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Dies ist DIE Stunde

„Man hat euch gesagt, es wäre fünf vor zwölf.

Nun geht zurück und sagt den Menschen, dass dies die Stunde ist!

Es gibt einiges zu überdenken:

Wo lebst du?

Was tust du?

Welcher Art sind deine Beziehungen?

Bist du in der richtigen Beziehung?

Wo ist dein Wasser?

Kenne deinen Garten!

Es ist Zeit, deine Wahrheit auszusprechen.

Erschaffe deine Gemeinschaft.

Sei gut zu dir selbst.

Und suche nicht im Außen nach einem Führer.

Dies könnte eine gute Zeit werden!

Es gibt einen Fluss, der sehr schnell fließt.

Er ist so groß und schnell, dass es Menschen gibt, die Angst davor haben.

Sie werden sich am Ufer festhalten.

Sie werden das Gefühl haben, zerrissen zu werden und sehr leiden.

Du sollst wissen, dass der Fluss sein Ziel hat.

Die Ältesten sagen, dass wir das Ufer loslassen müssen,

uns abstoßen und in die Mitte des Flusses schwimmen,

unsere Augen offenhalten

und unsere Köpfe über Wasser.

Dann schau, wer bei dir ist und mit dir feiert.

In dieser Zeit jetzt dürfen wir nichts persönlich nehmen,

am allerwenigsten uns selbst.

Denn sobald wir das tun,

stoppt unser spirituelles Wachstum.

Die Zeit des einsamen Wolfs ist vorüber.

Versammelt euch!
Verbannt das Wort Kampf aus eurer Geisteshaltung und aus eurem Vokabular.
Alles was wir jetzt tun, muss auf heilige Art und Weise getan und zelebriert werden.
Wir sind diejenigen, auf die wir gewartet haben.“

Die Ältesten, Oraibi, Arizona Hopi Nation

[Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Girl_in_the_Hopi_Reservation.JPG]

Von Freyma
(Marleen Miotke)

Vor dem Hintergrund, Jahre in gefühlter Einsamkeit verbracht zu haben, spielt Gemeinschaft in meinem Leben heute eine entscheidende Rolle. Dabei rede ich von Gemeinschaft als einem Ort menschlichen Miteinanderseins und als eine Qualität der Verbindung. Es geht nicht um das bloße Zusammensein – was auch, in Ergänzung, schön sein kann. Ich rede von Gemeinschaft als einem Ort, an dem ein mitfühlender Blick hier, ein authentisches Teilen dort, menschliche Berührbarkeit, gar eine süße Träne Platz haben.

Wenn wir in unserem Zusammensein für solche Begegnungen Räume schaffen, dann öffnen sich plötzlich graue Türen zu bunten Facettenpalästen. Ein ganz neues Wesen meiner Mitmenschen blinkt dann hervor und ich sehe neue Winkel meines eigenen. Denn wir (an)erkennen uns nur wechselseitig als Wesen, wenn wir im Mensch-zu-Mensch-Kontakt sind. Wir brauchen Zeugen für unsere menschliche Erfahrung. In diesem Zusammenhang bedeutet Gemeinschaft nicht die Flucht von mir weg, sondern ist ein Weg zu mir hin.

Fehlende Orte der Gemeinschaft

Je mehr ich das verstehe, umso klarer begreife ich eine gewisse Diskrepanz. Ich sehe eine Welt, in der die Anzahl der Menschen wächst, und ich bemerke gleichzeitig, dass Orte von Gemeinschaft – als Orte von Verbindung und Anteilnahme – oft fehlen (Ja, sie fehlen mir.) Und ich staune, worüber und wie viel Menschen reden können, ohne dabei auf die für uns wesentlichen Dinge einzugehen. Bedürfnisse, wahres Befinden, Ängste und Wünsche etwa.

Obwohl wir heute im Tun so „umtriebig“ sind wie noch nie, bleibt oft Leere zurück. Die To-Do-Listen und Inhalte werden immer länger. Die To-Be-Listen stehen hinten an und die Frage „Wie geht es dir?“ gleicht oft einer Floskel. Endlich verstehe ich, dass innere Leere nur eine logische Folge sein kann, wenn die Berührung unseres wesentlichen Kerns in dem, was wir tun und wie wir miteinander umgehen, ausbleibt. Ist doch die Qualität des eigenen menschlichen Seins auch im Tun und von der Seele erst erlebbar, wenn sie durch das goldene Band Verbundenheit mit ihrer Umgebung in Kontakt steht. Tun geht dann im Sein auf.

Ehrliches Teilen und offenes Hinschauen

Wie diesen Kontext von Verbundenheit nun herstellen? Wie diese Art von Teilen und wesentlichem Austausch kreieren? An erster Stelle braucht es einen Vertrauensraum, in dem alle Akteure Haupt- sowie auch Nebenrolle gleichzeitig spielen dürfen – wo Mensch sein darf, wie er ist, und wo er gewohnte Masken hinter sich lassen darf.

In diesen Räumen geht es einerseits darum, sich zu zeigen, um ehrliches Mitteilen. Anderseits geht es um die Bereitschaft, offen hinzuschauen, unvoreingenommen wahrzunehmen und diesen Menschen in seinem So-Sein anzuerkennen. Wie harmonisch oder irritierend ich diese Begegnung auch wahr- oder annehme: Basiert sie auf Vertrauen und förderlichen Absichten, kann sich ein erweitertes Gefühl meiner selbst einstellen. Vielleicht sogar die Berührung im eigenen Herzen. Dann sind ein Blick und ein Austausch eines der kostbarsten Geschenke, das wir einander machen können.

Würde ich ein Bild für diese Einsicht heranziehen, wäre es ein Kornblumenfeld. Wir wären Blumen, die sich gegenseitig stützen, auch bei Sturm, und die im Schein der Sonne und des Mondes nebeneinander wachsen und ruhen und mit der eigenen Blütenpracht die der Nebenblume bejubeln. Mir wurde klar, dass solch eine Art der Verbindung wie ein Nährboden ist, auf dem die schönsten Blumen wachsen können. Auf solch ein Feld schaut der Himmel und lächelt, weil er so viele anders aussehende und leuchtende Blumen erblickt.

Das eigene Potenzial leben

Das eigene Potenzial allein für sich zu erspüren, ist viel schwieriger. Ich habe es nicht geschafft, und ich glaube, dass wir den süßen Duft unser Nachbarblumen dafür benötigen. Genauso wie das frische und prickelnde Wasser der Inspiration, das Teilen von Wissen sowie den Austausch von Erfahrung. Das brauchen wir, um den eigenen Weg zu finden, einzuschlagen und/oder weiterzugehen. Das Erspüren, Erleben und der Ausdruck des eigenen Potenzials sind fundamental für die eigene Vitalität, die Qualität in unserem Leben. Erlebe ich mein Potenzial, werden Momente des wahren Selbstausdrucks möglich, in denen ich in tiefster Verbindung mit allem bin, was mich umgibt.

Dann gehe ich nicht nur meinen Weg, gehüllt in meinen Umhang der Marke Individualität, sondern gehöre zu einer Gesellschaft, in der ich unsere Lebensumstände gemeinschaftlich mitgestalte, indem ich meinen Weg gehe.

Dieses Selbsterleben brauchen wir heute. Und ich wünsche mir so sehr durch die Gestaltung eines tragenden Miteinanders die Erfahrung dieser tiefen Wahrheit für uns alle. Die Verbundenheit, die wir dann finden, ist gespannt durch goldene Bänder, wird gemeinschaftlich getragen und fängt das Individuum auf, wenn es Halt benötigt.

Zusammen neue Wege gehen

Unsere Welt „braucht“ dieses sich unterstützende Umfeld von Menschen, damit wir zusammen neue Wege gehen können. Wollen wir weitergehen, müssen wir gemeinsam gehen. Und dieser Weg wird uns nur berühren, wenn es um das Wesentliche geht: Verbundenheit nach außen und darüber die Verbundenheit zu unserem eigenen innersten Wesen.

Ich wünsche mir eine Welt, in der ich das nicht nur in meinen engsten Kreisen erlebe, sondern überall. Auf der Straße, im Supermarkt, im Bus. Stell dir vor, du trittst vor die Haustür und jeden Tag ist Fußball- WM! Ja, dieses Gefühl und diese Magie wird möglich, wenn wir anfangen, das menschliche Sein in den anderen zu sehen und unser eigenes zu zeigen. Ich schaue liebevoll, da ich um dein Menschsein in dir als anderer Person weiß, und ich werde freundlich angeschaut. Wir lächeln. Ich bin. Und ein Gefühl von Zugehörigkeit gesellt sich freudig und natürlich dazu.

Wenn wir unser Miteinander so gestalten, dass wir Raum für menschlichen Austausch haben, wird Wesentliches fühlbar und Leben wunderbar lebendig. Dann ist Schluss mit Leere und Einzelkämpferei und ganz neue Dimensionen unseres Zusammenseins sind möglich – davon bin ich überzeugt

[Bild von Adina Voicu auf Pixabay]

von Peter Zettel

Von kompliziert zurück zu komplex. Keine Sorge, die Welt bleibt, wie sie ist und auch schon immer war, da muss man nichts ändern. Tiere haben es da verdammt gut. Die verhalten sich ganz klar nach komplexen Prinzipien, die denken nicht kompliziert, so wie wir Menschen das so wunderbar können.

Die Menschheit hat sich in dem komplexen Lebensraum Erde einen ganz eigenen geschaffen, mit eigenen Spielregeln. Und da dieser Raum vor allem mechanische Dinge enthält, brauchte es dafür mechanische Regeln. Wie soll man sonst auch Häuser, Viadukte und all die Dinge bauen, die das Leben so angenehm machen? Das Blöde war nur, dass der Mensch irgendwann auf die unsinnige Idee kam, diese mechanischen Regeln auch auf sich selbst anzuwenden. Echt dumm gelaufen, aber passiert ist nun einmal passiert.

Seit ungefähr einem Jahrhundert sind die Physiker darauf gekommen, dass unser Verständnis von der Welt irgendwie unvollständig ist. Das hatten auch schon andere Philosophen vor ihnen erkannt, nur die Physiker konnten das ganz pragmatisch auch noch nachweisen. Ihre Erkenntnisse waren eben nicht philosophischer Natur, sondern technischer. Die Erörterung grundsätzlicher Fragen kam bei ihnen erst danach. Und diese Erkenntnisse haben still und leise unsere Menschenwelt verändert, und das gewaltig. Weil diese Erkenntnisse in unsere Technik allgegenwärtig und nicht mehr wegzudenken sind. Und scheinbar hat das auch unser Denken verändert.

Ob das der einzige Grund ist, warum wir gerade Feuer unter dem Dach haben und ob die Tatsache der regelrechten Explosion der Bevölkerungszahlen dabei eine Rolle spielen, vermag ich nicht zu sagen. Aber ich vermute, dass es das grundlegende Problem deutlicher und drängender macht. Technisch sind wir interessanterweise einen Schritt zurückgegangen, wir haben nämlich damit begonnen, die Komplexität zu entdecken. Das ist ja keine neue Erfindung, die galt schon immer, nur wir Menschen haben das ganz offensichtlich perfekt ausgeblendet. Oder ignoriert, keine Ahnung.

Wir stoßen gerade mit unserer Art, die Dinge nach mechanischen Regeln managen zu wollen, gewaltig an die Wand. Mir kommt das vor wie in der Truman Show. Alles nur ein Fake. Sehr realistisch, aber eben nicht echt und am wirklichen Leben komplett vorbei. Ich jedenfalls fühle mich seit einiger Zeit wie Truman Burbank und bin mit meinem geistigen Segelboot gerade durch den Horizont gekracht. Auf einmal sieht alles ganz anders aus. Nur nach welchen Regeln soll man sich da orientieren, wenn die alten doch irgendwie nicht stimmen, unvollständig sind?

Immanuel Kant hat für die Menschenwelt seiner Zeit einen perfekten Gedanken ausgesprochen, seinen kategorischen Imperativ: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.“ Das könnte auch heute noch perfekt funktionieren. Könnte man meinen. Tut es aber leider nicht. Auch nicht, wenn ich in die Zeitung schaue, auch ganz offensichtlich nicht. Denn irgendwie haben wir den Horizont des mechanischen Denkens und damit auch den eigenen Horizont, also unser eigenes Weltbild, durchstoßen. Wenn schon Physiker sagen, dass das mit den Naturgesetzen nichts ist, es sind nämlich keine Gesetze, sondern nur Beschreibungen, dann gilt das auch für unser eigenes Denken (sehr empfehlenswert: Natalie Knapp, Der Quantensprung des Denkens: Was wir von der modernen Physik lernen können).

Wir „funktionieren“ ganz anders, als wir üblicherweise dachten. Und mit starren Gesetzmäßigkeiten ist da kein Kohl mehr zu gewinnen. Gesetze, Regeln und Methoden funktionieren nicht, haben sie auch noch nie wirklich. Nur jetzt bekommen wir das gewaltig zu spüren und merken, dass wir auf der falschen Seite des Astes sitzen, an dem wir sägen. Was also tun? Klar, anderes denken, keine Frage. Doch damit ist der Umgang miteinander noch nicht so geordnet, dass wir sagen könnten, es passt. Jede Zeit braucht ethische Prinzipien, die die Menschen zum einen verstehen und die auch zum anderen den Erfordernissen ihres alltäglichen Lebens gerecht werden.

Natürlich sollte man sich immer noch an Regeln und Gesetze halten, so wie auch Newtons Physik noch immer ihre Gültigkeit hat. Aber es ist etwas dazugekommen, lässt uns die Welt mit anderen Augen sehen. Der Anwendungsbereich der klassischen Physik ist kleiner geworden, er gilt eben nicht mehr für das Miteinander, für unsere Beziehungen. Wie gesagt, es hat noch nie wirklich funktioniert, nur jetzt merken wir es überdeutlich. Das heißt, wir müssen auch unsere Ethik unserem veränderten Weltbild entsprechend neu formulieren.

Täten wir das, wäre es wohl wesentlich leichter, sich in dieser neuen alten Welt angemessen zu bewegen. Wir brauchen definitiv das Verständnis für eine weitergehende Ethik. Meine Überzeugung ist, dass wir nicht mehr nur vom Handeln ausgehen dürfen, wie Kant, sondern wir müssen wesentlich grundsätzlicher vom Denken ausgehen. Etwa in dieser Art: Denke so, dass deine Gedanken, Ideen und Vorstellungen das Leben aller lebenswerter machen. Ich weiß, das ist noch nicht griffig genug. Doch die Richtung stimmt!

Körper, Geist und Seele werden gerne zusammen beschworen. Und auf den ersten Blick ist das ja auch erst einmal richtig. Verquere Gedanken lösten schmerzliche Gefühle aus; wir fühlen uns fremd oder fehl am Platz oder verloren und einsam (oder wie auch immer). Von da ist es nicht weit zu seltsamem Verhalten, vielleicht auch zu Aggression, zum Magengeschwür oder zu Krebs. Diese Zusammenhänge sind vielen bewusst. Und doch enthalten sie den Kardinalfehler unserer Zivilisation: die Annahme nämlich, der Mensch sei von der Natur getrennt. Um die Zusammenhänge neu zu erfassen, müssen wir das Trio in ein Quartett verwandeln: Körper, Geist, Seele und Mitwelt.

Raimar Ocken hat während seiner klinischen Arbeit schon länger darüber nachgedacht und die Zusammenhänge in dem Begriff Psycho-Somato-Ökologie zusammengefasst. Wen das interessiert, der findet seine Überlegungen HIER.

Folgenden Text schrieb mir Silke Soares David als Geburtstagsgeschenk. Was für eine originelle Idee!

Es gibt heute eine Wandelbewegung, es gibt die Pioniere des Wandels, Wandel-Lokale, doch was ist mit diesem „Wandel“ eigentlich gemeint?

Auch der Schwächste wird gesehen und gehört

Ich glaube, jeder versteht darunter etwas anderes. Ich möchte hier einmal deutlich machen, was ich darunter verstehe. Ich verstehe unter Wandel, dass sich etwas wandelt. Dass wir nicht so bleiben wie wir sind. Und das vor allen Dingen in der Begegnung mit anderen. Dass sich durch die Begegnung mit anderen irgendwas in uns verändert, manche sagen transformiert. Wandel kann dabei in vielfältiger Hinsicht geschehen. Er kann alle Bereiche betreffen. Er ist eigentlich grundlegend. So ist es für mich ein Zeichen des Wandels, wenn sich nicht mehr derjenige durchsetzt, der am lautesten schreien oder sich am besten durchsetzen kann, sondern dass alle gehört werden. Alle bis ins kleinste Glied hinein und bis zum Schwächsten hin. Und dass gerade der Schwächste unter allen Weiterlesen

von Peter Zettel

Und zwar gewaltig. Da ist von CO2-Steuer die Rede, „gutes Fleisch“ soll teurer werden, Abgaswerte werden eingehalten, indem man trickst – und so weiter und so fort. Und die Politik braucht eine Greta, um zu begreifen, das wir etwas in Sachen „Klimaschutz“ tun sollten. Ein SUV ist besser als ein Kleinwagen, wenn man wenig mit ihm fährt. Soll ein Politiker gesagt haben. Aber ich kann einfach nicht glauben, dass er das wirklich gesagt hat.

Ich glaube es wirklich nicht, ich kann es nicht mehr glauben. Was für eine Verdrehung der Tatsachen. Als ob wir das Klima schützen müssten. Oder die Umwelt. Nein, die Umwelt – schon das Wort sagt alles – als wären wir da außerhalb – und das Klima brauchen wir nicht zu schützen. Wir sollten lieber uns vor uns selbst schützen. Denn das Klima und die Umwelt – das sind doch auch wir selber, oder etwa nicht? Weiterlesen

Wer wagt es, das wahrzuhaben: maximal noch fünf Jahre, bis das Erdklima endgültig entgleist. Wagt man dennoch, der Gefahr ins düstere Auge zu blicken, scheint es nur die drei berühmten Reaktionsmöglichkeiten zu geben: Flucht, Erstarren oder Angriff. Nur: Egal, wie wir reagieren, es wird voraussichtlich zu spät sein.

Dann vielleicht doch mal kurz innehalten und ein Weilchen nachdenken. Es hat Tausende von Versuchen gegeben, die Welt zu einer besseren zu machen. Und praktisch alle sind gescheitert. Die für die Bundesrepublik einst angedachte „soziale Marktwirtschaft“ sollte den Kapitalismus zähmen und in eine heitere Zukunft führen. Heute erntet der Begriff „soziale Marktwirtschaft“ bei denen, für die er gedacht war, bestenfalls ein schmerzliches Lächeln. Auch dieser Versuch ist gescheitert. 2018 meldete die Caritas: 37.000 junge Menschen ohne Zuhause. „Soziale Marktwirtschaft“ ist etwas anderes.

Da unsere Versuche all die letzten Jahrhunderte gescheitert sind, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass auch unsere Rettungs- oder Eindämmungsversuche in den nächsten zwei bis fünf Jahren scheitern werden. Warum? Weil wir nicht bereit sind, die Koordinaten unseres Denkens zu verändern. Weil wir nicht bereit sind, die Liebe zum Zentrum unseres Handelns zu machen. Die Alternative „Gott oder Mammon?“ ist falsch. Gott und Mammon haben sich die letzten Jahrtausende hindurch weltweit bestens vertragen. Nein, die Alternative muss heißen: „Liebe oder Mammon?“ Erst, wenn wir uns für die Liebe entscheiden, haben wir eine Chance. Am besten gleich jetzt. Es ist vielleicht unsere letzte.

von Peter Zettel

Teil I

Ob wir wollen oder nicht, da kommen wir nicht raus. Wir sind und bleiben Natur, genauso wie wir sie gestalten und dominieren, angefangen bei uns selbst. Egal, was wir machen, wir kommen da nicht raus. Die Dichotomie [siehe unten] ist für uns existenziell, sie bestimmt, wie wir leben und ob wir überleben können.

Dabei ist es fatal, wenn ich die eine oder die andere Seite bevorzugen und die andere nicht so wichtig nehme oder gar ausblende. Wenn ich es nicht hinbekomme, auf der Klaviatur beider Seiten gleichermaßen spielen zu können, sozusagen vierhändig, dann habe ich ein echtes Problem. Worum geht es also? Dichotomie bezeichnet eine Struktur aus zwei Teilen, die einander ohne eine gemeinsame Schnittmenge gegenüberstehen, aber sie gehören untrennbar zusammen. Sie können einander ergänzen, zum Beispiel ein komplementäres Begriffspaar bilden, oder eine Aufteilung in zwei Teile ausdrücken, zum Beispiel die Aufteilung eines Bereichs in zwei Teilbereiche.

Als Mensch stehe ich nicht mehr in der Harmonie der Natur, ich bin zwar physisch weiterhin von ihr abhängig, doch ich stehe in meinem Bewusstsein über ihr. “Warum” ist hier nicht die Frage, denn es ist so, ob ich das will oder nicht. Und ich kann das auch nicht mehr rückgängig machen. Von einer Einheit mit der Natur zu träumen, bringt mich nicht weiter, ich muss im Einklang mit ihr sein, aber auch im Einklang mit mir selbst. Diese Dichotomie ist für mich existenziell, wie Erich Fromm sagt. Sie zeigt sich etwa in der gedanklichen Unterscheidung von Leben und Tod, die doch eins sind. Bevorzuge ich eine der beiden Seiten, habe ich ein Problem, nur merke ich das nicht gleich, sondern meist erst, wenn es zu spät ist.

Wie gesagt, wir kommen aus diesem Widerspruch nicht heraus, doch wir können das Dilemma durch Verstand und eine gelebte Kultur auflösen. Tun wir das nicht, werden wir im gewissen Sinn ohnmächtig, wir bekommen nicht mehr mit, was um uns herum geschieht, wir sind uns unserer selbst nicht mehr wirklich bewusst. Erich Fromm hat perfekt beschrieben, wie wir dieses Problem lösen können (das ja nur so lange ein Problem ist, so lange wir es nicht sehen):

„… intensiv zu leben, voll geboren zu werden und voll wach zu sein; von den Ideen eines infantilen Allmachtsgefühls loszukommen und zur Erkenntnis seiner wirklichen, wenngleich begrenzten Kraft zu gelangen; fähig zu werden, das Paradoxon zu akzeptieren, dass ein jeder von uns zugleich das Allerwichtigste auf der Welt und doch nicht wichtiger als eine Fliege oder ein Grashalm ist; fähig zu sein, das Leben zu lieben und trotzdem den Tod furchtlos zu akzeptieren; die Ungewissheit über die wichtigsten Fragen, mit denen das Leben uns konfrontiert, hinzunehmen – und trotzdem an unser Denken und Fühlen, soweit es wirklich ein Stück von uns selbst ist, zu glauben … ”

Der „Schlüssel“, der uns diesen Raum öffnet, ist Bewusstheit, doch Bewusstheit bedeutet eben nicht, dass wir es formulieren und einfach so darüber reden könnten. Ein Beispiel davon finden wir etwa in einer japanischen Teezeremonie oder in der Kultur der Samurai. Wenn wir einmal den Glamour weglassen, was bleibt dann? Eine sehr bewusste und absichtsvolle Gestaltung der Natur sowie des eigenen Lebens, eine Bewusstheit, die in Harmonie mit den Gesetzmäßigkeiten der Natur ist.

Teil II

Bewusstheit braucht Selbstreflexion.

Weiß ich immer, wo ich bin und wo ich sein werde?

Propriozeption bezeichnet die Wahrnehmung der Lage und der Bewegung des Körpers im Raum oder seiner einzelnen Teile zueinander. Das kann man trainieren. Etwa in dem man Übungen auf einem Gymnastikteller macht.

Ich mache das jeden Morgen, wenn ich mich im Stehen anziehe. Oder ich mache Feldenkrais-Übungen. Man  kann auch Kampfkunst praktizieren, wenn einem das mehr zusagt. Aikido geht auch, Kyodo genauso. Im Bereich des Denkens fehlt uns dies meist vollkommen, ohne dass wir uns dessen überhaupt bewusst wären. Aber auch das kann man trainieren, etwa im Dialog.

Doch es geht noch weiter. Auch auf dem Motorrad kann ich mir bewusst sein, wo sich mein Vorderrad und mein Hinterrad befinden und was die Maschine gerade macht. Und ich kann es noch auf die Straße ausweiten, etwa auf die Linie, die ich fahre. Also idealerweise. Es geht um die Lage und die Position des Körpers in Beziehung zum Motorrades im Raum, wobei Körper und Motorrad idealerweise eine Einheit sind. Wie gesagt: Idealerweise. Aber auch das kann man trainieren.

Nicht anders ist es beim Autofahren. Auch hier kann ich mir der Lage und der Bewegung meines Autos bewusst sein, jedoch ohne einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden. Je bewusster ich mir dessen bin, desto besser fahre ich. Die „Herausforderung“ ist nur, dass solche Dinge uns nicht bewusst sein können, sie sind implizit und nicht-bewusst, aber wir könne uns ihrer bewusst werden – um sie dann wieder vergessen zu können.

Es geht also um Sehen, Hören, Fühlen, Riechen, Schmecken und eben den sechsten Sinn. Eigentlich wäre es richtiger, von dem siebten Sinn zu sprechen, denn zu den fünf Sinnen kommt noch das Denken als sechster hinzu. Und auch das lässt sich noch um einen Punkt erweitern, nämlich das bewusste nicht-bewusste Bewegen einer Maschine, eines Autos oder eines Motorrades.

Es geht also, wie so oft, darum, uns etwas Implizites und Nicht-Bewusstes erst einmal bewusst zu machen, um es verbessern zu können.


Mehr von Peter Zettel

Wie können wir in ein neues gesellschaftliches Paradigma finden? Haben wir dazu überhaupt die geringste Chance? Ja, sagt Peter Zettel, dessen oftmals provokative Texte aber letztlich den Weg weisen.

Von Peter D. Zettel

Was kann ich tun, wenn es kein richtiges Leben im falschen gibt, wie Theodor Adorno es formuliert hat? Für bare Münze genommen, wäre das ein ziemlich zynischer Satz. So aber kann das Adorno nicht gemeint haben, jedenfalls kann ich mir das nicht vorstellen. Es ist wohl mehr die Herausforderung, der sich jeder stellen muss, der sich bewusst ist, was in unserer Zeit gerade passiert, von Kriegen über Gewalt, Neid, Hass, Gier und Missgunst bis hin zur Zerstörung der Natur und damit unserer eigenen Lebensgrundlage.

Was kann ich also tun, außer den Kopf in den Sand zu stecken? Vielleicht beginnt es bei dem eigenen Verständnis von Macht. Ich bin, 1951 geboren, von der Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus geprägt. Der war ja nicht möglich, weil Hitler ein böser Mensch war, sondern weil viele die von ihm zum Ausdruck gebrachten Einstellungen teilten – oder er sie aufgegriffen hatte. Aber etwas Entscheidendes darf man nicht übersehen, nämlich dass er mit demokratischen Mitteln an die Macht kam. Es war die Bereitschaft vieler, sich der aktuellen gesellschaftlichen Situation zu beugen, sich nicht zur Wehr zu setzen, vielleicht sogar zu glauben, sie für eigene Zwecke nutzen zu können. Und wie ist es heute? Viele beklagen sich lautstark über all die Dinge, die falsch laufen, doch haben sie auch den Mut, das Richtige zu tun und zu ihrem Chef „Nein!“ zu sagen, wenn der will, dass sie etwas tun sollen, was „eigentlich“ nicht in Ordnung ist? Oft ist es ein schleichender Prozess, eine leise beginnende Erosion gesellschaftlicher wie persönlichen Werte, die einen auf die schiefe Bahn kommen lässt.

Gerade höre ich von einer Firma, in der sich alle Mitarbeiter über etwas beklagen, weil es schlicht sinnlos ist und nur Zeit kostet – doch keiner sagt etwas, weil sie Angst haben, ihren Job zu verlieren. Letztlich beschädigt sie das aber alle, denn es trägt nicht zur Wirtschaftlichkeit bei, im Gegenteil. Doch keiner wagt es, etwas zu sagen, eben aus Angst um die eigene Existenz. Und das ist die Falle, in der sich so viele gefangen sehen. „Die da oben“ heißt es dann, weil man sich ja nicht eingestehen will, dass man das freiwillig mitmacht. Doch die da oben haben genauso Angst um ihren Job, denn sie sind den auch recht schnell los, wenn der Aktienmarkt ihnen nicht mehr zugetan ist. Doch warum gibt es Unternehmen, die solche destruktiven Spiele nicht mehr mitspielen und gerade deswegen und nicht trotzdem wirtschaftlich erfolgreich sind? Weil einem jeder Ökonom erklären kann, dass Wirtschaftlichkeit und Aktienmarkt nicht kompatibel sind. Statt also einfach aufgeben und sich selbst zu korrumpieren – und nicht etwa korrumpieren zu lassen – sich also zusammenzusetzen und zu überlegen, was zu tun ist. Aber einer muss anfangen. Und wenn man das selbst merkt, dann ist man eben selbst dieser eine, der anfangen sollte.

Es ist, zwar auf einer ganz anderen Ebene, die selbe Dynamik, die auch in Politik und Gesellschaft Alltag ist. Dazu ein Zitat von Albrecht Mahr: „Die Kraft, derer sich der Nationalsozialismus bemächtigt hat – oder besser: das versucht hat – ist vergleichbar mit der Atomkraft, die unvorstellbar destruktiv sein kann, aber eben auch sehr nützlich. Im Nationalsozialismus waren die Bereitschaft des Dienens, des Verzichts auf persönliche Vorteile, die große Entschlossenheit etc. aufgerufen – alles gute Dinge – und sie waren in den Dienst einer vernichtenden rassischen Ideologie gestellt, die von Abermillionen mitgetragen wurde. Die destruktive Ideologie und die von ihr missbrauchten Kräfte sind aber nicht das Gleiche, und wir sind da zur Klarheit der Unterscheidung aufgefordert. Das heißt, wir müssen uns der mächtigen Kräfte, etwa unbedingter Entschlossenheit und der Willenskraft, für die Wahrheit einzutreten, bewusst werden und lernen, sie für die Ziele einzusetzen, die allen Menschen dienen und niemanden ausschließen. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Verquickung von Macht und Ideologie in Deutschland eine „pazifistische Versuchung“ nach sich gezogen hat, das heißt Aggression in jeder Form zu vermeiden, weil sie mit Faschismus gleichgesetzt wurde. Diese Art der Friedfertigkeit führt zu Kraftlosigkeit – wir werden dann ‚wie gekochtes Gemüse‘, hat mal jemand gesagt.“

Es hilft also nichts, wir müssen uns mit all diesen Seelenkräften vertraut machen. An der Grausamkeit des Nationalsozialismus gibt es nichts zu deuteln, aber auch nicht daran, dass viele – scheinbar sehenden Auges – in den Abgrund geraten sind. Die Fokussierung auf nur wenige hat den fatalen Effekt, dass man dann schnell bereit ist, die Anteile und das Verhalten anderer auszublenden. Beispielsweise, dass Höß, der Lagerverwalter von Auschwitz-Birkenau, ein liebevoller Vater und freundlicher Ehemann war. Hanna Arendt hat es in ihrem Text über die Banalität des Bösen klar herausgestellt, eine Betrachtung über Adolf Eichmann. Was ihr aber keine Freunde eingebracht hat, denn das bedeutet letztlich, dass jeder Mensch dazu in der Lage ist, ausnahmslos jeder; wenn er nicht seine Haltung, sein Denken und sein Tun permanent reflektiert und sich wirklich bewusst ist, was gerade in ihm vorgeht. Das ist auch gut beschrieben in dem Video „Das radikal Böse“ oder in dem „Roman eines Schicksallosen“ von Imre Kertész. Doch wenn wir bereit sind, uns gerade auch mit dem ungern Gesehenen zu beschäftigen, nämlich mit den aggressiven Aspekten in uns wie mit unserer Wortwahl, in der oft die Keime zu Gewalttätigkeit enthalten sind und die scheinbar zu unserer Grundausstattung gehören – warum auch immer. Das heißt, wir selbst sind aufgefordert, uns auf einem anderen Bewusstseinsniveau anzusiedeln. Das lässt uns am Ende friedfertiger und zugleich kraftvoller werden – und wir brauchen beides.

Es kann also nicht sein, dass mir die Möglichkeit richtigen Lebens verstellt ist, gleichgültig, wie ich mein Leben gestalte. Das ist in meinen Augen nichts anderes als eine Ausrede. Adorno aber meint das Gegenteil. Anstatt sie aufzuheben, bekräftigt er die Differenz von Richtig und Falsch. Auch wenn ein im Ganzen richtiges Leben unmöglich ist, so ist es für ein unverblendetes Dasein äußerst wichtig, sich denn Sinn für das Richtige nicht abkaufen zu lassen. Und genau deswegen überlegt Adorno immer wieder, wie es am besten wäre, sich in schwieriger Lage zu verhalten, weil er einerseits die destruktiven Tendenzen der Moderne klar sieht, er aber andererseits den „Traum eines Daseins ohne Schande“ nicht aufgibt.

Mit diesem Traum freilich hat es eine besondere Bewandtnis. Adorno lässt sich von einem außerordentlich extremen Ideal des individuellen und gesellschaftlichen Lebens leiten. Dem Modell der Produktion, von dem er alles Leben – und Morden – unter den Bedingungen der Moderne geleitet sieht, stellt er ein Modell der Kontemplation gegenüber, unter dem Menschen und Dinge einander in unwillkürlicher Aufmerksamkeit begegnen könnten. Nur vom Unmöglichen her können wir seiner Ansicht nach unsere Möglichkeiten verstehen. Ich denke, dass es genau so ist.

Dabei gilt es, zwei ganz wesentlichen Dingen gerecht zu werden. Zum einen sind wir nur zu einem sehr geringen Prozentsatz unserer selbst bewusst. Wir können uns also nie sicher sein, dass wir alle Aspekte einer Sache sehen können, auch bei uns selbst nicht. Dieser fehlenden Bewusstheit für uns selbst können wir nur durch einen sehr bewusst gestalteten Alltag begegnen. Krishnamurti hat es treffend formuliert, nämlich dass die Wahrheit ein pfadloses Land ist. Doch das bedeutet eben nicht, alles laufen zu lassen, sondern den Alltag sehr bewusst und klar zu gestalten.

So wie man Kindern eine aus Orten, Zeiten und Gesten bezeichnete Welt baut, damit diese bezeichnete Welt sie die ersten Wichtigkeiten lehrt, genauso machen es auch Zen-Menschen. Sie bauen sich eine absolut klare und einfache, aber auch sehr strikte Alltagswelt auf, denn die ermöglicht es ihnen, die Leerheit zu erfahren. Christliche Mönche machen es übrigens genauso. Erst der klar strukturierte Alltag macht Kreativität, Kontemplation und Reflexion wie geistige Versenkung überhaupt möglich. Je geordneter mein Bücherregal ist, desto leichter finde ich mich darin zurecht. Und dann bin ich nicht mit Suchen beschäftigt, sondern kann lesen. Entsprechend ist es auch mit dem Alltag. Je klarer der strukturiert ist, desto mehr Zeit habe ich für mich selbst. Keine Ablenkung.

Dazu kommt, dass ich ja nur das erreichen kann, was ich mir auch vorstellen kann. Andererseits kann ich mir gar nicht vorstellen, wie gefangen ich normalerweise in Vorstellungen bin. Doch dazu brauche ich ein klares Umfeld, so wie ein guter Designer einen leeren Schreibtisch hat. Je mehr rumliegt, desto weniger kreativ ist er. Ich muss mir also einen Raum schaffen, in dem Neues generiert werden kann. Und je mehr in dem Raum schon vorhanden ist, desto schwieriger ist das für mich. Ich brauche also den leeren Raum mit möglichst geringer Ablenkung, um in mir eine Vorstellung von Leerheit entstehen lassen zu können. Denn auch die Leerheit kann ich mir vorstellen, es ist der Raum des Möglichen.

Gerade habe ich eine Website gefunden, in der es einerseits um Zen, wie um das Kochen in einem Zen-Kloster, und um Kyodo geht, das von Zen geprägte Bogenschießen. Dabei kam mir der Gedanke, der wohl schon lange in mir geschlummert hat, warum nicht Zen mit einem Leben im Alltag und Bogenschießen mit etwas zu tauschen, was man öfters tut, etwa Motorradfahren? Und das Kochen zum Ritual zu machen, wie es ein Zen-Meisters macht? Das würde Zen von dem exotischen Touch befreien, den es dank der Roben und Rituale nun einmal hat. Aber die Haltung bliebe. Und auf die kommt es an. Wir wissen, dass Form den Inhalt generiert. Will ich also eine spezifische Haltung leben, brauche ich die dementsprechende Form. Und weil ich weiß, dass ich einen direkten Einfluss auf Äußerlichkeiten habe, nicht aber auf die Grundlagen dessen, was ich denke und damit auch nicht auf das, was ich tue, denn das ist mir im Wesentlichen nicht bewusst.

Es ist die alte Gretchenfrage: »Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?« Religion steht hier für all das, was Gretchen in ihrem Leben als Maßstab des Handelns ansieht, als Orientierung in ethischen Fragen und im ganz alltäglichen Leben. Es geht in der Gretchenfrage also um das Selbstverständnis Fausts als Menschen. Es ist keine »Gewissensfrage« im traditionellen Sinn, sondern die Frage nach der Norm, nach der ein Mensch sein Leben ausrichtet. Und das ist genau die Frage, der wir uns immer wieder stellen müssen, wollen wir wesentlich und wahrhaftig sein und wenn es nicht bei den philosophischen Gedanken und Reflexionen bleiben soll.

Doch was prägt meine Gedanken, meine Haltung und mein Welt- wie mein Selbstbild? (Immer in dieser Reihenfolge!) Ganz einfach, das ist das, worauf ich mich konzentriere, womit ich mich beschäftige und wie ich letztlich lebe. Und am Anfang steht ein Gefühl, mein Lebensgefühl. In meinem Lebensgefühl wird mein implizites Welt- und Selbstbild sichtbar, es zeigt sich in meiner Lebensweise. Es fängt ganz banal an: Warum fahre ich dieses und kein anderes Motorrad oder Auto? Warum esse ich lieber so und nicht anders? Weshalb mache ich diesen Urlaub und keinen anderen? Oder warum kaufe ich mir lieber eine CD von Sting als in ein Konzert mit ihm zu gehen? In meiner Lebensart und meinem Lebensgefühl ist mein implizites Inneres sichtbar, auch für mich selbst, wenn ich bereit bin, mich darauf einzulassen. Das ist gar nicht so leicht, denn das bedeutet die hellen und die dunklen Seiten gleichermaßen zu sehen. Nur zusammen ergeben sie ein Bild meiner selbst. Immer wieder muss ich mich fragen, ob ich nicht doch wieder einmal an etwas Vordergründigem und an der Oberfläche hängen geblieben bin. Ein Beispiel: Über lange Zeit habe ich von der „Macht der Gedanken“ gesprochen, bis ich irgendwann endlich begriffen hatte, dass die gar keine Macht haben. Persönliche Macht setzt sich nämlich zusammen aus Lebenskraft und einer Ideologie.

Gedanken sind nichts anderes als die Exekutive, die mittels meiner Lebenskraft das umsetzen, was ihnen meine Haltung vorgibt. Und meine Haltung ist nichts anderes als das Spiegelbild meines Welt- und Selbstbildes. Die beiden sind mir aber nicht bewusst, sondern schlummern in den Tiefen meines Nicht-Bewussten. Gehe ich aber davon aus, dass Gedanken selbst Macht hätten, dann sitze ich einer Illusion auf. Und darum funktioniert das mit der Gedankenkontrolle auch nicht, denn über mein Gehirn habe ich nun einmal keine Kontrolle. Und auch mein Welt- und Selbstbild kann ich nicht so einfach mal austauschen, wenn ich einen Fehler darin entdeckt habe, denn es ist ja mehrheitlich nicht bewusst. Damit stellt sich die Frage, was mein Welt- und auch mein Selbstbild eigentlich prägt. Ganz einfach, es wird durch das geprägt, womit ich mich beschäftige und wie ich lebe.

Wie also will ich leben? Auf diese Frage eine sehr bewusste, klare und überlegte Antwort ohne jegliche Spur von Oberflächlichkeit oder Populismus zu geben – das ist die Quintessenz. Manche Menschen denken ja, wir würden uns zu viele Gedanken machen angesichts all der Dinge, die wir nicht wissen. Es ist richtig, wir wissen sehr, sehr vieles nicht. Aber wie es auch ist, wir sollten von dem ausgehen, was wir wissen und das Beste daraus machen. Denn einfach nur fatalistisch die Hände zu falten und nichts zu tun ist exakt die Option, die Adornos für zynisch hält. Fatalismus ist definitiv zynisch und für mich absolut keine Option.

Heißt, ich setze das Thema Zen & Alltag für mich um, so gut es mir gelingt.

 

„Divide et impera“ – teile und herrsche –, so lautete eine Herrschaftsregel der altrömischen Oberschicht. Sie funktioniert bis heute.

Je mehr wir uns auseinanderdividieren lassen, desto einfacher hat es die „andere Seite“. Was man unter der „anderen Seite“ versteht, kann jeder für sich definieren. Darüber zu streiten, würde bereits dem Wunschprinzip des Teilens in die Hände spielen. Wir meinen, dass wir uns am besten auf das konzentrieren, was wir gemeinsam haben.

Bei der Wandelkonferenz in der Gemeinschaft Sulzbrunn im Oktober 2018 haben deshalb 15 Organisationen und Akteure des Wandels ein gemeinsames „Memorandum of Understanding“ formuliert. Es ist Vision, Wertebasis und Zielformulierung in einem. Und wir finden, dass man darauf gut und gemeinsam stehen und handeln kann. Vielleicht habt Ihr Lust, es mal zu lesen → und HIER zu unterschreiben.