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Kein Geringerer als Fritjof Capra meinte zu dem im Folgenden besprochenen Buch „Regenerative Kulturen gestalten“: „Dieses Buch ist ein wertvoller Beitrag zu der Diskussion über die Weltanschauung, die wir brauchen, um unsere gesamte Kultur so zu gestalten, dass sie sich regeneriert und nicht zerstört.“

Rezension von Bobby Langer

Womit Fritjof Capra die Aufgabenstellung, um die es geht, auf den Punkt gebracht hat: „unsere gesamte Kultur so zu gestalten, dass sie sich regeneriert und nicht zerstört.“ Die Betonung liegt auf „gesamte Kultur“. Kein Mensch, auch keine Organisation könnte diese Mammut-Aufgabe schaffen. Und doch muss sie sein, wenn wir nicht im größten anzunehmenden Unglück landen wollen, das dereinst die Menschheit ereilen wird.

Richtige Fragen statt richtiger Antworten

Daniel Christian Wahl (DCW) hat diese ungeheure Aufgabe mit seinem Buch in den Blick genommen. Nicht weil er wüsste, wie es geht, sondern weil er zumindest ganz gut weiß, wie es nicht geht: mit business as usual. So besteht seine Leistung letztlich aus einer gedanklichen Doppelarbeit: einerseits die ausgetretenen Pfade der Irrtümer und zuverlässigen Zerstörungen zu analysieren und andererseits Mittel und Methoden zu beschreiben, mit denen sich erstere vermeiden lassen. Die wichtigste Methode dabei lässt sich mit Rilkes berühmtem Satz zusammenfassen: „Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich, ohne es zu merken, eines fremden Tages in die Antworten hinein.“ Es geht also nicht darum, die richtigen Antworten zu geben, sondern die richtigen Fragen zu stellen. Erst wenn es uns gelingt, die Richtung zu ändern, mit der wir uns in die Zukunft bewegen, können sich brauchbare Erfolge einstellen. Was geschieht, wenn wir das nicht tun, beschreibt ein chinesisches Sprichwort: „Wenn wir unsere Richtung nicht ändern, werden wir wahrscheinlich genau dort landen, wo wir gerade hingehen.“

Aber lohnt es sich denn überhaupt, die Richtung zu ändern, um die kulturellen Errungenschaften der Menschheit zu erhalten? Immer wieder taucht diese Frage auf, die wohl die gesamte Transformationsbewegung weltweit umtreibt. DCW hat darauf eine klare Antwort:

„Wir wissen weder, dass eine andere Spezies Gedichte schreibt oder Musik komponiert, um das verbindende Gefühl, das wir Liebe nennen, widerzuspiegeln, noch wissen wir, wie sich das Vergehen der Jahreszeiten für einen Mammutbaum anfühlt oder wie ein Kaiserpinguin subjektiv die ersten Sonnenstrahlen nach dem antarktischen Winter erlebt. Aber gibt es nicht etwas Schützenswertes an einer Spezies, die sich solche Fragen stellen kann?“

Vier Einsichten für eine lebenswerte Zukunft

Wie ein roter Faden zieht sich eine Kern-Einsicht des Autors durch alle Kapitel: dass wir nämlich nicht wissen können, was auf uns zukommt. Nur wenn wir kokreativ mit dieser Unsicherheit umzugehen bereit sind und unser Verhalten immer wieder neu justieren, haben wir eine echte Chance. Eine zweite Einsicht gesellt sich zur ersten. Sie ist der Natur abgeschaut: Zu schaffen sei ein lebendiger, ein regenerativer Prozess, der bis ins Detail das Leben fördert. Denn Natur ist Leben, das Leben fördert. Und auch mit einem dritten Prinzip ist die Natur als Vorbild zu nehmen: dass sie nämlich ­– so groß sie ist und so universell ihre Gesetze sind – nicht in Monopolen funktioniert, sondern in kleinen, lokalen und regionalen Netzwerken, Netze in Netzen in Netzen. Was wir brauchen, schreibt DCW, ist ein „Feingefühl für den Maßstab, die Einzigartigkeit des Ortes und die lokale Kultur“. Und: „Wir müssen das traditionelle ortsbezogene Wissen und die Kultur wertschätzen, ohne in die Fallen eines wiederauflebenden radikalen Regionalismus und engstirnigen Pfarrei-Denkens zu tappen … Systemische Gesundheit als emergente Eigenschaft regenerativer Kulturen entsteht, wenn lokal und regional angepasste Gemeinschaften lernen, innerhalb der durch die ökologischen, sozialen und kulturellen Bedingungen ihrer lokalen Bioregion gesetzten ‚förderlichen Einschränkungen‘ und Möglichkeiten in einem global kooperativen Kontext zu gedeihen.“

Ein viertes Prinzip lässt sich von diesen drei nicht trennen: das Vorsorgeprinzip, das damit beginnt, für die jederzeit möglichen Änderungen der Umstände vorgesorgt zu haben. Unter Vorsorge versteht DCW aber auch unsere Haltung, mit der wir gestaltend mit der Welt umgehen. „Wir brauchen dringend einen hippokratischen Eid für Design, Technologie und Planung: Do no harm! Um diesen ethischen Imperativ in die Tat umzusetzen, brauchen wir eine salutogene (gesundheitsfördernde) Absicht hinter allem Design, aller Technologie und Planung: Wir müssen Design machen für Menschen, Ökosysteme und die Gesundheit des Planeten.“ Ein solches Design „erkennt die untrennbare Verbindung zwischen menschlicher, ökosystemischer und planetarischer Gesundheit an“. Um da hinzukommen, sei das Meta-Design, das „Narrativ der Trennung“, zu ändern hin zu einem „Narrativ des Interbeing“; Design sei der Ort, an dem sich Theorie und Praxis treffen.

Mit Bescheidenheit und Zukunftsbewusstsein handeln

Auf Basis dieser Überlegungen und Analysen entsteht im Laufe der rund 380 Seiten dann doch eine Art Werkzeugkasten für den Umbau der westlichen Industriekultur. Dazu hat DCW alle gedanklichen und praktischen Ansätze der letzten Jahrzehnte ausgewertet und in seine Überlegungen miteinbezogen. Es geschieht ja schon so viel weltweit auf allen Kontinenten. Nun gilt es, alle diese Bemühungen in einen gemeinsamen Prozess einmünden zu lassen, um „the great turning“, wie Joana Macy das nannte, ins Werk zu setzen.

Konsequenterweise hat DCW zu jedem Kapitel ein Fragenset erarbeitet, das dabei unterstützen soll, den statischen Ist-Zustand des jeweiligen Themas aufzugeben und in einen zukunftsfähigen Prozess zu überführen: die chemisch-pharmazeutische Industrie, die Architektur, die Stadt- und Regionalplanung, die industrielle Ökologie, die Gemeinschaftsplanung, die Landwirtschaft, das Unternehmens- und Produktdesign. Denn „systemisches Denken und systemische Interventionen sind mögliche Gegenmittel für die unbeabsichtigten und gefährlichen Nebenwirkungen der jahrhundertelangen Konzentration auf reduktionistische und quantitative Analysen, die von dem Narrativ der Trennung geprägt sind“. So lautet eine Kernfrage, um die so unabdingbare „transformative Resilienz“ zu erreichen: „Wie können wir angesichts der Unvorhersehbarkeit und Unkontrollierbarkeit komplexer dynamischer Systeme mit Bescheidenheit und Zukunftsbewusstsein handeln und vorausschauende und transformative Innovationen anwenden?“

Tatsächlich hat es etwas Entlastendes zu wissen, dass wir keine endgültigen Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit geben müssen bzw. gar nicht geben sollen. „Indem wir die Fragen gemeinsam leben“, schreibt DCW, „anstatt uns mit endgültigen Antworten und dauerhaften Lösungen zu beschäftigen, können wir den vergeblichen Versuch aufgeben, unseren Weg in die Zukunft zu kennen.“ So hat sein Buch letztlich mehrere Wirkungen auf den Leser: Es ist entlastend, inspirierend, informativ, Hoffnung machend und praxisorientiert zugleich – ziemlich viel für ein Buch.

Daniel Christian Wahl, Regenerative Kulturen gestalten, 384 S., 29,95 Euro, Phänomen Verlag, ISBN 978-84-125877-7-7

von Peter Zettel

Falsche Frage! Ich gestehe, ich habe das Buch nicht gelesen, nur das Abstract darüber. Vielleicht ist der Titel ja auch nur der Köder, damit es gekauft wird. Aber darum geht es mir nicht, sondern um eine grundsätzliche Frage. Im Abstract ist unter anderem das zu lesen:

„Immer wieder bekräftigen die Vereinten Nationen und Regierungen, die Biodiversität schützen zu wollen. Doch die politischen Ziele werden immer wieder verfehlt. Kann der Schutz der Biodiversität juristisch erzwungen werden? Dazu wurde schon vor Jahrzehnten die Idee eines Klagerechtes für Tiere und Ökosysteme entwickelt.“ Weiterlesen

„Wenn es um die territoriale Integrität eines Landes geht,
müssen Menschenleben schon mal hintanstehen.“ (Volker Pispers)

(als PDF zum Herunterladen)

Wir sind alle gegen den Krieg, alle. „Aber diesmal“, sagen mir viel zu viele, „machen wir eine Ausnahme.“ Warum das so ist? Dafür gibt es überzeugende Gründe. Ob sie gut sind, ist eine ganz andere Frage. Aber der Reihe nach.

Die einen sagen, wir müssen uns gegen den Westen und die NATO wehren, die anderen sagen, wir müssen uns gegen den russischen Totalitarismus wehren. Und beide haben sich auf den größten gemeinsamen Nenner geeinigt, den „Krieg“.

Dahinter, etwas mehr in der Tiefe, steckt ein weiterer gemeinsamer Nenner: Weiterlesen

Das Paradies ist der Ort, den wir gerne erreichen würden. Aber er liegt hinter uns, unerreichbar verschollen in der Vergangenheit. Erst allmählich dämmert uns, dass es nicht nur der Apfel war, weshalb wir von dort vertrieben wurden. Und je mehr wir das verstehen und verinnerlichen, desto mächtiger baut sich ein neuer Sehnsuchtsort auf, ein Ort, an dem wir sein können, ohne haben zu müssen, an dem wir nicht an Geld oder Leistung gemessen werden, an dem wir zu Hause sein und uns geborgen fühlen können; und der dennoch ein moderner Ort ist. Weiterlesen

Wie doch Daniel Christian Wahls Satz: “Wir müssen die kulturellen Narrative, die unsere vorherrschende Weltsicht und damit auch unser Handeln prägen, überdenken” auch gerade jetzt stimmt. Seinen höchst lesenswerten Aufsatz haben wir ins Deutsche übersetzt.

Neues Lernen

Von Daniel Christian Wahl

„Bildung … ist das Mittel, mit dem Männer und Frauen sich kritisch und kreativ mit der Realität auseinandersetzen und entdecken, wie sie an der Veränderung ihrer Welt teilnehmen können.“  Paulo Freire

Eine Reihe konvergierender Krisen macht nun eine grundlegende Veränderung des menschlichen Einflusses auf die Erde notwendig – ja sogar dringend erforderlich – und zwar von einem überwiegend ausbeuterischen, zerstörerischen und degenerativen zu einem wiederherstellenden, heilenden und regenerativen Verhalten.

Der Klimawandel, der Verlust der biologischen Vielfalt und das obszöne Ausmaß an Ungleichheit sind nur Symptome der zugrunde liegenden Ursachen. Um sie wirksam zu bekämpfen, müssen wir flussaufwärts gehen. Wir müssen uns nicht nur genauer ansehen, was wir wissen, sondern auch, wie wir es wissen. Wir müssen die kulturellen Narrative, die unsere vorherrschende Weltsicht und damit auch unser Handeln prägen, überdenken.

In seinem Buch „The Turning Point“, das vor über 30 Jahren veröffentlicht wurde, nannte Fritjof Capra die Ursache dieser konvergierenden Krisen „eine Krise der Wahrnehmung“. Einer von Capras Mentoren, Gregory Bateson, formulierte es so: „Die großen Probleme in der Welt sind das Ergebnis des Unterschieds zwischen der Art und Weise, wie die Natur funktioniert, und der Art und Weise, wie die Menschen denken“, und fügte hinzu: „Es gibt Zeiten, in denen ich mich selbst dabei ertappe, zu glauben, dass es etwas gibt, das von etwas anderem getrennt ist.“

In dieser Zeit des Übergangs sind wir – wie Joanna Macy vorschlug – in eine doppelte Rolle berufen, nämlich sowohl Sterbebegleiter eines obsoleten Systems („die industrielle Wachstumsgesellschaft“) als auch Hebammen für etwas Neues zu sein: vielfältige regenerative Kulturen überall („die lebenserhaltende Gesellschaft“). In dieser Zeit des Übergangs muss die Bildung Menschen aller Altersgruppen zu drei Dingen befähigen:

i) sich an „Halteaktionen“ zu beteiligen, die den anhaltenden Schaden des zerstörerischen und ausbeuterischen Systems, von dem wir uns entfernen, verringern und/oder stoppen,
ii) mit anderen beim „Aufbau neuer Systeme“ zusammenzuarbeiten und auf gemeinschaftlicher und bioregionaler Ebene an der Einführung regenerativer Muster zu arbeiten, und
iii) die Menschen in die Lage zu versetzen, „mit neuen Augen zu sehen“, indem wir die kulturellen Narrative, Organisationsideen und Geschichten, die wir darüber erzählen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, und über unsere Beziehung zur größeren Lebensgemeinschaft verändern.
Wir befinden uns in einer Zeit zwischen den Narrativen, in der wir uns von einem Narrativ und einer Weltanschauung, die sich auf Trennung und konkurrierende Knappheit konzentrieren, hin zu einem Narrativ und einer Weltanschauung entwickeln, die unser „Zusammensein“ mit allem anderen und unser Potenzial zur gemeinsamen Schaffung von Fülle anerkennt.

Die Bereitschaft, regenerativ zu leben und gemeinsam mit den Menschen um uns herum regenerative Kulturen zu schaffen, wird durch das Verständnis unserer grundlegenden Verflechtung, gegenseitigen Abhängigkeit und unseres „Zusammenseins“ mit den Prozessen genährt, die Gesundheit, Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit auf der Ebene des Einzelnen und seiner Gemeinschaften aufrechterhalten.

Die Erziehung zu regenerativen Kulturen ist ein nie endender Prozess des Aufbaus und der Erneuerung der Fähigkeit der Menschen vor Ort, sich an der koevolutiven Gegenseitigkeit zu beteiligen – untereinander, mit den regionalen Ökosystemen, in planetarischer Solidarität und mit der Fähigkeit zu reagieren.
Gesundheit und Ganzheit sind keine statischen Zustände, sondern evolutionäre Prozesse, an denen wir teilnehmen. Ein Rückzug auf die Aufrechterhaltung von Strukturen, die nicht mehr funktionieren, ist also keine gesunde Reaktion auf die Krisen, mit denen wir jetzt konfrontiert sind. Wenn wir Gesundheit als einen dynamischen Prozess koevolutiver Gegenseitigkeit verstehen, der die Gesundheit der Zellen mit der Gesundheit der Organe, des Einzelnen, der Familien, der Gemeinschaften, der Städte, der Bioregionen, der Ökosysteme und der Gesundheit des Planeten verbindet, erkennen wir, dass systemische Gesundheit und Wohlbefinden ein viel besserer Erfolgsindikator sein könnten als unzureichende wirtschaftliche Indikatoren wie das BIP.

Aus dieser Perspektive schlug ich in meinem Buch vor, dass eine „regenerative menschliche Kultur gesund, widerstandsfähig und anpassungsfähig ist; sie kümmert sich um den Planeten und um das Leben in dem Bewusstsein, dass dies der effektivste Weg ist, um eine blühende Zukunft für die gesamte Menschheit zu schaffen.“ Die erste Hälfte dieses Satzes wurde inzwischen als eines der Prinzipien der globalen zivilgesellschaftlichen Antwort auf den Klimawandel und den kaskadenartigen Zusammenbruch der Ökosysteme aufgegriffen, als Prinzip Nummer 3 von Extinction Rebellion.

Es ist wichtig zu betonen, dass solche regenerativen Kulturen je nach den Orten und Bioregionen, aus denen sie hervorgehen, unterschiedlich sein werden. So wie die biologische Vielfalt des Lebens zu seiner Fähigkeit zur kreativen Evolution beiträgt, so stellt auch unsere kulturelle Vielfalt einen Reichtum an Erfahrungen und Perspektiven dar. Es geht nicht darum, dass wir alle in allem übereinstimmen oder die Welt auf die gleiche Art und Weise sehen müssen, sondern darum, dass wir uns alle in unserer Vielfalt auf eine Art und Weise beteiligen wollen, die die Gesundheit, das Wohlbefinden und das evolutionäre Potenzial der gesamten Menschheit und des gesamten Lebens fördert.

Es gibt kein Patentrezept für die Schaffung regenerativer Kulturen. Ich muss Sie da leider enttäuschen. Es gibt nur einen Prozess der Auseinandersetzung mit der Gemeinschaft und dem Ort auf eine Art und Weise, die Sinn- und Beziehungsmuster webt, die dazu beitragen, das einzigartige, dem Ort entspringende Potenzial einer regenerativen Kultur zu manifestieren, die ein Ausdruck dieser Menschen an diesem Ort – oder besser als dieser Ort – ist.

Generell sollten wir uns vor Menschen hüten, die Patentrezepte und schnelle Antworten anbieten, da wir mit einer Vielzahl konvergierender Krisen und so genannter „bösartiger Probleme“ konfrontiert sind. Regenerative Praxis geht nicht von Problemen aus, sondern von Potenzialen. Das Potenzial von Menschen und Orten, ihre einzigartige Essenz auf eine Weise zu manifestieren, die einem größeren Ganzen Wert, Bedeutung und Gesundheit verleiht.

Kulturen werden nicht entworfen, sie entstehen durch die Beteiligung von uns allen. Fragen statt Antworten und Lösungen sind ein zuverlässigerer Kompass auf unserem Weg in eine ungewisse Zukunft. Diese Erkenntnis war – für mich persönlich – ein wichtiger Schritt, um zu verstehen, wie es möglich sein könnte, das Entstehen vielfältiger regenerativer Kulturen überall zu fördern, ohne ein vorgefertigtes Paket von Lösungen vorzuschreiben.

Ich glaube, dass der Prozess des “gemeinsamen Auslebens der Fragen” im Mittelpunkt der gemeinsamen Schaffung von regenerativen Kulturen steht. Ich glaube auch, dass lebenslanges Lernen und Bildung eine entscheidende Rolle bei der jetzt notwendigen Neugestaltung des menschlichen Einflusses auf die Erde und auf einander spielen.

Bildung ist der Prozess, durch den wir uns selbst und einander befähigen, unsere einzigartigen Beiträge im Dienst der evolutionären Reise des Lebens anzubieten. Sie sollte uns in die Lage versetzen, das zu tun, was das Leben zuallererst tut: “Bedingungen schaffen, die dem Leben förderlich sind” (Janine Benyus).
Das Loslassen von Mustern, die nicht mehr dienlich sind, um das latente Potenzial dessen, was entstehen will, zu manifestieren, ist Teil der regenerativen Musterbildung des Lebens. Wahrhaft transformative Bildung unterstützt uns auf einem lebenslangen Lernweg – einer Pilgerreise und einer Ausbildung -, wie wir angemessen an der größeren Gemeinschaft des Lebens teilnehmen können.
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Vollständiger englischer Originaltext mit Links:

Neues Lernen DCW

“Education … the means by which men and women deal critically and creatively with reality and discover how to participate in the transformation of their world.”
— Paulo Freire

A series of converging crisis is now creating a necessity — even an urgency — for a fundamental transformation of the human impact on Earth from being predominantly exploitative, destructive and degenerative to being restorative, healing and regenerative.
Climate change, biodiversity loss, and obscene levels of inequality are but symptoms of underlying causes. To address them effectively we have to go upstream. We have to take a closer look at not just ‘what we know’ but ‘how we know’. We have to reexamine the cultural narratives that inform our dominant worldview and through that our actions.

In his book ‘The Turning Point’ — published over 30 years ago, Fritjof Capra called the route cause of these converging crises ‘a crisis of perception.’ One of Capra’s mentors, Gregory Bateson put it this way: “The major problems in the world are the result of the difference between how nature works and the way people think” and added “there are times when I catch myself believing there is something which is separate from something else.”

In this time of transition we are — as Joanna Macy suggested — called into a dual role of being both hospice workers of a dying system (“the industrial growth society”) and midwifes of something new: diverse regenerative cultures everywhere (“the life-sustaining society”). In this time of transition education has to enable people of all ages to do three things:

i) engage in ‘holding action’ that reduce and/or stop the ongoing damage of the destructive and exploitative system we are moving away from,
ii) to cooperate with others in ‘building new systems’ and work on putting regenerative patterns in place at the community and bioregional scale, and
iii) to enable people to ‘see with new eyes’ by shifting the cultural narratives, organising ideas, and stories we tell about what it means to be human and about our relationship with the wider community of life.

We are in a time between narratives, changing from a narrative and worldview focussed on separation and competitive scarcity to a narrative and worldview that recognizes our ‘interbeing’ with everything else and our potential to co-create collaborative abundance.

The intention to live regeneratively and to co-create regenerative cultures with the people around us is nutured by understanding our fundamental interconnectedness, interdependence and ‘interbeing’ with the processes that maintain health, resilience, and adaptability at the level of individuals and their communities.

Education for regenerative cultures is a never ending process of building and renewing the capacity of people in place to participate in co-evolving mutuality — with each other, with the regional ecosystems — in planetary solidarity — and with response-ability.

Health and wholeness are not a static states but evolutionary processes in which we participate. So a bounce-back to maintain structures that no longer serve is not a healthy response to the crises we are now facing. If we understand health as a dynamic process of co-evolving mutuality that links cellular health to organ health to individuals, families, communities, cities, bioregions, ecosystems and to planetary health, we come to see that systemic health and wellbeing might be a much more appropriate indicator of success than inadequate economic indicators like GDP.

It is from this perspective I suggested in my book that a “regenerative human culture is healthy, resilient and adaptable; it cares for the planet and it cares for life in the awareness that this is the most effective way to create a thriving future for all of humanity.” The first half of this sentence has since been taken up as one of the principles of the global civic response to climate change and cascading ecosystems collapse, as principle number 3 of the Extinction Rebellion.

It is important to highlight that such regenerative cultures will be different depending on the places and bioregions they emerge from. Just as life’s biodiversity adds to its capacity for creative evolution, so does our cultural diversity constitute a wealth of experience and perspectives. The point is not that we all need to agree on everything or see the world in the same way, rather it is that in our diversity we all aim to participate in ways that support the health, well-being and evolutionary potential of all of humanity and all of life.

There is no one-size-fits-all receipt for creating regenerative cultures. Sorry to disappoint. There is only a process of engaging with community and place in ways that weave patterns of meaning and relationship which will contribute to manifesting the unique place-sourced potential of a regenerative culture that is an expression of these people in — or better as — that place.

In general we should be wary of people who are offering silver bullet solutions and quick answers as we are faced with multiple converging crises of so called ‘wicked problems’. Regenerative practice does not start from problems it starts from potential. The potential of people and place to manifest their unique essence in ways that add value, meaning and health to a greater whole.

Cultures are not designed, they emerge through the participation of all of us. Questions rather than answers and solutions are a more reliable compass as we navigate our way into an uncertain future. This insight was — for me personally — an important step in understanding how it might be possible to nurture the emergence of diverse regenerative cultures everywhere without prescribing a pre-supposing cookie-cutter set of solutions.

I believe the process of ‘living the questions together’ lies at the heart of how we can co-create regenerative cultures. I also believe that life-long learning and education play a critical role in the now necessary redesign of the human impact on Earth and on each other.
Education is the process by which we enable ourselves and each other to offer our unique contributions in service to life’s evolutionary journey. It should enable us to do what life does first and foremost “creating conditions conducive to life” (Janine Benyus).
Letting go of patterns that no longer serve in order to manifest the latent potential of what wants to come into being is part of life’s regenerative patterning. Truly transformative education supports us on a life long path of learning — a pilgrimage and an apprenticeship — of how to participate appropriately in the wider community of life.

von Peter Zettel

Der lange Weg von normal zu natürlich beginnt mit dem Versuch der Definition von „normal“: Hanna Arendt schreibt in „Eichmann in Jerusalem“, dass „das Beunruhigende an der Person Eichmann doch gerade war, dass er war wie viele und dass diese vielen weder pervers noch sadistisch, sondern schrecklich und erschreckend normal waren“

Ein Nazi-Mörder – und ganz normal? Ich kenne einen persönlich, ein ganz normaler Mann, allseits beliebt – und ein Nazi-Mörder: Weiterlesen

Ein Interviewbuch gewährt persönliche Einsichten in innere Verarbeitungs­prozesse von Papst Franziskus. Peter Schönhöffers Rezension des gleichnamigen Buches von Papst Franziskus

Wut ist die Frequenz, durch die wir am zuverlässigsten wissen: So bin ich gedacht! Und wenn Sie beim Lesen eines Buches – noch dazu das eines Papstes – so gar keinen Anflug von Wut kommen spüren? Dann ahnen Sie: Da muss etwas Außergewöhnliches unterwegs sein.

Denn eine Hauptbotschaft des zu Zeiten des Lockdowns 2020 auf nimmermüdes Betreiben eines schottischen Journalisten und Kirchengeschichtlers, der schon zwei weitere Bücher zu dem argen­tinischen Papst vorgelegt hat, entstandenen Bandes lautet: Das sich zu eigen machen und freigiebig verströmen des Elementaren im Glauben geschieht entweder mühelos und mit einer gewissen Leichtigkeit – oder es verpufft, weil es eben nicht wirklich durchdringend erfolgt, mit halber Kraft, mit zu wenig Durchsäuerungsambitionen und Freude. So wie die Fülle des Universums in uns einströmt, unseren Atem bildet und uns die Möglichkeit zu innerer Raumbildung und einem Leben im Rhythmus des eigenen Herzens gibt, um ganz bei uns selbst anzukommen. Wenn etwas von diesem zärtlichen Gott Jesu Christi, der dem Papst vom Ende der Welt so nah vor Augen ist, einfließt und uns zum Strahlen bringt, werden wir wie von selbst immer offener und empfänglicher werden. Unsere Kanäle reinigen sich und wie durch Geisteskraft strömt es zurück vom Innen ins Außen der geschundenen Welt. Diese natürlich angelegten, aber in unserem kulturell-zivilisatorischen Zustand so nachhaltig zurück­gebildeten Regungen der Seele zurückzugewinnen liegt an, wenn wir uns am Beispiel von Papst Franziskus ein Vorbild nehmen wollen beim Kampf um die erneuerungsbereite Rückgewinnung so vieler Menschenfischer, so vieler Arten, so vieler Gemütszustände, so vieler Querverbindungen.

Das zentrale Geschehen, auf das es dabei ankommt, ist vergleichbar mit einer Blume, die ihren Duft verströmt; erst einmal ganz gleichgültig davon, ob jemand sich dafür interessiert, dies für eigene Zwecke instrumentalisiert oder sie für einen Augenblick für sich alleine duftet. Beim strömungsvollen  Lesen der 190 Interviewseiten erreicht die aufmerksame Hörerin des Wortes immer wieder eine Einladung, umsonst und in Leichtigkeit auf eine mystische Weise einszuwerden mit der allum­fassenden Liebe Gottes, die uns in so vielen Weisen entgegenkommt: Ohne sie aber ist all unser Tun und Lassen nichts. Welche stillbewegte Ekstase, welch bevorstehender Ausbruch eines kosmische Weiten durchmessenden Energiestoßes für Gerechtigkeit und Frieden in einer noch halbwegs integren Schöpfung.

Eine Spur nüchterner gesprochen: Das Buch ist gedacht als Krisenintervention. (WT 70, 127) Und multiple Krisen haben wir nach wie vor nur allzu viele um uns und in uns, wie der Weltkirchenrat auch in den letzten Jahren nicht müde geworden ist, unbequem ins Gedächtnis zu rufen – welche die die deutsche Kirchenwirklichkeit sich allerdings zunehmend selbst noch verschärft hat. So dass nicht wenige schon taub, körperlich oder seelisch missbraucht oder traumatisiert geworden sind, andere mit Helfersyndrom, Harmoniesucht oder Verschwörungs­erzählungen unterwegs sind; jedenfalls abseits von der ebenso treffsicher berufenden wie fordernden und zärtlich nachgehenden Liebe des Vaters, auf die hier so nachdrücklich eingeschworen wird. „In einer Krise wie der Samariter zu handeln bedeutet, sich von dem, was ich sehe, berühren zu lassen, wissen, dass (erst, P.S.) das Leiden mich verändern wird… Wir Christen nennen das, das Kreuz aufnehmen und annehmen. Das Kreuz anzunehmen in der Zuversicht, dass das Kommende neues Leben sein wird, gibt uns den Mut, das Wehklagen und den Blick zurück aufzugeben. So können wir aufbrechen, anderen dienen und so Veränderung geschehen lassen, die nur durch Mitgefühl und Dienst am Menschen entstehen kann.“ (WT, 10; ähnlich WT 61) „Die Krise deckt unsere Verwund­barkeit auf, sie legt die falschen Sicher­heiten bloß, auf denen wir unser Leben aufgebaut haben.“ (WT 40f.) Damit ist der Grundton gesetzt.

Und der muss immerhin hindurchtragen durch so manche tief reichenden Abgründe und weitgehend einsozialisierten Abstumpfungen. „Die wachsende verbale Gewalt reflektiert die Fragilität des Selbst, einen Verlust der Wurzeln. Sicherheit wird gefun­den in der Abwertung anderer durch Narrative, die uns das Gefühl der Rechtschaffenheit geben und uns Gründe liefern, andere zum Schweigen zu bringen“ (WT 100). Fortan werden Bruchstück­haftig­keit und Gnade umkreist, zuweilen beinahe meditiert und beim Verfassen der Gedanken ge­knetet und dabei nimmermüde neu intoniert inmitten von kaum mehr vermeidbar ausstehenden gewal­tigen sozialen Explosionen (WT 61-64), dem Fehlen ehrlichen Dialogs in unserer öffentlichen Kultur und einer darauffolgenden Lähmung durch Pola­risierung (WT 100f), der nötigen Kritik gegen­über den herrschenden Medienkulturen (WT 33f), Klerikalismus-Irrwegen (WT 37), Auf­lösungs­erschei­nungen im Volk Gottes (WT 126) und kulturellen Erschöpfungszuständen (WT 166). Hilfreich auf dem der­gestalt eingeschlagenen Weg wird vor allem seine ausgesprochen metaphern­reich, weis­heitlich und  volksnah vorgetragene, häufig biblisch unter­legte theologische Sicht auf den Menschen („Der Teufel lockt nicht mit Lügen. Oft funktioniert eine Halbwahrheit oder eine Wahrheit, die von ihrer spiri­tu­ellen Grundlage abgetrennt wurde, viel besser“ WT 96) und recht zu verstehende Inkultur­ations­bemühungen (WT 100), die stets beziehungs­reiche Anklänge an das in Europa bislang wenig ver­standene, jedoch beharrlich von ihm favorisierte latein­amerikanisch eingefärbte Projekt einer Humanökologie aufweisen. „Für eine echte Geschichte braucht es Erinnerung und das verlangt von uns, dass wir die gegangenen Wege anerkennen, auch wenn sie beschämend sind.“ (WT 41)

In Absetzung zur biblischen Jona-Gestalt gelte es dann jedoch nicht, mit dem Stacheldraht seiner Über­zeugungen einen Zaun um seine Seele zu errichten und die Welt damit in Gut und Böse zu unter­teilen; (ebd.) ebenso wenig als Katholiken mit abgeschotteten Geisteshaltungen unter dem Banner von Restauration oder Reform dahinzueilen, die aus seinem Blickwinkel beide nie Mangel daran haben, ihre schwache und sündige Kirche zu kritisieren, offenbar aber nur selten den realen dornenreichen Weg mit den nie ganz reinen Menschen, Bewusstseins­zuständen und Kirchenleuten gehen wollen (WT 91-96). Dabei käme es doch heute entscheidend auf die Haltung des Kümmerns und Aufrichtens mit ganzem Einsatz und ohne jegliche Anflüge von Heldentum, Purismus oder Selbstüberschätzung ein. Im wirklichen Leben – so wird konstatiert – sei Gnade genauso im Überfluss vorhanden wie Sünde und Versuchung. (WT 95) Es bestehe eine große Gefahr darin, sich an die Schuld anderer zu erinnern und dadurch die eigene Unschuld zu verkünden. (WT 42) Welch eine beseligend-freisetzende Kraft spricht aus solchen Hin­weisen! Indes seien wir dem allen gegenüber dann doch auch wieder eingeladen, herauszutreten und Teil von etwas Größerem zu werden, das wir indes niemals alleine werden schaffen können.

Worauf also zielt dies alles bzw. wo und wie sucht es sich zu bewähren?

Theologisch – und hierbei gut ignatianisch – geht es ihm darum, starres Denken zu überwinden (WT 87), um inmitten der Vielfach-Krisen wieder wach zu werden, stets die größere Ehre Gottes zu suchen bzw. in den Mittelpunkt kirchlichen Handelns und menschlichen Suchens zu rücken. Hans Waldenfels und Magdalena Holztrattner haben früh darauf aufmerksam gemacht, dass Papst Franzis­kus die Überzeugung vorantreibe, dass eine Religion ohne Mystiker und ohne Nähe zu den Armen zu einer Philosophie werde, echtes mystisches Dasein aber damit beginne, sich als Sünder zu erkennen, den der Herr angeschaut habe. Ein Gebet, das nicht zur konkreten Aktion zugunsten des armen, kranken und hilfs­bedürftigen Bruders/Schwester führe, der/die in Schwierigkeiten ist, bleibe steril und unvoll­ständig.[2] „Das Über­fließen der göttlichen Liebe geschieht vor allen an den Scheidewegen des Lebens, den Momenten der Offenheit, der Schwäche und Demut, wenn der Ozean seiner Liebe die Dämme unserer Selbstgenügsamkeit sprengt und so eine neue Vorstellung des Möglichen erlaubt.“ (WT 106). „Indem Jesus sich mit Zöllnern und Frauen mit schlechtem Ruf umgab, entriss er die Reli­gion der Gefangenschaft in den Begrenzungen der Elite, des Spezialwissens und der privilegierten Fa­mi­lien, um jeden Menschen und jede Situation gottesfähig zu machen.“ (WT 158) Ganz in diesem Sinn werden Exerzitien als geistlich fruchtbare Rückzugsorte vor der Tyrannei des Dringlichen em­pfohlen. (WT 69) Ein besonderer Akzent wird auf den geistlichen Prozess des ökologischen Erwach­ens gelegt, zu dem die Schriften des ökumenischen Patriarchen Bartholomaios besonders hilfreich seien. „So ist mein ökologisches Bewusstsein entstanden. Ich sah, dass es von Gott kam, denn es war eine spiri­tuelle Erfahrung, sowie der hlg. Ignatius als Tropfen auf einen Schwamm beschreibt: sanft, still, aber eindringlich.“ (WT 45) Im Weiteren gilt: Ohne den heiligen Geist, die Praxis kirchlicher Syno­­dalität und weltlicher Mediation in Freimut und Wirklichkeitsverwandlung sowie das Hören darauf, wie Gott durch die Nichtgläubigen Zeichen und Wunder tue, werde nichts vorangehen. (WT 107ff)

In die Kirche hinein gesprochen steht an: „Genau hier wurde die Kirche geboren, an den Rändern des Kreuzes, wo so viele Gekreuzigte zu finden sind. Wenn die Kirche die Armen verleugnet, hört sie auf, die Kirche Jesu zu sein; sie fällt zurück in die alte Versuchung, eine moralische oder intellektuelle Elite zu werden. Es gibt nur ein Wort für die Kirche, die den Armen fremd wird: ‚Skandal‘. Der Weg an die geographischen und existenziellen Ränder ist der Weg der Menschwerdung: Gott wählte die Peripherie als den Ort, um in Jesus sein Heilshandeln in der Geschichte zu offenbaren.“ (WT 154) Und mit dem Blick von dort aus ist zu erkennen, dass Volksbewegungen als die wahren Sozialpoeten unserer Zeit mit dem Geist Gottes zu begleiten und zu inspirieren seien. (WT 154-160) „Jedes dieser Völker erfährt die Gaben Gottes ent­sprechend seiner eigenen Kultur, und in jedem von ihnen drückt die Kirche ihre wahre Katholizität aus, die Schönheit ihrer vielen verschiedenen Gesichter. (WT 108)

In die vorwiegend in falsch verstandenem Ökonomismus verwaltete und als götzendienerisches Wirtschaftssystem beherrschte Welt hinein den kirchlichen Sendungsauftrag zu verkörpern, bedeute dann immer auch die offene Bereitschaft zu „denuncio“ und „annuncio“, ignatianisch gesprochen die Unterscheidung der Geister: „Der Laissez-faire- und marktzentrierte Ansatz verwechselt Zweck und Mittel … Am Ende können wir in den Irrglauben verfallen, dass alles, was für den Markt gut ist, auch für die Gesellschaft gut ist.“ (WT 140) Sich selbst überlassene Märkte neigten dazu, das Kapital zu einem Idol zu machen, aus dessen Versklavung kaum noch ein Weg herausführe, wenn die Armen erst einmal ausgeschlossen, Steuerparadiese und Offshore-Standorte geschaffen, der Planet ge­fährdet, Gewinne der Aktionäre auf Kosten der Kunden etabliert und die Menschen in eine heillose Konkurrenz aller gegen alle gesetzt seien. (WT 141f)

„Könnte es sein, dass es in dieser Krise die Perspektive der Frauen ist, die die Welt in dieser Zeit braucht, um sich den kommenden Herausforderungen zu stellen? … Ich denke da vor allem an Wirt­schafts­wissenschaftlerinnen, deren frisches Denken besonders relevant in dieser Krise ist. (Es geht ihnen um, P.S.) eine Wirtschaft, die nicht nur auf Wohlstand und Profit aus ist, sondern die fragt, wie die Wirtschaft so gestaltet werden kann, dass sie Menschen hilft, an der Gesellschaft teilzuhaben und zu gedeihen. Ihr Aufruf zu einer grundsätzlichen Revision der Modelle, die wir nutzen, um die Wirtschaft zu organisieren, erhält derzeit viel Aufmerksamkeit… Dabei will ich sie nicht alle über denselben Kamm scheren, nur weil sie alle Frauen sind… Mariana Mazzucatos Buch „Wie kommt der Wert in die Welt hat mich sehr beeindruckt…. Oder ich denke an Kate Raworth.. die von der Donut-Ökonomie spricht: wie eine distributive, regenerative Wirtschaft geschaffen werden kann…“ (WT 84f)

Für sehr viele unter uns aber gibt es gerade heute noch einmal viel zu lernen von seinem grund­legenden, von seinem theologischen Lehrer Juan Luis Scannone stammenden Unterton einer „Theo­logie des Volkes“: „Die Kirche erleuchtet mit dem Licht des Evangeliums und erweckt die Völker zu ihrer eigenen Würde, aber es ist das Volk, das den Instinkt dafür hat, sich selbst zu organisieren.“ (WT 155). „Zu oft haben wir die Gesellschaft als eine Untergruppe der Wirtschaft und die Demokratie als eine Funktion des Marktes verstanden… in die Richtung anderer Arten von Werten, die uns alle retten: Gemeinschaft, Natur und sinnvolle Arbeit… In ähnlicher Weise brauchen wir eine Vision von Politik, die… zu einer Kultivierung von Tugend und zu Formen neuer Bindungen fähig ist… das meint Politiker mit einem weiteren Horizont, die dem Volk neue Wege eröffnen können, sich zu organisieren und auszudrücken. Es meint Politiker, die dem Volk dienen, anstatt sich seiner zu bedienen.“ (WT 143f, ähnlich WT 156)) – da wären wir wieder ganz nahe an einem ganz besonders beharrlichen Stachel des Meisters aus Nazareth angekommen. (Mk 10,43)

Lic. Theol. Peter Schönhöffer M.A.

[1]  Papst Franziskus, Wage zu träumen! Mit Zuversicht aus der Krise. Im Gespräch mit Austen Ivereigh, Kösel Verlag, ISBN 978-3-466-37272-0
[2] Hans Waldenfels, Sein Name ist Franziskus. Der Papst der Armen, Paderborn 2014, 38-44. Magdalena Holz­trattner, Man muss den Spieß umdrehen. Franziskus stellt die Armen in die Mitte, in: dies: (Hg.), Innovation Armut. Wohin führt Papst Franziskus die Kirche? 2013, 63-72.

business-and-spirit® · Integrale Unternehmens- und Personalentwicklung

Von Theresia Maria Wuttke

Co-Creation lautet das Gebot der Stunde, dem wir uns in der integralen Unternehmens- und Personalentwicklung verschrieben haben: Vom Ich zum Du zum Wir.
Das hat einen einfachen Grund. Noch nie war es so wesentlich, miteinander mit Empathie, Achtsamkeit und Mitgefühl unterwegs zu sein.

Veränderungen in Lichtgeschwindigkeit

Gerade erleben wir landauf, landab und global: „In dieser weltumspannenden Krise ist nichts mehr so wie es war.“ Unternehmen suchen derzeit nach neuen Ansätzen und Methoden, um Lösungen zu entwickeln, die schon im nächsten Augenblick hinfällig sein können. Dabei scheinen sich Kundenbedürfnisse in „Lichtgeschwindigkeit“ zu ändern. Diese Krise wirkt in Menschen und Unternehmen auf allen Ebenen: in Körper, Geist und Seele. Die bisher erfahrene Sicherheit über tragfähige Strategien erweist sich als trügerisch.

Wo ist der Kompass, der mir sagt, was ist mein Fundament, wo geht es lang? Zumal sich täglich die ohnehin variablen Bedingungen ständig verändern: Ob in den Marktbedingungen, den Wertschöpfungsketten, den umliegenden Krisenherden, den Klimaeinflüssen, schwankenden Währungskursen, in unseren Beziehungsgeflechten oder durch neue Technologien.  All das verändert unser menschliches Miteinander und die Wirtschaft derart schnell, dass traditionelle Ansätze nicht mehr greifen.

Co-Kreation ersetzt Konkurrenz

Die Dynamik der Märkte, umfassende Globalisierungsprozesse und die Auswirkungen der Krise fordern von Unternehmen eine vollumfängliche Neuorientierung. Da steht die Haltung uns selbst und anderen gegenüber auf dem Prüfstand. Win-Win rückt in den Vordergrund, nur diesmal in viel größeren Dimensionen.

Statt Konkurrenz lautet die Einladung Co-Kreation. Neues Denken und Handeln auf der Grundlage von Kern-Werten, die verbindlich umgesetzt werden, sind gefragt. Die Kompassnadel zeigt in Richtung Neuorientierung und Neuausrichtung zum Wohle aller. Nichts ist mehr so wie es war. Hierin liegt die Chance der Transformation zu etwas Größerem.

Von der persönlichen Größe zur Führungsgröße zur Unternehmensgröße.

Dabei ist die wahre Größe gemeint, die in jedem Menschen anwesende Größe. Alles ist miteinander verbunden, das ließ uns Max Planck schon im Jahr 1944 wissen, als er in Florenz vom gemeinsamen Quantenfeld, dem alles was ist, sprach, das alles miteinander verbindet.

Wie der Mensch ist ein Unternehmen eine Ganzheit.

Vor diesem Hintergrund verstehen wir ein Unternehmen als ein lebendiges, offenes System, das zwischen den verschiedenen Prozessen interagiert. Es bedarf einer klaren Unternehmensarchitektur, die neben dem betriebswirtschaftlichen Ansatz das Verstehen menschlicher Entwicklung ebenso im Blick hat. Deshalb nutzen wir die integrierende Kraft des Systemansatzes im Spannungsfeld von Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.

„Das Große ist nicht, dies oder das zu sein, sondern man SELBST zu sein“ Soren Kierkegaard

Das gilt für Mensch und Unternehmen gleichermaßen.

Vom Wesens-Kern zum Unternehmens-Kern. In jedem von uns sind die vier Grundbedürfnisse „Leben, Entfaltung, Zugehörigkeit und das Bedürfnis nach Sinn“ als treibende Kräfte angelegt, die von und durch uns selbst erfahren und erfüllt werden wollen. Was so einfach klingt ist GRUND-legend. Es gilt, dem Ruf zu folgen (Be-rufung), was in uns „hineingelegt worden ist“ und in uns „tönt“. Wir alle sind Samen, die sich zu dem entwickeln können, was unser in uns „hineingelegtes“ Potenzial ist. Etwas anderes ist nicht möglich. Denn die evolutive Kraft des Lebens will sich entfalten, will sich ausdrücken und in Form bringen. Hierzu dienen der Entwicklungsbaum und der Unternehmensbaum als Metapher, die wir als Graphik hinterlegt haben.

Doch diese Kraft braucht eine klare, natürliche Struktur, sprich eine Unternehmensarchitektur, um auf festem Boden zu stehen. Es gilt, die weichen Faktoren – den „Spirit“ – mit der Struktur (der Form / harte Faktoren) zu verbinden. Führung und Management sind zwei Seiten einer Medaille: Das Individuelle des Einzelnen verbunden mit dem Gesamten des Unternehmens. Alles findet in dieser Ordnung seinen Platz. Vom Wesens-Kern zum Unternehmens-Kern, so lauten die ersten Schritte, wenn ein Unternehmen sich öffnet, dem Spirit Raum zu geben. Hier geht es nicht nur um neue „Methoden“, sondern um die Haltung, das Schöpfungsprinzip und seine Art zu erschaffen, wahrzunehmen und in der Natur zu entdecken, was organisches Wachstum bedeutet.

Der Dreiklang „vom Kern zur Pflanze zur Frucht“, um wieder neu zu beginnen, findet sich auch in der integralen Unternehmensentwicklung wieder.

Das schaut dann so aus:

Der Kern des Unternehmens ist seine klar umrissene Unternehmensphilosophie und Mission, die es zu bewahren gilt. Sie wird von menschlichen Grundwerten getragen und geht weit über den materiellen Gewinn hinaus.

Wir gestalten den sozial-ökologischen Wandel als Mit-Schöpfer des Prinzips allen Lebens und schaffen Raum für die Entfaltung des integralen Bewusstseins in Unternehmen mit all seinen mitwirkenden Menschen. Wir gehen von der Ganzheit des Menschen aus: Der Einheit von Körper, Geist und Seele. Ganzheit muss nicht werden, Ganzheit ist.

In diesem Prozess liegt das tragende Fundament des Unternehmens in seinen Kern-Werten, die Basis auf dem es steht und in denen es unverrückbar verankert ist. Die Kern-Werte jedes Einzelnen sorgen im Unternehmen dafür, dass ein lebendiger Geist (Spirit) dieses Unternehmen nährt und für eine kontinuierliche Weiterentwicklung von Mensch und Unternehmen sorgt.

Es entsteht eine enorme innere Kraft, wenn sich die Unternehmensenergie klar nach dem Spirit ausrichtet und in allen Mitarbeitern/innen ein Bewusstsein dafür entsteht, wie sich ihr Leben entwickelt: Von innen nach außen und von außen nach innen. Vom Kleinen zum Großen.

„Den Kern bewahren, die Weiterentwicklung fördern.“

Wenn wir uns entscheiden, der Ordnung, die allem Leben innewohnt, also dem Schöpfungsprinzip, zu folgen, zeigt sich uns die Architektur unserer SELBST und die eines integralen Unternehmens.

Vom Ich zum Du, vom Du zum Wir: Gemeinsam mit anderen Unternehmern und deren Mitarbeitern kreieren wir neue Formen der Zusammenarbeit: ein Business von Co-Creation und Selfempowerment. Der Schlüssel liegt in der Hin-Gabe an das Große, das Unnennbare, getragen von gegenseitiger Wertschätzung, Vertrauen, Unterstützung und Liebe.

Es ist eine Einladung an uns, sich als Teil des Ganzen zu verstehen und durch die gelenkte Absicht, Wort und Handlung bewusst Mitschöpfer einer Zivilisation der Liebe zu sein.

Ach, was wir alles haben möchten. Die ungeteilte Aufmerksamkeit, die Wahrheit, das Rechthaben, die Sicherheit, die Zuwendung, das Verzeihen, den Respekt, die Liebe … Geben wir das alles auch?

Nichts ist sicher. Wirklich nichts. Insbesondere jene Menschen, die das „panta rhei“ (alles fließt) gelegentlich effekthalber ins Gespräch streuen, hüten sich vor dieser Erkenntnis wie die Maus vor der Eule.

Sicher fühlt sich ein geliebtes Kind in den Armen seiner Eltern. Es weiß nichts von der Bedrohung, die seine Eltern erleben, nichts von Gewalt, Krankheit und Not. Schon diese kindliche Sicherheit ist eine Illusion, allerdings eine, die wir um alles in der Welt für unsere Kinder aufrechterhalten müssen. Sie ist die Grundlage ihrer inneren Sicherheit. Gelingt sie uns nicht, sind unsere Kinder verloren.

Das Gefühl der sicheren Aufgehobenseins wandelt sich in der Pubertät in das Gefühl, das auf einen zukommende Leben sicher in den Griff zu bekommen. Irgendwie. Diese nächste Illusion wird ergänzt um die Sicherheit, seine große Liebe gefunden zu haben. Auch sie wird sich abnützen wie Schmirgelpapier. So gut wie immer. Leider.

Als Erwachsener suchen wir Sicherheit in Strukturen, in Karriere und Partnerschaft, in Positionen, Funktionen sowie und politischen und weltanschaulichen Gewissheiten. Bis uns die letzte, die zuverlässige Sicherheit erkennbar wird: unser Sterben, das längst begonnen hat, unser Tod.

Erst wenn wir unsere Schönheit und Kraft, unsere Liebe und unsere Würde in die Opferschale legen und diesem dunklen Gott zu Füßen, werden wir in die Sicherheit finden, die wir von unserem ersten Atemzug an so sehr gesucht haben; die unwiederbringliche Sicherheit des Mutterleibs. Sollten wir also von Mutter Tod sprechen? Für mich ein faszinierender Gedanke. Eingehüllt in die Wolke des Nichtwissens davonzuschweben, von allen Sicherheiten entbunden, die ja jede für sich doch immer wechselhaften, endlichen Bedingungen unterliegen.

Ein glückliches Kind wagt sich in die Welt, weil es um seinen sicheren Zufluchtsort weiß. Erst, wenn wir endgültig abgenabelt sind und einen solchen Zufluchtsort in uns selbst erlebt und verortet haben, wagen wir uns in die wilde, freie Welt, in wilde, freie Gedanken und Ideen und wilde, freie Beziehungen. Erst dann brauchen wir keinen Deal mehr mit dem Leben, dann sind wir keine Lebensbank mehr, die von ihren Klienten Sicherheiten einfordert, sondern können frei geben und annehmen, verschenken und uns beschenken lassen. Dann werden wir zu Wassertropfen im ewigen Kreislauf des panta rhei, sind Individuum und Teil des nun nicht mehr bestimmbaren Ganzen. Dann, endlich, sind wir frei für einander.

Von Raimar Ocken

Meiner Vorstellung nach sind wir Menschen Teile eines großen Ganzen. Ich gehe davon aus, dass ich nicht alleine so denke. Es gibt etliche: Hoffende, Träumer und Aktivisten, die sich eine bessere, eine menschlich-friedlichere und liebevollere Zukunft wünschen. Visionen gibt es, wie auch Versuche und Ansätze, es besser zu machen als es allgemein üblich ist. Was kann entstehen, was wird entstehen?

Wenn wir davon ausgehen, dass die vorhandene Energie nicht mehr und nicht weniger wird, dann ist es sinnvoll bis notwendig, darauf zu achten, wo wir etwas wegnehmen oder hinzufügen. Denn ein Zuviel kann ebenso schaden wie ein Zuwenig. Wenn an einem Punkt Zufluss ist, ist an einem anderen Abfluss.

Wenn wir mehr Lebensfreude, Schönheit, Gesundheit und Friedlichkeit erzeugen, wo ist denn dann der Abfluss? Abfluss bedeutet in diesem Zusammenhang: Was sind wir bereit zu opfern (loszulassen), um unsere Ziele zu erreichen? Opfern bedeutet allerdings nicht, etwas zu schenken, was wir nicht mehr benötigen. Überschuss verteilen ist nicht opfern. Es geht um Beziehungen, Ideen, Gegenstände, Vermögen, die wir eigentlich noch gebrauchen (könnten).

Was sind wir bereit, zu geben?