohne Zuneigung.

Bei anderen Büchern empfiehlt sich eine vorsichtige Herangehensweise. Man nähert sich ihnen am besten an, indem man sich in ihren Sinn und ihre Aussagen hineintastet, hineinspürt. Man macht dem Buch gewissermaßen den Hof, bis es einen erhört – oder abweist. Lese ich so, dann lasse ich die ersten Sätze und Seiten in mich einfließen, ohne sie zu bewerten und schaue, was sie in mir bewirken, was mit mir geschieht. Und wenn alles gut geht, dann werde ich getragen, statt fortgerissen.

Marc Seegers Buch „Spüren was ist – Die Symmetrie des Lebens“ gehört zur zweiten Kategorie. Und das, obwohl es ein Ratgeber ist. Man könnte es auch als ein Lehrbuch der Achtsamkeit verstehen. Denn „spüren“ ist der Kernbegriff, um den es hier geht. Spüren verstanden als „achtsam sein in Bezug auf etwas“, „Bewusstheit für etwas entwickeln“, also zum Beispiel sein Herz spüren, seinen Atem spüren, oder, schon komplizierter, sein Bewusstsein spüren, seinen Willen, sein Innen und Außen. Dabei knüpft Seeger an den Satz von Saint-Exuperys Kleinen Prinzen an: „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“

1001 Gedanken wirbeln in diesem Buch durcheinander, werden in Verbindung gebracht, wieder aufgelöst, neu verknüpft; eine Denk- und Spüranregung ersten Ranges. Übungen erleichtern die teils sehr theoretischen Zugänge und öffnen Türen ins eigene Selbst. „Ziel ist es“, so schreibt Marc Seeger, „zu spüren, was ist. Um dahin zu kommen, um ins Spüren zukommen, ist es hilfreich, die eigene Lebenswelt und die verschiedenen Kräfte zu betrachten. Das Spüren ermöglicht es, in ein Gleichgewicht zu kommen und in der eigenen Mitte zu sein.“ Und: „Spüren bringt uns wieder in unseren Rhythmus, den wir an den Takt von Maschinen und Technik verloren haben.“ Dazu gehört auch ein fruchtbarer Umgang mit der eigenen Intuition.

In vielen spirituellen Ratgebern wird zu einem achtsamen Leben aufgefordert. Die Antwort darauf, wie man da hinkommt, bleiben sie oft schuldig. Anders in „Spüren was ist“. Hier werden die nahezu unbegrenzten Dimensionen achtsamen Lebens sehr detailliert beschrieben und jeweils mit Übungen vertieft: „Sich spüren – Alles oder Nichts“, „Gefühle spüren – Unsere Realität“, „Zwischenmenschliches Erspüren – Der Raum entsteht“, „Mitwelt – Die Dimension von Natur und Umwelt“, „Unsere Gegenwart – Die zeitliche Dimension“.

Um nicht im Ungefähren hängen zu bleiben, liefert Marc Seeger mit Hilfe der Blume des Lebens verschiedene Musteransätze, mit denen sich die Verwobenheit von Wirklichkeit und Innenwelt in ihren verschiedensten Aspekten erschließen lässt. Beispiele zeigen, wie man damit umgehen könnte, und unbeschriftete Modelle lassen sich individuell ausfüllen. Letztlich geht es wieder und wieder darum, „sich in der Mitte zwischen den Kräften einzufinden“, sich nicht in Polaritäten zu verlieren, in der Symmetrie des Lebens die Gegensätze aufzulösen.

Das dem Buch angefügte Glossar ist, anders als gewohnt, kein Anhängsel, sondern liefert ganz eigene, oft erstaunliche Anregung, um ins Spüren zu kommen; zum Beispiel das scheinbar so banale Stichwort „Boden“. Ihm kann man sich neu und achtsam nähern mit folgenden Fragen des Autors:

  • Wie nehme ich Böden und den Untergrund, auf dem ich gehe, wahr?
  • Welche Beläge/Untergründe kenne ich? Welche sind natürlich, welche künstlich? Wie wurden die künstlichen hergestellt? Welcher Aufwand ist damit verbunden?
  • Auf welchen bin ich schon barfuß gelaufen?
  • Welche Unterschiede nehme ich wahr?
  • Wie ist mein Gang auf den Böden (vielleicht sicher, fest, locker, weich …)?
  • Nehme ich wahr, dass ich mich auf der ERDE bewege, die sich im Universum befindet?
  • Welchen Kontakt habe ich zu Mutter Erde? Bin ich dankbar dafür, mit auf Mutter Erde zu bewegen? Kann ich ihre Energie aufnehmen und sie durch die Füße in den ganzen Körper verteilen?
  • Welche Unterschiede bemerke ich, wenn ich Energie in der Stadt oder im Wald aufnehme?S

Eine Warnung sei allerdings ausgesprochen: Wer überhaupt keinen Draht zu esoterischen Denkansätzen hat oder sich von Denkmustern wie Feinstofflichkeit, Aura oder Chakra sogar abgestoßen fühlt, sollte von diesem Buch die Finger lassen. Ein Beispiel: „Die Seele kommt auf die Erde, um dazuzulernen, aber auch um das Ursprüngliche zu erhalten und zu bewahren. Da uns das abhandengekommen ist, sind viele Seelen damit beschäftigt, andere Seelen … an ihre Aufgabe zu erinnern.“ Voraussetzung für eine sinnvolle Nutzung des Buches „ist die Bereitschaft, Neues zuzulassen, sich Neuem hinzuwenden und Bekanntes infrage zu stellen“.

Marc Seeger, Spüren was ist. Die Symmetrie des Lebens. Tredition Verlag. ISBN 978-3-347-20955-8 (28,99 €, Hardcover) oder ISBN 978-3-347-20954-1 (19,99 €, Softcover). Am besten zu bestellen direkt beim Autor: marc.seeger@email.de.

Ein Interviewbuch gewährt persönliche Einsichten in innere Verarbeitungs­prozesse von Papst Franziskus. Peter Schönhöffers Rezension des gleichnamigen Buches von Papst Franziskus

Wut ist die Frequenz, durch die wir am zuverlässigsten wissen: So bin ich gedacht! Und wenn Sie beim Lesen eines Buches – noch dazu das eines Papstes – so gar keinen Anflug von Wut kommen spüren? Dann ahnen Sie: Da muss etwas Außergewöhnliches unterwegs sein.

Denn eine Hauptbotschaft des zu Zeiten des Lockdowns 2020 auf nimmermüdes Betreiben eines schottischen Journalisten und Kirchengeschichtlers, der schon zwei weitere Bücher zu dem argen­tinischen Papst vorgelegt hat, entstandenen Bandes lautet: Das sich zu eigen machen und freigiebig verströmen des Elementaren im Glauben geschieht entweder mühelos und mit einer gewissen Leichtigkeit – oder es verpufft, weil es eben nicht wirklich durchdringend erfolgt, mit halber Kraft, mit zu wenig Durchsäuerungsambitionen und Freude. So wie die Fülle des Universums in uns einströmt, unseren Atem bildet und uns die Möglichkeit zu innerer Raumbildung und einem Leben im Rhythmus des eigenen Herzens gibt, um ganz bei uns selbst anzukommen. Wenn etwas von diesem zärtlichen Gott Jesu Christi, der dem Papst vom Ende der Welt so nah vor Augen ist, einfließt und uns zum Strahlen bringt, werden wir wie von selbst immer offener und empfänglicher werden. Unsere Kanäle reinigen sich und wie durch Geisteskraft strömt es zurück vom Innen ins Außen der geschundenen Welt. Diese natürlich angelegten, aber in unserem kulturell-zivilisatorischen Zustand so nachhaltig zurück­gebildeten Regungen der Seele zurückzugewinnen liegt an, wenn wir uns am Beispiel von Papst Franziskus ein Vorbild nehmen wollen beim Kampf um die erneuerungsbereite Rückgewinnung so vieler Menschenfischer, so vieler Arten, so vieler Gemütszustände, so vieler Querverbindungen.

Das zentrale Geschehen, auf das es dabei ankommt, ist vergleichbar mit einer Blume, die ihren Duft verströmt; erst einmal ganz gleichgültig davon, ob jemand sich dafür interessiert, dies für eigene Zwecke instrumentalisiert oder sie für einen Augenblick für sich alleine duftet. Beim strömungsvollen  Lesen der 190 Interviewseiten erreicht die aufmerksame Hörerin des Wortes immer wieder eine Einladung, umsonst und in Leichtigkeit auf eine mystische Weise einszuwerden mit der allum­fassenden Liebe Gottes, die uns in so vielen Weisen entgegenkommt: Ohne sie aber ist all unser Tun und Lassen nichts. Welche stillbewegte Ekstase, welch bevorstehender Ausbruch eines kosmische Weiten durchmessenden Energiestoßes für Gerechtigkeit und Frieden in einer noch halbwegs integren Schöpfung.

Eine Spur nüchterner gesprochen: Das Buch ist gedacht als Krisenintervention. (WT 70, 127) Und multiple Krisen haben wir nach wie vor nur allzu viele um uns und in uns, wie der Weltkirchenrat auch in den letzten Jahren nicht müde geworden ist, unbequem ins Gedächtnis zu rufen – welche die die deutsche Kirchenwirklichkeit sich allerdings zunehmend selbst noch verschärft hat. So dass nicht wenige schon taub, körperlich oder seelisch missbraucht oder traumatisiert geworden sind, andere mit Helfersyndrom, Harmoniesucht oder Verschwörungs­erzählungen unterwegs sind; jedenfalls abseits von der ebenso treffsicher berufenden wie fordernden und zärtlich nachgehenden Liebe des Vaters, auf die hier so nachdrücklich eingeschworen wird. „In einer Krise wie der Samariter zu handeln bedeutet, sich von dem, was ich sehe, berühren zu lassen, wissen, dass (erst, P.S.) das Leiden mich verändern wird… Wir Christen nennen das, das Kreuz aufnehmen und annehmen. Das Kreuz anzunehmen in der Zuversicht, dass das Kommende neues Leben sein wird, gibt uns den Mut, das Wehklagen und den Blick zurück aufzugeben. So können wir aufbrechen, anderen dienen und so Veränderung geschehen lassen, die nur durch Mitgefühl und Dienst am Menschen entstehen kann.“ (WT, 10; ähnlich WT 61) „Die Krise deckt unsere Verwund­barkeit auf, sie legt die falschen Sicher­heiten bloß, auf denen wir unser Leben aufgebaut haben.“ (WT 40f.) Damit ist der Grundton gesetzt.

Und der muss immerhin hindurchtragen durch so manche tief reichenden Abgründe und weitgehend einsozialisierten Abstumpfungen. „Die wachsende verbale Gewalt reflektiert die Fragilität des Selbst, einen Verlust der Wurzeln. Sicherheit wird gefun­den in der Abwertung anderer durch Narrative, die uns das Gefühl der Rechtschaffenheit geben und uns Gründe liefern, andere zum Schweigen zu bringen“ (WT 100). Fortan werden Bruchstück­haftig­keit und Gnade umkreist, zuweilen beinahe meditiert und beim Verfassen der Gedanken ge­knetet und dabei nimmermüde neu intoniert inmitten von kaum mehr vermeidbar ausstehenden gewal­tigen sozialen Explosionen (WT 61-64), dem Fehlen ehrlichen Dialogs in unserer öffentlichen Kultur und einer darauffolgenden Lähmung durch Pola­risierung (WT 100f), der nötigen Kritik gegen­über den herrschenden Medienkulturen (WT 33f), Klerikalismus-Irrwegen (WT 37), Auf­lösungs­erschei­nungen im Volk Gottes (WT 126) und kulturellen Erschöpfungszuständen (WT 166). Hilfreich auf dem der­gestalt eingeschlagenen Weg wird vor allem seine ausgesprochen metaphern­reich, weis­heitlich und  volksnah vorgetragene, häufig biblisch unter­legte theologische Sicht auf den Menschen („Der Teufel lockt nicht mit Lügen. Oft funktioniert eine Halbwahrheit oder eine Wahrheit, die von ihrer spiri­tu­ellen Grundlage abgetrennt wurde, viel besser“ WT 96) und recht zu verstehende Inkultur­ations­bemühungen (WT 100), die stets beziehungs­reiche Anklänge an das in Europa bislang wenig ver­standene, jedoch beharrlich von ihm favorisierte latein­amerikanisch eingefärbte Projekt einer Humanökologie aufweisen. „Für eine echte Geschichte braucht es Erinnerung und das verlangt von uns, dass wir die gegangenen Wege anerkennen, auch wenn sie beschämend sind.“ (WT 41)

In Absetzung zur biblischen Jona-Gestalt gelte es dann jedoch nicht, mit dem Stacheldraht seiner Über­zeugungen einen Zaun um seine Seele zu errichten und die Welt damit in Gut und Böse zu unter­teilen; (ebd.) ebenso wenig als Katholiken mit abgeschotteten Geisteshaltungen unter dem Banner von Restauration oder Reform dahinzueilen, die aus seinem Blickwinkel beide nie Mangel daran haben, ihre schwache und sündige Kirche zu kritisieren, offenbar aber nur selten den realen dornenreichen Weg mit den nie ganz reinen Menschen, Bewusstseins­zuständen und Kirchenleuten gehen wollen (WT 91-96). Dabei käme es doch heute entscheidend auf die Haltung des Kümmerns und Aufrichtens mit ganzem Einsatz und ohne jegliche Anflüge von Heldentum, Purismus oder Selbstüberschätzung ein. Im wirklichen Leben – so wird konstatiert – sei Gnade genauso im Überfluss vorhanden wie Sünde und Versuchung. (WT 95) Es bestehe eine große Gefahr darin, sich an die Schuld anderer zu erinnern und dadurch die eigene Unschuld zu verkünden. (WT 42) Welch eine beseligend-freisetzende Kraft spricht aus solchen Hin­weisen! Indes seien wir dem allen gegenüber dann doch auch wieder eingeladen, herauszutreten und Teil von etwas Größerem zu werden, das wir indes niemals alleine werden schaffen können.

Worauf also zielt dies alles bzw. wo und wie sucht es sich zu bewähren?

Theologisch – und hierbei gut ignatianisch – geht es ihm darum, starres Denken zu überwinden (WT 87), um inmitten der Vielfach-Krisen wieder wach zu werden, stets die größere Ehre Gottes zu suchen bzw. in den Mittelpunkt kirchlichen Handelns und menschlichen Suchens zu rücken. Hans Waldenfels und Magdalena Holztrattner haben früh darauf aufmerksam gemacht, dass Papst Franzis­kus die Überzeugung vorantreibe, dass eine Religion ohne Mystiker und ohne Nähe zu den Armen zu einer Philosophie werde, echtes mystisches Dasein aber damit beginne, sich als Sünder zu erkennen, den der Herr angeschaut habe. Ein Gebet, das nicht zur konkreten Aktion zugunsten des armen, kranken und hilfs­bedürftigen Bruders/Schwester führe, der/die in Schwierigkeiten ist, bleibe steril und unvoll­ständig.[2] „Das Über­fließen der göttlichen Liebe geschieht vor allen an den Scheidewegen des Lebens, den Momenten der Offenheit, der Schwäche und Demut, wenn der Ozean seiner Liebe die Dämme unserer Selbstgenügsamkeit sprengt und so eine neue Vorstellung des Möglichen erlaubt.“ (WT 106). „Indem Jesus sich mit Zöllnern und Frauen mit schlechtem Ruf umgab, entriss er die Reli­gion der Gefangenschaft in den Begrenzungen der Elite, des Spezialwissens und der privilegierten Fa­mi­lien, um jeden Menschen und jede Situation gottesfähig zu machen.“ (WT 158) Ganz in diesem Sinn werden Exerzitien als geistlich fruchtbare Rückzugsorte vor der Tyrannei des Dringlichen em­pfohlen. (WT 69) Ein besonderer Akzent wird auf den geistlichen Prozess des ökologischen Erwach­ens gelegt, zu dem die Schriften des ökumenischen Patriarchen Bartholomaios besonders hilfreich seien. „So ist mein ökologisches Bewusstsein entstanden. Ich sah, dass es von Gott kam, denn es war eine spiri­tuelle Erfahrung, sowie der hlg. Ignatius als Tropfen auf einen Schwamm beschreibt: sanft, still, aber eindringlich.“ (WT 45) Im Weiteren gilt: Ohne den heiligen Geist, die Praxis kirchlicher Syno­­dalität und weltlicher Mediation in Freimut und Wirklichkeitsverwandlung sowie das Hören darauf, wie Gott durch die Nichtgläubigen Zeichen und Wunder tue, werde nichts vorangehen. (WT 107ff)

In die Kirche hinein gesprochen steht an: „Genau hier wurde die Kirche geboren, an den Rändern des Kreuzes, wo so viele Gekreuzigte zu finden sind. Wenn die Kirche die Armen verleugnet, hört sie auf, die Kirche Jesu zu sein; sie fällt zurück in die alte Versuchung, eine moralische oder intellektuelle Elite zu werden. Es gibt nur ein Wort für die Kirche, die den Armen fremd wird: ‚Skandal‘. Der Weg an die geographischen und existenziellen Ränder ist der Weg der Menschwerdung: Gott wählte die Peripherie als den Ort, um in Jesus sein Heilshandeln in der Geschichte zu offenbaren.“ (WT 154) Und mit dem Blick von dort aus ist zu erkennen, dass Volksbewegungen als die wahren Sozialpoeten unserer Zeit mit dem Geist Gottes zu begleiten und zu inspirieren seien. (WT 154-160) „Jedes dieser Völker erfährt die Gaben Gottes ent­sprechend seiner eigenen Kultur, und in jedem von ihnen drückt die Kirche ihre wahre Katholizität aus, die Schönheit ihrer vielen verschiedenen Gesichter. (WT 108)

In die vorwiegend in falsch verstandenem Ökonomismus verwaltete und als götzendienerisches Wirtschaftssystem beherrschte Welt hinein den kirchlichen Sendungsauftrag zu verkörpern, bedeute dann immer auch die offene Bereitschaft zu „denuncio“ und „annuncio“, ignatianisch gesprochen die Unterscheidung der Geister: „Der Laissez-faire- und marktzentrierte Ansatz verwechselt Zweck und Mittel … Am Ende können wir in den Irrglauben verfallen, dass alles, was für den Markt gut ist, auch für die Gesellschaft gut ist.“ (WT 140) Sich selbst überlassene Märkte neigten dazu, das Kapital zu einem Idol zu machen, aus dessen Versklavung kaum noch ein Weg herausführe, wenn die Armen erst einmal ausgeschlossen, Steuerparadiese und Offshore-Standorte geschaffen, der Planet ge­fährdet, Gewinne der Aktionäre auf Kosten der Kunden etabliert und die Menschen in eine heillose Konkurrenz aller gegen alle gesetzt seien. (WT 141f)

„Könnte es sein, dass es in dieser Krise die Perspektive der Frauen ist, die die Welt in dieser Zeit braucht, um sich den kommenden Herausforderungen zu stellen? … Ich denke da vor allem an Wirt­schafts­wissenschaftlerinnen, deren frisches Denken besonders relevant in dieser Krise ist. (Es geht ihnen um, P.S.) eine Wirtschaft, die nicht nur auf Wohlstand und Profit aus ist, sondern die fragt, wie die Wirtschaft so gestaltet werden kann, dass sie Menschen hilft, an der Gesellschaft teilzuhaben und zu gedeihen. Ihr Aufruf zu einer grundsätzlichen Revision der Modelle, die wir nutzen, um die Wirtschaft zu organisieren, erhält derzeit viel Aufmerksamkeit… Dabei will ich sie nicht alle über denselben Kamm scheren, nur weil sie alle Frauen sind… Mariana Mazzucatos Buch „Wie kommt der Wert in die Welt hat mich sehr beeindruckt…. Oder ich denke an Kate Raworth.. die von der Donut-Ökonomie spricht: wie eine distributive, regenerative Wirtschaft geschaffen werden kann…“ (WT 84f)

Für sehr viele unter uns aber gibt es gerade heute noch einmal viel zu lernen von seinem grund­legenden, von seinem theologischen Lehrer Juan Luis Scannone stammenden Unterton einer „Theo­logie des Volkes“: „Die Kirche erleuchtet mit dem Licht des Evangeliums und erweckt die Völker zu ihrer eigenen Würde, aber es ist das Volk, das den Instinkt dafür hat, sich selbst zu organisieren.“ (WT 155). „Zu oft haben wir die Gesellschaft als eine Untergruppe der Wirtschaft und die Demokratie als eine Funktion des Marktes verstanden… in die Richtung anderer Arten von Werten, die uns alle retten: Gemeinschaft, Natur und sinnvolle Arbeit… In ähnlicher Weise brauchen wir eine Vision von Politik, die… zu einer Kultivierung von Tugend und zu Formen neuer Bindungen fähig ist… das meint Politiker mit einem weiteren Horizont, die dem Volk neue Wege eröffnen können, sich zu organisieren und auszudrücken. Es meint Politiker, die dem Volk dienen, anstatt sich seiner zu bedienen.“ (WT 143f, ähnlich WT 156)) – da wären wir wieder ganz nahe an einem ganz besonders beharrlichen Stachel des Meisters aus Nazareth angekommen. (Mk 10,43)

Lic. Theol. Peter Schönhöffer M.A.

[1]  Papst Franziskus, Wage zu träumen! Mit Zuversicht aus der Krise. Im Gespräch mit Austen Ivereigh, Kösel Verlag, ISBN 978-3-466-37272-0
[2] Hans Waldenfels, Sein Name ist Franziskus. Der Papst der Armen, Paderborn 2014, 38-44. Magdalena Holz­trattner, Man muss den Spieß umdrehen. Franziskus stellt die Armen in die Mitte, in: dies: (Hg.), Innovation Armut. Wohin führt Papst Franziskus die Kirche? 2013, 63-72.

Rezension von Lic. Theol. Peter Schönhöffer M.A. (Ingelheim)

Ein waschechter Narzisst, der erfolgsverwöhnt und doch leidenschaftlich-umtriebig aus der Perspek­tive eines kritischen Hedonismus schreibt… so gar nichts für mich an und für sich. Und doch sei die Lektüre, die sich wie in einem Sog lesen lässt, tatsächlich für Herz und Verstand, Eros und Logos empfohlen. Hier meldet sich eine fein ausbalancierte Stimme, hinter der im wahrsten Sinne des Wortes ein mit vielen post­modernen Wassern gewaschener Lebenscoach zu erspüren ist – und der – wenn man sich am narziss­tischen Stallgeruch nicht stört, eine Menge zu sagen hat, was viele tiefreichend angeht.

Wir stehen wohl gesellschaftsgeschichtlich gesehen tatsächlich an einem Punkt, den Heike Pourian von „sensing the change“ nüchtern so bezeichnet: „Lange konnten wir den Schmerz nicht erkennen, den wir mit unserer Zivilisation verursacht haben. Nun beginnen wir, das wahrnehmen zu können.“ Wenn dem so sein sollte, dann ist dieses Buch indes wie eine immerfort Nachdenkenswertes hervorsprudelnde Quelle auf dem Weg dorthin. Es schaut sich den Zusammenhang von Depression und fehlender Sakralität an, geht (ganz der Hedonist!) auf eine „postreligiöse Spiritualität“ zu, entwickelt einige in der Tat beeindruckende Facetten davon, lädt das „Schwert der Klarheit ein“, bleibt nicht bei Halbheiten stehen und ruft voller Glauben an deren Veränderungsfähigkeit alle aktiven Männer und Frauen als ekstatische Wesen, die sie sind, in einer geradezu mitreißenden Weise dazu auf, nicht länger weit unter ihren Potenzialitäten zu verbleiben; selbst wenn das 10.000 Jahre aus uns lastende Patriarchat noch tief in uns sitzt und seine Nachwirkungen uns nicht einfachhin freigeben werden.

Auf diesem Weg lockt er sogar achtungsvoll den Wert alter Traditionen in neuem Gewand hervor und nimmt sich neben einer zuweilen tiefreichenden Kritik an zu kurz greifendem Feminismus und Konflikten aus dem Weg gehender psychospiritueller Szene auch die Zeit, auf eine sensible Weise, taugliche männliche Vorbilder zu zeichnen, die „nicht im Vorgarten der neuen Heiligtümer sitzen bleiben“ werden. So enthält das in kürzester Zeit bereits in dritter Auflage erscheinende Werk eine wertvolle Fülle an sehr lebens­praktisch evoziertem „Zukunftswissen“, immer wieder herausfordernd-zupackende rhetorisch ange­schärfte Passagen, eine kristallklare Sprache und einen spannungsvollen Erkenntnisweg. Selbst ohne in einem tie­feren Sinn wissenschaftlich fundiert daherzukommen, kann man ganz offensichtlich eine Menge aufregen­den Erkenntnis­gewinn gebären und Stoff zur weiteren Auseinandersetzung bieten, der an vielen Stellen ge­radezu weisheitliche Qualitäten erreicht und Leser, Leserin und LGBTQI+-community stets nicht so einfach davonkommen lässt.

Manchmal verhilft das Alter zu Ansichten, die man in jüngeren Jahren gar nicht gewinnen könnte, zum Beispiel beim Pinkeln. Und von da zum Leben im Allgemeinen.

Pippi kommt bei Buben und Männern aus dem Penis. So weit, so klar. Das trifft auch auf Sperma zu. Wenn sich der Penis auf die Suche nach einer Frau macht, kommt häufig dabei Liebe hinten raus. Oder käufliche Liebe, je nachdem. Aber nur das, was gratis ist, ist wirklich etwas wert, genauer: das, was einem das Leben schenkt. Vielleicht werden deshalb ja Luft und Liebe oft in einem Atemzug genannt. Wobei ich mir bei der Luft schon nicht mehr sicher bin. Eines Tages werden wir auch dafür bezahlen müssen. Weiterlesen

Dass ein großer Wandel ansteht, liegt auf der Hand. Nur: Was tun wir, jede/r Einzelne von uns dafür, fragt Semra Mete

„Nichts ist so beständig wie der Wandel“, heißt es in Anlehnung an Heraklit von Ephesus, der das schon vor rund 2.500 Jahren wusste. Ich denke, vielen Menschen ist heutzutage bewusst, dass wir uns inmitten eines großen gesellschaftlichen, ökologischen, ökonomischen Wandels befinden. Doch in welche Richtung wandelt sich das große Ganze und welche Faktoren sind dabei bestimmend? In Anbetracht der Tatsache, dass jeder Einzelne von uns ein Teil des Gesamtgebildes ist und folglich durch Sein Tun auf das Gesamtgeschehen einwirkt, kommt es bei dem steten weltweiten Wandel zweifelsohne auf jeden von uns an. Jeder von uns ist wie der kleinste Wassertropfen des wellenschlagenden Ozeans, jeder von uns ist wie ein Pixel eines Bildes, welches sich in demselben Maße wandelt, wie jedes einzelne Pixel seine Form, Farbe, Größe, Position … verändert. Wir waren und sind stets die Ursache der Veränderungen des großen Ganzen. Wenn wir es schaffen, die Veränderung in uns, also die Ursache, Ursachen, zum Guten zu wandeln, führen wir zwangsläufig den konstruktiven Wandel auch im Außen herbei.

Die weltweite Virus-Krise und der Wandel in jedem von uns

Doch welche Wandlung durchvollzieht sich IN JEDEM VON UNS inmitten der aktuellen,  globalen Krise – ich nenne es mal die Virus-Krise? Welche Gedanken, Emotionen, Handlungen lösen die äußerlichen Geschehnisse im unmittelbaren und mittelbaren Umfeld in uns aus? Welchen Gefühlen geben wir unbewusst Raum? Worum drehen sich unsere tagtäglichen Gedanken? Ist es die Angst vor der ansteckenden Krankheit bzw. vor dem Tod? Ist es die Angst vor totaler Überwachung, Fremdbestimmung oder ist es das Gefühl des Ausgeliefertseins und der Perspektivlosigkeit? Wut, Zorn, Aggressivität … sind weitere niederreißende, gemütsbelastende innere Zustände, die ich nicht nur bei meinen Mitmenschen beobachte, sondern auch selbst erfahre. Es kommt immer wieder vor, dass mich die eine oder andere Information oder Äußerung stark antriggert und ich mich dann in den unerwünschten, niederschwingenden Emotionen wiederfinde. Wie soll aus solchen überwiegend destruktiv gesetzten Ursachen das Konstruktive im Kollektiven keimen?!

Die Beobachtungsebene – Bewusstwerdung über den inneren Wandel

Die Herausforderung liegt sicherlich darin, sich über die ausgelösten Gedanken und Emotionen im Inneren, sprich über den unbewussten Prozess der eigenen Reaktionen, bewusst zu werden. Nur mit zunehmender Bewusstwerdung unserer inneren Zustände kann es uns gelingen, heilsame Antworten auf die äußeren Geschehnisse zu geben. Nach jeder frustrierten Reaktion wird mir immer wieder klar, dass meine Antwort definitiv nicht von der förderlichen Art war, weder auf mein eigenes Wesen bezogen noch auf das Kollektive. Als wäre das nicht genug, steigert sich manchmal das hemmende Gefühl noch weiter, wenn ich anfange, meine eigene Reaktion zu kritisieren, weil sie meine in der Tiefe bejahten Werte nicht wiederspiegeln.

Ein Weg, aus der Abwärtsspirale der Emotionen rauszukommen, ist erstmal, mir darüber bewusst zu werden, dass der momentane Gemütsstand, was es auch immer ist, die Ursache für äußere Umstände von morgen sein wird. Das, was ich eigentlich nicht weiter verursachen oder sogar verstärken will (Ärger, Wut, Angst…), gedenke ich deshalb loszulassen, auch wenn es inmitten des Emotionssumpfes nicht immer sofort gelingt. Ich vergegenwärtige mir in solchen Momenten, dass es nicht die äußeren Umstände sind, sondern die Bedeutungen, die wir ihnen beimessen, die entsprechenden Emotionen in uns zum Ausbruch bringen; Emotionen, die unsere Perspektive schmälern und unsere Wahrnehmung von größeren Zusammenhängen stark einschränken. Erst die Erkenntnis, in welche ungewünschten Gedanken- und Gefühlswelt ich mich selbst hineinmanövriert habe, führt zur Auflösung meiner unbewussten Identifikation mit den äußeren Umständen. Es ist so wie ein Beobachtungsposten, von dem ich von einer höheren Warte auf mich selbst schaue und erkenne, wie stark ich in den eigenen Urteilen, Meinungen, Bewertungen gefangen bin und vergessen habe, dass ich selbst für meine innere Realität verantwortlich bin.

Wenn wir also die weltlichen Geschehnisse objektiv betrachten, ohne sie in „gut“ oder „schlecht“ einzuordnen, können wir uns aus der Enge unserer Bewertungen befreien und die Weite in uns fühlen. Die Weite, in der wir erkennen, dass wir auch einen konstruktiveren Umgang mit den äußeren Einflüssen wählen können.

Krisen – Chancen zur Bewusstseinsentwicklung

Als eine Frau, die Erfahrung mit einer Lebenskrise in Form einer schweren Krankheit gemacht hat, bin ich fest davon überzeugt, dass auch diese geballte Krise uns große Gelegenheiten zur Bewusstseinsentwicklung bietet, für jeden Einzelnen wie auch kollektiv. Mehr denn je erkenne ich, wie wichtig es jetzt ist, verstärkter nach innen zu gehen. Ich erkenne, dass es jetzt an der Zeit ist, die tief verinnerlichten Werte in der Tat auch zu LEBEN und zu verfestigen. Mehr als sonst erhalte ich die Gelegenheit, mich selbst bei meinen Gedankengängen und unbewussten Handlungen zu beobachten, was mich zu manchem Erkenntnisgewinn über meine unbewusste, innere Welt führt.

Noch tiefergehend als sonst weiß ich, dass es bei dem, was da draußen auch immer passiert, um uns selbst geht. Wir haben den Fokus auf uns selbst zu richten, weil wir bei dem gewünschten Wandel letztlich nur bei uns selbst ansetzen können. Die bedeutende Frage ist nicht, wohin uns die gegenwärtigen Veränderungen bringen, sondern sich darüber bewusst zu werden, wie sie auf uns einwirken, was sie mit uns machen und wie wir damit umgehen. Wir müssen die Samen der gewünschten Veränderungen zunächst in uns säen, damit sie in unserer physischen Realität gedeihen, auswachsen können. Die Samen der gewünschten Veränderungen keimen zuerst in uns. Der äußere Wandel hängt also davon ab, welche Samen wir in uns tagtäglich säen: mit unseren Gedanken, Emotionen, mit der Art und Weise wie wir kommunizieren, handeln … darüber haben wir stets die Wahl. Das ist unsere Freiheit, das ist unsere Macht, das ist unsere Verantwortung gegenüber uns selbst und gegenüber unserer Mitwelt.

Alles Leben, so befand der Philosoph Karl Popper, ist Problemlösen. Das Problem mit einigen heutigen Problemen ist, dass es für sie keine einfache Definition und keine einfache Lösung gibt. Zu diesen tückischen Problemen gehört auch das Klimaproblem.
Das las ich in dem Artikel „Im Zeitalter der tückischen Probleme“. Interessant, nur was ist denn jetzt das eigentliche Problem?
Der Autor schreibt ganz zu Recht, dass die Antworten auf das jeweilige Thema je nach Prioritätensetzung ganz anders aussehen. Und er schreibt weiter: „Das heisst, so etwas wie «das» Klimaproblem existiert gar nicht. Und genau in diesem Sinn ist es tückisch.“
Erinnert mich fatal an die Medizin: Wir nehmen meist nur die Symptome wahr, deshalb ist auch die medizinische Lösung meist nur Symptombekämpfung. Nur: Was ist überhaupt die Ursache vieler unserer Probleme, mit denen wir aktuell zu kämpfen haben?
Angenommen, ich denke „unstimmig“. Ich nehme beispielsweise etwas als „real“ an, was es aber nicht ist, einfach weil es nicht real, sondern „nur“ bedingt ist. Dann blende ich eventuell genau die Bedingung aus, die den Fehler verursacht.
Ein Beispiel: Im Januar 2020 wurde ich an einer Karotisstenose operiert. So weit, so gut. Doch ist das nicht letztlich auch wieder nur ein Symptom? Folge ich meiner Logik, dann bedeutet das, dass ich unstimmig gedacht habe und wohl auch noch denke. Denn es ist ja Geist und damit letztlich wie ich denke, was mich sein lässt, wie ich bin.
Die spannende Frage ist also: Was beziehungsweise wie habe ich gedacht, dass sich in der Karotis eine Stenose bilden konnte? Das zu erkennen würde mein Problem lösen, die Operation hat nur die aktuelle Situation bereinigt, aber nicht die wirkliche Ursache beseitigt.
Klarer Hinweis, anders zu denken! Nur bitte stimmig! Doch genau das sitzt die Schwierigkeit. Wie soll ich mit meinem Denken eine andere Form des Denkens finden? Das setzt erst einmal voraus, dass ich mir des Zusammenhangs zwischen Form und Inhalt bewusst bin. Nur was dann? Wie finde ich eine stimmige Form des Denkens?
Wie heißt es doch? „Das Mindset macht den Unterschied.“ Nur wie komme ich zu einem anderen Mindset? „Eigentlich“ ist das relativ einfach. Ich muss mir nur bewusst machen, wie ich denke. Dazu brauche ich ein anderes Mindset, sonst wird das nichts. Habe ich dann mein Mindset erkannt, kann ich in einen Dialog mit dem anderen Mindset treten.
Warum ich dann anders denke? Ganz einfach, weil ich damit der Selbstorganisation die Tür öffne, vorausgesetzt ich bleibe offen und lasse es einfach geschehen.

Ach, was wir alles haben möchten. Die ungeteilte Aufmerksamkeit, die Wahrheit, das Rechthaben, die Sicherheit, die Zuwendung, das Verzeihen, den Respekt, die Liebe … Geben wir das alles auch?

Nichts ist sicher. Wirklich nichts. Insbesondere jene Menschen, die das „panta rhei“ (alles fließt) gelegentlich effekthalber ins Gespräch streuen, hüten sich vor dieser Erkenntnis wie die Maus vor der Eule.

Sicher fühlt sich ein geliebtes Kind in den Armen seiner Eltern. Es weiß nichts von der Bedrohung, die seine Eltern erleben, nichts von Gewalt, Krankheit und Not. Schon diese kindliche Sicherheit ist eine Illusion, allerdings eine, die wir um alles in der Welt für unsere Kinder aufrechterhalten müssen. Sie ist die Grundlage ihrer inneren Sicherheit. Gelingt sie uns nicht, sind unsere Kinder verloren.

Das Gefühl der sicheren Aufgehobenseins wandelt sich in der Pubertät in das Gefühl, das auf einen zukommende Leben sicher in den Griff zu bekommen. Irgendwie. Diese nächste Illusion wird ergänzt um die Sicherheit, seine große Liebe gefunden zu haben. Auch sie wird sich abnützen wie Schmirgelpapier. So gut wie immer. Leider.

Als Erwachsener suchen wir Sicherheit in Strukturen, in Karriere und Partnerschaft, in Positionen, Funktionen sowie und politischen und weltanschaulichen Gewissheiten. Bis uns die letzte, die zuverlässige Sicherheit erkennbar wird: unser Sterben, das längst begonnen hat, unser Tod.

Erst wenn wir unsere Schönheit und Kraft, unsere Liebe und unsere Würde in die Opferschale legen und diesem dunklen Gott zu Füßen, werden wir in die Sicherheit finden, die wir von unserem ersten Atemzug an so sehr gesucht haben; die unwiederbringliche Sicherheit des Mutterleibs. Sollten wir also von Mutter Tod sprechen? Für mich ein faszinierender Gedanke. Eingehüllt in die Wolke des Nichtwissens davonzuschweben, von allen Sicherheiten entbunden, die ja jede für sich doch immer wechselhaften, endlichen Bedingungen unterliegen.

Ein glückliches Kind wagt sich in die Welt, weil es um seinen sicheren Zufluchtsort weiß. Erst, wenn wir endgültig abgenabelt sind und einen solchen Zufluchtsort in uns selbst erlebt und verortet haben, wagen wir uns in die wilde, freie Welt, in wilde, freie Gedanken und Ideen und wilde, freie Beziehungen. Erst dann brauchen wir keinen Deal mehr mit dem Leben, dann sind wir keine Lebensbank mehr, die von ihren Klienten Sicherheiten einfordert, sondern können frei geben und annehmen, verschenken und uns beschenken lassen. Dann werden wir zu Wassertropfen im ewigen Kreislauf des panta rhei, sind Individuum und Teil des nun nicht mehr bestimmbaren Ganzen. Dann, endlich, sind wir frei für einander.

Gerade jetzt trifft es uns doppelt: Lockdown + Hintanstellung entscheidender Maßnahmen gegen die Klimakrise. Wenn eine/n da der Blues erwischte, wäre das kein Wunder. Die Stadtwandler Freiburg haben dazu einen guten Artikel geschrieben, auf den ich hier gerne verweise:
“Bei einem Blick auf das Weltgeschehen kann man schon mal vom Weltschmerz überwältigt werden. Und was dann, im Homeoffice still ins Kissen weinen?! Vielleicht mal kurz, aber dann darf es weitergehen.”
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