Der Begriff Ökodiktatur fällt immer häufiger, ein Droh- und Reizwort gleichermaßen; in kaum einer Diskussion ernstgenommen, aber umso häufiger missbraucht. Interessanterweise sieht unser Rechtswesen einen Notstand vor, und die sogenannten Notstandsgesetze sollen die Handlungsfähigkeit des Staates in Krisensituationen sichern – mit diktatorischen Mitteln. Zu solchen Krisensituationen zählen zwar Naturkatastrophen, nicht aber ein Kippen der bisherigen natürlichen Weltzusammenhänge; daran hatte zur Zeit der Gesetzgebung niemand gedacht. Doch wenn dies kein Notstand ist, was dann?
Zweierlei Ökodiktaturen
In der Schule habe ich gelernt, man müsse, bevor man sich mit einem Thema beschäftigt, erst einmal verstehen, womit man sich beschäftigt. Was also ist eine Ökodiktatur? Nein, damit meine ich nicht das Schimpfwort, das Menschen leichtsinnigerweise in den Mund nehmen, wenn befürchten, für ihre Umweltsauereien bezahlen zu müssen. Ich möchte den Begriff tatsächlich einmal ernstnehmen. In diesem Fall gäbe es zwei Annäherungen: Entweder ich versuche, den Begriff „Diktatur“ zu verstehen und gehe dann zum Teilwort „Öko“ über; oder ich beginne mit „Öko“ an und hangele mich zum Begriff „Diktatur“ weiter.
Jede der beiden Vorgehensweisen hat ihren Reiz, wobei erstere, die ich Ökodiktatur1 nenne, mir populärer und – leider – wahrscheinlicher erscheint, letztere sympathischer und richtiger. Ich beginne also mit der Variante eins.
Mit Diktatur haben wir ja allerhand Erfahrung. Die Deutschen sind sozusagen Diktaturprofis. Wir wissen, wie man eine Diktatur aufbaut, Menschen unterwirft und ihnen zugleich beibringt, sich für diese Unterwerfung auch noch zu begeistern.
Von der „Diktatur“ zum „Öko“
Vorsichtshalber ziehe ich mich auf neutralen Boden zurück und schaue im Brockhaus nach. Ich weiß, das ist altmodisch, aber nachdem in meinem Arbeitszimmer eine Ausgabe herumsteht … : „Diktatur … die Ausübung der unbeschränkten Macht durch eine oder mehrere Personen.“ Das war kurz und bündig. Was sagt Wikipedia? „Die Diktatur ist eine Herrschaftsform, die sich durch eine einzelne regierende Person, den Diktator, oder eine regierende Gruppe von Personen mit weitreichender bis unbeschränkter politischer Macht auszeichnet.“ Recht ähnlich also.
Nun also zum Wörtchen „Öko“. Da das Wort Ökodiktatur sich an das Wort Nazidiktatur anlehnt (um sich dort die bösen Assoziationen auszuleihen), gehe ich davon aus, dass „Öko“ sich auf Ökologie bezieht, so wie sich „Nazi“ auf Nationalsozialismus bezieht. Letzterer war eine „eine radikal antisemitische, rassistische, nationalistische (chauvinistische), völkische, sozialdarwinistische, antikommunistische, antiliberale und antidemokratische Ideologie“ (Wikipedia); eine Art Glaubenslehre also. Ökologie hingegen ist „eine wissenschaftliche Teildisziplin der Biologie, welche die Beziehungen von Lebewesen untereinander und zu ihrer unbelebten Umwelt erforscht“. Heute verwende man das Wort „überwiegend nur noch als Ausdruck für eine Haltung oder ein Agieren, das schonend mit Umweltressourcen umgeht“ (beides ebenfalls Wikipedia).
Was wäre dann also wohl die Ökodiktatur1? Ich würde vermuten: Es wäre eine Regierungsform, welche die Beziehungen von Menschen zu anderen Lebewesen und zur unbelebten Umwelt erforschte. Der Schonung der Umweltressourcen wären dabei alle Sozial-, Wirtschafts- und Kulturäußerungen unterzuordnen. Politisch obläge die Durchsetzung einer naturwissenschaftlichen Junta als einer Art Öko-Notstandsregierung, die bestraft, was dem Schonungsgebot widerspricht. Dabei wäre der Notstand der ständig drohende Verlust des ökologischen Gleichgewichts.
Von „Öko“ zu „Diktatur“
Nun also zur Diktaturvariante zwei. „Öko“ im Sinne eines schonenden Umgangs untereinander und mit unserer Mitwelt liegt dem gesunden Menschenverstand nahe. Hinter diesem Gedanken der Schonung steckt wohl die berühmte goldene Regel: „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.“ Eine fair behandelte Natur schlägt auch nicht zurück, hofft man. Und noch tiefer steckt dahinter unsere kindliche Erfahrung, dass Wippen einfach keinen Spaß macht, wenn einer der Wippenden ganz schwer und der andere ganz leicht ist. Man könnte das ökologische Grundverständnis folglich auch als den Wunsch nach Ausgewogenheit bzw. Gerechtigkeit begreifen. Und gerecht ist ein Verhältnis nur dann, wenn keine Seite unter der anderen leiden muss. Ein ökologisches Verhalten wäre folglich ein faires Verhalten zwischen allem, was lebt, ja im Umgang mit der gesamten Natur. Die ungleichen Machtverteilungen, die in jeder Beziehung und in jeder Gruppe auftreten, regelt die Natur nicht durch Hierarchie, sondern durch ein permanentes Fließgleichgewicht.
Womit wir bei der „Diktatur“ wären. Eine ökologische Beziehung aller Beteiligten schlösse nämlich aus, dass die einen dauerhaft unten und die anderen dauerhaft oben wären; es schlösse aus, dass die einen auf Kosten der anderen leben dürfen. Es schlösse Ungleichheit und Ungerechtigkeit prinzipiell aus; denn beide führten zu Spannungen und einem Ungleichgewicht, das dem Prinzip des wechselseitig schonenden Umgangs widerspräche. Eine solche Regierungsform wäre deshalb auch mit keiner Form von absolutistischer Macht vereinbar. Sie verlangte vielmehr von ihren Teilnehmer_innen ein erhöhtes Maß von Bewusstheit und Verantwortung dafür, das Machtgleichgewicht untereinander und im Austausch mit der Mitwelt immer wieder neu auszubalancieren. Was eine vollständige Umordnung des Gemeinwesens und aller seiner Strukturen erfordern würde. Freilich gälte hierbei ein ökologischer Imperativ: „Handle so, dass die Folgen deines Handelns mit den nachhaltigen Bedürfnissen deiner Mitwelt im Einklang sind.“ Bei dieser „Diktatur der Rücksicht“ wäre freilich die Priorität des wirtschaftlichen Profits ausgeschaltet.
Meines Erachtens wird es zu einer dieser beiden Formen von Öko-Diktatur kommen; zu welcher, liegt in unseren Händen und hängt letztlich von unserer Wandlungsbereitschaft ab. Hegels Erkenntnis, Freiheit sei die Einsicht in die Notwendigkeit, ist schon rund 200 Jahre alt und könnte sich ja mal langsam durchsetzen. Vielleicht hilft die Einsicht weiter, dass das Leben ohnehin etwas Absolutes an sich hat, dem demokratische Entscheidungsstrukturen egal sind: Ein halbes Leben gibt es nicht, ebenso wenig wie einen halben Tod.