Von Charles Eisenstein

[Dieser Artikel ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 3.0 Deutschland) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen darf er verbreiten und vervielfältigen werden.]

Jemand schickte mir am 19. Januar [2021] ein Video, in dem der Gastgeber, unter Berufung auf eine geheime Quelle aus der „White Hat Power“-Fraktion, sagte, dass endgültige Pläne im Gang sind, um den kriminellen Tiefen Staat ein für alle Mal zu stürzen. Die Amtseinführung von Joe Biden werde nicht stattfinden. Die Lügen und Verbrechen der satanischen Menschenhandels-Elite würden offenbar werden. Die Gerechtigkeit werde sich durchsetzen, die Republik wiederhergestellt werden. Vielleicht, sagte er, werde der Tiefe Staat einen letzten verzweifelten Versuch machen, an der Macht zu bleiben, indem er eine gefälschte Einweihung inszeniert, mit Deep-Fake-Videoeffekten, um es so aussehen zu lassen, als würde Chief Justice John Roberts wirklich Joe Biden vereidigen. Lassen Sie sich nicht täuschen, sagte er. Vertrauen Sie dem Plan. Donald Trump wird weiterhin der eigentliche Präsident bleiben, auch wenn die gesamten Mainstream-Medien etwas anderes sagen.

Die Demokratie ist am Ende

Es ist kaum die Zeit wert, das Video an sich zu kritisieren, da es ein unspektakuläres Beispiel für sein Genre ist. Ich schlage nicht vor, dass Sie es sich ansehen. Was ernst genommen werden muss und alarmierend ist, ist Folgendes: Die Zersplitterung der Wissensgemeinschaft in unzusammenhängende Realitäten ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass eine große Anzahl von Menschen bis heute glaubt, Donald Trump sei insgeheim Präsident, während Joe Biden ein als Weißes Haus getarntes Hollywood-Studio bewohnt. Dies ist eine abgeschwächte Version des viel weiter verbreiteten Glaubens (Dutzende von Millionen Menschen), dass die Wahl gestohlen wurde.

In einer funktionierenden Demokratie könnten die beiden Seiten die Frage, ob die Wahl gestohlen wurde, durch Beweise aus für beide Seiten akzeptablen Informationsquellen diskutieren. Heute gibt es keine solche Quelle. Der größte Teil der Medien hat sich in separate und sich gegenseitig ausschließende Ökosysteme aufgespalten, die jeweils die Domäne einer politischen Fraktion sind, was eine Debatte unmöglich macht. Alles, was übrigbleibt, ist, wie Sie vielleicht schon erlebt haben, ein Schrei-Duell. Ohne Debatte muss man zu anderen Mitteln greifen, um in der Politik den Sieg zu erringen: Gewalt statt Überzeugung.

Dies ist ein Grund, warum ich denke, dass die Demokratie am Ende ist. (Ob wir sie jemals hatten, oder wie viel davon, ist eine andere Frage.)

Sieg ist inzwischen wichtiger als Demokratie

Angenommen, ich wollte einen rechtsextremen, Trump-unterstützenden Leser davon überzeugen, dass die Behauptungen über Wahlbetrug unbegründet sind. Ich könnte Berichte und Faktenchecks auf CNN oder der New York Times oder Wikipedia zitieren, aber nichts davon ist für diese Person glaubwürdig, die mit einiger Berechtigung annimmt, dass diese Publikationen gegenüber Trump voreingenommen sind. Das Gleiche gilt, wenn Sie ein Biden-Anhänger sind und ich versuche, Sie von massivem Wahlbetrug zu überzeugen. Beweise dafür finden sich nur in rechten Publikationen, die Sie sofort als unzuverlässig abtun werden.

Lassen Sie mich dem aufgebrachten Leser etwas Zeit ersparen und Ihre vernichtende Kritik des Obigen für Sie formulieren. „Charles, Sie stellen hier eine falsche Gleichsetzung auf, die schockierend ignorant gegenüber bestimmten unbestreitbaren Fakten ist. Fakt eins! Fakt zwei! Fakt drei! Hier sind die Links. Sie erweisen der Öffentlichkeit einen Bärendienst, wenn Sie auch nur die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die andere Seite es wert ist, gehört zu werden.“

Wenn auch nur eine Seite das glaubt, sind wir nicht mehr in einer Demokratie. Mir geht es hier nicht darum, beide Seiten gleich zu behandeln. Mein Punkt ist, dass keine Gespräche stattfinden oder stattfinden können. Wir sind nicht mehr in einer Demokratie. Demokratie hängt von einem gewissen Maß an bürgerlichem Vertrauen ab, von der Bereitschaft, über die Verteilung der Macht durch friedliche, faire Wahlen zu entscheiden, die von einer objektiven Presse begleitet werden. Sie erfordert die Bereitschaft, sich auf Gespräche oder zumindest Debatten einzulassen. Sie erfordert, dass eine wesentliche Mehrheit etwas – die Demokratie selbst – für wichtiger hält als den Sieg. Andernfalls befinden wir uns entweder in einem Zustand des Bürgerkriegs oder, wenn eine Seite dominant ist, in einem Zustand des Autoritarismus und der Rebellion.

So wird die Linke zur Rechten

An diesem Punkt ist es klar, welche Seite die Oberhand hat. Es liegt eine Art poetische Gerechtigkeit darin, dass der rechte Flügel – der die Informationstechnologie der Volksverhetzung und der narrativen Kriegsführung überhaupt erst perfektioniert hat – nun ihr Opfer ist. Konservative Experten und Plattformen werden schnell aus den sozialen Medien, aus den App-Stores und sogar ganz aus dem Internet verdrängt. Wenn ich das in der heutigen Umgebung überhaupt sage, erregt es den Verdacht, dass ich selbst ein Konservativer bin. Ich bin genau das Gegenteil. Aber wie eine Minderheit von linken Journalisten wie Matt Taibbi und Glenn Greenwald bin ich entsetzt über die Löschung, den Ausschluss von sozialen Netzwerken, Zensur und Dämonisierung der Rechten (einschließlich 75 Millionen Trump-Wähler) – etwas, das man nur als Totalen Informationskrieg bezeichnen kann. Im Totalen Informationskrieg (wie in militärischen Konflikten) ist es eine wichtige Taktik, seine Gegner so schlecht wie möglich aussehen zu lassen. Wie können wir eine Demokratie haben, wenn wir von den Medien, auf die wir uns verlassen, um uns zu sagen, was real ist, was „Nachrichten“ sind, und was die Welt ist, dazu aufgehetzt werden, uns gegenseitig zu hassen?

Es sieht heute so aus, als würde die Linke die Rechte in ihrem eigenen Spiel schlagen: dem Spiel der Zensur, des Autoritarismus und der Unterdrückung von Dissens. Aber bevor Sie die Vertreibung der Rechten aus den sozialen Medien und dem öffentlichen Diskurs feiern, verstehen Sie bitte das unvermeidliche Ergebnis: Die Linke wird zur Rechten. Dies ist bereits seit Langem im Gange, wie die überwältigende Präsenz von Neocons, Wall-Street-Insidern und Unternehmensvertretern in der Biden-Administration beweist. Der parteiische Informationskrieg, der als Links-Rechts-Konflikt begann, mit Fox auf der einen Seite und CNN und MSNBC auf der anderen, wandelt sich rasch in einen Kampf zwischen dem Establishment und seinen Herausforderern.

Erzwungene Illegitimität

Wenn Big Tech, Big Pharma und Wall Street auf der gleichen Seite sind wie das Militär, die Geheimdienste und die Mehrheit der Regierungsbeamten, wird es nicht lange dauern, bis diejenigen zensiert sind, die ihre Agenda stören.

Glenn Greenwald bringt es gut auf den Punkt:

 Es gibt Zeiten, in denen sich Repressions- und Zensurmaßnahmen eher gegen die Linke richten, und Zeiten, in denen sie eher gegen die Rechte gerichtet sind, aber es ist weder eine inhärent linke noch eine rechte Taktik. Es ist eine Taktik der herrschenden Klasse, und sie wird gegen jeden eingesetzt, der als Abweichler von den Interessen und Orthodoxien der herrschenden Klasse wahrgenommen wird, ganz gleich, wo auf dem ideologischen Spektrum er sich befindet.

Für das Protokoll: Ich glaube nicht, dass Donald Trump noch Präsident ist, noch glaube ich, dass es massiven Wahlbetrug gegeben hat. Allerdings denke ich auch, dass, wenn es ihn gegeben hätte, wir keine Garantie hätten, das herauszufinden, weil genau die Mechanismen zur Unterdrückung von Wahlbetrugs-Fehlinformationen auch zur Unterdrückung dieser Informationen verwendet werden könnten, falls sie wahr wären. Wenn Konzern-Regierungs-Mächte die Presse und unsere Mittel der Kommunikation (das Internet) gekapert haben, was soll sie davon abhalten, Dissens zu unterdrücken?

Als Autor, der in den letzten zwanzig Jahren gegenkulturelle Ansichten zu vielen Themen vertreten hat, stehe ich vor einem Dilemma. Die Beweise, auf die ich mich berufen kann, um meine Ansichten zu untermauern, verschwinden aus den Wissensbeständen. Die Quellen, die ich verwenden könnte, um dominante Narrative zu untergraben, sind illegitim, weil gerade sie dominante Narrative untergraben. Die Wächter des Internets erzwingen diese Illegitimität durch eine Vielzahl von Mitteln: algorithmische Unterdrückung, tendenziöses automatisches Ausfüllen von Suchbegriffen, Dämonisierung abweichender Kanäle, Kennzeichnung abweichender Ansichten als „falsch“, Löschung von Accounts, Zensur von Bürgerjournalisten und so weiter.

Der Kultcharakter des Mainstreams

Die daraus resultierende Erkenntnisblase belässt den Durchschnittsbürger genauso in der Realitätsferne wie jemanden, der glaubt, Trump sei noch Präsident. Der kultähnliche Charakter von QAnon und der extremen Rechten ist klar erkennbar. Was weniger offensichtlich ist (vor allem für diejenigen, die sich darin befinden), ist der zunehmend kultähnliche Charakter des Mainstreams. Wie können wir es anders nennen als eine Sekte, wenn sie Informationen kontrolliert, abweichende Meinungen bestraft, ihre Mitglieder ausspioniert und ihre physischen Bewegungen kontrolliert, es an Transparenz und Verantwortlichkeit in der Führung mangelt, sie vorschreibt, was ihre Mitglieder sagen, denken und fühlen sollen, sie ermutigt, sich gegenseitig zu denunzieren und auszuspionieren, und eine polarisierte Wir-gegen-die-Mentalität aufrechterhält? Ich sage sicherlich nicht, dass alles, was die Mainstream-Medien, die Wissenschaft und die Akademiker sagen, falsch ist. Wenn jedoch mächtige Interessen Informationen kontrollieren, können sie die Realität ausblenden und die Öffentlichkeit dazu bringen, Absurditäten zu glauben.

Vielleicht geschieht das mit der Kultur im Allgemeinen. „Kultur“ kommt von der gleichen sprachlichen Wurzel wie „Kult“. Sie erzeugt eine gemeinsame Realität, indem sie die Wahrnehmung konditioniert, den Gedanken strukturiert und die Kreativität lenkt. Was heute anders ist, ist, dass etablierte Kräfte verzweifelt versuchen, eine Realität aufrechtzuerhalten, die nicht mehr zum Bewusstsein einer Öffentlichkeit passt, die sich schnell aus dem Zeitalter der Trennung herausbewegt. Die Verbreitung von Sekten und Verschwörungstheorien spiegelt die zunehmend aus den Angeln gehobene Absurdität der offiziellen Realität sowie der Lügen und Propaganda wider, die sie aufrechterhalten.

Anders ausgedrückt: Der Wahnsinn, der die Trump-Präsidentschaft war, war keine Abweichung von einer Entwicklung hin zu immer größerer Vernunft. Sie war kein Stolpern auf dem Weg von mittelalterlichem Aberglauben und Barbarei hin zu einer rationalen, wissenschaftlichen Gesellschaft. Sie bezog ihre Kraft aus einer zunehmenden kulturellen Turbulenz, so wie ein Fluss immer heftigere Gegenströmungen erzeugt, wenn er sich seinem Sturz über den Wasserfall nähert.

Diskreditierende Belege einer anderen Realität

In letzter Zeit hatte ich als Autor das Gefühl, dass ich versuche, einen Verrückten von seinem Wahnsinn abzubringen. Wenn Sie jemals versucht haben, mit einem QAnon-Anhänger zu argumentieren, wissen Sie, wovon ich spreche, wenn ich versuche, mit dem öffentlichen Verstand zu argumentieren. Ich will mich nicht als das einzige vernünftige Individuum in einer verrückt gewordenen Welt darstellen (und damit meine eigene Verrücktheit demonstrieren), sondern vielmehr ein Gefühl ansprechen, das sicher viele Leser teilen: dass die Welt verrückt geworden ist. Dass unsere Gesellschaft in die Unwirklichkeit abgedriftet ist, sich in einer Illusion verloren hat. So sehr wir auch hoffen, den Wahnsinn einer kleinen und beklagenswerten Untergruppe der Gesellschaft zuschreiben zu können, handelt es sich doch um einen allgemeinen Zustand.

Als Gesellschaft sind wir aufgefordert, das Inakzeptable zu akzeptieren: die Kriege, die Gefängnisse, die gezielt herbeigeführte Hungersnot im Jemen, die Vertreibungen, die Landnahmen, die häuslichen Misshandlungen, die rassistische Gewalt, die Kindesmisshandlungen, die Abzocke, die Zwangsfleischfabriken, die Bodenzerstörung, den Ökozid, die Enthauptungen, die Folter, die Vergewaltigungen, die extreme Ungleichheit, die Verfolgung von Whistleblowern… Auf irgendeiner Ebene ist uns allen bewusst, dass es verrückt ist, mit dem Leben fortzufahren, als ob all dies nicht geschehen würde. Zu leben, als ob die Realität nicht real wäre – das ist die Essenz des Wahnsinns.

Ebenfalls an den Rand der offiziellen Realität gedrängt ist ein Großteil der wunderbaren heilenden und schöpferischen Kraft von Menschen und anderen als menschlichen Wesen. Ironischerweise, wenn ich einige Beispiele dieser außergewöhnlichen Technologien erwähne, zum Beispiel in den Bereichen Medizin, Landwirtschaft oder Energie, handle ich mir den Vorwurf ein, „unrealistisch“ zu sein. Ich frage mich, ob der Leser, wie ich, direkte Erfahrungen mit Phänomenen hat, die offiziell nicht real sind?

Ich bin sehr versucht zu behaupten, dass die moderne Gesellschaft auf eine enge Unwirklichkeit beschränkt ist, aber genau das ist das Problem. Alle Beispiele, die ich von jenseits akzeptabler politischer, medizinischer, wissenschaftlicher oder psychologischer (Un-)Realität anführe, diskreditieren automatisch mein Argument und machen mich für jeden, der mir nicht ohnehin zustimmt, zu einer verdächtigen Figur.

Informationskontrolle erzeugt Verschwörungstheorien

Lassen Sie uns ein kleines Experiment machen. Hey, Leute, Geräte mit freier Energie sind echt, ich habe eins gesehen!

Also, vertrauen Sie mir nach dieser Aussage eher mehr oder weniger? Jeder, der die offizielle Realität in Frage stellt, hat dieses Problem. Schauen Sie, was mit Journalisten passiert, die darauf hinweisen, dass Amerika all die Dinge tut, die es Russland und China vorwirft (Einmischung in Wahlen, Sabotage von Stromnetzen, Bau von elektronischen Hintertüren [zum geheimdienstlichen Abhören]). Sie werden nicht oft auf MSNBC oder der New York Times zu finden sein. Die von Herman und Chomsky beschriebene Fabrikation von Zustimmung („manufacture of consent“) geht weit über die Zustimmung zum Krieg hinaus.

Indem die herrschenden Institutionen Informationen kontrollieren, erzeugen sie eine passive öffentliche Zustimmung zu der Wahrnehmungs-Realitäts-Matrix, die ihre Dominanz aufrechterhält. Je erfolgreicher sie bei der Kontrolle der Realität sind, desto unwirklicher wird sie, bis wir das Extrem erreichen, bei dem jeder vorgibt zu glauben, aber niemand es wirklich tut. Wir sind noch nicht so weit, aber wir nähern uns diesem Punkt schnell. Wir sind noch nicht auf dem Stand des späten sowjetischen Russland, als praktisch niemand die Prawda und die Iswestija für bare Münze nahm. Die Irrealität der offiziellen Realität ist noch nicht so vollständig, ebenso wenig wie die Zensur der inoffiziellen Realitäten. Wir befinden uns immer noch in der Phase der verdrängten Entfremdung, in der viele das vage Gefühl haben, in einer VR-Matrix, einer Show, einer Pantomime zu leben.

Was verdrängt wird, neigt dazu, in extremer und verzerrter Form zum Vorschein zu kommen; zum Beispiel Verschwörungstheorien, dass die Erde flach ist, dass die Erde hohl ist, dass sich chinesische Truppen an der US-Grenze sammeln, dass die Welt von babyfressenden Satanisten regiert wird und so weiter. Solche Überzeugungen sind Symptome dafür, dass man die Menschen in eine Matrix von Lügen einsperrt und ihnen vorgaukelt, sie sei real.

Umso strenger die Behörden Informationen kontrollieren, um die offizielle Realität zu bewahren, desto virulenter und verbreiteter werden die Verschwörungstheorien. Schon jetzt schrumpft der Kanon der „autoritären Quellen“ bis zu dem Punkt, an dem Kritiker der US-Außenpolitik, israelische/palästinensische Friedensaktivisten, Impfstoffskeptiker, ganzheitliche Gesundheitsforscher und gewöhnliche Dissidenten wie ich Gefahr laufen, in die gleichen Internet-Ghettos verbannt zu werden wie die Vollblut-Verschwörungstheoretiker. In der Tat tafeln wir zu einem großen Teil am selben Tisch. Welche andere Wahl gibt es, wenn der Mainstream-Journalismus seiner Pflicht, die Macht energisch herauszufordern, nicht nachkommt, als auf Bürgerjournalisten, unabhängige Forscher und anekdotische Quellen zurückzugreifen, um der Welt einen Sinn zu geben?

Suche nach einem kraftvolleren Weg

Ich merke, dass ich übertreibe, dass ich den Sachverhalt überzeichne, um den Grund für meine jüngsten Gefühle von Vergeblichkeit herauszukitzeln. Die uns zum Konsum angebotene Realität ist keineswegs in sich konsistent oder vollständig; ihre Lücken und Widersprüche können ausgenutzt werden, um Menschen dazu einzuladen, ihre Vernünftigkeit in Frage zu stellen. Es geht mir nicht darum, meine Hilflosigkeit zu beklagen, sondern zu erkunden, ob es für mich einen kraftvolleren Weg gibt, das öffentliche Gespräch angesichts der von mir beschriebenen Umnachtung zu führen.

Ich schreibe seit fast 20 Jahren über die bestimmende Mythologie der Zivilisation, die ich das Narrativ des Getrenntseins nenne, und ihre Folgen: das Programm der Kontrolle, die Denkweise des Reduktionismus, den Krieg gegen das Andere, die Polarisierung der Gesellschaft.

Offensichtlich haben meine Essays und Bücher den Anspruch meines naiven Ehrgeizes nicht eingelöst, genau die Umstände zu verhüten, denen wir heute gegenüberstehen. Ich muss gestehen, dass ich müde bin. Ich bin es leid, Phänomene wie den Brexit, die Trump-Wahl, QAnon und den Capitol-Aufstand als Symptome einer viel tieferen Krankheit zu erklären, als es bloßer Rassismus oder Kultismus oder Dummheit oder Wahnsinn ist.

LeserInnen können mit jüngsten Essays extrapolieren

Ich weiß, wie ich diesen Aufsatz schreiben würde: Ich würde die versteckten Annahmen, die verschiedene Seiten teilen, aufdecken und die Fragen, die nur wenige stellen. Ich würde darlegen, wie die Werkzeuge des Friedens und des Mitgefühls die zugrunde liegenden Ursachen der Affäre aufdecken könnten. Ich würde dem Vorwurf der falschen Gleichwertigkeit, des Both-Sideism und des Spirituellen Bypassings zuvorkommen, indem ich beschreibe, wie Mitgefühl uns befähigt, über den endlosen Krieg gegen das Symptom hinauszugehen und die Ursachen zu bekämpfen. Ich würde beschreiben, wie der Krieg gegen das Böse zu der gegenwärtigen Situation geführt hat, wie das Programm der Kontrolle immer virulentere Formen dessen erzeugt, was es auszurotten versucht, weil es nicht die ganze Reihe von Bedingungen sehen kann, die seine Feinde hervorbringen. Diese Bedingungen, so würde ich erklären, beinhalten in ihrem Kern eine tiefgreifende Enteignung, die aus dem Zusammenbruch von definierenden Mythen und Systemen herrührt. Schließlich würde ich beschreiben, wie eine andere Mythologie der Ganzheit, der Ökologie und des Zusammenseins eine neue Politik motivieren könnte.

Fünf Jahre lang habe ich für Frieden und Mitgefühl plädiert – nicht als moralische Gebote, sondern als praktische Notwendigkeiten. Ich habe wenig Neues über die gegenwärtigen internen Auseinandersetzungen in meinem Land [USA] zu sagen. Ich könnte die grundlegenden konzeptionellen Werkzeuge meiner früheren Arbeit nehmen und sie auf die gegenwärtige Situation anwenden, aber stattdessen mache ich eine Atempause, um zu hören, was unter der Erschöpfung und dem Gefühl der Vergeblichkeit liegen könnte. LeserInnen, die von mir einen detaillierteren Blick auf die aktuelle Politik wünschen, können aus den jüngsten Essays über Frieden, Kriegsmentalität, Polarisierung, Mitgefühl und Entmenschlichung extrapolieren. Es ist alles da in Building a Peace Narrative, The Election: Hate, Grief, and a New Story, QAnon: A Dark Mirror, Making the Universe Great Again, The Polarization Trap und anderem.

Wende zu einer tiefen Auseinandersetzung mit der Realität

Also, ich nehme eine Auszeit vom Schreiben erklärender Prosa oder zumindest eine Verlangsamung. Das heißt nicht, dass ich aufgebe und in den Ruhestand gehe. Ganz im Gegenteil. Indem ich auf meinen Körper und seine Gefühle höre, bereite ich mich nach tiefer Meditation, Beratung und medizinischer Arbeit darauf vor, etwas zu tun, was ich bisher noch nicht versucht habe.

In „Der Verschwörungsmythos“ habe ich die Idee erforscht, dass die Kontrolleure der „Neuen Weltordnung“ keine bewusste Gruppe von menschlichen Übeltätern sind, sondern Ideologien, Mythen und Systeme, die ein Eigenleben entwickelt haben. Es sind diese Wesen, die die Marionettenfäden derer ziehen, von denen wir normalerweise glauben, dass sie die Macht haben. Hinter dem Hass und der Spaltung, hinter dem unternehmerischen Totalitarismus und dem Informationskrieg, der Zensur und dem permanenten Biosicherheitsstaat sind mächtige mythische und archetypische Wesen im Spiel. Sie können nicht direkt wörtlich angegangen werden, sondern nur in ihrer eigenen Sphäre.

Ich beabsichtige, das durch eine Geschichte zu tun, wahrscheinlich in Form eines Drehbuchs, aber möglicherweise auch mit einem anderen Medium der Fiktion. Einige der Szenen, die mir eingefallen sind, sind atemberaubend. Mein Bestreben ist ein Werk, das so schön ist, dass die Leute weinen, wenn es vorbei ist, weil sie nicht wollen, dass es aufhört. Keine Flucht vor der Realität, sondern eine Wende hin zu einer tieferen Auseinandersetzung mit ihr. Denn das, was real und möglich ist, ist viel größer, als der Kult der Normalität uns glauben machen will.

Ein Ausweg aus der kulturellen Sackgasse

Ich gebe freimütig zu, dass ich wenig Grund habe zu glauben, dass ich in der Lage bin, so etwas zu schreiben. Ich hatte nie viel Talent für Fiktion. Ich werde mein Bestes tun und vertraue darauf, dass mir eine so durchdringend schöne Vision nicht gezeigt worden wäre, wenn es keinen Weg dorthin gäbe.

Seit Jahren schreibe ich über die Macht der Geschichte. Es ist an der Zeit für mich, diese Technik voll einzusetzen, im Dienst einer neuen Mythologie. Ausführliche Prosa erzeugt Widerstand, aber Geschichten berühren einen tieferen Ort in der Seele. Sie fließen wie Wasser um die intellektuellen Abwehrkräfte herum und weichen den Boden auf, so dass schlummernde Visionen und Ideale Wurzeln schlagen können. Ich wollte gerade sagen, dass es mein Ziel ist, die Ideen, mit denen ich gearbeitet habe, in fiktionale Form zu bringen, aber das ist es nicht ganz. Es geht darum, dass das, was ich ausdrücken möchte, größer ist, als es in erklärender Prosa untergebracht werden kann. Fiktion ist größer und wahrhaftiger als Sachtexte, und jede Erklärung einer Geschichte ist weniger als die Geschichte selbst.

Die Art der Geschichte, die mich aus meiner persönlichen Sackgasse befreien kann, könnte auch für die größere kulturelle Sackgasse von Bedeutung sein. Was kann die Kluft überbrücken in einer Zeit, in der die Uneinigkeit über eine gültige Quelle von Fakten eine Debatte unmöglich macht? Vielleicht sind es auch hier Geschichten: sowohl fiktionale Geschichten, die Wahrheiten transportieren, die sonst durch die Barrieren der Faktenkontrolle unzugänglich sind, als auch persönliche Geschichten, die uns gegenseitig wieder menschlich machen.

Die Wissensallmende des Internets ausschöpfen

Zu Ersterem gehört die Art von gegen-dystopischer Fiktion, die ich schaffen will (nicht unbedingt ein Bild von Utopia malen, aber einen Ton der Heilung anschlagen, den das Herz als authentisch erkennt). Wenn dystopische Fiktion als eine „prädiktive Programmierung“ dient, die das Publikum auf eine hässliche, brutale oder zerstörte Welt vorbereitet, können wir auch das Gegenteil erreichen, indem wir Heilung, Erlösung, Sinneswandel und Vergebung beschwören und normalisieren. Wir brauchen dringend Geschichten, in denen die Lösung nicht darin besteht, dass die Guten die Bösen in ihrem eigenen Spiel (Gewalt) schlagen. Die Geschichte lehrt uns, was unweigerlich darauf folgt: Die Guten werden zu den neuen Bösen, genau wie in der Informationsschlacht, die ich oben erörtert habe.

Mit der letzteren Art von Erzählung, der der persönlichen Erfahrung, können wir einander auf einer zentralen menschlichen Ebene begegnen, die sich nicht widerlegen oder leugnen lässt. Man kann über die Interpretation einer Geschichte streiten, aber nicht über die Geschichte selbst. Mit der Bereitschaft, die Geschichten derer zu suchen, die außerhalb der eigenen vertrauten Ecke der Realität stehen, können wir das Potenzial des Internets zur Wiederherstellung der Wissensallmende ausschöpfen. Dann werden wir die Zutaten für eine demokratische Renaissance haben. Demokratie hängt von einem gemeinsamen Gefühl von „Wir, das Volk“ ab. Es gibt kein „Wir“, wenn wir uns gegenseitig durch parteipolitische Karikaturen sehen und uns nicht direkt engagieren. Wenn wir die Geschichten der anderen hören, wissen wir, dass im wirklichen Leben Gut gegen Böse selten die Wahrheit ist, und dass Herrschaft selten die Antwort ist.

Wenden wir uns einem gewaltfreien Umgang mit der Welt zu

[…]

So begeistert habe ich mich noch nie bei einem kreativen Projekt gefühlt, seit ich 2003–2006 „The Ascent of Humanity“ geschrieben habe. Ich fühle, dass sich das Leben regt, Leben und Hoffnung. Ich glaube, dass in Amerika und wahrscheinlich auch an vielen anderen Orten dunkle Zeiten auf uns zukommen. Im vergangenen Jahr habe ich Phasen tiefer Verzweiflung durchlebt, als Dinge eintraten, die ich zwanzig Jahre lang zu verhindern versucht hatte. All meine Bemühungen schienen vergeblich. Doch jetzt, da ich eine neue Richtung einschlage, erblüht in mir die Hoffnung, dass andere das Gleiche tun werden, und das menschliche Kollektiv ebenso. Denn haben sich nicht auch unsere furiosen Bemühungen, eine bessere Welt zu schaffen, als vergeblich erwiesen, wenn man den aktuellen Zustand von Ökologie, Wirtschaft und Politik betrachtet? Sind wir als Kollektiv nicht alle erschöpft von dem Kampf?

Ein Schlüsselthema meiner Arbeit war die Berufung auf andere kausale Prinzipien als Gewalt: Morphogenese, Synchronizität, die Zeremonie, das Gebet, die Geschichte, der Samen. Ironischerweise sind viele meiner Essays selbst von einem gewaltsamen Typus: Sie tragen Beweise zusammen, setzen Logik ein und tragen einen Fall vor. Es ist nicht so, dass Technologien der Gewalt von Natur aus schlecht sind; sie sind nur begrenzt und unzureichend für die Herausforderungen, vor denen wir stehen. Beherrschung und Kontrolle haben die Zivilisation dorthin gebracht, wo sie heute ist, im Guten wie im Schlechten. Wie sehr wir uns auch an sie klammern mögen, sie werden Autoimmunkrankheiten, Armut, ökologischen Kollaps, Rassenhass oder den Trend zum Extremismus nicht lösen. Diese werden nicht ausgerottet werden. Genauso wird die Wiederherstellung der Demokratie nicht kommen, weil jemand einen Streit gewinnt. Und so erkläre ich gerne meine Bereitschaft, mich dem gewaltfreien Umgang mit der Welt zuzuwenden. Möge diese Entscheidung Teil eines morphischen Feldes sein, in dem die Menschheit kollektiv das Gleiche tut.

Übersetzung: Bobby Langer

Spenden ans gesamte Übersetzerteam werden gerne angenommen:

GLS Bank, DE48430609677918887700, Verwendungszweck: ELINORUZ95YG

 

(Originaltext: https://charleseisenstein.org/essays/to-reason-with-a-madman)

 

„Spüren was ist“ – Rezension von Bobby Langer

Mit Messern sollte man vorsichtig umgehen, sie am Griff anpacken und nicht an der Schneide. Lässt sich dieser Satz auf Bücher übertragen? Im Endeffekt ja. Was ich damit meine?

Manche Bücher sind harmlos wie stumpfe Messer. In so ein Buch kann ich mich hineinwerfen und das Buch lässt das mit sich geschehen, weil es genau diesen Typ von Leser will. Dann zieht es mich am Handlungsstrang bis ans Ende, an dem ich aufatmen kann: „Ah, das war also der Mörder!“ Oder: „Ja, so ist das Leben.“ So zu lesen ist ein bisschen wie Sex ohne Zuneigung.

Bei anderen Büchern empfiehlt sich eine vorsichtige Herangehensweise. Man nähert sich ihnen am besten an, indem man sich in ihren Sinn und ihre Aussagen hineintastet, hineinspürt. Man macht dem Buch gewissermaßen den Hof, bis es einen erhört – oder abweist. Lese ich so, dann lasse ich die ersten Sätze und Seiten in mich einfließen, ohne sie zu bewerten und schaue, was sie in mir bewirken, was mit mir geschieht. Und wenn alles gut geht, dann werde ich getragen, statt fortgerissen.

Marc Seegers Buch „Spüren was ist – Die Symmetrie des Lebens“ gehört zur zweiten Kategorie. Und das, obwohl es ein Ratgeber ist. Man könnte es auch als ein Lehrbuch der Achtsamkeit verstehen. Denn „spüren“ ist der Kernbegriff, um den es hier geht. Spüren verstanden als „achtsam sein in Bezug auf etwas“, „Bewusstheit für etwas entwickeln“, also zum Beispiel sein Herz spüren, seinen Atem spüren, oder, schon komplizierter, sein Bewusstsein spüren, seinen Willen, sein Innen und Außen. Dabei knüpft Seeger an den Satz von Saint-Exuperys Kleinen Prinzen an: „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“

1001 Gedanken wirbeln in diesem Buch durcheinander, werden in Verbindung gebracht, wieder aufgelöst, neu verknüpft; eine Denk- und Spüranregung ersten Ranges. Übungen erleichtern die teils sehr theoretischen Zugänge und öffnen Türen ins eigene Selbst. „Ziel ist es“, so schreibt Marc Seeger, „zu spüren, was ist. Um dahin zu kommen, um ins Spüren zukommen, ist es hilfreich, die eigene Lebenswelt und die verschiedenen Kräfte zu betrachten. Das Spüren ermöglicht es, in ein Gleichgewicht zu kommen und in der eigenen Mitte zu sein.“ Und: „Spüren bringt uns wieder in unseren Rhythmus, den wir an den Takt von Maschinen und Technik verloren haben.“ Dazu gehört auch ein fruchtbarer Umgang mit der eigenen Intuition.

In vielen spirituellen Ratgebern wird zu einem achtsamen Leben aufgefordert. Die Antwort darauf, wie man da hinkommt, bleiben sie oft schuldig. Anders in „Spüren was ist“. Hier werden die nahezu unbegrenzten Dimensionen achtsamen Lebens sehr detailliert beschrieben und jeweils mit Übungen vertieft: „Sich spüren – Alles oder Nichts“, „Gefühle spüren – Unsere Realität“, „Zwischenmenschliches Erspüren – Der Raum entsteht“, „Mitwelt – Die Dimension von Natur und Umwelt“, „Unsere Gegenwart – Die zeitliche Dimension“.

Um nicht im Ungefähren hängen zu bleiben, liefert Marc Seeger mit Hilfe der Blume des Lebens verschiedene Musteransätze, mit denen sich die Verwobenheit von Wirklichkeit und Innenwelt in ihren verschiedensten Aspekten erschließen lässt. Beispiele zeigen, wie man damit umgehen könnte, und unbeschriftete Modelle lassen sich individuell ausfüllen. Letztlich geht es wieder und wieder darum, „sich in der Mitte zwischen den Kräften einzufinden“, sich nicht in Polaritäten zu verlieren, in der Symmetrie des Lebens die Gegensätze aufzulösen.

Das dem Buch angefügte Glossar ist, anders als gewohnt, kein Anhängsel, sondern liefert ganz eigene, oft erstaunliche Anregung, um ins Spüren zu kommen; zum Beispiel das scheinbar so banale Stichwort „Boden“. Ihm kann man sich neu und achtsam nähern mit folgenden Fragen des Autors:

  • Wie nehme ich Böden und den Untergrund, auf dem ich gehe, wahr?
  • Welche Beläge/Untergründe kenne ich? Welche sind natürlich, welche künstlich? Wie wurden die künstlichen hergestellt? Welcher Aufwand ist damit verbunden?
  • Auf welchen bin ich schon barfuß gelaufen?
  • Welche Unterschiede nehme ich wahr?
  • Wie ist mein Gang auf den Böden (vielleicht sicher, fest, locker, weich …)?
  • Nehme ich wahr, dass ich mich auf der ERDE bewege, die sich im Universum befindet?
  • Welchen Kontakt habe ich zu Mutter Erde? Bin ich dankbar dafür, mit auf Mutter Erde zu bewegen? Kann ich ihre Energie aufnehmen und sie durch die Füße in den ganzen Körper verteilen?
  • Welche Unterschiede bemerke ich, wenn ich Energie in der Stadt oder im Wald aufnehme?S

Eine Warnung sei allerdings ausgesprochen: Wer überhaupt keinen Draht zu esoterischen Denkansätzen hat oder sich von Denkmustern wie Feinstofflichkeit, Aura oder Chakra sogar abgestoßen fühlt, sollte von diesem Buch die Finger lassen. Ein Beispiel: „Die Seele kommt auf die Erde, um dazuzulernen, aber auch um das Ursprüngliche zu erhalten und zu bewahren. Da uns das abhandengekommen ist, sind viele Seelen damit beschäftigt, andere Seelen … an ihre Aufgabe zu erinnern.“ Voraussetzung für eine sinnvolle Nutzung des Buches „ist die Bereitschaft, Neues zuzulassen, sich Neuem hinzuwenden und Bekanntes infrage zu stellen“.

Marc Seeger, Spüren was ist. Die Symmetrie des Lebens. Tredition Verlag. ISBN 978-3-347-20955-8 (28,99 €, Hardcover) oder ISBN 978-3-347-20954-1 (19,99 €, Softcover). Am besten zu bestellen direkt beim Autor: marc.seeger@email.de.

oder Soziale Medien sind … was für mich!

ein Beitrag von Jele Oppermann

Prof. Ulrich Kelber, der „Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit“ (1), hat im Juni 2021 einen Brief an alle Bundesministerien und obersten Bundesbehörden (2) geschickt. Darin weist er darauf hin, dass er von Abhilfemaßnahmen Gebrauch machen wird – ja, das ist eine Drohung –, wenn die besagten Stellen ihre Seiten auf Facebook nicht löschen; er meint, ein datenschutzkonformer Betrieb einer Facebook-Fanpage sei gegenwärtig nicht möglich. Schon im April letztes Jahr hatte er Bundesbehörden quasi verboten, WhatsApp zu nutzen (3). Und das mitten in der Pandemie, als wir wirklich andere Sorgen hatten als ein bisschen pille-palle Datenschutz! Ja, ist der Mann denn irre?!

Nein, das ist er natürlich nicht.
Er weiß einfach nur, dass Daten in jeder Hinsicht das neue Öl sind. Weiterlesen

von Maria Schöller

Vor einigen Wochen durfte ich mit einer Gruppe eine Übung machen. In der Zwischenzeit hat die Erinnerung daran immer wieder mein Herz weich und warm werden lassen – und so möchte ich nun auch Dich daran teilhaben lassen.

Die Übung

Bei der Übung (die noch keinen Namen hat) geht es darum, sich in Zweiergruppen in Begriffspaare hineinzuversetzen und diese in einer Haltung oder Geste zum Ausdruck zu bringen. Die Begriffspaare sind dabei Ausdruck polar gegenüberstehender Lebenshaltungen: Getrenntheit vs. Verbundenheit.

Im Wortlaut zum Beispiel: Weiterlesen

von Peter Zettel

Das unterscheidet uns Menschen von den Tieren: Sie tragen einfach keine Maske, hinter der sie sich verstecken. Obwohl, eigentlich ist es genau umgekehrt. Habe ich eine Maske auf, verberge ich nicht mich selbst, sondern ich hindere mich daran, den anderen wahrzunehmen.

Wie ich darauf komme? Kürzlich war ich auf einer Familienaufstellung, ohne irgendwelchen esoterischen und metaphysischen Schnick-Schnack. Dabei fielen mir zwei Dinge auf. Weiterlesen

von Peter Zettel

Von kompliziert zurück zu komplex. Keine Sorge, die Welt bleibt, wie sie ist und auch schon immer war, da muss man nichts ändern. Tiere haben es da verdammt gut. Die verhalten sich ganz klar nach komplexen Prinzipien, die denken nicht kompliziert, so wie wir Menschen das so wunderbar können.

Die Menschheit hat sich in dem komplexen Lebensraum Erde einen ganz eigenen geschaffen, mit eigenen Spielregeln. Und da dieser Raum vor allem mechanische Dinge enthält, brauchte es dafür mechanische Regeln. Wie soll man sonst auch Häuser, Viadukte und all die Dinge bauen, die das Leben so angenehm machen? Das Blöde war nur, dass der Mensch irgendwann auf die unsinnige Idee kam, diese mechanischen Regeln auch auf sich selbst anzuwenden. Echt dumm gelaufen, aber passiert ist nun einmal passiert.

Seit ungefähr einem Jahrhundert sind die Physiker darauf gekommen, dass unser Verständnis von der Welt irgendwie unvollständig ist. Das hatten auch schon andere Philosophen vor ihnen erkannt, nur die Physiker konnten das ganz pragmatisch auch noch nachweisen. Ihre Erkenntnisse waren eben nicht philosophischer Natur, sondern technischer. Die Erörterung grundsätzlicher Fragen kam bei ihnen erst danach. Und diese Erkenntnisse haben still und leise unsere Menschenwelt verändert, und das gewaltig. Weil diese Erkenntnisse in unsere Technik allgegenwärtig und nicht mehr wegzudenken sind. Und scheinbar hat das auch unser Denken verändert.

Ob das der einzige Grund ist, warum wir gerade Feuer unter dem Dach haben und ob die Tatsache der regelrechten Explosion der Bevölkerungszahlen dabei eine Rolle spielen, vermag ich nicht zu sagen. Aber ich vermute, dass es das grundlegende Problem deutlicher und drängender macht. Technisch sind wir interessanterweise einen Schritt zurückgegangen, wir haben nämlich damit begonnen, die Komplexität zu entdecken. Das ist ja keine neue Erfindung, die galt schon immer, nur wir Menschen haben das ganz offensichtlich perfekt ausgeblendet. Oder ignoriert, keine Ahnung.

Wir stoßen gerade mit unserer Art, die Dinge nach mechanischen Regeln managen zu wollen, gewaltig an die Wand. Mir kommt das vor wie in der Truman Show. Alles nur ein Fake. Sehr realistisch, aber eben nicht echt und am wirklichen Leben komplett vorbei. Ich jedenfalls fühle mich seit einiger Zeit wie Truman Burbank und bin mit meinem geistigen Segelboot gerade durch den Horizont gekracht. Auf einmal sieht alles ganz anders aus. Nur nach welchen Regeln soll man sich da orientieren, wenn die alten doch irgendwie nicht stimmen, unvollständig sind?

Immanuel Kant hat für die Menschenwelt seiner Zeit einen perfekten Gedanken ausgesprochen, seinen kategorischen Imperativ: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.“ Das könnte auch heute noch perfekt funktionieren. Könnte man meinen. Tut es aber leider nicht. Auch nicht, wenn ich in die Zeitung schaue, auch ganz offensichtlich nicht. Denn irgendwie haben wir den Horizont des mechanischen Denkens und damit auch den eigenen Horizont, also unser eigenes Weltbild, durchstoßen. Wenn schon Physiker sagen, dass das mit den Naturgesetzen nichts ist, es sind nämlich keine Gesetze, sondern nur Beschreibungen, dann gilt das auch für unser eigenes Denken (sehr empfehlenswert: Natalie Knapp, Der Quantensprung des Denkens: Was wir von der modernen Physik lernen können).

Wir „funktionieren“ ganz anders, als wir üblicherweise dachten. Und mit starren Gesetzmäßigkeiten ist da kein Kohl mehr zu gewinnen. Gesetze, Regeln und Methoden funktionieren nicht, haben sie auch noch nie wirklich. Nur jetzt bekommen wir das gewaltig zu spüren und merken, dass wir auf der falschen Seite des Astes sitzen, an dem wir sägen. Was also tun? Klar, anderes denken, keine Frage. Doch damit ist der Umgang miteinander noch nicht so geordnet, dass wir sagen könnten, es passt. Jede Zeit braucht ethische Prinzipien, die die Menschen zum einen verstehen und die auch zum anderen den Erfordernissen ihres alltäglichen Lebens gerecht werden.

Natürlich sollte man sich immer noch an Regeln und Gesetze halten, so wie auch Newtons Physik noch immer ihre Gültigkeit hat. Aber es ist etwas dazugekommen, lässt uns die Welt mit anderen Augen sehen. Der Anwendungsbereich der klassischen Physik ist kleiner geworden, er gilt eben nicht mehr für das Miteinander, für unsere Beziehungen. Wie gesagt, es hat noch nie wirklich funktioniert, nur jetzt merken wir es überdeutlich. Das heißt, wir müssen auch unsere Ethik unserem veränderten Weltbild entsprechend neu formulieren.

Täten wir das, wäre es wohl wesentlich leichter, sich in dieser neuen alten Welt angemessen zu bewegen. Wir brauchen definitiv das Verständnis für eine weitergehende Ethik. Meine Überzeugung ist, dass wir nicht mehr nur vom Handeln ausgehen dürfen, wie Kant, sondern wir müssen wesentlich grundsätzlicher vom Denken ausgehen. Etwa in dieser Art: Denke so, dass deine Gedanken, Ideen und Vorstellungen das Leben aller lebenswerter machen. Ich weiß, das ist noch nicht griffig genug. Doch die Richtung stimmt!

Vor ein paar Jahren habe ich mal in Sieben Linden eine Ausbildung zum Dragon-Dreaming-Trainer gemacht, sogar mit John Croft persönlich. Umso mehr freue ich mich, dass diese großartige Methode zunehmend an Gewicht gewinnt und Astrid in ihrem Blog ausführlich berichtet, worum es geht:

“Was wäre, wenn wir schönere Städte hätten, wo man sich auch als Fußgänger sicher bewegen kann? Wenn wir kein Auto mehr brauchen würden? … Wenn wir nicht mehr in Urlaub fahren würden, weil es bei uns so schön ist? Wenn wir eine interessante und wichtige Arbeit hätten? Was wäre, wenn wir mit netten Menschen zusammen leben würden? Und wenn keiner mehr befehlen und keiner mehr gehorchen müsste? …

Am Anfang ist immer der Traum. Die Sehnsucht. Nun werden die wenigsten Träume wahr. Aber es gibt einen Weg, eine unglaublich effektive Methode, wie man gemeinsam Projekte verwirklichen, sich einigen und Entscheidungen treffen kann, ohne dass einer sagt, wo es langgeht und alle anderen folgen. Wo alle sich einbringen und alle beteiligt sind: das Dragon Dreaming.”