Der lange Weg von „normal“ zu „natürlich“

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von Peter Zettel

Der lange Weg von normal zu natürlich beginnt mit dem Versuch der Definition von „normal“: Hanna Arendt schreibt in „Eichmann in Jerusalem“, dass „das Beunruhigende an der Person Eichmann doch gerade war, dass er war wie viele und dass diese vielen weder pervers noch sadistisch, sondern schrecklich und erschreckend normal waren“

Ein Nazi-Mörder – und ganz normal? Ich kenne einen persönlich, ein ganz normaler Mann, allseits beliebt – und ein Nazi-Mörder: Mein Vater. Daraus habe ich eins gelernt, nämlich dass es vor allem um mich geht, denn er ist ja schon tot. Mich interessiert nicht, wie die Zeit damals war, denn seine Opfer entlastet das nicht. Ihr Leiden wird ihnen durch seine (oder die anderer) Rechtfertigungen nicht berührt. Es bleibt wie es ist. Grausam, brutal. Mit anderen Worten: „Normal“ ist kein Kriterium, an dem ich mich ausrichten darf.

Was mich aber interessiert, das ist, mit welcher Denkstruktur er gedacht haben muss, dass er zu solchen Taten fähig war. Das aus dem ganz einfachen Grund, weil ich ja meine Denkstrukturen von ihm gelernt und übernommen habe. Sind mir die jedoch bewusst, kann ich ihnen auf den Grund gehen und sie notfalls ändern. (Was übrigens nicht so einfach ist, das braucht eine Menge Disziplin.) Sind sie mir jedoch nicht bewusst, denke ich nach dem gleichen Muster wie er, und ich bin mir nicht bewusst, in welche gedankliche Falle ich damit gerate oder auch geraten kann.

Entscheidend ist nicht, wie die Zeiten sind, sondern wir ich auf sie reagiere – mache ich mit, lasse ich mich verführen, ziehe ich lieber den Kopf ein und bin still oder habe ich gelernt, eigenständig zu denken und stehe ich zu meiner Meinung und bin deswegen nicht oder wenigstens nicht ohne weiteres verführbar? Was nicht bedeutet, keine Fehler zu machen! Aber es bedeutet, mich konsequent in intellektueller Redlichkeit zu üben und nicht dem Mainstream hinterherzuhecheln.

Nur nützt das alles nichts, wenn da kein Ziel ist, das anzusteuern sich lohnt. Sonst geht es mir wie dem Kapitän, der trotz bester Schiffs-, Gezeiten- und Seekenntnisse nie den sicheren Hafen verlässt. Was also muss ich tun, damit ich natürlich wie Nachbars Katzen lebe? Da ich nicht in Katzenköpfe komme, werde ich das nie wissen. Ich kann nur darüber spekulieren. Aber eines kann ich wissen: Was Wirklichkeit wahrscheinlich ist. Sicher kann ich mir auch hier nicht sein, aber ich kann mich dem zumindest weitest möglichst annähern.

Was mir aber noch fehlt, das ist die Geschichte, sonst hört mir ja keiner zu. Solange ich die nicht habe, bin ich einfach nur älter (oder auch schon alt) und habe einiges erlebt und mir über vieles Gedanken gemacht. Obwohl, einen Hinweis habe ich ja vielleicht schon. Kürzlich meinte der 14-jährige Nachbarjunge zu mir, ich sei der Dalai Lama vom Seltsamplatz. Nun, ich laufe in keiner roten Robe herum, sondern meist in Schwarz oder noch lieber in Motorradklamotten, aber irgendwie trifft es dieser Gedanke.

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