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Dieser Essay von Fabiana Fondevila ist Teil der Anthologie “Frieden mit der Natur – 19 Annäherungen”, die kürzlich zum 40-jährigen Bestehen des Verlags NEUE ERDE erschien. Alle Texte gehen davon aus, dass es unter den Menschen erst Frieden geben wird, wenn wir als Menschheit Frieden schließen mit der Natur.

Fabiana beschreibt, wie sehr ein Besuch in den Regenwäldern Costa Ricas ihre Naturwahrnehmung verstärkt und vertieft hat: „Um genau zu sein, hatte der Dschungel die Lautstärke eines inneren Dialogs erhöht, den ich schon mein ganzes Leben lang führe.“ Über die Biophilie, die Liebe zum Leben, führen ihre Gedanken zur Biopraxis, …“egal, wo wir leben – in der üppigen Wildnis des Dschungels oder auf einer belebten Straße in der Stadt – wir können uns selbst zu Lebensaktivisten erheben und unsere eigene Agenda festlegen“.

Zum Essay „Von Verwaltern des Lebens zu Lebensaktivisten“.
(Alle bereits online stehenden Essays findest du unter https://www.ökoligenta.de/category/frieden-mit-der-natur.)

Lohnenswert für alle, die erfahren möchten, wie wir gemeinsam die Erde transformieren können, ist der kostenfreie Online-Kongress „Frieden mit der Natur – Gemeinsam für eine Neue Erde“ am 25.10.2024

 

Ich kenne ein paar Leute, die lehnen Krieg grundsätzlich ab. Ich gehöre dazu. Aber die meisten, die ich kenne, selbst Freunde von mir, schließen sich – ganz pragmatisch – dem Satz von General Clausewitz an: „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“ Clausewitz starb 1831, also vor beinahe 200 Jahren. So veraltet ist dieses Denken – und noch immer nicht aus der Welt, noch immer lebendig. „Ach so, Krieg“, sagen meine Bekannten leidenschaftslos, zucken ihre wohlproportionierten Achseln und gehen ohne jedes Zittern in der Stimme zum Tagesgeschäft über.

Die PR der Kriegsleute

So zu denken und so etwas nachzuplappern, ist seit jeher deutsche Tradition. Auch Clausewitz war, Gott bewahre, kein Freund des Krieges – „nur wenn er sein musste“! Von dem General stammt das wunderschöne Zitat: „Ich glaube und bekenne, dass ein Volk nichts höher zu achten hat als die Würde und Freiheit des Daseins.“ Natürlich galt dieser Satz nicht für Untermenschen wie Franzosen, Russen und ähnliches Packzeug.

Nun denn, hehre Sätze von höherer Stelle dienen vorwiegend den Public Relations. Von den Ukrainern sagte Putin: „Das sind unsere Kameraden, unsere Nächsten.“ Bundeskanzler Scholz verkündete: „Wir alle sehnen uns nach einer friedlicheren Welt“ und: „Wir stehen ein für den Frieden in Europa.“ Und wir wissen: Mit solchen geistigen Ruhekissen werden die nächsten Waffengänge bzw. Waffenlieferungen vorbereitet.

Werden wir noch auffindbar sein?

Und uns alle, die im Grundsatz den Krieg ablehnen, und jene, die unter Umständen den Krieg akzeptieren, „wenn er denn sein muss“, verbindet ein gemeinsamer Nenner: Wir fühlen uns hilflos. Nun, ganz so hilflos sind wir doch nicht, wie die letzten Wahlen belegen. Solche  Scharmützel mögen der bedrängten Seele eine kurzfristige Erleichterung verschaffen, können aber eben auch nach hinten losgehen.

Wir, die wir den Krieg grundsätzlich ablehnen, schließen uns Tucholskys Forderung an: „Du sollst nicht töten! hat einer gesagt. Und die Menschheit hörts, und die Menschheit klagt. Will das niemals anders werden? Krieg dem Kriege!“ Brecht hat es uns hinter die Ohren geschrieben: „Das große Karthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten.“ Werden wir noch auffindbar sein nach dem dritten?

Das formidabel formbare Gewissen

Das glaubt eigentlich niemand, der ernstlich darüber nachdenkt. Denken also die Kriegsbefürworter nicht darüber nach? Wohl schon, aber eben nur ein bisschen. Ihr Bedürfnis, den Herrschenden nach dem Wort zu reden, und ihr formidabel formbares Gewissen, das sich geschickt auch um den einen oder anderen Völkermord herumwindet, verhindern, der Gefahr wirklich ins Auge zu schauen.

Im Grund genommen wäre angesichts einer drohenden Gefahr eine Risiko-Abschätzung notwendig. Nehmen wir einmal an, unser Kind hätte sich durch die Gitterstäbe eines Tigerkäfigs gezwängt. Hier stehen wir vor dem Käfig, drinnen hinter den Stäben ist das Kind und im Hintergrund des Käfigs hebt der Tiger aufmerksam seinen mächtigen Schädel. Wir blicken auf die Käfigklappe und schätzen ab: Wie schnell könnte der Tiger reagieren, wenn wir sie öffnen, das Kind packen, herausziehen und die Klappe wieder schließen? Vermutlich würden wir das Risiko eingehen. Wie aber, wenn der Tiger vor der Klappe läge und das Kind neben ihm stünde?

Was wir wissen

Wenn irgendwo Krieg herrscht, wissen wir immer zweierlei: 1. Es ist Krieg. 2. Beide Seiten behaupten mit den jeweils besten Argumenten, sie hätten Recht, müssten sich verteidigen und legen dafür ihrer Bevölkerung glaubwürdige Beweise vor. Das war beim Zweiten Weltkrieg so, das war beim Vietnamkrieg so, das war beim Irakkrieg so und das ist bei den jetzigen Kriegen nicht anders. Genaueres weiß man meist erst Jahrzehnte später. Bis dahin sind Hundertausende bzw. Millionen Menschen gestorben und das Leid der betroffenen Bevölkerungen übersteigt alles uns Vorstellbare, während wir Würstchen grillen und ein Eis essen gehen. Was wir in so gut wie jedem Kriegsfall ebenfalls wissen: Das Kriegsergebnis war dieses unbeschreibliche Leid nicht wert. So war es „eigentlich nicht gemeint“. Die Risiko-Abschätzungsfrage lautet also: Wie viel Leid möchte ich zulassen, um Recht zu haben? Und im Falle eines möglichen Atomkriegs: Wie wichtig ist mir mein Rechthaben, dass ich dafür nicht nur millionenfachen Tod und milliardenfaches Leid in Kauf nehme, sondern auch die eventuelle Zerstörung der Welt? Wie viel Prozent Risiko sind für mich noch „ganz okay“? Meine Antwort: Angesichts dieser Gefahr null Prozent. Ich bitte deshalb alle den Krieg-in-Kauf-Nehmenden, diese Frage für sich selbst mit dem gebotenen Ernst zu stellen und zu beantworten. Ganz im Stillen. Eure Antwort muss ja niemand wissen am Stammtisch.

Krieg dem Kriege, aber wie?

Um auf Tucholskis Forderung „Krieg dem Kriege“ zurückzukommen – wie kann so ein Krieg gegen den Krieg aussehen? Nun, vom Faktischen her sollten wir unserem Umfeld klarmachen, was auf dem Spiel steht. Vielleicht auch noch: Gibt es mehr oder weniger wertvolle Menschen; gibt es also Menschen, die so wertlos sind, dass der Mord gestattet ist, wenn ihn mir jemand nahelegt oder befiehlt? Oder dass ich ihn doch zumindest unterstützen mag?

Wenn ich aber mir selbst die Frage stelle: Wie gehe ICH um mit dem Krieg? Und dann ganz aufrichtig weiterforsche, dann werde ich schnell feststellen, wie sehr auch in mir noch eine gewisse Kriegsbereitschaft herrscht; vielleicht keine im eigentlich mörderischen Sinn, sehr wohl aber in dem Sinn, dass mir mein Rechthaben unendlich viel wichtiger ist als der Wunsch, mein Gegenüber zu verstehen. Und erst letzteres wäre die tiefere Voraussetzung für meine Friedensfähigkeit. Diese in mir und in meinen Kindern, Freunden und Nachbarn zu wecken, das wäre die Essenz von „Krieg dem Kriege“. Ich weiß, das klingt in den meisten Ohren radikal, aber sollten wir unsere Kriegsbereitschaft nicht wirklich mit Stumpf und Stiel auslöschen, leidenschaftlich und ein für alle Mal?

Die vielleicht größte Herausforderung für jeden von uns, der hofft, Bürger des Planeten A zu werden, besteht darin, Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen. Wie können wir unsere innere Stärke ausreichend entwickeln, um uns auf die regenerative Zukunft zu konzentrieren?

Dazu gehört zu lernen, wie man mit konkurrierenden Wahrheiten im öffentlichen Raum umgeht und wie man sein Wohlbefinden angesichts einer sich verschlechternden Umwelt fördert.

Wenn man sich andererseits mit Menschen umgibt, die die grünen Triebe einer besseren Zukunft sehen können, gibt dies Vertrauen, wo vorher keines war. Die Aufmerksamkeit für neue Formen von Intelligenz und Handlungsfähigkeit zu gewinnen und zu schenken, belebt jeden Raum. Das verändert unsere Wahrnehmung des Lebens auf diesem Planeten.

Emotionale Bedürfnisse und Ressourcen

Gemäß dem Human Givens-Modell sind Menschen so konzipiert, dass sie neun wesentliche emotionale Bedürfnisse verspüren, die ihnen helfen zu überleben, indem sie sozial werden. Dies sind die Bedürfnisse nach: Status, Zugehörigkeit, Autonomie, Verbundenheit, Privatsphäre, Sinn und Zweck, Leistung und Intimität.

Wir sind auch so angelegt, dass wir diese Bedürfnisse selbst durch den Einsatz unserer angeborenen Ressourcen erfüllen können: die Fähigkeit, uns zu erinnern; uns etwas vorzustellen; eine Beziehung zu haben; uns in andere einzufühlen und uns selbst zu beobachten. Wenn unsere Gemeinschaften und Arbeitsräume so gestaltet sind, dass sie uns dabei helfen, unsere Bedürfnisse in Einklang zu bringen, schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass jeder von uns Verantwortung übernehmen kann.

Integrales Wachstum

Jeder von uns durchläuft einen Entwicklungsbogen von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter (das heute mit 24 Jahren als voll entwickelt gilt). Damit verbunden, aber nicht ausschließlich damit verbunden, sind Fortschritte in der psychosozialen Handlungsfähigkeit – wir bewegen uns wie auf einer Leiter durch verschiedene Reaktionen auf unsere Umwelt und entwickeln langsam neue Handlungsweisen.

Als Kinder reagieren wir emotional und stellen unsere eigenen Bedürfnisse an erste Stelle. Als junge Erwachsene sind wir oft von Sicherheit und einer wachsenden Fähigkeit motiviert, unser Leben zu strukturieren. Später können wir in unseren Beziehungen zu anderen strategischer vorgehen. Um ins volle Erwachsenenalter zu gelangen, werden wir irgendwann auch die Rechte aller Menschen wahrnehmen, was unsere eigene Handlungsweise verändern wird.

Laut der integralen Auffassung bedeutet Reife – wenn die Umstände es zulassen –, sich dieser verschiedenen Arten der Handlungsfähigkeit in uns bewusst zu werden und zu lernen, sie zu integrieren. Gleichzeitig können wir die Gesellschaft als eine Gesellschaft betrachten, die aus eben diesen verschiedenen Verhaltensweisen besteht, und neue Arbeitsweisen entwickeln, um dieser Vielfalt gerecht zu werden.

Praxis

Immer mehr Menschen wenden Praktiken zur Schulung der Aufmerksamkeit, zur Entwicklung der Fähigkeit, einander zuzuhören, und zur Visionsbildung an. Einige davon werden individuell und andere kollektiv durchgeführt. Die Achtsamkeitspraxis hat in den letzten 20 Jahren auf allen Ebenen der Gesellschaft – von Schulen bis hin zu Unternehmen und Regierungen – exponentiell zugenommen.

Es gibt jedoch keine Garantie dafür, dass eine erhöhte Aufmerksamkeit in einer Kultur, die selbst unreflektiert ist – ihre eigenen Grundprinzipien nie in Frage stellt und immer auf demselben Weg bleibt – den Unterschied ausmacht, den wir in dieser dringenden Situation brauchen.

Planet A bietet einen Rahmen für die persönliche Entwicklungspraxis und hilft jedem, seine Reaktionsfähigkeit zu entwickeln, um gemeinsam mit anderen, die dasselbe tun, aktiv zu werden.

Aktionspunkte

Beschäftige dich mit der Wissenschaft der emotionalen Bedürfnisse und Ressourcen (das Human Givens-Modell ist eines davon, Damasio und Panksepp sind andere).

Beschäftige dich mit der integralen Theorie und schließe dich Praktikern aller Art bei Emerge an.

Finde eine Praxis, die dir hilft, deine eigenen Gedanken zu ordnen und in diesem Zeitalter des Chaos und der konkurrierenden Zukunftstheorien zentriert zu bleiben.

[Originaldatei: https://www.thealternative.org.uk/i-planetarian]

Seien wir doch mal zur Abwechslung wirklich ehrlich und betrachten ganz objektiv die Faktenlage: Das Voranschreiten der Klimakrise ist nicht mehr zu übersehen. Unser Handeln bzw. Zögern heute wird sich auf Hunderte Jahre hin auswirken und die Geschicke vieler Generationen nachhaltig beeinflussen. Auf der mittlerweile 28sten COP (!) ist wieder einmal die ganze Welt zusammengekommen, um den Karren „ungebremster Klimawandel“ noch irgendwie aus dem Dreck zu ziehen. Der Schrei nach dem Paradigmenwechsel, den die Welt braucht, um die Erderwärmung wenigstens ein Stück weit abzubremsen, ist nicht mehr zu überhören. Doch die Politik redet sich lieber weiter die Köpfe heiß und sucht die Lösung im bestehenden System. Es wird gestritten über kleinteilige Einzelmaßnahmen, die dann am Ende doch nicht umgesetzt werden oder die bestenfalls bis zur Bedeutungslosigkeit verwässert irgendwann mal zur Anwendung kommen – siehe das Debakel um das Gebäudeenergiegesetz (GEG). Zudem verlieren wir uns lieber weiter in Diskussionen, z.B. um ein Tempolimit, oder mühen uns ab an immer neuen, hilflosen Appellen um freiwilligen individuellen Verzicht, statt endlich anzuerkennen, dass, egal was wir an Einzelmaßnahmen beschließen werden, es dennoch bei weitem nicht ausreichen wird, den anthropogen befeuerten Klimawandel aufzuhalten.

Denn die Zeit für Klein-Klein ist definitiv vorbei.

Den Luxus, Klimaschutz in kleinen komfortablen Schritten umzusetzen, haben wir bereits vor Jahren verwirkt. Wir suchen immer verzweifelter nach einem neuen gesellschaftlichen Pfad, der uns retten könnte. Doch solange er nicht nahezu aufwandsneutral umzusetzen ist, lehnen wir ihn ab. Lieber zeigen wir weiter selbstgerecht mit dem Finger auf andere, die die Mitwelt scheinbar noch ein bisschen mehr verschmutzen als wir selbst. Gerne verstecken wir uns auch hinter ignoranter Selbstgerechtigkeit, indem wir immer noch versuchen, das Problem innerhalb des bestehenden kapitalistischen Geldsystems zu lösen, das aber die gegenwärtigen Zustände erst ermöglichte. Denn es ist auf Profitmaximierung und Übernutzung natürlicher Ressourcen ausgelegt. Obwohl die Klimakatastrophe das drängendste Problem der Menschheit ist, prokrastiniert die Politik immer noch hilflos wichtige Weichenstellungen und verharrt in der Priorisierung wirtschaftlicher Argumente.

Die fossile Industrie will ihr Geschäftsmodell retten

Grundproblem ist, dass die Welt nicht als Gesamtsystem verstanden wird. Im Moment werden Wirtschaft und Umwelt als getrennte Systeme behandelt, was ein systemimmanentes Problem unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystems darstellt. Dadurch konkurrieren sie miteinander, wobei am Ende IMMER die Ökonomie gewinnt. Denn innerhalb unseres Geldsystems konkurrieren Wirtschaftsinteressen gegen Klimaschutz. Dies geschieht tagtäglich im Großen, auf nationaler sowie internationaler Ebene. Dies mag man vielleicht als verwerflich empfinden, doch daraus einen Vorwurf zu formulieren, geht am Thema vorbei. Die Industrie fürchtet schlicht um das eigene (fossile) Geschäftsmodell und bewegt sich in aller Regel innerhalb des gesetzlichen Handlungsrahmens. In Sachen Klimaschutz auf Einsicht und Freiwilligkeit der Wirtschaft zu setzen, ist daher absolut unrealistisch. Und wer ehrlich zu sich selbst ist, wird feststellen, dass auch wir im Kleinen durchaus sehr egoistische Partikularinteressen verfolgen. Denn wenn wir die Wahl haben zwischen ökologisch sinnvollem Handeln und ökonomischen Interessen, gewinnt (beinahe) immer das Geld. Egoismus und Profitinteressen bestimmen unser Denken und Handeln – im Großen wie im Kleinen.

Betrachten wir die Politik als ersehnten Problemlöser

Politik sollte einen für das Gemeinwohl sinnvollen gesetzlichen Rahmen schaffen. Zur Wahrheit gehört aber leider auch, dass die notwendigen Veränderungen für eine ausreichende Emissionsreduktion um das Vielfache gewaltiger sind als die „üblichen“ politischen Weichenstellungen. Denn die Akzeptanz der allermeisten Bürger für solche Veränderungen endet genau dort, wo die persönliche Komfortzone bzw. das eigene Portemonnaie betroffen ist. Einen der Krise angemessenen Gesetzesrahmen vorzugeben, wäre also für jede Regierung politischer Selbstmord. Also bleibt es meist bei bedeutungslosen Minimalkompromissen.

So verständlich die immer lauter werdenden Forderungen nach relativ schnell umzusetzenden Sofortmaßnahmen (wie etwa ein Tempolimit) auch sind, sie bergen eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Sie verschleiern unseren Blick auf die Tatsache, dass wir uns den Luxus eines „Minimal-Mindsets“ nicht mehr leisten können. Die damit zu erzielenden Einsparungen sind gegenüber dem, was nötig wäre, gering und halten uns davon ab, zuerst die ganz großen Räder zu drehen. Denn „Erst schon mal klein anfangen“ ist angesichts der Dringlichkeit der Krise schon lange keine Alternative mehr. Unser Konsum und die gesamte Mobilität müssen generell klimafreundlich werden. Einfach nur ein paar Schilder aufzustellen, reicht definitiv nicht mehr aus.

 

Erkennen Sie den Teufelskreis?!
WIR REDEN UND ZERREDEN, NUR EINES GELINGT UNS NICHT – ENDLICH INS HANDELN ZU KOMMEN. DABEI IST NICHTSTUN DIE TEUERSTE ALLER ALTERNATIVEN.

 

Deshalb: Wir müssen den Paradigmenwechsel wagen. Der vielversprechendste Ansatz, um die Klimakrise nachhaltig zu lösen, bestünde darin, wissenschaftlich zu  ermitteln, wie viel CO2 wir noch emittieren dürfen, und dann dieses verbleibende Gesamtemissionsvolumen gerecht in gleicher Höhe auf jeden einzelnen Bürger aufzuteilen: als persönliche handelbare Emissionsbudgets. Möglich wäre das durch eine die Euro-Währung ergänzende Kohlenstoff-Ressourcenwährung, die am ehesten eine breite gesellschaftliche Akzeptanz erlangen könnte.

Persönliche handelbare Emissionsbudgets

  • erfüllen unser Grundbedürfnis nach Gerechtigkeit, weil jeder Bürger das gleiche kostenlose Kontingent an Emissionen als ökologisches Grundeinkommen erhält
  • ermöglichen somit ein Maximum an persönlicher Konsumentscheidungsfreiheit, allerdings innerhalb klar definierter ökologischer Grenzen für alle
  • machen jeden Einzelnen durch seine bewussten Kaufentscheidungen zum bedeutenden Teil der Gesamtlösung
  • entbinden die Politik nahezu vollständig von der Notwendigkeit, kleinteilige und oft unpopuläre Maßnahmen zu erlassen, umzusetzen und kontrollieren zu müssen
  • bewirken, dass nach marktwirtschaftlichen Mechanismen ganz automatisch die Anwendung bzw. Technologie zum Einsatz kommt, die am kostengünstigsten und mit dem geringsten Aufwand die meiste Emissionsreduktion gewährleistet
  • Zudem kommt dieses Modell gänzlich ohne zusätzliche ordnungsrechtliche Verteuerung unseres Konsums aus, anders als dies bei der CO2-Steuer bzw. dem Zertifikatehandel der Industrie der Fall ist.

Die Zeiten für Forderungen nach verhältnismäßig kleinen Maßnahmen oder für Appelle an Freiwilligkeit sind vorbei. Diese Einsicht muss in den Köpfen der Bürger und endlich auch im Denken der politischen Entscheidungsträger ankommen.

 

Wir sagen: Wer will findet Wege, wer nicht will, findet Ausreden.
Ein solcher Weg könnte das Modell der komplementären Klimawährung ECO sein.

Mehr zu persönlichen Emissionsbudgets, umgesetzt mittels einer komplementären Kohlenstoff-Ressourcenwährung unter: www.saveclimate.earth

Zum 40-jährigen Bestehen des Verlags NEUE ERDE erschien kürzlich die Anthologie „Frieden mit der Natur – 19 Annäherungen“
Sie alle gehen davon aus, dass es unter den Menschen erst Frieden geben wird, wenn wir als Menschheit Frieden schließen mit der Natur.

Wir veröffentlichen auf Ökoligenta die 19 Essays in Folge, die zwangsläufig aus unserer anthropozentrischen Weltsicht und Gemütsverfassung hinausführen.

Im ersten Essay beschäftigt sich Matthias Blaß, Leiter der Naturschule Wildniswandern, mit der Schaffung einer friedlichen,
beziehungsstiftenden neuen Erdkultur, die auf indigenen Kernelementen aufbaut

–> Zum Essay „Eine neue Erdkultur“

(Alle bereits online stehenden Essays findest du unter https://www.ökoligenta.de/category/frieden-mit-der-natur.)

Lohnenswert für alle, die erfahren möchten, wie wir gemeinsam die Erde transformieren können, ist der kostenfreie Online-Kongress „Frieden mit der Natur – Gemeinsam für eine Neue Erde“ am 25.10.2024

Kennen Sie den Begriff der Allmende?

„Die Allmende (auch die Gemeindeflur oder das Gemeindegut) ist ein Teil des Gemeindevermögens (Landfläche, Gewässer, Wald), das als gemeinschaftliches Eigentum von der gesamten Bevölkerung benutzt werden darf“ (Quelle: Wikipedia).

Eine kurze Geschichte dazu:

Auf einer gemeinschaftlich genutzten Weidefläche halten Bauern ihre Rinder. Anfangs passt die Anzahl der Tiere zur Kapazität der Wiese, um Überweidung zu vermeiden. Doch als ein Landwirt mehr Rinder hinzufügt, leidet das Gras und wächst schlechter. Dieser Bauer profitiert finanziell, während die Wiese Schaden nimmt. Obwohl allen klar ist, dass zu viele Tiere die Weide zerstören, überwiegt oft der Eigennutz. Und so fragt sich jeder Einzelne, warum ausgerechnet er sich an die Regeln halten soll, wenn die Weide doch nun ohnehin übernutzt ist. Infolgedessen bringen die Bauern immer mehr Kühe auf die Allmende. Bald hat sich das grüne Grasland in ein Schlammfeld verwandelt, unbrauchbar für die Rinderhaltung. Die Bauern sahen das Ende voraus, aber jeder von ihnen wusste, dass es nichts bringt, als Einziger bescheiden zu bleiben. Denn die Wiese wäre trotzdem von den anderen zerstört worden und man selbst hätte außerdem noch weniger verdient. So haben die Bauern, indem sie die Grenzen nachhaltiger Nutzung missachteten, letztendlich alles verloren – eine wahre Tragödie.

Auch unsere Atmosphäre stellt ein solches gemeinschaftliches Eigentum dar, das jeder nach Gutdünken nutzen und leider auch übernutzen darf. Die Folge dieser Übernutzung ist die globale Klimakrise. Der einzelne Mensch glaubt jedoch, nur einen begrenzten Einfluss beim Thema Klimaschutz zu haben, was zu einem Mangel an Verantwortungsbewusstsein führt. Ähnlich wie die Vernachlässigung öffentlicher Orte, wie etwa herumliegender Abfall in Parks oder die mangelnde Sauberkeit auf Toiletten von Autobahnraststätten. Es handelt sich hierbei um das gleiche Prinzip: die Tragödie der Allmende.

Wie kann das Dilemma zwischen Eigennutz und Gemeinschaftswohl gelöst werden?

Dazu braucht es verbindliche Spielregeln, die das begrenzte Allgemeingut gerecht aufteilt. Bezogen auf den Klimawandel bedeutet dies, dass das Recht, die Atmosphäre durch klimaschädliche Emissionen zu belasten, einer Rationierung unterliegen sollte. Dabei versteht es sich von selbst, dass jeder Mensch ein gleichberechtigtes Nutzungsrecht an der gemeinsamen Ressource, der Atmosphäre, besitzen sollte.

Wie solch ein Modell auf EU-Ebene aussehen könnte, beschreibt die gemeinnützige Organisation für nachhaltige Ökonomie mit dem Konzept der komplementären Klimawährung ECO (Earth Carbon Obligation). Das Ausgabevolumen des ECO setzt dabei die konsequenten Rahmenbedingungen, die zwingend erforderlich sind, um das Klimaziel zuverlässig einzuhalten. So dient die Klimawährung als ökologisches Grundeinkommen, das jedem Bürger gleichermaßen zusteht und handelbar ist. Es wird sichergestellt, dass niemand über seine Verhältnisse CO2 emittieren kann, zu Lasten aller anderen. Auch dient die ECO-Währung Produkten als zusätzliches Preisschild, das den CO2-Fußabdruck der Produktion widerspiegelt. Damit ermöglicht sie den Verbrauchern, klimafreundliche Entscheidungen zu treffen. So wird ein verantwortungsvoller Umgang mit den begrenzten Ressourcen unseres Planeten gefördert und die Defossilisierung der Industrie beschleunigt.

Erfahren Sie mehr über diesen Vorschlag, der bereits von renommierten Klimawissenschaftlern, wie z.B. Professor Dr. Dr. Hans-Joachim Schellnhuber befürwortet wird: https://www.saveclimate.earth

Kürzlich unterhielt ich mich mit dem Vater von zwei kleinen Kindern, zwei und vier Jahre alt. Sie hatten zusammen auf einem Campingplatz am Meer Urlaub gemacht. Seine beiden Kleinen hatten 14 Tage lang mit kroatischen Kindern gespielt, ohne von der anderen Sprache auch nur ein Wort zu verstehen. Viele Eltern machen diese erstaunliche Erfahrung. Kinder können harmonieren, ohne sich zu verstehen; Erwachsene können sich verstehen, ohne miteinander zu harmonieren.

Wenn wir der kindlichen Spielweise schon so fern sind, so können wir doch zuschauen, dem Spiel der Kids beiwohnen, manchmal vielleicht sogar selbst zu Spielenden werden und für zehn Minuten oder sogar länger auf die Zeit vergessen und Glücksmomente erleben.

Ein Milliarden-Geschäft

Muss ich hier wirklich auf das kindliche Spiel hinweisen? Ist nicht unsere westliche Lebensweise Freude, Friede, Eierkuchen? Spielen wir nicht von klein auf immer mehr und immer öfter? Apple und Google verdienen allein mit den zur Verfügung gestellten Spiele-Apps jedes Jahr Milliarden. Den Playstation-Store gibt es nicht nur in Deutschland oder den USA, sondern auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Indien und China. Die Sony Interactive Entertainment LLC machte im Betriebsjahr 2021/22 einen Umsatz von 16 Milliarden Euro bzw. 2,74 Billionen Yen. Spiele also, wohin man blickt. Wer sich in einem öffentlichen Verkehrsmittel, einem Café oder Bistro umschaut, der wird sich von Spielerinnen umgeben sehen.

Der Markt boomt. Boomt er für uns? Oder verhält es sich umgekehrt? Nehmen wir mal an, ich wäre Marketingmanager für Computerspiele bei Sony; und nehmen wir an, ich wollte Eltern davon überzeugen, ihre Kinder möglichst viel und möglichst lang spielen zu lassen – wäre da nicht Friedrich Schiller mein überzeugendster Gewährsmann? Einst schrieb der poetische Revoluzzer diesen Satz: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Könnte dieser Satz nicht jede Playstation zieren?

Spielen: für ein Leben in Würde

Es lohnt sich, darüber nachzudenken und auch darüber, warum dem nicht so ist. Schiller sah das Spielen – nicht das einzelne Spiel – als die vielleicht einzige Möglichkeit des Menschen, seine besten Möglichkeiten zu entfalten, spielerisch Grenzen auszutesten, zu überschreiten oder neu zu definieren, sich auf den Weg zum ganzen Menschen zu machen. Kürzlich stupste ich meine dreijährige Enkelin Rosa auf einer Spielplatzschaukel an und sie schwang sich mit großem Vergnügen in den Sonnenschein hinein und zurück. Ein dominanter, älterer Kindergartenfreund rief ihr von der Rutsche aus zu: „Komm rüber zu mir, Rosa, hier regnet’s, im Spiel!“ Aber Rosa hatte noch viel zu viel Spaß am Schaukeln und rief zurück: „Jetzt nicht, bei mir regnet’s aaauch!“ Flugs war sie auf die Spielebene übergewechselt und hatte eine für sie passende Antwort gefunden. Schillers Idee des Spielens erlaubt, mit Parallel- und Gegenwirklichkeiten zu experimentieren. Der spielende Mensch, der homo ludens, sprengt die Ketten der ihn fesselnden Welt. Spielen wird zur Voraussetzung der Selbstbefreiung und eines Lebens in Würde.

Vergessen, was wir brauchen

Moderne Computerspiele wirken suchterzeugend, indem sie die Spieler zu immer neuen „Levels“ verlocken – zugegeben, es gibt Ausnahmen; die Spielerin soll immer besser werden, soll immer routinierter ihre Figuren bedienen, immer schwierigere Aufgaben lösen. Und ein zweiter Komparativ kommt hinzu: Nicht nur besser im Vergleich zu früheren eigenen Leistungen sollen wir (und wollen wir schließlich) werden, sondern auch im Vergleich zu den Mitspielerinnen.

Moderne Computerspiele sind Entertainment 2.0. Sie erlauben innerhalb ihres Regelwerks allen Spielenden, bestimmte Rollen und Eigenschaften zu übernehmen oder sogar selbst zu erfinden; das fühlt sich an, als könnten wir mit dem Spiel selbst kommunizieren. Das ist etwa so, als dürften wir die Zutaten zu unserer Lieblingsschokolade selbst zusammenstellen, ein bisschen mehr Vanille, ein bisschen weniger Kakao und vielleicht mehr Mandelsplitter und eine doppelte Prise Chili. Kaufen müssten wir nur noch die Mischmaschine und die Zutaten. Also fühlen wir uns als Schokoladenesser frei. Je mehr wir unseren Spaß beim Mischen der Schokolade haben, desto weniger kommen wir auf die Idee, dass wir die Schokolade gar nicht brauchen.

Nur kein Loser sein

Halten wir also fest: Meist spornen Computerspiele zu immer mehr Leistung an. Und sie fesseln die Spielenden an eine Fantasywelt, die mit ihrer eigenen Fantasiewelt wenig bis nichts zu tun hat. Kindlichem Spiel sind solche Vorgaben fremd.

Moderne Computerspiele befreien den Spielenden nicht von den Zwängen der Welt, indem sie ihn in die eigene Fantasie entführen; sie verlocken ihn in eine Welt knallharter Regeln, denen sich beugen muss, wer mitspielen will. Andernfalls kommt keiner über Level 1 hinaus, wird zum „Loser“ und schlimmstenfalls aus der Community ausgeschlossen.

Warum gibt es keine spielsüchtigen Kinder, obwohl Kinder doch nichts lieber tun als zu spielen und dies tatsächlich auch tun, sobald ihre sonstigen Grundbedürfnisse inklusive Kuscheln gestillt sind? Im Juni 2019 hat die Weltgesundheitsorganisation WHO die Computerspielsucht offiziell als psychische Erkrankung anerkannt. Rund zweieinhalb Stunden täglich verbringen deutsche Jugendliche laut einer Studie des Deutschen Zentrums für Suchtfragen und der Krankenkasse DAK mit Computerspielen. Dass Mädchen dies deutlich seltener tun, spielt in unserem Zusammenhang keine Rolle.

Was die Grauen Herren schon immer wollten

Eine Rolle spielt vielmehr, was Jugendliche in dieser Zeit nicht tun: Sie üben kein Sozialverhalten ein, sie lesen nicht, denken nicht frei nach über sich und ihre Position in der Welt, sie sind nicht künstlerisch tätig, entwickeln keine eigenständige Persönlichkeit und erweitern nicht ihren Horizont, sie kommunizieren nicht kreativ, müssen nicht empathisch sein, erfahren keine Stille und die darin emporsteigenden Gedanken. Und je länger sie das alles nicht tun und sich mit Ersatzverhalten auf der Games-Ebene beschäftigen, desto weniger werden sie all das auch können, und zwar in exponentiellem Maß. Sie laufen Gefahr, zu Wunschprodukten der Grauen Herren zu werden, zu unreifen, kaum reflektierenden, unkritischen Funktionsträgern, denn sie haben auf eine subtile Art und Weise gelernt, die Spielregeln der Games mit ihren eigenen zu verwechseln; aber vielleicht ja nicht nur diese, sondern auch die Spielregeln der Ingroup, der Schule, der Firma, der Partei, der Gesellschaft, des Wirtschaftssystems.

Nicht zum homo ludens, dem frei spielenden, ganz werdenden Menschen entwickeln sie sich, vielmehr geraten sie zum homo faber, zum fabrizierenden, technischen, gehorsamen Menschen, dessen Entwicklungsrichtung hauptsächlich darin besteht, als Rädchen und Gleitmittel der Mega-Maschine immer besser zu funktionieren – und dies auch noch als Freiheit zu empfinden.

Bobby Langer

Als politischer Dissident in der Tschechoslowakei machte sich Václav Havel eine scharfe strategische Erkenntnis zu eigen, die ihm sein Kollege Václav Benda vermittelt hatte. Wie kann man die Menschenwürde und die politische Handlungsfähigkeit für ernsthafte Veränderungen fördern, während man „innerhalb der Lüge“ eines totalisierenden politischen Systems lebt – in seinem Fall des kommunistischen Staates?

Havel beklagte „die irrationale Eigendynamik der anonymen, unpersönlichen und unmenschlichen Macht“ und argumentierte, dass die Menschen eine parallele Polis schaffen müssten. Da Havel das Engagement der Bürger gegenüber dem Staat als vergeblich oder enttäuschend bescheiden ansah, plädierte er für die Schaffung von „informierten, unbürokratischen, dynamischen und offenen Gemeinschaften“.

Diese wurden als Ausweg aus der Sackgasse betrachtet, da sie als eine Art entstehende Parallelwirtschaft und präfigurative Gesellschaftsordnung fungieren könnten. Eine parallele Polis könnte einen Raum bieten, in dem gewöhnliche Menschen, die von einem unterdrückerischen System bedrängt werden, moralisches Handeln und Wahrheit geltend machen können.

Sie könnten ihr Engagement für soziale Solidarität trotz eines äußerst feindseligen Umfelds in die Tat umsetzen. Schon der Prozess des Aufbaus einer parallelen Polis könnte dazu beitragen, Vertrauen, Offenheit, Verantwortung, Solidarität und Liebe im öffentlichen Leben wiederherzustellen.

Ich glaube, dass das Bestreben, ein Commonsverse aufzubauen – ein stückweises, noch im Entstehen begriffenes Unterfangen –, dem Bestreben ähnelt, eine parallele Polis aufzubauen. Es geht darum, gesunde Werte und verschiedene Arten des Seins, des Wissens und des Handelns zu ehren.

Da wir innerhalb der Normen und Institutionen der kapitalistischen politischen Ökonomie auf globaler Ebene leben, bietet das Commoning den Menschen Möglichkeiten, ein gewisses Maß an Selbstbestimmung und Autonomie gegenüber den kapitalistischen Märkten und der staatlichen Macht zu behaupten.

Von Gleichgesinnten betriebene, sozial konviviale Modelle der Versorgung und Verwaltung bieten wichtige „sichere Räume“ für die Entfaltung einer gesünderen kulturellen Ethik jenseits von transaktionalem Individualismus, materiellem Eigeninteresse und Kapitalakkumulation.

Obwohl Commoning nicht direkt politisch ist – es konzentriert sich in der Regel mehr auf die Befriedigung spezifischer existenzieller Bedürfnisse und den Schutz gemeinsamen Reichtums (Land, Wasser, Softwarecode, kreative Werke) -, läuft es häufig auf eine indirekte Form politischen Handelns hinaus.

Die Existenz von Allmendegütern ist oft ein stiller moralischer Vorwurf an das herrschende System. Sie bekräftigt, dass andere, sozial konstruktivere Wege der Bedürfnisbefriedigung möglich sind. Sie macht eine organisierte Gruppe von Menschen mit strukturell ehrgeizigen Zielen sichtbar.

Der Commons-Diskurs, wie er von verschiedenen transnationalen Netzwerken des Commoning propagiert wird, lenkt unsere Aufmerksamkeit auf neuartige praktische Lösungen.

Der Aufstieg der Open-Source-Software in den späten 1990er Jahren ist trotz ihrer winzigen Größe und des Fehlens konventioneller Finanzmittel ein solches Beispiel. Open Source (oder genauer gesagt sein Vorläufer „freie Software“3) stellte eine ernsthafte moralische und marktwirtschaftliche Herausforderung für die Vorherrschaft von Microsoft dar, die schließlich ein robustes neues Paradigma der offenen und gemeinschaftlichen Softwareentwicklung hervorbrachte.

In ähnlicher Weise provozierte der Aufstieg lokaler ökologischer Lebensmittelsysteme in den 1980er und 1990er Jahren eindringliche Fragen zu den Pathologien des industriellen Lebensmittelsystems, wie z. B. dessen Abhängigkeit von Monokulturen, Pestiziden und gentechnisch verändertem Saatgut sowie von Praktiken, die den fruchtbaren Boden ausbeuten.

Im Laufe der Zeit hat diese einheimische, lokal ausgerichtete Bewegung die Agrarökologie, die Permakultur, die gemeinschaftsgestützte Landwirtschaft und die Slow-Food-Bewegung hervorgebracht.

Diese Bemühungen zielen alle darauf ab, den gemeinsamen Reichtum (Land, Lebensmittel, Code) mit Sorgfalt und ganzheitlicher Aufmerksamkeit zu verwalten. Sie versuchen, dem Reichtum seinen Warencharakter zu nehmen, um seine Unabhängigkeit von der Finanzwirtschaft und den kapitalgesteuerten Märkten zu gewährleisten.

Sie wollen die Menschen in die Lage versetzen, ihre eigenen Versorgungssysteme zu verwalten, wobei sie den Schwerpunkt auf Zugang, Transparenz und Fairness legen.

Heute trägt das Commonsverse diese Agenda in einem breiteren Rahmen in viele weitere Bereiche des Wandels. Die Commons werfen nicht nur tiefgreifende Fragen zur Markt-/Staatsordnung und zum neoliberalen Kapitalismus in verschiedenen Bereichen auf (Landwirtschaft, Städte, Cyberspace, Wälder, Wasser, Ozeane), sondern bieten auch eine Vision und ein Arsenal an Instrumenten für den Aufbau funktionierender Alternativen.

Zeitgenössisches Commoning ist bedeutsam, weil es sich auf einer zellulären Ebene der Kultur, vor Ort, in den Herzen und Köpfen der Menschen entfaltet. Es dient als Raum, in dem die Bestrebungen und die Vorstellungskraft der Menschen angeregt werden und sich ihre Subjektivität und kulturellen Zugehörigkeiten verändern.

Manuela Zechners Bericht über selbstverwaltete Nachbarschaftsräume in Barcelona weist auf „radikalere, kontinuierliche und kollektive Modalitäten der Beteiligung“ hin, als die Stadtverwaltung im Allgemeinen fördert oder zulässt.

Unter der Stadtverwaltung von Barcelona en Comú sind autonome Nachbarschaftsgruppen nun berechtigt, ihre eigenen Projekte (Gebäude, soziale Dienste, Informationsbeschaffung) mit Unterstützung der Stadt und rechtlicher Anerkennung zu verwalten. Aktivistengruppen und Bürgervereinigungen verwalten auch La Borda, eine große Wohnungsbaugenossenschaft, die Konzertsäle, Werkstätten, ein Bibliotheksarchiv, eine Bar und ein Unterstützungszentrum als Gemeingüter verwaltet.

Durch diese Übertragung von Befugnissen und Verantwortung werden nicht nur die materiellen oder politischen Bedürfnisse der Menschen befriedigt, sondern auch ihre kreative Handlungsfähigkeit, ihr Gefühl der Kontrolle, ihre Würde und ihre kulturellen Bereiche in einer Weise gestärkt, die von der herkömmlichen Politik und Bürokratie oft ignoriert wird.

Wie solche Beispiele zeigen, kann Commoning eine wichtige Quelle für soziale Innovation sein. Die engen „politisch-ontologischen Grundlagen“ der neoliberalen Institutionen sind genau das, was sie daran hindert, kreative Energien, soziale Zusammenarbeit und Bürgerinitiative zu mobilisieren.

Staatliche Institutionen neigen dazu, einen strikten Instrumentalismus, quantitative Messgrößen und marktorientierte Interventionen zu bevorzugen, was erklärt, warum sie so viele „Projekte mit leerem Herzen“ hervorbringen … „Präfigurative Initiativen“ wie das Commoning „bleiben unterhalb des Radars der Anerkennung und Unterstützung“.

Gibt es einen konstruktiven Weg, diese Schwierigkeiten zu überwinden? Koen P.R. Bartels plädiert für die Entwicklung von „relationalen Ökosystemen“ der Allmende als einen Weg, der neoliberale Institutionen von ihren eigenen hegemonialen Vorurteilen befreien könnte.

Durch die Förderung von Gemeingütern könnte der Staat damit beginnen, die tatsächlichen Gefühle, Erfahrungen, Talente und Bestrebungen der Menschen zu ihren eigenen Bedingungen anzuerkennen, und auf diese Weise dazu beitragen, konstruktive soziale Innovationen anzuregen.

Die große Herausforderung könnte darin bestehen, die Beziehungsdynamik des Commoning als konstruktive soziale Kraft besser sichtbar zu machen. Catherine Durose und ihre Mitautoren bieten einige ausgezeichnete Vorschläge an, beginnend mit der Notwendigkeit, „die Mikropraktiken des Commoning besser zu verstehen“ und „wie lokale Akteure zur urbanen Transformation beitragen können“.

Wie in den obigen Beispielen sind auch hier die Mikropraktiken und das Gefühlsleben des Commoning für Sozialwissenschaftler, Politiker und Regierungsbeamte oft unergründlich. Sie erkennen in der Regel nicht, dass Praxisgemeinschaften ein sehr nuanciertes, realistisches und sogar tiefgreifendes Verständnis ihrer Probleme und möglichen Lösungen haben können.

Das Problem ist, dass ihr Erfahrungswissen, das nicht theoretisch ist und nicht von Experten stammt, oft als unzureichend fachkundig, zu quantitativ oder nicht mit den Verwaltungssystemen kongruent abgetan wird.

Die tatsächlichen Befugnisse des Commoning werden in der Theorie nicht anerkannt und sind daher eher unsichtbar. Wir täten gut daran, uns an Elinor Ostroms trockene Feststellung zu erinnern, dass „ein Ressourcenarrangement, das in der Praxis funktioniert, auch in der Theorie funktionieren kann“.

Um die Entwicklung geeigneterer „Theorien“ über Gemeingüter zu beschleunigen, machen Durose et al. einen wertvollen Vorschlag, indem sie zu einem „größeren systemischen Vergleich“ von Gemeingüterpraktiken aufrufen, zusammen mit einer besseren fortlaufenden Interpretation der Feldarbeit, die dabei zutage tritt.

Eine neue Sichtbarkeit von Commons-Projekten, von Fall zu Fall, wird mit der Zeit die Theorien und den Diskurs über das Commoning stärken. Der Aufruf von Durose et al. zu einem „Wissensmyzel“ ist zeitgemäß und wichtig. Ein kollaboratives Netzwerk zur Angleichung des Wissens über Commoning in Praxis und Theorie würde das Commonsverse sicherlich sichtbarer machen.

Es würde auch dazu beitragen, die blinden Flecken in der Wahrnehmung neoliberaler Institutionen und Politik aufzudecken und neue Perspektiven für Untersuchungen und Innovationen in der öffentlichen Verwaltung zu eröffnen.

Für den Moment möchte ich nur den grundlegenden Punkt unterstreichen, dass jegliche Veränderungen im demokratischen Gemeinwesen und in der Politik auf der Mikroebene der alltäglichen Praxis und Kultur ansetzen müssen. Dies ist eine der wichtigsten Lehren aus den Occupy-Lagern im Jahr 2011, den Protesten auf öffentlichen Plätzen in Ägypten, Tunesien und der Türkei sowie der wachsenden Klimaschutzbewegung.

Es wird immer wichtiger zu erkennen, dass politischer Wandel nicht ohne persönliche, erfahrungsbasierte Bewusstseinsveränderungen stattfinden wird.

Wie Manuela Zechner darlegt, führen mikropolitische Bestrebungen zu neuen Weltanschauungen, und diese persönlichen Veränderungen verzweigen sich im Laufe der Zeit nach außen und finden ihren Ausdruck auf der Makroebene der Gesellschaft – im Recht, im institutionellen Leben und in der Konfiguration der staatlichen Macht.

Commoning dient bereits als Vehikel für größere gesellschaftliche Veränderungen, wie sie in sozialen Vereinigungen zu beobachten sind, die normalerweise nicht miteinander verbunden sind:

  • Nachbarschaften und Netzwerke gegenseitiger Hilfe, Online-Communities und Open-Source-Design- und Produktionsnetzwerke („kosmolokale Produktion“);
  • agrarökologische Projekte und gemeinschaftliche Landtreuhänderschaften; Komplementärwährungen und gegenseitige Kreditsysteme;
  • digitale autonome Organisationen und Plattform-Kooperativen;
  • das „Engagement-Pooling“ indigener Völker
  • und von Hacker-Gemeinschaften geschaffene Online-Infrastrukturen.

Diese kooperativen Sozialformen, die auf den unterschiedlichsten Schauplätzen agieren, verändern die Alltagssubjektivität der Menschen und damit auch ihre Vorstellungen von sozialem und politischem Wandel.

In diesem Sinne entfalten sich vor unseren Augen bereits neue Formen demokratischer Möglichkeiten…

[Originalartikel: What might a parallel polis feel like? David Bollier’s idea of a “commonsverse” – a world in which commons are viable & valued – could tell us]

Im Moment werden Wirtschaft und Umwelt als getrennte Systeme behandelt. Das ist ein großes Problem, denn so konkurrieren sie miteinander, und am Ende gewinnt immer die Ökonomie. Dies ist ein systemimmanentes Problem unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystems, das auf Gewinnstreben und Übernutzung natürlicher Ressourcen fixiert ist. Deshalb können wir die Klimakrise nicht innerhalb des bestehenden Geldsystems lösen.

Die vereinfachte Gleichung „Geld = Konsum = Emissionen“ bringt die allgegenwärtige Klima- bzw. Emissionsungerechtigkeit zwischen Arm und Reich anschaulich zu Tage. Zudem beschreibt sie den Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen Vermögen und klimaschädlichen Emissionen – jedenfalls solange unsere Konsumgüter noch nicht klimaneutral produziert werden.

 

Also klimaschädliche Produkte verteuern?

Nein, denn eingespartes Geld durch Einschränkung oder Verzicht bzw. wirkungsvollere Technologien an der einen Stelle wird in der Regel an anderer Stelle wieder ausgegeben – z.B. für einen zusätzlichen Urlaub (Rebound-Effekt). Auch deshalb sind wirksamer Klimaschutz bzw. unsere konsumbedingten Emissionen vom Geldsystem abzukoppeln – beispielsweise durch eine komplementäre Klimawährung!

Unser herkömmliches Geld alleine ist ungeeignet, die Belastung der Ökosysteme durch unseren Konsum transparent abzubilden. Es gibt nämlich viele Produkte, die zwar ökonomisch sehr günstig herzustellen sind und folglich auch billig verkauft werden, deren Herstellung oder Betrieb aber ausgesprochen umweltschädlich sind. Auch verhindert der im Produktpreis enthaltene CO2-Preisaufschlag eine wünschenswerte Transparenz, denn dieser geht nahezu gänzlich im Gesamtpreis unter. Dies erschwert den Verbrauchern die Möglichkeit sich für das klimafreundlichere Produkt zu entscheiden.

Deswegen werden wir weder durch den Zertifikatehandel noch über Verteuerungen die notwendige Emissionsreduktion erreichen. Es braucht ein Modell, das nationalstaatliche Interessen mit globalen Notwendigkeiten vereinbaren kann. Denn die Emissionen drastisch zu reduzieren, um planetare Grenzen einzuhalten, ist nicht optional, sondern zwingend notwendig!

 

„Eine wirkungsvolle und zugleich sozial-gerechte Alternative könnte ein konsequent verursacherbasiertes System auf Konsumentenebene sein.“

 

Die Einführung persönlicher handelbarer CO2-Budgets würde das Kaufverhalten der großen Menge der Verbraucher verändern. So ließe sich der notwendige Veränderungsdruck auf die Wirtschaft aufbauen, ihre Produktionsprozesse aus eigenem Interesse immer nachhaltiger zu gestalten – hin zu deutlich mehr grünen Alternativen für die Konsumenten. Denn die Industrie produziert das was wir mit unseren begrenzten Budgets kaufen (können).

 

Die Klimakrise ist ein globales, multikausales und vielschichtiges Problem. 

Wir können sie nicht mit Einzelregelungen bekämpfen. Wir brauchen einen mess- und regulierbaren Handlungsrahmen, mit dem wir auf ökologische Herausforderungen zügig und angemessen reagieren können. Nur wenn wir unsere Wirtschafts-, Konsum- und Lebensweise nachhaltig gestalten, und ökologische wie auch soziale Gesichtspunkte gleichrangig zu ökonomischen berücksichtigen, werden wir unserer Verantwortung für zukünftige Generationen gerecht.

 

Wir brauchen einen Paradigmenwechsel …

  • der Treibhausgase im Zusammenhang mit unserem Konsum zugleich lückenlos erfasst, transparent abbildet, und gerecht abrechnet
  • hin zu einem System, bei dem der Einzelne frei über sein Konsumverhalten entscheiden kann, allerdings innerhalb klar gesteckter Grenzen für alle
  • welcher ein punktgenaues und flexibles Erreichen des Klimaziels garantiert
  • hin zu einem Modell, das administrativ relativ unaufwändig ist, und darüber die soziale Ungleichheit reduziert
  • weg von Maßnahmen, die überwiegend auf Verteuerung bzw. Einschränkung und Verzicht setzen, überwiegend einkommensschwächere Haushalte überproportional betreffen, und die inländische emissionsintensive Industrie ins Ausland vertreiben, wo weniger strenge Umweltauflagen gelten
  • weg von kleinteiligen oft unpopulären Maßnahmen, hin zu persönlichen handelbaren Emissionsbudgets

 

Mit einer komplementären Klimawährung und persönlichen Emissionsbudgets zum Klimaziel

Eine sozial-gerechte und vor allem effektivere Alternative zu den gängigen Werkzeugen zur Emissionsreduktion könnte eine Klimawährung sein, die parallel zur Landeswährung existiert. Mit einer solchen digitalen Kohlenstoff-Ressourcenwährung könnten die Bürger ihre konsumbasierten CO2-Emissionen bezahlen. Diese Währung würde mittels persönlicher handelbarer Emissionsbudgets das Steuerungspotential für Klimaschutz in die Hände aller Verbraucher legen, und Unternehmen intrinsisch motivieren umweltfreundlicher zu produzieren. Zusätzlich könnte ein solcher Emissionshandel auf Bürgerebene zur Verringerung der Wohlstandsschere beitragen, da unverbrauchtes Budget gegen Geld verkauft werden kann. Einkommensschwächere Haushalte oder Bürger ärmerer Länder, die meist weniger klimaschädlich konsumieren, erhielten so ein zusätzliches finanzielles Einkommen.

Das Modell würde eine sozio-ökologische Transformation fördern, indem es die Verantwortung und das Steuerungspotential für Klimaschutz auf die Konsumenten überträgt, und gleichzeitig ohne zusätzliche ordnungsrechtliche Verteuerungen auskommt. Darüber hinaus entbindet es die Politik kleinteilige und oft unpopuläre Maßnahmen zu verhängen, umzusetzen und kontrollieren zu müssen.

Mehr dazu unter: www.saveclimate.earth

Rezension des gleichnamigen Buches von Thomas Berry

Sind Sie heilig? Oder wild? Oder beides? Was für Fragen! Thomas Berry hält sie für angemessen und Heilig- und Wildsein für die notwendigen Eigenschaften, „die wir brauchen, um den Übergang zu vollziehen … von einer Epoche, in der die Menschen auf der Erde als zerstörerische Macht wirken, in eine andere, in der sie und der Planet sich wechselseitig bereichern“.

Anlass zur Hoffnung

In seinem Alterswerk „Das Wilde und das Heilige“ beschäftigt sich Berry nicht nur – sehr profund und doch gut leserlich – mit den Grundlagen der westlichen Zivilisation; begabt mit analytischer Intelligenz und beseelt von einem spirituellen Optimismus, sinnt er darauf, „die Rolle der Menschengemeinschaft in ihrer Beziehung zu den anderen Teilhabern des Planeten auszumessen“ und die Mittel und Möglichkeiten zu prüfen, wie wir das Steuer noch einmal herumreißen können, bevor die Titanic gegen den Eisberg kracht.

Das Wilde, weil unkontrollierbar und unvorhersagbar, ist für ihn ein Anlass zur Hoffnung. Weiterlesen