Eine Polemik von Bobby Langer und Maria Ghoebel
Nennen wir ihn Franz. Franz wirkt – mal mehr, mal weniger hoffend – seit Jahren auf einen „Wandelfonds“ hin. Diverse Anläufe gingen mit schmerzlicher Regelmäßigkeit schief. Franz zählt sich mit gutem Grund zur „Wandelbewegung“ und macht sich mit mindestens ebenso gutem Grund große Sorgen um die Zukunft, nein die Zukünfte: die Zukunft der versehrten Erde, die Zukunft ihrer hilflosesten, vom Menschen abhängigen Geschöpfe, die Zukunft der Menschheit und – naturgemäß – seine eigene Zukunft. Das alles ist auch eine Klassenfrage. Warum? Um die Antwort geht es hier.
Geräumige, grüne „Bubble“
Ich sehe schon die beim Begriff „Klassenfrage“ hochgezogenen Augenbrauen und gerümpften Nasen. „‚Klassengesellschaft‘, das gibt’s doch nicht. Ist ein Begriff aus der Mottenkiste der Kommunisten.“ So in etwa könnte die süffisante Anmerkung eines standardisierten „Grünen“ lauten. Damit meine ich jene bekennenden Grünen, die in der Mittelschicht (gelegentlich auch der Oberschicht) aufgehoben sind, sich in einer Blase (bubble) bewegen, einer „Echokammer[1]“, die so geräumig ist, dass der Eindruck, gar die Überzeugung entsteht, gepflegte Grünanlagen, Öko-Häuser, Handys, Solarzellen und Elektroautos – und natürlich Facebook, TikTok, Google und Amazon – entstünden von alleine, sozusagen arbeiterfrei. Zu dieser Echokammer gehören genauso Biomärkte, Naturkosmetik, Öko-Kleidung und vegane Schuhe; schöne grüne Welt. Natürlich: Rein theoretisch weiß man, dass sich „da draußen“ Menschen für Hungerlöhne abschuften; dass für unseren westlichen Über-Komfort, diesen elitären Wohlstand, Tag für Tag mehr Natur- und Kulturräume samt zahlreicher Tier- und Pflanzenarten vor die Hunde gehen. Rein praktisch denken wir lieber nicht dran und spenden vorsichtshalber für Greenpeace oder den Regenwald.
Die, die ihre Seele nicht verkaufen wollen
Aber da ist etwas noch Dunkleres, das meistens nicht einmal in der Theorie aufscheint: Dass nämlich diese Echokammer so gut abgeschottet ist, dass für eine enkeltaugliche Welt wenig bis nichts vorangeht; dass nach fünfzig Jahren Umweltbewegung und Hunderten von Konferenzen sich die Erde nach wie vor unnötig erwärmt, nach wie vor täglich Arten sterben, nach wie vor Tausende Quadratkilometer Primärwald abgeholzt, Böden versiegelt und Flüsse von Bergbauminen vergiftet werden. Und dass die SUVs fröhliche Urständ feiern. Der Echokammer gelingt es erfolgreich, dass die eigene Beteiligung an diesen exponentiell wachsenden Verbrechen an der Mitwelt im wahrsten Sinne des Wortes „außen vor“ bleiben kann. Als Mittelklasse definiere ich hier mal all jene, die den Euro nicht umdrehen müssen, wenn es um den Wocheneinkauf oder die Urlaubsplanung geht. Man wirft das Geld zwar nicht zum Fenster raus, aber man hat es in ausreichendem Maße auf der hohen Kante.
Aber wie ist es mit all den zugegebenermaßen wenigen wie Franz, die sich an der Schädigung der Mitwelt nicht beteiligen wollen; die nicht „mitmachen“ wollen; denen es nicht gelingt, den täglich angerichteten Schaden unseres Zivilisationsmodells unter den Gewissensteppich zu kehren; die nicht ihre Seele verkaufen wollen oder können? Das sind naturgemäß die, die keinen einträglichen Job haben, die von der Hand in den Mund leben. Das sind die, die sich bücken und eine Schnecke vom Gehweg aufklauben, ehe sie zertreten wird; das sind die, die nur das Nötigste einkaufen und forschen, wo sie es am günstigsten und am wenigsten schädlich herbekommen. Den Bio-Supermarkt können sie sich leider nicht leisten; und um sich auch mal etwas Gesundes gönnen oder am öffentlichen Kulturleben teilnehmen zu können, müssen sie an Strom, Heizung und Warmwasser sparen.
Kein Budget für Eigen-PR
Verstehen Sie jetzt, weshalb das Thema „Klassengesellschaft“ endlich im „Grünbezirk“ ankommen sollte? Und warum ein „Wandelfonds“ so nützlich wäre? Er könnte all den sensiblen Seelen auf die Beine helfen, denen die Mitwelt WIRKLICH und nicht nur theoretisch am Herzen liegt. Erst dann wären echte Oasen der sozial-ökologischen Transformation möglich und nicht nur solche, in denen sich all jene tummeln, die ein paar zehntausend Euro zur Verfügung haben, um sich in ein Ökodorf einzukaufen. Erst dann käme das Wörtchen „sozial“ auch im Grünbezirk an, könnte der alte Arbeiterbegriff der Solidarität eine neue, zukunftsfreundliche Bedeutung annehmen. Man kann nicht solidarisch sein mit Bienchen und Berggorillas, aber blind sein gegenüber den Menschen im eigenen Grünbezirk und sie am ausgestreckten Arm verhungern lassen.
Beispiel Ökoligenta: Diese im deutschsprachigen Bereich einzigartige Plattform, die den sozial-ökologischen Wandel so vollständig wie möglich abbildet, gibt es inzwischen seit 2017. Seit 2019 erscheint monatlich der Wandel-Newsletter. In beides sind Aberhunderte von Arbeitsstunden eingeflossen. Aufrufe und Bitten um eine Spende, diese Arbeit zu unterstützen, sind nahezu ausnahmslos verhallt. Nicht etwa, weil all jene, die davon profitieren, keine zehn Euro übrighätten, sondern deshalb, weil ihr Echoraum sie nicht wahrnehmen lässt, dass es „da draußen“ Menschen gibt, die solche Spenden wirklich „brauchen“. Und – entscheidend – die „da draußen“ haben für die Eigen-PR kein Budget, sondern sind froh, wenn ihnen die Waschmaschine nicht kaputt geht. Umgekehrt halten es die Grünbezirkler für selbstverständlich, sich für ihre (oftmals oberflächlichen) Dienstleistungen im Bereich „Wandel“ stattlich bezahlen zu lassen. Für das Wochenend-Seminar „Beziehungen im Einklang mit der Erde“ legt man rund 300 Euro hin, wer bereit ist, im Freien zu übernachten, darf für 200 Euro dabei sein. Das WE-Seminar „Neue Männer für eine neue Epoche“ kostet 360 Euro zuzüglich Übernachtung und Verpflegung. Für einen Online-Kurs zur „Ermächtigung der Weiblichkeit“ darf man gerne 3000 Euro hinlegen. Ein Mensch wie Franz, der aus seinem „indigenen Bewusstsein“ heraus mit Herzblut für die große sozial-ökologische Transformation die eigene Haut aufs Spiel setzt, muss draußen bleiben. Er passt nicht ins System, seine Anwesenheit würde stören. Sie könnte die wohl einstudierte Performance infrage stellen und die sie begleitende Scheinheiligkeit enttarnen. Mit Nachhaltigkeits-Label, Buddhismus, spiritueller Erleuchtung und Selbstversorgung hingegen lässt sich gut locken. Ein Hype. Man brüstet sich zwar mit Permakultur, übersieht aber, dass zur Permakultur eine grundsätzlich demütige und ehrende Haltung gegenüber Natur und Schöpfung gehört. Das wäre dann doch zu anstrengend und umfassend. Aber „Permakultur“ – das klingt halt gut. Der Green New Deal lässt die Kassen klingeln. Mit Chat-GPT sind schnell die richtigen Sätze zusammengebastelt und fertig ist das grüne, spirituelle Image. Würden all jene, die diese Transformation täglich mit wohlgewählten Worten und schillerndem Halbwissen herbeireden, einen Euro im Monat in einen Wandelfonds einzahlen, dann wäre die Gründung echter Wandel-Oasen ein Kinderspiel. Sie würden dann auch sehen und erleben können, wie sich die eigene Lebensweise verändern lässt, ohne Krieg gegen die Natur zu führen und ohne an Wohlstand zu verlieren. Es würde ein geradezu kraftvoller Ruck durch die Gesellschaft gehen. Der, auf den so viele seit Jahrzehnten warten.
Auch die Zukunft ist eine Klassenfrage
Rein theoretisch gibt es sogar eine „Wandelbewegung“. Zumindest gab es vor ein paar Jahren Ansätze eines breitflächigen Zusammengehörigkeitsgefühls all derer, die den Großen Wandel der westlichen Industriezivilisation für notwendig hielten. Franz zählte sich dazu – und wurde auch da enttäuscht. Es fanden viele akademische und gescheite Grundsatzdebatten statt, aber echte Fortschritte für die „Wandelbewegung“ da draußen gibt es bis heute nicht. Man diskutiert munter Strukturen und Abläufe, als hätte man noch Jahrzehnte Zeit, das Handeln und Wirken der Menschheit zu transformieren. Die Erde, Mutter Natur muss eben warten mit ihrem Kollaps. Die für ein paar Jahre aufgedämmerte, emotionale Solidarität ist fadenscheinig geworden. Von echter und wirksamer Kooperation im Alltag findet sich kaum eine Spur. Während Deutschland eine Billion Euro und mehr in eine Brutto-Sozial-Produkt-fähige Pseudosicherheit investiert, wird der ökologisch mögliche und wahrscheinliche Super-GAU erfolgreich ausgeblendet. Der findet allenfalls bei „den Wilden“ statt, irgendwo im Kongo, auf Borneo oder am Amazonas, wo wir ihnen die Lebensräume wegholzen, oder in Bolivien, Chile und Argentinien, wo wir ihnen das Lithium stehlen und zum Dank verseuchte Erde hinterlassen. Zukunft ist offenbar das, was wir uns im (digitalisierten) Kopf zurechtzimmern und nicht das, was real stattfindet. Auch die Zukunft ist eine Klassenfrage, aber diesmal auf globaler Ebene.
Ideen und Anregungen bzgl. eines „Wandelfonds“ bitte an info@oekoligenta.de
[1] Der Begriff des Echokammer-Effektes stammt aus der Kommunikationswissenschaft. Gemeint ist hier eine verengte Weltsicht, in der man sich die gemeinsame Weltsicht nur als die einzig richtige bestätigt.