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Rezension von „Das Gottesmädchen“

Um es gleich vorweg zu sagen: Männer spielen in dem Roman von Ismael Wetzky keine herausragende Rolle. In den Hauptrollen sind Gisele, eine Philosophiestudentin, und ihre ultrasexy Freundin Chloë, beide definitiv U30. Noch jünger ist nur noch Gott bzw. ihre Erscheinungsform. Gott tritt nämlich in Gestalt eines jungen Mädchens von elf, zwölf Jahren auf.

Damit nicht genug der Überraschungen in diesem Roman. Die Sprache auf den rund 400 Seiten ist so jung – und gekonnt jung – wie die Protagonistinnen. Man begrüßt sich lässig mit „Hi!“, findet Dinge „abgefahren“, „ultraspannend“ oder „echt mega“, und dass Modeschimpfwörter wie „Fuck“ etc. fallen, stört nicht, sondern passt. Tatsächlich gelingt es Ismael Wetzky, seine Mädels in einer Jugend-Kunstsprache reden zu lassen, die überzeugend ist, in keiner Weise aufgesetzt wirkt und auch für ältere Semester wie den Rezensenten gut und amüsant lesbar ist. Fiktion und Realität mischen sich, etwa, wenn echt funktionierende Links in den Text eingefügt sind. Weiterlesen

„Spüren was ist“ – Rezension von Bobby Langer

Mit Messern sollte man vorsichtig umgehen, sie am Griff anpacken und nicht an der Schneide. Lässt sich dieser Satz auf Bücher übertragen? Im Endeffekt ja. Was ich damit meine?

Manche Bücher sind harmlos wie stumpfe Messer. In so ein Buch kann ich mich hineinwerfen und das Buch lässt das mit sich geschehen, weil es genau diesen Typ von Leser will. Dann zieht es mich am Handlungsstrang bis ans Ende, an dem ich aufatmen kann: „Ah, das war also der Mörder!“ Oder: „Ja, so ist das Leben.“ So zu lesen ist ein bisschen wie Sex ohne Zuneigung.

Bei anderen Büchern empfiehlt sich eine vorsichtige Herangehensweise. Man nähert sich ihnen am besten an, indem man sich in ihren Sinn und ihre Aussagen hineintastet, hineinspürt. Man macht dem Buch gewissermaßen den Hof, bis es einen erhört – oder abweist. Lese ich so, dann lasse ich die ersten Sätze und Seiten in mich einfließen, ohne sie zu bewerten und schaue, was sie in mir bewirken, was mit mir geschieht. Und wenn alles gut geht, dann werde ich getragen, statt fortgerissen.

Marc Seegers Buch „Spüren was ist – Die Symmetrie des Lebens“ gehört zur zweiten Kategorie. Und das, obwohl es ein Ratgeber ist. Man könnte es auch als ein Lehrbuch der Achtsamkeit verstehen. Denn „spüren“ ist der Kernbegriff, um den es hier geht. Spüren verstanden als „achtsam sein in Bezug auf etwas“, „Bewusstheit für etwas entwickeln“, also zum Beispiel sein Herz spüren, seinen Atem spüren, oder, schon komplizierter, sein Bewusstsein spüren, seinen Willen, sein Innen und Außen. Dabei knüpft Seeger an den Satz von Saint-Exuperys Kleinen Prinzen an: „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“

1001 Gedanken wirbeln in diesem Buch durcheinander, werden in Verbindung gebracht, wieder aufgelöst, neu verknüpft; eine Denk- und Spüranregung ersten Ranges. Übungen erleichtern die teils sehr theoretischen Zugänge und öffnen Türen ins eigene Selbst. „Ziel ist es“, so schreibt Marc Seeger, „zu spüren, was ist. Um dahin zu kommen, um ins Spüren zukommen, ist es hilfreich, die eigene Lebenswelt und die verschiedenen Kräfte zu betrachten. Das Spüren ermöglicht es, in ein Gleichgewicht zu kommen und in der eigenen Mitte zu sein.“ Und: „Spüren bringt uns wieder in unseren Rhythmus, den wir an den Takt von Maschinen und Technik verloren haben.“ Dazu gehört auch ein fruchtbarer Umgang mit der eigenen Intuition.

In vielen spirituellen Ratgebern wird zu einem achtsamen Leben aufgefordert. Die Antwort darauf, wie man da hinkommt, bleiben sie oft schuldig. Anders in „Spüren was ist“. Hier werden die nahezu unbegrenzten Dimensionen achtsamen Lebens sehr detailliert beschrieben und jeweils mit Übungen vertieft: „Sich spüren – Alles oder Nichts“, „Gefühle spüren – Unsere Realität“, „Zwischenmenschliches Erspüren – Der Raum entsteht“, „Mitwelt – Die Dimension von Natur und Umwelt“, „Unsere Gegenwart – Die zeitliche Dimension“.

Um nicht im Ungefähren hängen zu bleiben, liefert Marc Seeger mit Hilfe der Blume des Lebens verschiedene Musteransätze, mit denen sich die Verwobenheit von Wirklichkeit und Innenwelt in ihren verschiedensten Aspekten erschließen lässt. Beispiele zeigen, wie man damit umgehen könnte, und unbeschriftete Modelle lassen sich individuell ausfüllen. Letztlich geht es wieder und wieder darum, „sich in der Mitte zwischen den Kräften einzufinden“, sich nicht in Polaritäten zu verlieren, in der Symmetrie des Lebens die Gegensätze aufzulösen.

Das dem Buch angefügte Glossar ist, anders als gewohnt, kein Anhängsel, sondern liefert ganz eigene, oft erstaunliche Anregung, um ins Spüren zu kommen; zum Beispiel das scheinbar so banale Stichwort „Boden“. Ihm kann man sich neu und achtsam nähern mit folgenden Fragen des Autors:

  • Wie nehme ich Böden und den Untergrund, auf dem ich gehe, wahr?
  • Welche Beläge/Untergründe kenne ich? Welche sind natürlich, welche künstlich? Wie wurden die künstlichen hergestellt? Welcher Aufwand ist damit verbunden?
  • Auf welchen bin ich schon barfuß gelaufen?
  • Welche Unterschiede nehme ich wahr?
  • Wie ist mein Gang auf den Böden (vielleicht sicher, fest, locker, weich …)?
  • Nehme ich wahr, dass ich mich auf der ERDE bewege, die sich im Universum befindet?
  • Welchen Kontakt habe ich zu Mutter Erde? Bin ich dankbar dafür, mit auf Mutter Erde zu bewegen? Kann ich ihre Energie aufnehmen und sie durch die Füße in den ganzen Körper verteilen?
  • Welche Unterschiede bemerke ich, wenn ich Energie in der Stadt oder im Wald aufnehme?S

Eine Warnung sei allerdings ausgesprochen: Wer überhaupt keinen Draht zu esoterischen Denkansätzen hat oder sich von Denkmustern wie Feinstofflichkeit, Aura oder Chakra sogar abgestoßen fühlt, sollte von diesem Buch die Finger lassen. Ein Beispiel: „Die Seele kommt auf die Erde, um dazuzulernen, aber auch um das Ursprüngliche zu erhalten und zu bewahren. Da uns das abhandengekommen ist, sind viele Seelen damit beschäftigt, andere Seelen … an ihre Aufgabe zu erinnern.“ Voraussetzung für eine sinnvolle Nutzung des Buches „ist die Bereitschaft, Neues zuzulassen, sich Neuem hinzuwenden und Bekanntes infrage zu stellen“.

Marc Seeger, Spüren was ist. Die Symmetrie des Lebens. Tredition Verlag. ISBN 978-3-347-20955-8 (28,99 €, Hardcover) oder ISBN 978-3-347-20954-1 (19,99 €, Softcover). Am besten zu bestellen direkt beim Autor: marc.seeger@email.de.

… das ist klar. Neulich las ich und konnte dem nur zustimmen: noch mehr als ein Paradigmenwechsel brauchen wir einen Ontologiewechsel. Aber lassen wir diese Feinheiten. Nennen wir’s einfach “grundlegenden Bewusstseinswandel”. Meistens beschäftigen wir uns – wohl auch wegen der empfundenen Zeitknappheit – mehr mit den äußeren Dingen des Wandels des sozial-ökologischen Wandels. Doch solange wir uns nicht mit den tieferen Ursachen beschäftigen, weshalb wir uns beinahe täglich (ja wir alle, auch ich) an der Weltzerstörung beteiligen; solange wir unser Augenmerk nur auf die quantitiven Aspekte richten (weniger COs, weniger Plastik, weniger Fleischkonsum etc.) statt auf die qualitativen (Respekt vor allem, was lebt; Einsicht in unser Teilsein des Ganzen; Demut statt Hochmut etc.), so lange werden wir die Umkehr nicht schaffen.

Sepp Stahl, Urgestein der Wandelbewegung, Wackersdorf-Aktivist und engagierter Christ, hat sich vor einigen Jahren die Mühe gemacht, viele spannenden Aspekte und Quellen des anstehenden Bewusstseinswandels zusammenzutragen und miteinander zu verknüpfen. Weiterlesen

„Wir könnten so viel von der Natur lernen, stattdessen versuchen wir, sie zu bezwingen. Das Ergebnis: die natürliche Vielfalt zerfällt. Die Würde der Natur gehört ins Grundgesetz – jetzt.“ So Harald Lesch.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Den Satz können wir schon nicht mehr hören, denn unser – allseits weitgehend akzeptierter – ganz normaler Alltag überzieht ihn mit Spott und Hohn. Beispielsweise endet die Würde des Menschen an den Türen der meisten Pflegeheime an den meisten Tagen des Jahres. Oder an den Gefängnistüren von Julian Assange und Millionen anderer Gefangener. Aber das ist hier nicht Thema.
Der Natur Würde zuzugestehen – das ist eine starke Forderung. Man könnte auch sagen: ein starkes Stück. Denn schon den Satz zu Ende zu denken, verursacht mir existenzielle Verunsicherung. Wie geht es erst Mitmenschen, für die die Natur bestenfalls eine kostenlose oder billige Ressource ist? Weiterlesen

„Die  Große Transformation  beschreibt einen massiven
ökologischen, technologischen, ökonomischen, institutionellen
und kulturellen Umbruchprozess zu  Beginn des 21. Jahrhunderts.“
Uwe Schneidewind in
„Die Große Transformation – Eine Einführung in die Kunst
des gesellschaftlichen Wandels“

Ich fürchte, dass die folgenden Gedanken vielen Menschen Angst machen werden. Aber wir kommen nicht darum herum, sie zu denken, zu fühlen, zu spüren und in die Tat umzusetzen. Bobby Langer

Von unserem Verhalten in den nächsten Jahrzehnten hängt die Zukunft des planetaren Ökosystems ab. Was ansteht, ist der Schritt aus der Pubertät der Menschheit hin zu ihrem Erwachsenwerden: der Große Wandel. Der pubertäre Mensch denkt an sich, der erwachsen werdende Mensch übernimmt Verantwortung für die Weltgemeinschaft aller Lebewesen und für den Planeten. Und er weiß um sein Eingebettetsein. Weiterlesen

Aber gilt das auch umgekehrt?

Ein Satz von Adorno, der mich seit geraumer Zeit umtreibt. Ich beispielsweise lebe in der BRD, in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem, bin Rentner, meine Frau arbeitet in einem Pharmaunternehmen, ich fahre Motorrad und privat nutzen wir ihren Dienstwagen. Wir wohnen in einem kleinen Reihenhaus, gemietet, haben hier auf dem Gelände Freunde gefunden und sind sozial recht gut vernetzt.

Also alles auf Grün? Lese ich Adornos Satz, dann kommt als Antwort auf diese Frage ein klares Nein. Weiterlesen

Heilig? Ein absurdes Wort aus dem Sakralraum? Na ja, wir kennen die Scheinheiligen, vielleicht auch die Säulenheiligen, aber heilig, Heilige? Das gibt’s doch nur in der katholischen Kirche, oder? Und die Protestanten haben das Brimborium ganz abgeschafft!

Heiliger Zauber

Gehen wir mal an die Wurzel: das Wörtchen „heilig“. Gerne wird es mit dem Wort „heilen“ in Verbindung gebracht, was auch stimmt. Heilig ist etwas rundum Gesundes, Gerettetes, Heiles. Vermutlich leitet sich das Wort aus dem germanischen Substantiv „haila“ ab, was Zauber, günstiges Vorzeichen, Glück bedeutete. Darüber lässt sich lange spekulieren. Nur eins ist klar: Das Wort gab es lange vor dem Christentum in einer positiven Bedeutung. Weiterlesen