Wie wir uns selbst im Weg stehen

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von Peter Zettel

Wenn doch alles ganz anders ist, wieso ändert es sich dann nur so selten? Ganz einfach: Weil vielen das eigene Selbst wichtiger ist als die Wahrheit, zumindest wichtiger als die, die wir erfassen können. Étienne de La Boétie hat das in seiner „Abhandlung über die freiwillige Knechtschaft“ wunderbar belegt. Aber leider hat er nur das Symptom beschrieben, nicht die tatsächliche Ursache. In seiner Abhandlung vertritt er die These, dass die Unterdrückung vieler Menschen durch einen Einzigen nur solange möglich sei, wie die vielen sich unterwerfen, statt sich kollektiv zu widersetzen. Sich zu widersetzen heißt aber gerade nicht, ihn zu bekämpfen, sondern einfach nur „Nein“ zu sagen. Anmerkung von mir: Bekämpfe ich ihn, suche ich nur seine Position einzunehmen.

Geschrieben hat er das zu Beginn des 16. Jahrhunderts, viele kennen den Inhalt. Doch was ändert sich, was hat sich seither geändert? Eigentlich nichts wirklich. Warum ich das behaupte und zu sagen wage? Weil ich mich mit der freiwilligen Knechschaft mittlerweile bestens auskenne. Ich habe nämlich an mir selbst studieren und erfahren können, warum es so selten funktioniert, diesem Kreislauf endlich einmal zu entkommen. Worum also geht es? Zur Erinnerung hier ein Auszug aus dem Text:

Die freiwillige Knechtschaft

Oh ihr armen, elenden Menschen, ihr unsinnigen Völker, ihr Nationen, die ihr auf euer Unglück versessen und für euer Heil mit Blindheit geschlagen seid, ihr lasst euch das schönste Stück eures Einkommens wegholen, eure Felder plündern, eure Häuser berauben und den ehrwürdigen Hausrat eurer Väter stehlen! Ihr lebt dergestalt, dass ihr getrost sagen könnt, es gehöre euch nichts; ein großes Glück bedünkt es euch jetzt, wenn ihr eure Güter, eure Familie, euer Leben zur Hälfte euer Eigen nennt; und all dieser Schaden, dieser Jammer, diese Verwüstung geschieht euch nicht von euren Feinden, sondern von dem Feinde und demselbigen, den ihr so groß machet, wie er ist, für den ihr so tapfer in den Krieg ziehet, für dessen Größe ihr euch nicht weigert, eure Leiber dem Tod hinzuhalten. Der Mensch, welcher euch bändigt und überwältiget, hat nur zwei Augen, hat nur zwei Hände, hat nur einen Leib und hat nichts anderes an sich als der geringste Mann aus der ungezählten Masse eurer Städte; alles, was er vor euch allen voraus hat, ist der Vorteil, den ihr ihm gönnet, damit er euch verderbe.

Woher nimmt er so viele Augen, euch zu bewachen, wenn ihr sie ihm nicht leiht? Wieso hat er so viele Hände, euch zu schlagen, wenn er sie nicht von euch bekommt? Die Füße, mit denen er eure Städte niedertritt, woher hat er sie, wenn es nicht eure sind? Wie hat er irgend Gewalt über euch, wenn nicht durch euch selber? Wie möchte er sich unterstehen, euch zu placken, wenn er nicht mit euch im Bunde stünde? Was könnte er euch tun, wenn ihr nicht die Hehler des Spitzbuben wäret, der euch ausraubt, die Spießgesellen des Mörders, der euch tötet, und Verräter an euch selbst? Ihr säet eure Früchte, auf dass er sie  verwüste; ihr stattet eure Häuser aus und füllet die Scheunen, damit er zu stehlen finde; ihr zieht eure Töchter groß, damit er der Wollust frönen könne; ihr nähret eure Kinder, damit er sie, so viel er nur kann, in den Krieg führe, auf die Schlachtbank führe; damit er sie zu Gesellen seiner Begehrlichkeit, zu Vollstreckern seiner Rachebegierden mache; ihr rackert euch zuschanden, damit er sich in seinen Wonnen räkeln und in seinem gemeinen und schmutzigen Genüssen wälzen könne; ihr schwächet euch, um ihn stärker und straff zu machen, dass er euch kurz im Zügel halte: und von so viel Schmach, dass sogar das Vieh sie entweder nicht spürte, oder aber nicht ertrüge, könnt ihr euch frei machen, wenn ihr es wagt, nicht euch zu befreien, sondern nur es zu wollen.

Seid entschlossen, keine Knechte mehr zu sein, und ihr seid frei. Ich will nicht, dass ihr ihn verjaget oder vom Throne werfet; aber stützt ihn nur nicht; und ihr sollt sehen, dass er, wie ein riesiger Koloss, dem man die Unterlage nimmt, in seiner eigenen Schwere zusammenbricht und in Stücke geht.

Nur: Bloß nicht kämpfen!

Die – scheinbare – Kröte steckt ganz zum Schluss hier: „ … könnt ihr euch frei machen, wenn ihr es wagt, nicht euch zu befreien, sondern nur es zu wollen.“ Da höre ich schon den Aufschrei aller Linken dieser Welt. Wie, ich brauche es nur zu wollen und alles ist gut? Stimmt, es funktioniert auch, nur passt das leider nicht in das gewohnte Denken. Wie, wir sollen an unserem Elend auch noch selbst schuld sein? Aber eins nach dem anderen. Vorher lesen Sie aber bitte den Text mehrmals durch, falls Sie es noch nicht getan haben sollten, damit ihnen wirklich nichts entgeht. Ich halte es für absolut wichtig, den Text wirklich zu erfassen, denn er ist die blanke Konfrontation. Und wenn ich früher mit eigenem Verhalten konfrontiert wurde, habe ich immer sofort auf Angriff umgeschaltet, schließlich ist Angriff ja die beste Verteidigung.

Und da liegt schon der Hund begraben. Als Unternehmensberater hatte ich immer wieder ellenlange Diskussionen mit Klienten – anstatt der viel zu selten anzutreffenden ernsthaften Dialoge. Wie ich das hinbekommen habe? Ganz einfach, ich habe ihnen immer nur gesagt, dass sich nicht der andere ändern muss, sondern sie selbst sich ändern könnten und auch müssten, wenn sie eine andere Beziehung zu wem auch immer haben wollen. Der Aufschrei der Entrüstung war meist gewaltig. „Wie, ich soll mich ändern und nicht der andere?“ tönte es mir meist prompt entgegen. Lesen Sie einmal Étienne de La Boétie: Einfach „Nein“ sagen und gut ist’s. Warum aber nicht mehr? Ganz einfach, weil wir Menschen mit der gesamten Natur eine in sich differenzierte Einheit sind. Zwar differenziert, aber eins. Und wenn in einem Organismus der eine mit dem anderen kämpft, dann nennt man das Krebs. Der Krebs ist ja auch kein Feind von außen, sondern einer, der von innen kommt. Wie übrigens so ziemlich jede Krankheit. Schuld an meiner kürzlich operierten Carotisstenose ist ja auch nicht das böse, böse Schweinefleisch, sondern ich selbst, denn ich habe es ja gegessen. Hätte ich vielleicht doch nicht tun sollen. Oder mich nicht so über Dinge aufregen, die ich ja doch nicht ändern kann, weil andere sie tun – statt einfach „Nein“ zu sagen?

Die Form macht den Inhalt

Die Gedanken von Étienne de La Boétie erinnern mich fatal an die von Marshall Mc Luhan, der ganz klar beschrieben hat, dass die Form den Inhalt prägt – und eben nicht umgekehrt. Geschrieben hatte er das, als es noch keine Social Media gab. Doch wen interessiert das ernsthaft? Wer ist ganz klar der Schuldige? Mark Zuckerberg! Sicher nicht die, die FB nutzen und darauf ihr gesamtes Leben veröffentlichen. Nein, nicht die, die ihre privatesten Momente nicht nur mit ihren Freunden, sondern via WhatsApp mit der ganzen Welt teilen. Oder die Erzählung „Im Land der Blinden“ von H. G. Wells? Genauso wie der Roman „Schöne neu Welt“ von Aldous Huxley, der unsere heutige Welt und das ganz normale Verhalten wohl der meisten Menschen mit erschütternder Klarheit beschrieben hat – übrigens schon 1932! Und wer in meiner Altersgruppe hat nicht Erich Fromms „Haben und Sein“ im Bücherregal stehen gehabt, als sie oder er noch jung war? Hing bei Ihnen auch ein Plakat von Che Guevara über dem Bett oder im Zimmer, als viele von uns Sturm gegen den Muff von „1000 von Jahren unter den Talaren“ liefen? Doch scheinbar hat sich kaum einer die Frage gestellt, nicht was falsch lief, sondern was man selbst falsch gemacht hat, dass Krieg, Gewalt, Unterdrückung und Ausbeutung in unserer Welt immer noch der Normalzustand sind – und nicht nur zu sein scheinen.

Edward Bernays schuf 1928 mit seinem Buch „Propaganda“, das später von ihm selbst in „Public Relation“ umbenannt wurde, die Basis für einen Berufsstand, den wir heute den des PR-Beraters nennen. Er ist ein Pionier der Massenpsychologie. Er schreibt in seinem Buch, „… wenn wir die Mechanismen und die Bewegungen des Gruppengemüts verstehen, ist es jetzt möglich die Massen zu kontrollieren und zu regulieren nach unserem Willen – ohne dass sie es wissen.“ Stimmt. Doch warum ist es so? Bernays geht davon aus, dass der Mensch irrational veranlagt ist und eben gerade nicht durch rationale Überlegungen beeinflussbar ist (auch, wenn wir uns das gerne einbilden) – sondern indem die Emotionen angesprochen werden. Er, ein Neffe Siegmund Freuds, geht davon aus, dass unbewusstes Verlangen die antreibende Kraft im Menschen ist. Er erkannte, dass Menschen nur sehr schwer über den rationalen Verstand anzusprechen sind, sondern viel leichter, wenn man an ihre Gefühle appelliert. Ich habe früher Marlboro, Reval und Gitanes geraucht – raten Sie mal, warum. Und? Sind Sie draufgekommen? Freiheit war mein Thema, Freiheit und anders sein als alle anderen. Und es funktioniert scheinbar immer noch, man braucht sich nur einmal genau die Autowerbung im Fernsehen anzuschauen. Kann ich wirklich freier sein, wenn ich dieses oder jenes Auto kaufe? Doch wohl kaum! Und nur, weil ich Afri-Cola trinke, soll ich bewusst meine Zeit genießen? Doch bevor Sie antworten empfiehlt es sich, darüber einmal wirklich nachzudenken. Ganz ernsthaft. Natürlich halten wir uns gegen solche Dinge gefeit – doch sind wir es wirklich?

Auch Individualität ist Inhalt und keine Form!

Gerade bin ich auf eine interessante Frage gestoßen, nämlich die, was unsere Individualität ausmache, wir eben alle ein individuelles Wesen hätten. Eine Antwort fand ich sehr interessant, nämlich weil es nur sehr wenige Atome gibt, aus denen aber viele unterschiedliche Moleküle und noch viel mehr unterschiedliche Wesen gebildet werden können. Wenn also Sie und ich letztlich aus denselben Atomen aufgebaut sind, was macht dann unsere Individualität aus? Doch nur unsere emotionale Sichtweise auf uns selbst – wie bei allen anderen Lebewesen auch!! Rational besehen bestehen Sie und ich aus denselben Grundbausteinen, die wir im Laufe unseres Lebens eben anders organisiert haben. Emotional sind wir sehr, sehr unterschiedlich! Aber ist das überhaupt korrekt? Natürlich ist das so, nur das Problem ist, dass man über Emotionalität nicht streiten kann, wenn es nicht gewünscht ist. Natürlich kann man darüber diskutieren, ob eine Emotion berechtigt ist oder nicht. Nur das setzt voraus, dass ich das auch will, dass ich dazu auch bereit bin! Erinnern Sie sich an meine Aussage, dass da der Hund begraben wäre? Unsere Emotionen sind des Hundes Grab. Nun ja, eigentlich nicht, sondern unsere Bereitschaft, uns mit ihnen zu identifizieren. Tun wir das, dann lassen wir die garantiert nicht in Frage stellen. Wir machen uns, sozusagen, unangreifbar.

Identifiziere ich mich mit meinen Emotionen über mich selbst, dann werde ich zu etwas „real und aus sich selbst heraus Existierendem“ – was ich aber nicht bin. Und idiotischerweise mache ich mich damit auch gegen leider zutreffende, jedoch dummerweise negative Einschätzungen meiner selbst resistent – ich bin für den anderen nicht mehr erreichbar. Und auch nicht mehr für meinen Verstand und meine Vernunft, selbst dann nicht, wenn ich es doch eigentlich gerne wäre. Was natürlich die spannende Frage aufwirft, weshalb wir das tun. Also nicht alle, wohl aber die meisten. Mein Leben hat sich in dem Moment zum Besseren hin gewendet, als ich gelernt hatte, diese Identifikation mit einer Emotion sein zu lassen und mich stattdessen in Frage stellen zu lassen oder auch selbst zu stellen. Dabei muss klar sein, dass dieses „Sich-in-Frage-stellen“ auch nur ein Hilfsmittel ist, das letztlich überwunden sein will. Früher hätte ich das im Leben nicht getan, denn es wäre mir wie ein Scheitern vorgekommen. Und ich hätte es wohl auch so erlebt, denn unser Gehirn macht normaler- und bedauerlicherweise keinen Unterschied zwischen Fakten und Emotionen. Es sei denn natürlich, wir sehen Emotionen nicht als Fakten an, sondern als etwas frei Definiertes, eben nichts, was mit Identifikation zu uns hat, nichts, das „so und nicht anders“ ist.

Das grundlegende Problem

Was aber hat das mit all den oben genannten Autoren zu tun? Eine Menge! Denn das, was sie alle leider nicht sagen, das ist, dass dies zu ändern von dem Einzelnen verlangt (!!), ganz anders als bisher zu denken. Seit über zweitausend Jahren sehen übrigens auch die Ch´an-Menschen darin die Ursache für unsere Probleme im Leben, nämlich dass wir die Wirklichkeit auf eine differenzierende, trennende Art wahrnehmen, was natürlich heißt, dass wir sie auf eine Art gedanklich zu fassen suchen, wie sie aber tatsächlich nicht zu fassen ist. Sie haben auch einen wirklich guten Ansatz, wie man da rauskommen kann. Ganz einfach: Man braucht nur anders zu denken. Doch das geht leider nicht, solange man mit seinen Emotionen identifiziert ist. Wobei man sich nicht davon blenden lassen darf, dass auch die, die so richtig cool wirken, gleichwohl mit ihren Emotionen identifiziert sind. Bin ich mit Coolnes identifiziert, ist das dasselbe, es ist nämlich auch nur eine Emotion. Eben eine coole. Genau genommen ist es ideal, weder mit Fakten noch mit Emotionen identifiziert zu sein. Denn auch Fakten gibt es nicht wirklich, es sind immer nur Annahmen über Wirklichkeit, Beschreibungen von Prozessen, von Beziehungen. Mehr nicht.

Für viele aber ist das eine Menge, und zwar eine gewaltige, denn es reduziert unser Verständnis von uns selbst schlicht und einfach auf ein Nichts. Nicht mehr vorhanden. Aber das zu verstehen ist eine wirkliche Kröte. Und da wundert sich jemand, dass die Menschen dann Amok laufen? Wo wir uns doch alle dank der wunderbaren Identifikationen so einzigartig dünken? Sagen Sie jetzt nicht, weil wir uns so fühlen würden! Nein, weil wir uns das denken und genau deshalb können wir das fühlen. Reine Empfindungen kommen vor dem Wahrnehmungsbereich- und Denkprozess, doch Gefühle sind ein Ausdruck des Denkens – was leider allzu gerne übersehen wird. Und beim Denken können wir uns schon einmal irren – aber doch nicht beim Fühlen! Wo kämen wir denn da hin, wenn unsere angeblich so untrüglichen Gefühle auf einmal auch zur Disposition stehen und einer logischen Begründung statthalten müssen. Und genau deswegen ändert sich so selten etwas. Ganz einfach, weil wir die Sicherheit nicht aufgeben wollen, die uns unsere Emotionen scheinbar geben. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass „Sicherheit“ ein subjektiver Zustand und kein objektiver ist. Ich kann mich auf dem Motorrad verdammt sicher fühlen und objektiv schnell auf der Straße liegen.

Das Problem hinter dem Problem

Doch wie ist das jetzt wirklich mit uns? Wie sind wir beziehungsweise wie organisieren wir uns tatsächlich? Genau da fängt das wirkliche Problem an. Wir wissen es nämlich nicht so richtig. Aber warum nicht? Ganz einfach, weil wir, jedenfalls die meisten, so nicht denken. Ich will versuchen, dies an einem Beispiel zu erklären, ganz pragmatisch, nämlich an der Quantenmechanik. Die kennen wir ja nun mittlerweile seit mehr als 100 Jahren. Doch wirklich verstanden haben wir sie definitiv noch nicht, denn wenn die Quantenmechanik stimmt, was ist dann real? Einerseits haben wir damit eine Theorie, die bemerkenswert erfolgreich ist. Quantenmechanik liegt allen modernen elektronischen Geräten zu Grunde und es besteht kein Zweifel, dass dies wunderbar funktioniert. Andererseits haben Physiker – und nicht nur die – mit der Quantenmechanik eine Theorie, die so unterschiedlich von allen anderen bekannten wissenschaftlichen Theorien ist, dass sie noch immer nicht genau wissen, was es bedeutet. Irgendwie ist damit alles auf den Kopf gestellt. Stellen Sie sich einmal vor, sie hätten ein ernsthaftes Problem und könnten das mit Hilfe einer Technik wunderbar auflösen. Perfekt, könnte man da denken – wenn man auch wüsste, wie diese Technik funktioniert.

Doch wenn Sie sich auf den Prozess einlassen, bekommen Sie heraus, was es ist. Klingt eigenwillig: Man muss sich auf etwas einlassen, was man nicht kennt und nicht beschreiben kann, um herausbekommen zu können, was jetzt genau das Problem ist? Ich habe also zu Beginn ein Symptom klar zu definieren, komme aber nur dann zur Ursache, wenn ich mich auf einen völlig unklaren Prozess einlasse? Also Klarheit, dann erst einmal Unklarheit und dann wieder Klarheit? Doch das ist nicht alles. Denn wir müssen auch entsprechend denken und uns demgemäß verhalten, wollen wir mit der Lösung etwas anfangen können. Noch einmal Quantenmechanik: Wir haben wirklich faszinierende technische Möglichkeiten durch dieses tiefergehende Verständnis der Natur gefunden. Nur aber auch sehr, sehr destruktive. Anders gesagt, wir können mit dieser Technik noch nicht angemessen umgehen, wir denken eben noch nicht, wie die Natur ganz offensichtlich zu denken scheint. Beispiel Yellowstone-Park. Der Mensch ist mit seiner Art der Organisation nicht in der Lage, den Park in einem natürlichen Gleichgewicht zu halten. Aber die Natur kann es, wenn man sie in Ruhe und sich selbst organisieren lässt.

Denken, das nicht mehr stimmig ist

Etwas gibt es in der Natur nämlich nicht, und das ist egoistisches Verhalten, das ist nur uns Menschen zu eigen. Der Grund dafür liegt darin, dass wir unsere Identifikationen bewahren und erhalten wollen. Doch das Organisationsprinzip des Universums ist ein ganz anderes. Es hat eine völlig andere Ausrichtung als wir Menschen sie üblicherweise haben. Das Universum will, wenn Sie so wollen, dass es allen gut geht. Wir Menschen aber wollen meist, dass es uns und unseren Nächsten gut geht. Ein gewaltiger, ja ein fundamentaler Unterscheid. Und mit genau diesen fundamentalen Fragen wurden die Quantenphysiker konfrontiert, als sie erkannten, wie das Universum so tickt. Eben nicht mechanisch, sondern irgendwie unberechenbar und dabei doch sehr präzise. Doch leider versuchen heute nur noch sehr wenige, diesen Fragen auf den Grund zu gehen. Wir haben uns vielfach einfach von den technischen Möglichkeiten blenden lassen. Interessant finde ich, dass Quantenphysiker und Ch´an- beziehungsweise Zen-Menschen sich wunderbar miteinander verstehen. Beide Gruppen, also Quantenphysiker und Buddhisten wissen ganz genau, wie man zu bestimmten, nur eben nicht konkret vorhersagbaren Ergebnissen kommt, aber sie können die Wege dorthin nicht wirklich erklären.

Damit stellt sich allen die Frage: Wie viel von unserem Leben ist wirklich zufällig? Und: Wenn Sie es herausfinden könnten, würden Sie es auch herausfinden wollen? Sind wir also bereit, uns darauf einzulassen, dass das Leben zwar absolut zufällig, dabei aber keineswegs willkürlich ist, sondern klaren Prinzipien und Strukturen folgt? Mit anderen Worten: Wir leben nicht mehr in unserem natürlichen Umfeld, haben uns aber noch nicht an diese besondere Art zu leben „akklimatisiert“. Wir denken noch immer in Kategorien, die wir „eigentlich“ überwunden haben müssten. Dies würde eine gedanklich-geistige Haltung und auch Auseinandersetzung mit der Welt und der Gesellschaft voraussetzen und eben nicht nur eine natürliche und damit eine emotionale. Die „funktioniert“ nicht mehr wirklich gut, sie braucht der geistigen Ergänzung, genau so, wie es uns die Ch‘an-Menschen vormachen. Wir müssten uns definitiv weiterentwickeln, geistig wie intellektuell. Mit unserem bisherigen, tradierten Denken, dem vielfach noch Angriff und Verteidigung als akzeptable Maßnahmen zugrunde liegen, werden wir unsere Probleme definitiv nicht lösen können.

Weltbilder formen das Denken

Darwin hat mit seinen Erkenntnissen über die Entwicklung des Lebens unser aller Weltbild maßgeblich beeinflusst. Seither glauben wir, dass es da einen evolutionären Kampf zu gewinnen oder zu verlieren gibt, und wir bereiten uns auf allen Ebenen auf diesen Kampf vor, auf den Wettbewerb um das Überleben der „Fittesten“. Wir haben diese Konzepte in unseren Alltag übertragen, machen uns in Fitnessstudios fit für den Kampf des Lebens. Und so weiter und so fort – statt dass wir einmal ganz ernsthaft darüber nachdenken würden, wovon wir denn tatsächlich ausgehen. Darwin würde wahrscheinlich die Stirn runzeln ob unseres Optimierungswahns. Ohne es wirklich zu bemerken und vor allem, ohne uns dessen bewusst zu sein, leben wir vielfach noch immer getreu dem Motto „Höher, schneller, weiter!“ Was für ein Irrsinn. Und wenn wir endlich einmal ehrlich uns selbst gegenüber wären, würden wir schnell merken, dass das auch in uns selbst steckt und wie unser Leben dadurch manipuliert wird. Aber das ist nicht die Schuld der anderen, wir selbst müssen uns dagegen immunisieren. Dann würde es von alleine aufhören, erst für uns, dann für immer mehr Menschen um uns.

Ein guter Bekannter von mir ist absolut für eine alternative Lebensweise. Doch was macht er? Werbung, genau wie alle anderen auch! Die Inhalte haben sich geändert, aber die manipulative Form ist leider geblieben – ohne dass er es merken würde. Die aber ist entscheidend. Ändere ich die Form meines Lebens nicht, werde ich letztlich genau so bleiben, wie ich bin. Es geht also in erster Linie immer nur um die Form und nicht um den Inhalt. Der Inhalt ist vielleicht erstrebenswert, doch in einem komplexen Universum ist er direkt nicht erreichbar, denn er kann nur als Wahrscheinlichkeit oder als Möglichkeit eintreten. So kann ich ein Feld bestellen, doch ob etwas darauf wächst, das hängt von vielen Dingen ab, auf die ich keinen unmittelbaren Einfluss habe. Doch wenn ich das Feld nicht bestelle und nicht pflege, dann wird es garantiert nichts mit einer Ernte. Was viele unter „Form“ verstehen, ist tatsächlich doch „Inhalt“, ich hingegen verstehe unter Form den Einfluss auf den Prozess, den ich nehmen kann. Dieser Prozess „macht“ letztlich den Inhalt. So bin ich, jedenfalls normalerweise, ein höflicher Mensch. Etikette und Moral sind für mich keine Fremdwörter. Was sagt das über mich aus? Doch nur, dass ich höflich bin. Warum ich es bin, das bleibt das Geheimnis meiner inneren Motivation. Und die gilt es zu ergründen.

„Mein“ Weltbild, das Betriebssystem „meines“ Denkens

Wunderbar dargestellt ist das an dem Beispiel einer Website: CSS Zen Garden. Jede der einzelnen Seiten ist ganz anders, hat eine völlig andere Gestalt und das macht die Wirkung auf den Betrachter aus, generiert letztlich den Inhalt, völlig unabhängig von dem Text. In dem Stylesheet sind die Prinzipien festgeschrieben, nach der die Website gestaltet wird. Und genau so ist es auch bei mir wie bei jedem Menschen. Ich bin, wie ich bin, nicht weil ich so bin, sondern weil mein Weltbild mich so sein lässt. Ändert sich mein Weltbild, werde auch ich definitiv ein anderer sein. Schaue ich mir diese oder aber diese Seite an, dann merke ich, welche sehr unterschiedlichen Emotionen das in mir auslöst – egal, was da steht. Und so ist es auch mit dem Denken. Meinem Denken liegt ein „Betriebssystem“ zugrunde, nämlich mein Weltbild. Ein Mac-PC macht scheinbar das Selbe wie ein Windows-PC, obwohl beide völlig verschiedene Betriebssysteme haben. Doch machen sie wirklich das Identische? Ich glaube nämlich nicht. Aber ich will noch einen Schritt weiter gehen. Der Geschmack und der optische Eindruck (was ich wiederum „schmecke“) des Essens, das ich koche, ist letztlich auch von der Technik abhängig, die ich verwende. Oder warum denken Sie, dass man einen Spitzenkoch am leichtesten ärgern kann, indem man seine Messer ordentlich heiß abspült und sie damit stumpft werden lässt? Schreibe ich also anders, wenn ich auf einem Apple- statt auf einem Microsoft-Gerät schreibe? Vermutlich ja, denn alle Wege und Möglichkeiten, mich zu äußern, verändern meine Aussagen, so wie Sonnenbrillen den Blick auf die Welt verändern. Ein PC ist wie eine „Sonnenbrille fürs Gehirn“. Und damit bin ich durch ein weiteres Nadelöhr limitiert, nämlich das Betriebssystem meines PCs, aber auch durch jede Software, durch die Schriftart (Arial, Times etc.), mit der sie meine Gedanken abbildet, durch die Größe und Bildschärfe meines Bildschirms und und und … Ganz „vorne“ aber steht mein eigenes Weltbild.

Steht es offen wie ein Scheunentor für Neues oder ist es doch eher ein Nadelöhr? Über die Antwort auf diese wir uns so langsam klar werden.

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