„Frieden mit der Natur“ ist eine Serie von Essays aus dem gleichnamigen Band, der anlässlich des 40-jährigen Jubiläums des Verlags Neue Erde zusammengestellt und uns zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt wurde.
Im nachfolgenden Essay erlebt die argentinische Autorin und Aktivistin Fabiana Fondevila, wie der Costaricanische Dschungel ihren inneren Dialog verstärkt, der in uns allen unter der Fassade der zivilisierten Höflichkeit stattfindet, eine Begegnung mit den wilden Kräften der Natur.
Von Verwaltern des Lebens zu Lebensaktivisten
Ich dachte, ich kenne Moos. Ich dachte, ich wüsste, wie eine Kletterpflanze aussieht. Ich dachte, ich könnte genügend Schattierungen der Farbe Grün benennen. Ich lernte, dass mein Wissen beschränkt war, als ich in Costa Rica landete; dem Land der aktiven Vulkane, der Brüllaffen und der Möglichkeit, die Sonne in der Karibik zu begrüßen und sie am Pazifik zu verabschieden, alles an einem einzigen Tag.
Ich war bereit, mich überraschen zu lassen. Ich wusste, dass dieses mittelamerikanische Land fünf Prozent der weltweiten Artenvielfalt beherbergt, und dass das, was ich dort finden würde, meine Naturerfahrung bereichern würde.
Aber nichts hätte mich auf das vorbereiten können, was ich vorfand: Im Dschungel wächst Moos auf Moos, Lianen hängen an Lianen, und wo ein Tropfen Wasser auf einen Zentimeter Erde trifft, explodiert das Leben.
Jeden Morgen wurde ich von lebhaften Gesprächen zwischen unzähligen Vögeln, Fröschen und Insekten begrüßt, eine Geräuschkulisse, die so dicht war, dass man sie beinahe sehen konnte. Aus allen Richtungen ertönte ein ständiger Austausch von Glocken, Sirenen, Windspielen, Gurrgeräuschen und einer Spule, die in regelmäßigen Abständen zusammengedrückt und wieder losgelassen wird.
Wenn man die unbefestigten Straßen von Guanacaste entlangging, dauerte es nicht lange, bis man dem Baum begegnete, der der Stadt Von Verwaltern des Lebens zu Lebensaktivisten 35 ihren Namen verleiht: Dieser sanfte Baumriese mit Blättern, die wie das Haar eines Mädchens aussahen, schien sich von dem Treiben ringsum nicht stören zu lassen. In seinen Ästen wimmelte es fast immer vor Affen in Aufruhr.
Als ich zwischen den Farnen und den tropfenden Blättern stand, begriff ich, warum ich mich immer nach dieser besonderen Landschaft gesehnt hatte: Ich hatte mich noch nie so lebendig gefühlt.
Natürlich hatte ich Lebendigkeit in milderen Formen der Natur bereits widerspiegelt erlebt. Ich habe gesehen, wie Bäume monatelang schliefen wie Bären im Winterschlaf, um dann beim ersten Anflug von Wärme wieder zum Leben zu erwachen.
Ich habe in meinem bescheidenen Vorstadthinterhof gestaunt, als die ersten Frühlingsknospen die noch kahlen Äste krönten und langen Nächten und eisigen Morgengrauen trotzten, um ihre Gaben zur Entfaltung zu bringen.
Ich war Zeuge, wie ein robustes Beet mit Brennnesseln Jahr für Jahr meine angebauten Pflanzen überwältigte (bis sie meine bevorzugte Nutzpflanze wurden).
Wenn ich die Tür zum Garten öffnete, spürte ich, wie die kühle Morgenluft meine Lunge mit Lebensformen füllt, die zu klein sind, um sie zu sehen.
Häufig habe ich gespürt, wie meine Angst in den Boden gesickert ist, als ich mit von mir gestreckten Beinen im Gras lag, meine Augen in den Wolken versunken.
Um genau zu sein, hatte der Dschungel die Lautstärke eines inneren Dialogs erhöht, den ich schon mein ganzes Leben lang führe.
Worum ging es in diesem Dialog?
Es ist eine Begegnung mit den wilden Kräften, die in uns leben, unter der Fassade der zivilisierten Höflichkeit: unser unerschütterlicher Wunsch zu sprießen, auch gegen übermächtige Herausforderungen, feindliche Umgebungen, schlechte Chancen. Unsere Fähigkeit, auszuharren und sogar unter der Erde zu wachsen, bis die richtige Person, die erste ehrliche Einladung, kommt, um uns zu helfen, unsere 36 Frieden mit der Natur Blütenblätter zu öffnen und der Sonne entgegenzustrahlen. Unsere undomestizierte Nesselschönheit mit ihrem smaragdgrünen Schimmer und ihrem Stachel.
Unsere Vorfahren nahmen direkt an diesem Dialog teil, indem sie zu den Berggeistern beteten, den Flüssen Opfergaben darbrachten und zu Füßen der heiligen Bäume beteten.
Wie kommt es, dass wir den Kontakt zu dieser uralten Quelle der Nahrung verloren haben?
Im Laufe der Geschichte wurde unsere Verbundenheit mit der Natur immer wieder auf die Probe gestellt: Das Zeitalter der Aufklärung (mit seiner Inthronisierung der Vernunft), das Aufkommen monotheistischer Religionen, die Industrialisierung und unsere wachsende Faszination für die Technik führten uns weit von unseren Wurzeln weg und überzeugten uns erst davon, dass wir getrennt, autonom und überlegen sind, und schließlich davon, dass wir die einzige bewusste, empfindungsfähige, voll lebendige Spezies auf diesem Planeten sind.
Der nicht-menschlichen Welt wurde das Leben nur auf die primitivste, unbedeutendste und unterwürfigste Weise zugestanden. Pflanzen und Tiere wurden zu bloßen Ressourcen, die nach Belieben angebaut, geerntet, domestiziert und ausgebeutet werden konnten.
Wir beginnen erst jetzt, den Preis zu entdecken, den wir für den Verlust unserer engen Verbindung zur Natur zahlen mussten. Unser einziges Zuhause und all seine Lebewesen sind dadurch in großer Gefahr, und wir sind von der Quelle unserer Lebenskraft und Zugehörigkeit abgeschnitten. Infolgedessen erleben wir ein pandemisches Ausmaß an Angst, Einsamkeit und Abgesondertheit.
Zum Glück wendet sich das Blatt.
Kosmologen, Biologen, Psychologen und Philosophen beginnen, eine andere Geschichte zu erzählen, eine, die indigene Kulturen und Weisheitstraditionen seit Jahrtausenden teilen: Das Universum ist in seiner Gesamtheit lebendig und bewusst, und wir können nur in Beziehung zu der nicht-menschlichen Welt, von der wir ein Teil sind, voll am Leben sein.
Und nicht nur das: Wir leben in einem sich ständig weiterentwickelnden Makrokosmos, der sich in unserem inneren Mikrokosmos widerspiegelt. Jeden Augenblick sind wir aufgerufen, sterben zu lassen, was vorher war, um zu entdecken, was in uns geboren werden will, und zwar im Einklang mit dem Leben, das uns umgibt und das gleiche tut.
Es liegt Magie und Zauber in der Wiederaufnahme dieses alten Dialogs.
Vor einem halben Jahrhundert prägte der deutsche Psychoanalytiker und Philosoph Erich Fromm das Wort »Biophilie«, um unsere angeborene Liebe zu allen Lebewesen zu bezeichnen. In jüngerer Zeit lud uns die Disziplin der Biomimikry* dazu ein, die Wege der Natur zu imitieren, um menschliche Probleme zu lösen und lebensfreundliche Bedingungen zu schaffen.
Vielleicht könnten wir das nächste Kapitel in unserer sich entwickelnden Geschichte »Biopraxis« nennen – von »bio« (Leben) und »praxis« (Aktion) – als Einladung zum Übergang von Verwaltern des Lebens und der Natur zu vollwertigen Lebensaktivisten, die nach Möglichkeiten suchen, das Leben in all seinen Ausdrucksformen zu nähren und zu stärken, wo immer wir es finden. Natürlich auch in uns selbst!
Hier sind einige Fragen, die uns den Weg weisen könnten:
- Was ist hier lebendig, und wie kann ich es am besten unterstützen?
- Welches Handeln ist in dieser Situation belebend, für mich selbst oder für andere?
- Was verlangt das Leben in dieser Zeit von mir, um in Ordnung, Komplexität und Harmonie zu wachsen?
- Was möchte in meinen Beziehungen und in jedem Bereich meines Lebens zum Vorschein kommen?
- Was möchte durch unsere gemeinsamen Bemühungen entstehen, um eine neue Art von Gemeinschaft zu schaffen?
- Wie können wir unsere Geschichten der Hoffnungslosigkeit in Geschichten der Möglichkeit verwandeln, so wie ein Fluss Steine aus seinem Weg räumt?
Auf solche Fragen gibt es vielleicht keine sofortigen Antworten, aber sie werden uns in Richtung Wachstum lenken und lebenswichtige Emotionen wie Freude, Staunen, Mut und Inspiration auslösen.
Der Weg nach vorn ist kein Weg zurück. Wir werden vielleicht nie wieder mit den Berggeistern kommunizieren oder Opfergaben in heiligen Hainen hinterlassen (obwohl unser Geist durch solche Praktiken der Schönheit nur wachsen kann). Aber egal, wo wir leben – in der üppigen Wildnis des Dschungels oder auf einer belebten Straße in der Stadt – wir können uns selbst zu Lebensaktivisten erheben und unsere eigene Agenda festlegen: die Brennnessel in unseren Gärten wuchern lassen, die Vögel füttern, die an unser Fenster kommen, uns mit dem Obdachlosen in unserem Viertel anfreunden, unsere wilden Stimmen hören lassen.
»Es gibt eine Kraft in dir, die dir Leben gibt«, sagte Rumi. »Suche sie.«
Lasst sie uns suchen, lasst sie uns nähren, lasst sie uns sein.
* Der Begriff »Biomimikry« setzt sich aus »Bio« (Leben) und »Mimikry« (Nachahmung) zusammen und beschreibt den Prozess des Lernens von der Natur.
Die Autorin
Fabiana Fondevila ist Autorin, Journalistin, Geschichtenerzählerin, Ritualgestalterin, Aktivistin und Lehrerin aus Buenos Aires, Argentinien. Ihre Seminare verweben Naturerforschung, Traumarbeit, mythisches Bewusstsein, archetypische Psychologie, Sozialarbeit und Arbeit mit Emotionen um Ehrfurcht, Dankbarkeit und Verzauberung zu wecken. Ihr neuestes Buch ist Wo das Wunderbare wohnt.