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„Frieden mit der Natur“ ist eine Serie von Essays aus dem gleichnamigen Band, der anlässlich des 40-jährigen Jubiläums des Verlags Neue Erde zusammengestellt und uns zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt wurde.

Im nachfolgenden Essay erlebt die argentinische Autorin und Aktivistin Fabiana Fondevila, wie der Costaricanische Dschungel ihren inneren Dialog verstärkt, der in uns allen unter der Fassade der zivilisierten Höflichkeit stattfindet, eine Begegnung mit den wilden Kräften der Natur.

Von Verwaltern des Lebens zu Lebensaktivisten

Ich dachte, ich kenne Moos. Ich dachte, ich wüsste, wie eine Kletterpflanze aussieht. Ich dachte, ich könnte genügend Schattierungen der Farbe Grün benennen. Ich lernte, dass mein Wissen beschränkt war, als ich in Costa Rica landete; dem Land der aktiven Vulkane, der Brüllaffen und der Möglichkeit, die Sonne in der Karibik zu begrüßen und sie am Pazifik zu verabschieden, alles an einem einzigen Tag.

Ich war bereit, mich überraschen zu lassen. Ich wusste, dass dieses mittelamerikanische Land fünf Prozent der weltweiten Artenvielfalt beherbergt, und dass das, was ich dort finden würde, meine Naturerfahrung bereichern würde.

Aber nichts hätte mich auf das vorbereiten können, was ich vorfand: Im Dschungel wächst Moos auf Moos, Lianen hängen an Lianen, und wo ein Tropfen Wasser auf einen Zentimeter Erde trifft, explodiert das Leben.

Jeden Morgen wurde ich von lebhaften Gesprächen zwischen unzähligen Vögeln, Fröschen und Insekten begrüßt, eine Geräuschkulisse, die so dicht war, dass man sie beinahe sehen konnte. Aus allen Richtungen ertönte ein ständiger Austausch von Glocken, Sirenen, Windspielen, Gurrgeräuschen und einer Spule, die in regelmäßigen Abständen zusammengedrückt und wieder losgelassen wird.

Wenn man die unbefestigten Straßen von Guanacaste entlangging, dauerte es nicht lange, bis man dem Baum begegnete, der der Stadt Von Verwaltern des Lebens zu Lebensaktivisten 35 ihren Namen verleiht: Dieser sanfte Baumriese mit Blättern, die wie das Haar eines Mädchens aussahen, schien sich von dem Treiben ringsum nicht stören zu lassen. In seinen Ästen wimmelte es fast immer vor Affen in Aufruhr.

Als ich zwischen den Farnen und den tropfenden Blättern stand, begriff ich, warum ich mich immer nach dieser besonderen Landschaft gesehnt hatte: Ich hatte mich noch nie so lebendig gefühlt.

Natürlich hatte ich Lebendigkeit in milderen Formen der Natur bereits widerspiegelt erlebt. Ich habe gesehen, wie Bäume monatelang schliefen wie Bären im Winterschlaf, um dann beim ersten Anflug von Wärme wieder zum Leben zu erwachen.

Ich habe in meinem bescheidenen Vorstadthinterhof gestaunt, als die ersten Frühlingsknospen die noch kahlen Äste krönten und langen Nächten und eisigen Morgengrauen trotzten, um ihre Gaben zur Entfaltung zu bringen.

Ich war Zeuge, wie ein robustes Beet mit Brennnesseln Jahr für Jahr meine angebauten Pflanzen überwältigte (bis sie meine bevorzugte Nutzpflanze wurden).

Wenn ich die Tür zum Garten öffnete, spürte ich, wie die kühle Morgenluft meine Lunge mit Lebensformen füllt, die zu klein sind, um sie zu sehen.

Häufig habe ich gespürt, wie meine Angst in den Boden gesickert ist, als ich mit von mir gestreckten Beinen im Gras lag, meine Augen in den Wolken versunken.

Um genau zu sein, hatte der Dschungel die Lautstärke eines inneren Dialogs erhöht, den ich schon mein ganzes Leben lang führe.

Worum ging es in diesem Dialog?

Es ist eine Begegnung mit den wilden Kräften, die in uns leben, unter der Fassade der zivilisierten Höflichkeit: unser unerschütterlicher Wunsch zu sprießen, auch gegen übermächtige Herausforderungen, feindliche Umgebungen, schlechte Chancen. Unsere Fähigkeit, auszuharren und sogar unter der Erde zu wachsen, bis die richtige Person, die erste ehrliche Einladung, kommt, um uns zu helfen, unsere 36 Frieden mit der Natur Blütenblätter zu öffnen und der Sonne entgegenzustrahlen. Unsere undomestizierte Nesselschönheit mit ihrem smaragdgrünen Schimmer und ihrem Stachel.

Unsere Vorfahren nahmen direkt an diesem Dialog teil, indem sie zu den Berggeistern beteten, den Flüssen Opfergaben darbrachten und zu Füßen der heiligen Bäume beteten.

Wie kommt es, dass wir den Kontakt zu dieser uralten Quelle der Nahrung verloren haben?

Im Laufe der Geschichte wurde unsere Verbundenheit mit der Natur immer wieder auf die Probe gestellt: Das Zeitalter der Aufklärung (mit seiner Inthronisierung der Vernunft), das Aufkommen monotheistischer Religionen, die Industrialisierung und unsere wachsende Faszination für die Technik führten uns weit von unseren Wurzeln weg und überzeugten uns erst davon, dass wir getrennt, autonom und überlegen sind, und schließlich davon, dass wir die einzige bewusste, empfindungsfähige, voll lebendige Spezies auf diesem Planeten sind.

Der nicht-menschlichen Welt wurde das Leben nur auf die primitivste, unbedeutendste und unterwürfigste Weise zugestanden. Pflanzen und Tiere wurden zu bloßen Ressourcen, die nach Belieben angebaut, geerntet, domestiziert und ausgebeutet werden konnten.

Wir beginnen erst jetzt, den Preis zu entdecken, den wir für den Verlust unserer engen Verbindung zur Natur zahlen mussten. Unser einziges Zuhause und all seine Lebewesen sind dadurch in großer Gefahr, und wir sind von der Quelle unserer Lebenskraft und Zugehörigkeit abgeschnitten. Infolgedessen erleben wir ein pandemisches Ausmaß an Angst, Einsamkeit und Abgesondertheit.

Zum Glück wendet sich das Blatt.

Kosmologen, Biologen, Psychologen und Philosophen beginnen, eine andere Geschichte zu erzählen, eine, die indigene Kulturen und Weisheitstraditionen seit Jahrtausenden teilen: Das Universum ist in seiner Gesamtheit lebendig und bewusst, und wir können nur in Beziehung zu der nicht-menschlichen Welt, von der wir ein Teil sind, voll am Leben sein.

Und nicht nur das: Wir leben in einem sich ständig weiterentwickelnden Makrokosmos, der sich in unserem inneren Mikrokosmos widerspiegelt. Jeden Augenblick sind wir aufgerufen, sterben zu lassen, was vorher war, um zu entdecken, was in uns geboren werden will, und zwar im Einklang mit dem Leben, das uns umgibt und das gleiche tut.

Es liegt Magie und Zauber in der Wiederaufnahme dieses alten Dialogs.

Vor einem halben Jahrhundert prägte der deutsche Psychoanalytiker und Philosoph Erich Fromm das Wort »Biophilie«, um unsere angeborene Liebe zu allen Lebewesen zu bezeichnen. In jüngerer Zeit lud uns die Disziplin der Biomimikry* dazu ein, die Wege der Natur zu imitieren, um menschliche Probleme zu lösen und lebensfreundliche Bedingungen zu schaffen.

Vielleicht könnten wir das nächste Kapitel in unserer sich entwickelnden Geschichte »Biopraxis« nennen – von »bio« (Leben) und »praxis« (Aktion) – als Einladung zum Übergang von Verwaltern des Lebens und der Natur zu vollwertigen Lebensaktivisten, die nach Möglichkeiten suchen, das Leben in all seinen Ausdrucksformen zu nähren und zu stärken, wo immer wir es finden. Natürlich auch in uns selbst!

Hier sind einige Fragen, die uns den Weg weisen könnten:

  • Was ist hier lebendig, und wie kann ich es am besten unterstützen?
  • Welches Handeln ist in dieser Situation belebend, für mich selbst oder für andere?
  • Was verlangt das Leben in dieser Zeit von mir, um in Ordnung, Komplexität und Harmonie zu wachsen?
  • Was möchte in meinen Beziehungen und in jedem Bereich meines Lebens zum Vorschein kommen?
  • Was möchte durch unsere gemeinsamen Bemühungen entstehen, um eine neue Art von Gemeinschaft zu schaffen?
  • Wie können wir unsere Geschichten der Hoffnungslosigkeit in Geschichten der Möglichkeit verwandeln, so wie ein Fluss Steine aus seinem Weg räumt?

Auf solche Fragen gibt es vielleicht keine sofortigen Antworten, aber sie werden uns in Richtung Wachstum lenken und lebenswichtige Emotionen wie Freude, Staunen, Mut und Inspiration auslösen.

Der Weg nach vorn ist kein Weg zurück. Wir werden vielleicht nie wieder mit den Berggeistern kommunizieren oder Opfergaben in heiligen Hainen hinterlassen (obwohl unser Geist durch solche Praktiken der Schönheit nur wachsen kann). Aber egal, wo wir leben – in der üppigen Wildnis des Dschungels oder auf einer belebten Straße in der Stadt – wir können uns selbst zu Lebensaktivisten erheben und unsere eigene Agenda festlegen: die Brennnessel in unseren Gärten wuchern lassen, die Vögel füttern, die an unser Fenster kommen, uns mit dem Obdachlosen in unserem Viertel anfreunden, unsere wilden Stimmen hören lassen.

»Es gibt eine Kraft in dir, die dir Leben gibt«, sagte Rumi. »Suche sie.«

Lasst sie uns suchen, lasst sie uns nähren, lasst sie uns sein.

* Der Begriff »Biomimikry« setzt sich aus »Bio« (Leben) und »Mimikry« (Nachahmung) zusammen und beschreibt den Prozess des Lernens von der Natur.

Die Autorin

Fabiana Fondevila ist Autorin, Journalistin, Geschichtenerzählerin, Ritualgestalterin, Aktivistin und Lehrerin aus Buenos Aires, Argentinien. Ihre Seminare verweben Naturerforschung, Traumarbeit, mythisches Bewusstsein, archetypische Psychologie, Sozialarbeit und Arbeit mit Emotionen um Ehrfurcht, Dankbarkeit und Verzauberung zu wecken. Ihr neuestes Buch ist Wo das Wunderbare wohnt.

www.fabianafondevila.com

Von Bobby Langer

„Buenos dias, madre. que tal? Wie geht’s, Mutter Erde? Du siehst ein wenig kränklich aus.“

„Es geht so, die meisten meiner Kinder haben mich im Stich gelassen – wer kümmert sich schon um seine alte Mutter – aber wenigstens ein paar von ihnen sorgen sich noch um mich. Immerhin.“

„Am 22. April ist dein Feiertag, so wie jedes Jahr seit 1970. Hast du einen Wunsch?“

„Ja, den habe ich tatsächlich. Damals kam nur ein kleines Häuflein zu meinem Feiertag. Alle dachten: ‚Nichts kann der Alten etwas anhaben.‘ Auch ich hielt mich Jahrmilliarden lang für unverletzlich, aber ich habe euch unterschätzt. Ihr Menschen seid wie Ameisen, die mir bis ins Gehirn, bis in meine Adern und Lungenbläschen vordringen und mir Energie und Atem nehmen. Doch immer mehr von euch beginnen zu verstehen: Werde ich krank, ist es auch um euch geschehen. Ohne mich seid ihr nicht mehr. Heute sind es schon Hunderttausende in 175 Ländern, die mich feiern. Das tut gut und macht mir Hoffnung; deshalb mein Wunsch: Verwandelt die Hunderttausend in Hundertmillionen!“

„Bescheiden bist du nicht gerade, oder?“

„Stimmt, dieser menschliche Begriff ist mir als Planetin fremd. Ich habe schon immer groß gedacht.“

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Gaia, so heißt Mutter Erde – nur wenige Namen haben sich international so durchgesetzt. Seit die Mikrobiologin Lynn Margulis und der Chemiker, Biophysiker und Mediziner James Lovelock Mitte der 1970er-Jahre die Gaia-Hypothese entwickelten, ging der Name Gaia viral. Und dabei gab es noch gar kein Internet. Sogar das Teleskop der Europäischen Weltraumorganisation wurde nach ihr benannt.

Das world-wide Gaia-Web

Natürlich gab es den Namen Gaia lange vor unserer Zeit. Schon in der altgriechischen Mythologie hieß die personifizierte Erde Gaia [Γαῖα]. Aus ihr stammte alles Leben, und alles Leben sank zurück in ihren Schoß. Gaia stand in direkter Verbindung mit der Göttin Kybele, die im westlichen Teil der heutigen Türkei [Kleinasien] verehrt wurde als Herrin der Tiere, als Berg- und Naturgöttin und Erdenmutter. Kybele erhielt in manchen Traditionen auch den Namen „magna mater“, Große Mutter; im Hinduismus hieß sie Parvati, Tochter der Himalaya-Berge; in Lateinamerika trug sie den Ehrennamen Pacha Mama und wurde zum Grundprinzip der aktuellen Verfassung von Ecuador. Nur vor diesem Hintergrund ist die immense Verehrung der „Mutter Gottes“ im Christentum erklärlich.

Doch mit Pacha Mama schließt sich der Kreis zum Heute. Die in indigenen Mysterien Amerikas verbreitete Erdmutter-Verehrung konnte durch das Christentum nie vollkommen unterdrückt und ausgemerzt werden und feiert seit Jahren unter dem spanischen Ruf „Buen Vivir“ – gut leben! – eine globale Wiederkehr. Pacha Mama ist die Rebe, die ihr Wasser aus großen Tiefen holt, sie ist der durchs Pflaster wachsende Löwenzahn. Die widerständigen mexikanischen Zapatistas fordern Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit, Unabhängigkeit, Land, Arbeit, Gesundheit, Bildung und Frieden – und berufen sich auf Pacha Mama. Pacha Mama ist der Ursprung ihrer Identität und Kern eines Bewusstseins, dass alles, was Leben hat, untrennbar miteinander verbunden ist: Tiere, Pflanzen, Insekten, aber auch Berge und Flüsse, Felsen und Himmel. Es ist gut vorstellbar, dass Pacha Mama zum Inbegriff einer Bewegung wird, die gegen alles aufbegehrt, was Gaia Gewalt antut. Die Energie für einen solchen Aufstand für das Leben ist längst – global in uns allen – vorhanden wie die Lava unter einem schlummernden Vulkan.

Gaia – wer oder was ist das?

Doch was ist dran an der Gaia-Hypothese? Durchsetzungsfähig war sie, weil sich in ihr intuitives, archaisches Wissen mit modernem Wissenschaftsverständnis verknüpfte – in der Frage nämlich nach dem Urgrund des Lebens. Leben äußert sich in Form von Lebewesen, die sich in selbstorganisierenden biologischen Rückkopplungsprozessen erhalten, so der wissenschaftliche Blickwinkel. Auch der Planet Erde, Gaia, so Lovelock, lasse sich derart beschreiben. Ganz Naturwissenschaftler, untermauerte er seine Hypothese mit phänomenalen Argumenten. Deren bekanntestes ist der seit ewigen Zeiten gleichbleibende Salzgehalt der Meere, der sich logisch nur erklären lasse, wenn es etwas – nämlich das Wesen Gaia – gebe, das ihn aufrechterhalte: „Obwohl vom Land weiterhin beträchtliche Mengen an Mineralien gelöst und ins Meer verfrachtet werden, ist der Salzgehalt seit Jahrmillionen nicht mehr gestiegen. Nimmt man an, dass die Mineralfracht in früheren Zeiten ähnlich hoch war wie heute, müsste inzwischen so viel Salz in den Meeren sein, dass höhere Lebensformen nicht mehr existieren könnten. Tatsächlich gibt es Prozesse, die Salz auch wieder aus dem Ozean entfernen.“ (Wikipedia)

Obwohl Lovelock selbst sich einer Romantisierung der Gaia-Hypothese widersetzte, hatte er doch viel Verständnis für deren Anhängerinnen:

„Wenn ich von einem lebendigen Planeten spreche, soll das keinen animistischen Beiklang haben; ich denke nicht an eine empfindungsfähige Erde oder an Steine, die sich nach eigenem Willen und eigener Zielsetzung bewegen. Ich denke mir alles, was die Erde tun mag, etwa die Klimasteuerung, als automatisch, nicht als Willensakt; vor allem denke ich mir nichts davon als außerhalb der strengen Grenzen der Naturwissenschaften ablaufend. Ich achte die Haltung derer, die Trost in der Kirche finden und ihre Gebete sprechen, zugleich aber einräumen, dass die Logik allein keine überzeugenden Gründe für den Glauben an Gott liefert. In gleicher Weise achte ich die Haltung jener, die Trost in der Natur finden und ihre Gebete vielleicht zu Gaia sprechen möchten.“

There’s something that calls for you

Obschon sich die Gaia-Hypothese auf naturwissenschaftliche Aspekte berief, hatte sie doch stark spirituelle Auswirkungen, etwa hinein in die Hippie- und New-Age-Bewegung. Doch das ist lange her und hat sich gewissermaßen „überlebt“.  „It’s all over now, baby blue. | Leave your stepping stones behind | There’s something that calls for you“, sang Bob Dylan, der seine mystische Sicht der Welt stets sorgfältig hinter seiner schnarrenden Stimme versteckte.

Der vielleicht wichtigste Aspekt des zunehmenden Gaia-Booms ist seine nicht nur völkerverbindende, sondern menschheitsverbindende Kraft: Wenn wir spüren, dass wir alle Bewohner und Geschöpfe von Gaia sind, dann sind wir ein Volk von Feuerland bis Alaska, von Spitzbergen bis Andalusien, von Cabo da Roca bis Tschuktschen; dann verstehen wir, dass eine Hierarchie innerhalb des Lebens eine absurde Annahme ist; dass wir alle gleichwürdig sind. Gaia wirkt in unseren Kindern, sie ist die große Hebamme aller Menschen und Lebewesen aller Länder.

Aber Gaia macht uns nicht alle gleich; im Gegenteil. Was wäre eine Alpenwiese ohne ihre 5000 Pilzarten, 2500 Flechtenarten, 4500 Gefäßpflanzen und 800 verschiedenen Laubmoose? Sie wäre eine Monokultur, eine menschliche Wahnidee und nicht das Wunderwerk einer durch Jahrmillionen sich steigernden Vielfalt. Gaia, das verstehen immer mehr von uns, ist das Gegenteil industrieller Standardisierungen, Gaia ist Leben pur, das sich in unerreichbarer Individualität ausdrückt, in uns, in dir und in mir.

Gaia lädt uns ein

Und vor allem: Gaia gibt es wirklich. Sie ist keine „Idee“, es sei denn, wir selbst wären Ideen und nicht, von ihr und aus ihr gemacht, aus Fleisch und Blut. Gaia ist der Apfel, in den wir beißen, und der seinen süßen Saft auf unsere Zunge sprüht; Gaia ist die Frühlingswiese, in die wir uns legen und die in uns aufblüht, sobald die Sonne uns strahlend berührt. Gaia ist aber auch der Rost, der am alten, vergessenen Traktor frisst – drüben am Ackerrand. Gaia ist Kraft und Versprechen und Zukunft.

Gaia ist das Ende des gefährlichen Glaubens, hier sei der Mensch und dort die Natur. Gaia ist wir und wir sind Gaia, aber eben nicht exklusiv, sondern im Sinne einer Einladung, einer Ineinsnahme: Der Tag der Erde ist eine Festtagseinladung, bei der uns die Erde zum Feiern ruft, zum Feiern der Geschwister aus Tiefsee und Himmel, zum Feiern unserer Geschwister in und über der Erde, zum Feiern unserer Schwestern und Brüder in Nord und Süd, Ost und West. Denn wir sind ein Volk, Geschwister und Kinder der Erde. Gaia ist Frieden, jeden Tag.

Entnommen aus „(Wandel-) Reiseführer in eine zukunftsfreundliche Lebensweise“ (mit diesem Link copyrightfrei verfügbar)

Evelin Rosenfeld beweist, dass auch eine optimal naturnahe Wirtschaftsweise funktionieren kann

Es gehört zu den beliebten Argumenten der konventionellen Landwirtschaft, man könne nur mit dem Einsatz von Großmaschinen und massiver Schädigung von Mitwelt und Bodenleben wirtschaftlich überleben. Evelin Rosenfeld  beweist das Gegenteil. Im Interview ist Ökoligenta ihrem Ansatz nachgegangen.

Ökoligenta: Du betonst auf deiner Homepage die Kreislaufwirtschaft, und zwar nicht nur irgendeine, sondern eine konsequente. Wenn wir die „Kreislaufwirtschaft“ mal als den einen Pol möglichen Wirtschaftens ansehen, wie würdest du denn den anderen Pol beschreiben?

Evelin Rosenfeld: Der andere Pol ist, mit möglichst wenig Eigenleistung möglichst billig irgendwelche Rohstoffe und Vorleistungen zusammenzukaufen und teuer weiterzuverkaufen. Die Bedingungen der Gewinnung, die nicht eingerechneten Verbräuche auf dem Weg zum „Händler“ und die Entsorgung des verbrauchten Produkts spielen dann ebenso wenig eine Rolle wie der immaterielle Aspekt des „Produkts“. Das Produkt ist dann seelenlos.

Ö: Um jetzt mal konkret von deiner Branche zu sprechen: Wie funktioniert die konventionelle Pflanzen- und Kräuterproduktion üblicherweise?

E.R.: So viel Land wie möglich pachten um so viel Nutztiere wie möglich unter Leben verachtenden Bedingungen möglichst schnell zu vermehren und die Exkremente auf den Flächen auszubringen (man braucht je Vieheinheit eine bestimmte Fläche). Auf diesen Flächen fahren dann Maschinen von mehreren zig Tonnen und reißen mehrmals zwischen Herbst und Frühjahr den Boden auf.

Das Bodenleben stirbt, der Boden verdichtet und verarmt. Dann wird giftig gebeiztes, oft genmanipuliertes Saatgut ausgebracht, das unter Einsatz von mehreren „Gängen“ Mineraldünger (Wasser und Bodenleben werden geschädigt), den Exkrementen aus dem Stall (s.o.) und Pflanzenschutz (einheimische Pflanzenarten, Insekten, Eidechsen etc. werden mitvernichtet) hochgezogen wird. Wieder mehrfach schwere Maschinen auf dem Boden – und Abgase und Lärm.

Wenn der Bestand erntereif ist, kommt eine noch größere, noch schwerere Maschine, rasiert die „Ware“ ab, die vom Schneidwerk mit Hochdruck in den Tank geschleudert wird. Das so misshandelte Pflanzgut wird zum Hof geschafft und mit Fließbändern, Rüttelsieben und Trockengebläsen erneut so massiv verletzt, dass unweigerlich Oxidation und damit Vergiftung und Zerfall der Pflanzen einsetzt.

Was dann noch übrig und trocken ist, wird maschinell kleingehackt, in Säcke geblasen und auf zum Teil langen Wegen – Abgase – zum Händler geschafft, teils mehrere Handelsetappen, bis zuletzt das mausetote Material wieder maschinell in Verkaufspackungen untergebracht wird und erneut auf den Transport zu Einzelhändlern geht.

Ö: Gibt’s da denn keinerlei Unterschiede zwischen konventionellen und Biobetrieben?

E.R.: Der Unterschied besteht lediglich darin, dass Biobetriebe bestimmte Dünge- und Spritzmittel nicht verwenden dürfen, dafür nur Biosaatgut verwenden dürfen und sich einmal jährlich kontrollieren lassen müssen. Wenn man einmal davon absieht, dass Demeter-Betriebe immerhin das Futter für ihre Tiere selbst anbauen müssen, ist der Unterschied marginal.

Ö: Kreislaufwirtschaft und Cradle to Cradle – sind das verschiedene Ansätze?

E.R.: Kreislaufwirtschaft ist eine Überkategorie. Cradle to cradle fokussiert speziell auf Recycling, soweit ich weiß.

Ö: Gibt’s bei dir gar keine nicht wiederverwertbaren Abfälle?

E.R.: Doch: Die Glasflaschen, die Kartons und die Flyer. Die Flaschen zurückzunehmen, zu reinigen und wiederzuverwenden würde mehr Ressourcen verbrauchen, als sie dem großen Recycling vor Ort bei meinen Kunden zuzuführen. Da meine Kunden ja auch sehr bewusst sind und handeln, finden sie ganz sicher eine Wiederverwendung.
Meine Kunden sind übrigens ein paar eigene Zeilen wert. Denn wer mich findet und Gefallen an den Produkten hat, bleibt und bestellt immer wieder. Es ist wirklich so, dass ein paar tausend Namen mir vertraut sind, wenn eine neue Bestellung kommt. Oft mit ein paar lieben, wertschätzenden Zeilen. Manchmal bekomme ich sogar Post von meinen Kunden: schöne Karten, Bücher – einfach: ganz viel Liebe und Verbundenheit, die da schwingt.

Ö: Die Rohstoffe für deine Produkte entnimmst du dem Boden? Wie kommen die entnommenen Nährstoffe wieder in den Boden zurück? Düngst du, und wenn ja, wie?

E.R.: Es muss viel gejätet werden. Hieraus entsteht Kompost, den ich wieder auf die Flächen bringe. Bei Kulturen, die es vertragen, mulche ich zudem. Dem Boden werden durch Photosynthese und Witterung eine Reihe von Elementen aus der Luft und aus dem Sonnenlicht zugeführt. Zudem führt die unbeschadete Fauna (Kleintiere und Insekten) sowie das Mykorhizza [Red.: das in ungeschädigten Böden vorhandene Pilzgewebe] dem Boden alles zu, was vor Ort gebraucht wird. Zusätzlicher Dünger ist da nicht nötig.

Ö: Verschwendung findet ja üblicherweise im Bereich des Energieeinsatzes und im Ressourcenverbrauch statt. Mit welchen Methoden minimierst du diese beiden Faktoren?

E.R.: Ich mähe drei Hektar von Hand, trockne das Pflanzgut in selbst konstruierten Solardarren (komplett frei von Elektrizität) und destilliere auf offenem Feuer.

Ö: Du brauchst ja auch Verpackungen für deine Produkte, wenn du sie verschicken willst. Die sind vermutlich vom Kreislauf ausgenommen? Oder nicht?

E.R.: Ich hole einen Teil der Versandkartons, die ich brauche, vom Einzelhandel aus Rodach: Da fällt so viel an – das kann ich gut wiederverwenden. Allerdings kaufe ich auch Kartons in Recylingqualität zu.

Ö: Du hast dich ja auf Kräuteranbau spezialisiert. Ich habe den Eindruck, dass sich diese Art von Produktion besonders gut für Kreislaufwirtschaft eignet. Ist denn auch eine Landwirtschaft, die Grundnahrungsmittel wie Getreide, Kartoffeln herstellt, als Kreislaufwirtschaft vorstellbar?

E.R.: Ich habe auch einen 5.000 qm großen Gemüsegarten. Das Gemüse erfreut Menschen und Restaurants im unmittelbaren Umfeld. Also: Ja
Zu beachten ist, dass nachhaltiger Landbau > 60% mit mehrjährigen Lebensmittelpflanzen arbeitet. Also heißt das auch für die Nutznießer der Gärten: Weg von einjährigem und oft auch ökosystemfremdem Gemüse – und zurück zu leckeren Dauerkohlen, Spargel, zahlreichen Beeren und vieljährigen Knollen und Wurzelgemüsen.

Ö: Kann man denn ein auch nur halbwegs modernes Leben führen, wenn man arbeitet und denkt wie du?

E.R.: Klar !

Ö: Warum ist dir das alles so wichtig?

E.R.: Weil ich die Erde liebe. Und weil ich dazu beitragen möchte, dass die Menschen endlich Hass, Gier und Verblendung loslassen, um das Leben im Garten Eden zu feiern, statt immer neues Leid zu erzeugen.

Evelin Rosenfeld betreibt die Homepage Wild Natural Spirit mit so naturnah wie möglich naturreinen Pflanzenpräparaten, die sie in Permakultur auf 55.000 qm Land maschinenfrei anbaut. Darüber hinaus bietet sie Seminare zu Permakultur & Heilkräutern an.
Evelin Rosenfeld studierte Biochemie und Betriebswirtschaft, und verabschiedete sich als Konzernstrategin mit 32 Jahren von einem linearen, mitweltfeindlichen Wirtschaften.
Heute sucht sie nach einem/r Geschäftspartner/in, der/die sich den Spagat zwischen ökonomischen Sachzwängen und naturnahem Wirtschaften zutraut.

Dieser Essay von Coco Burckhardt ist Teil der Anthologie “Frieden mit der Natur – 19 Annäherungen”, die kürzlich zum 40-jährigen Bestehen des Verlags NEUE ERDE erschien. Alle Texte gehen davon aus, dass es unter den Menschen erst Frieden geben wird, wenn wir als Menschheit Frieden schließen mit der Natur. Hier verlieht Coco einem Felsen die Stimme, der schon zu Anbeginn der Welt da war und sich an die Menschen richtet.

Zum Essay „Ein Fels erzählt“.
(Alle bereits online stehenden Essays findest du unter https://www.ökoligenta.de/category/frieden-mit-der-natur.)

Lohnenswert für alle, die erfahren möchten, wie wir gemeinsam die Erde transformieren können, ist der kostenfreie Online-Kongress „Frieden mit der Natur – Gemeinsam für eine Neue Erde“ am 25.10.2024

Zum 40-jährigen Bestehen des Verlags NEUE ERDE erschien kürzlich die Anthologie „Frieden mit der Natur – 19 Annäherungen“
Sie alle gehen davon aus, dass es unter den Menschen erst Frieden geben wird, wenn wir als Menschheit Frieden schließen mit der Natur.

Wir veröffentlichen auf Ökoligenta die 19 Essays in Folge, die zwangsläufig aus unserer anthropozentrischen Weltsicht und Gemütsverfassung hinausführen.

Im ersten Essay beschäftigt sich Matthias Blaß, Leiter der Naturschule Wildniswandern, mit der Schaffung einer friedlichen,
beziehungsstiftenden neuen Erdkultur, die auf indigenen Kernelementen aufbaut

–> Zum Essay „Eine neue Erdkultur“

(Alle bereits online stehenden Essays findest du unter https://www.ökoligenta.de/category/frieden-mit-der-natur.)

Lohnenswert für alle, die erfahren möchten, wie wir gemeinsam die Erde transformieren können, ist der kostenfreie Online-Kongress „Frieden mit der Natur – Gemeinsam für eine Neue Erde“ am 25.10.2024

Eine wirkungsvolle Abwendung der Klimakrise und des Artensterbens ist mit den bestehenden juristischen und politischen Möglichkeiten unerreichbar. Wälder, Flüsse, Tierarten sowie ganze Ökosysteme sollten Rechtspersonen sein, die juristisch in eigenem Namen auftreten und Klage führen können.

Jedoch sind der bedrohte Schweinswal in der Ostsee oder die ausbleibenden Wildbienen im Schwarzwald vor Gericht bis heute nur eine Sache, die keine eigenen Rechte hat. Weil nur Menschen Rechte haben können? Wieso ist dann ein Kapitalunternehmen eine Rechtsperson, aber ein Wald mit seiner lebendigen Vielfalt und seiner Bedeutung für uns Menschen oder für denkende Wesen wie Wal, Hund oder Schimpanse jedoch nicht? Eine Tierart oder ein Ökosystem erfüllen nicht nur „Dienstleistungen“ für den Menschen, sie haben einen Wert und sogar eine Würde an sich. Dennoch unterliegen sie regelmäßig einseitigen menschlichen Interessen; ob die Alpentäler, der Vogel des Jahres, der Amazonas, Korallenriffe… es scheint heute absurd, dass sie ihr Recht auf Leben juristisch nicht einfordern können.

Unterstütze die Forderung „Die Rechte der Natur anerkennen und durchsetzen“ des Netzwerkes Rechte der Natur auf ABSTIMMUNG21 [dort zuerst anmelden, dann den Button „Hier kommen Sie zur Themenwahl“ anklicken und im Suchfeld unter „Themenvorschläge“ eingeben: „Rechte der Natur“| Alternativ: Diesen Dateipfad in den Browser eingeben: www.abstimmung21-mitmachen.de/proposals/163-die-rechte-der-natur-anerkennen-und-durchsetzen]

ABSTIMMUNG21 organisiert bundesweite Volksabstimmungen zu brennenden Fragen der Zeit einfach selbst – bis Abstimmungen auf Bundesebene gesetzlich verankert sind.

Weitere Informationen über das Netzwerk Rechte der Natur und der Forderung finden Sie auch unter www.rechte-der-natur.de sowie auf der Seite von Abstimmung21 im obenstehenden Link.

Und in den sozialen Medien:
FACEBOOK: www.facebook.com/netzwerk.rechtedernatur
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X: www.x.com/DerNatur83338

Rezension des gleichnamigen Buches von Thomas Berry

Sind Sie heilig? Oder wild? Oder beides? Was für Fragen! Thomas Berry hält sie für angemessen und Heilig- und Wildsein für die notwendigen Eigenschaften, „die wir brauchen, um den Übergang zu vollziehen … von einer Epoche, in der die Menschen auf der Erde als zerstörerische Macht wirken, in eine andere, in der sie und der Planet sich wechselseitig bereichern“.

Anlass zur Hoffnung

In seinem Alterswerk „Das Wilde und das Heilige“ beschäftigt sich Berry nicht nur – sehr profund und doch gut leserlich – mit den Grundlagen der westlichen Zivilisation; begabt mit analytischer Intelligenz und beseelt von einem spirituellen Optimismus, sinnt er darauf, „die Rolle der Menschengemeinschaft in ihrer Beziehung zu den anderen Teilhabern des Planeten auszumessen“ und die Mittel und Möglichkeiten zu prüfen, wie wir das Steuer noch einmal herumreißen können, bevor die Titanic gegen den Eisberg kracht.

Das Wilde, weil unkontrollierbar und unvorhersagbar, ist für ihn ein Anlass zur Hoffnung. Weiterlesen

Von Bobby Langer

Aktivismus ist oldschool

Früher sagten wir ironisch: „Wir haben zwar keine Chance, aber wir nutzen sie.“ Letztlich ist es diese feste Überzeugung, es lohne sich, angesichts des Unmöglichen Mögliches zu versuchen, die das Unmögliche in seine Schranken zu weisen vermag – und Hoffnung macht. Einfach formuliert: Wir ringen den Gegner nieder, indem wir uns nicht auf seine Waffen einlassen. Deshalb könnte man das auch einen kulturellen Guerillakampf nennen.

Schluss mit dem Kampf gegen Windmühlen

Eine, wenn nicht sogar die Hauptwaffe des Gegners besteht darin, uns glauben zu machen, es gebe jeweils einen leicht identifizierbaren Gegner: die Polizei zum Beispiel, die Banker, die Pharma- und Waffenindustrie, die Politiker, die Manager. Was für ein Pech: Es gibt sie nicht, sie sind allesamt nicht vorhanden. Es gibt nicht „die“ Politiker, nicht „die“ Polizei, noch nicht einmal „die“ Waffenindustrie. Sie alle sind Schimären, die das Feindbild-Szenario bevölkern und uns gegen Windmühlen kämpfen lassen. Wer nun meint, er könne, ja müsse, diese Schimären bekämpfen, egal ob mit Gewalt oder ohne, gehört zur Gruppe der Aktivisten, die sich neuerdings – und sehr viel cooler – „Aktivisti“ nennen.

Ein Postaktivist namens Franziskus

Oft noch unsichtbar, aber bereits gestaffelt dahinter (oder davor, je man Perspektive) stehen die Postaktivisten. Sie eint die „unbedingte Überzeugung, dass ein sehr grundsätzlicher Wandel gelingen kann“. Postaktivistinnen glauben nicht mehr an einzelne Verfehlungen innerhalb „des Systems“, sie denken über Systemchange nach. Und sie bestehen auf diesem Nachdenken, egal, ob sie „von irgendeinem eloquenten Politiker oder CEO als undemokratisch“ bezeichnet werden. Das Totschlagargument ist ihnen egal, weil ja Totschlag systemimmanent ist. „Diese Wirtschaft tötet“, befand Papst Franziskus, der definitiv kein activisto ist, sondern eben ein Postaktivist. Postaktivisten eint das Bewusstsein, sich „viel grundsätzlicher zu empören, zu vernetzen und selbst für die Zukunft des Planeten einzustehen“. Aktivismus im oben beschriebenen Sinne ist einfach oldschool.

Zivilisatorische Kehrtwende

Phillip Maiwald hat sich auf das Phänomen Postaktivismus eingelassen und ihm ein gleichnamiges Buch gewidmet, Untertitel: „Die Stille im Inneren der Krise“. Es geht also nicht mehr darum, sich mit den Auswirkungen des Orkans zu beschäftigen, sondern bis ins stille Auge des Orkans vorzudringen. Es zeugt von Beuysscher Radikalität, wenn Maiwald fordert: „Ich bestehe … auf Schönheit und ich ernenne sie hiermit zu einer der Topmerkmale des Postaktivismus. Ich wünsche mir … einen Aktivismus, der smarter, kreativer, frecher, dabei freundlicher, unkonventioneller, radikaler und besser organisiert ist als der mir noch immer über weite Strecken begegnende.“

Postaktivismus wird gebraucht, weil der Aktivismus seit den 80er Jahren nicht funktioniert hat; sonst „würden wir heute nicht vor diesen ökologischen Wahnsinnsproblemen stehen“. Dabei will Maiwald all die kleinen Erfolge vergangener aktivistischer Aktionen nicht schmälern, doch sei jetzt weit mehr angesagt, nämlich „eine zivilisatorische Kehrtwende“: „In Anbetracht unserer heutigen Situation sollte man sich die Frage stellen, ob wir die uns anvertraute Natur durch eine alle Bereiche des Lebens durchziehende Technologie ersetzen wollen, oder ob wir versuchen wollen, das Viele am Leben zu erhalten, was heute trotz widriger Umstände noch immer da ist und was wir unsere Heimat nennen.“

Unbequeme Fragen müssen sein

Dann aber seien unbequeme Fragen zu beantworten:

– „Wie geht man emotional mit … dem Ökozid des Planeten um?“

– „Wie vereint, organisiert und mobilisiert man eine revolutionäre Bewegung?“

– „… sollten wir die Zerstörung vielleicht sogar beschleunigen, um unnötiges Leid zu vermeiden?“

– „Wie verteidigt man sich gegen den Vorwurf, Mitglied einer radikalen, ökologischen Gemeinschaft zu sein? Muss man sich überhaupt verteidigen?“

– „Ist es ein legitimer Akt von Gewalt, wenn man einen den Regenwald abholzenden Bulldozer anzündet?“

-„Ist es ein Akt von Gewalt, wenn ich Fleisch esse?“

Vom Wert der Tränen

Mit seinem Buch „Postaktivismus“ spricht Phillip Maiwald letztlich dem tiefenökologischen Gedanken das Wort, dass wir erst dann wirklich ins Handeln kommen, wenn wir den Schmerz über die Verwüstungen der Erde (und in uns) zulassen. An das berühmte William-Blake-Zitat „A tear is an intellectual thing” [eine Träne ist eine intellektuelle Sache] anknüpfend sagt er, man könne die ganze Welt daran aufhängen. Es ist eben diese Träne, die wichtiger ist als all diese „Überheblichkeiten und Grabenkämpfe“; „Wir werden in Zukunft mit Menschen zusammenarbeiten müssen, die wir noch vor kurzem für Fachidioten und Hampelmänner gehalten haben, wir werden mit Nationalisten, Populisten und Kapitalisten sprechen und zusammenarbeiten müssen. Nur so können wir den Herausforderungen der Zukunft auch nur annähernd gerecht werden.“

Radikal mit dem Alten aufräumen

Die fetten Jahre sind vorbei, und die Zeit für lang gehätschelte Glaubenssätze ebenfalls. Diesbezüglich erinnert Maiwald an den riesigen Werbescreen am New Yorker Times Square, auf dem die Künstlerin Jenny Holzer den Spruch installiert hatte: „Protect me from what I want“ [Schütze mich vor dem, was ich möchte]. Vielmehr sei es sinnvoll, einen Minimalkonsens zu entwickeln, „für den man sich begeistern und einsetzen kann, während man über unvermeidliche Unterschiede … großzügig hinweg sieht“. Man könne nun mal „keinen radikalen Wandel auf den Weg bringen und zur gleichen Zeit alles beim Alten belassen“. Bei seinem Formulierungsversuch eines solchen Minimalkonsens‘ zeigt sich rasch, welche Tabuthemen angefasst werden müssten, zum Beispiel: konsequente Umverteilung von materiellem Reichtum, Schließung energieverschlingender Veranstaltungsräume, neues Finanzsystem, sofortiger Ausstieg aus fossilen Brennstoffen, Vergesellschaftung der Chemie-, Energie- und Stahlindustrie, Austritt aus der Nato. Stattdessen Verankerung von Tier-/Pflanzenrechten und den Rechten kommender Generationen im Grundgesetz, Einführung bzw. Subventionierung von Kreislaufwirtschaft in allen Industriezweigen und Geld für die ganzheitliche Bildung der Kinder.

Hüter/innen der Erde

Weil die Erfüllung all dieser Forderungen einer Umwälzung sämtlicher gesellschaftlichen Verhältnisse gleichkäme, werden die meisten davon, nüchtern betrachtet, wohl unangetastet bleiben – mit allen langfristig unvermeidlichen und voraussichtlich desaströsen Folgen für Mensch und Mitwelt. Doch gemäß der hartnäckigen Einsicht „Wir haben zwar keine Chance, aber wir nutzen sie“, liegt der Wert von Phillip Maiwalds Buch nicht in der detaillierten Analyse eines sozial-ökologischen Umbaus der Industriegesellschaft, sondern darin, das Notwendige zu Ende zu denken und dabei auch Denktabus nicht länger hinzunehmen. Schließlich gehe es darum, „wirklich etwas zu wagen und gemeinsam das Richtige zu tun; wir sind ohne Einschränkung die Hüterinnen und Hüter der Erde bis zum letzten, lebendigen Wesen“.

Phillip Maiwald, Postaktivismus, 20 €, Büchner Verlag, ISBN 978-3-96317-345-5


Siehe auch: civil integrity – postactivism

Astrid Reimann empfiehlt das großartige Buch „Geflochtenes Süßgras“ von Robin Wall Kimmerer.
Daher der Titel „Gras und andere Lehrer“. Ein kleiner Auszug aus ihrer Rezension:

„Wie wäre das, wenn wir uns der Erde, unserer Ur-Mutter, gegenüber genauso anständig benehmen würden wie bei der Oma?

Wir würden ganz anders ernten. Kimmer schreibt von der „ehrenhaften Ernte“. Wir würden unsere Gärten und Äcker, unsere Viehhaltung, die Jagd, Bergbau und Industrie völlig anders gestalten. Wir würden besser verstehen, wie alles zusammenwirkt. Wenn wir Menschen ein Teil der Natur sind und sie uns nicht als „Objekt“ gegenüberstellen, kann sie keine Ware sein. Ein anderes Wirtschaftssystem würde entstehen. Ein anderes Miteinander – auch zwischen uns Menschen.

Es wäre eine Revolution.“

Hier geht’s zur vollständigen Besprechung.