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Bevor ich überhaupt mit diesem Text beginne, möchte ich vorausschicken, dass ich großen Respekt vor Menschen habe, die ihr Bestes geben oder gegeben haben und „einfach nicht mehr können“. Denn das ist wertvoller Selbstschutz und keine Resignation. Doch Resignation ist tatsächlich oft ein Irrtum, und noch dazu ein „vom System“ suggerierter – was es umso schlimmer macht.

Auch Resignation ist Selbstschutz

Resignation bedeutet, man hält eine Sache für aussichtslos und hört deshalb auf, zu kämpfen bzw. überhaupt irgendetwas zu tun. Wer in Sachen Demokratie oder Gaia resigniert, der begibt sich in eine hoffnungslose Grundhaltung, dreht sich um, murmelt „Es ist eh alles egal“, wählt rechts oder kauft sich einen SUV. Wer richtig gründlich resigniert, für den bedeutet Resignation eine Entlastung. Er übergibt sein Gewissen sozusagen dem Mainstream und ist damit, energetisch betrachtet, fein raus. Ich meine das rein beschreibend, nicht bewertend. Auch Resignation hat einen Aspekt des Selbstschutzes.

Resignation wegen Selbstüberschätzung?

Entscheidend ist, was der Resignation vorausgeht. Ein Beispiel mag das verdeutlichen: Ich bin 13 Jahre alt und möchte den Mount Everest besteigen. Schon auf halbem Weg zum Basislager merke ich, wie mir bei 20 Kilogramm Gepäck auf dem Rücken die Kraft ausgeht, und ich resigniere. Der Resignation ging in diesem Fall ein unrealistisches Ziel voraus. Zweites Beispiel: Ich bin 70 Jahre alt und will mich nochmals so richtig verlieben. Nach drei Dates gebe ich auf und resigniere. Was ging hier der Resignation voraus? Offenbar eine Fehleinschätzung meiner Chancen. Natürlich könnte das klappen, aber eben nicht so schnell. Vielleicht brauche ich 15 oder 30 Versuche. Hinter der Fehleinschätzung könnte sehr leicht Selbstüberschätzung stecken: „Ich bin so schön, dass alle auf mich fliegen, sobald ich mich zeige.“

Das alte Tellerwäscher-Märchen

Damit sind wir der Kernaussage des Titels schon auf der Spur. In Sachen Demokratie oder Mitwelt lohnt sich aber eine Vertiefung. Beides sind hochkomplexe Themen. Sehe ich also die Demokratie oder die Mitwelt gefährdet, dann kann mich das so sehr berühren, dass ich aktiv werden möchte. Bis dahin gibt es auch kein Problem. Bin ich aber nun der Meinung, ich könnte die Demokratie oder die Mitwelt „retten“ (oder das Klima oder die Berggorillas oder …), dann habe ich entweder nicht die Dimension des Problems verstanden oder ich halte mich für Supergirl oder Superman – und bin damit dem „System“ aufgesessen, das mich glauben machen will, ich, ich ganz allein, könne der oder die Größte sein, könne vom Tellerwäscher zum Millionär werden.

Leidenschaftliche Geduld

Anders herum: Mit einer realistischen Einschätzung der Situation und einer mit Leidenschaft gepaarten Geduld kann ich immer neue, kleine, erfolgreiche Schritte tun und vielleicht sogar das große Ziel erreichen. Unter Umständen bezwingt ja der 13-Jährige zehn Jahre später den Mount Everest – nach viel Training, Bergsteigerkursen und 1000 Stunden Erfahrung am Berg. Spirituell benutzt man in so einem Fall das unscheinbare Wörtchen Demut, hinter dem sich eine mächtige Möglichkeit verbirgt.

Wenn Demut sich mit der Erkenntnis verbindet, dass große Ziele nie allein zu bewältigen sind, dass wir dafür PartnerInnen, BegleiterInnen, FreundInnen, UnterstützerInnen, kurz Gemeinschaft brauchen, dann nimmt nicht nur die Arroganz ab, sondern auch die Wahrscheinlichkeit, resignieren zu müssen. Sogar der halbe Weg zum Ziel kann dann schon eine Menge Spaß gemacht haben.

Von Bobby Langer

Aktivismus ist oldschool

Früher sagten wir ironisch: „Wir haben zwar keine Chance, aber wir nutzen sie.“ Letztlich ist es diese feste Überzeugung, es lohne sich, angesichts des Unmöglichen Mögliches zu versuchen, die das Unmögliche in seine Schranken zu weisen vermag – und Hoffnung macht. Einfach formuliert: Wir ringen den Gegner nieder, indem wir uns nicht auf seine Waffen einlassen. Deshalb könnte man das auch einen kulturellen Guerillakampf nennen.

Schluss mit dem Kampf gegen Windmühlen

Eine, wenn nicht sogar die Hauptwaffe des Gegners besteht darin, uns glauben zu machen, es gebe jeweils einen leicht identifizierbaren Gegner: die Polizei zum Beispiel, die Banker, die Pharma- und Waffenindustrie, die Politiker, die Manager. Was für ein Pech: Es gibt sie nicht, sie sind allesamt nicht vorhanden. Es gibt nicht „die“ Politiker, nicht „die“ Polizei, noch nicht einmal „die“ Waffenindustrie. Sie alle sind Schimären, die das Feindbild-Szenario bevölkern und uns gegen Windmühlen kämpfen lassen. Wer nun meint, er könne, ja müsse, diese Schimären bekämpfen, egal ob mit Gewalt oder ohne, gehört zur Gruppe der Aktivisten, die sich neuerdings – und sehr viel cooler – „Aktivisti“ nennen.

Ein Postaktivist namens Franziskus

Oft noch unsichtbar, aber bereits gestaffelt dahinter (oder davor, je man Perspektive) stehen die Postaktivisten. Sie eint die „unbedingte Überzeugung, dass ein sehr grundsätzlicher Wandel gelingen kann“. Postaktivistinnen glauben nicht mehr an einzelne Verfehlungen innerhalb „des Systems“, sie denken über Systemchange nach. Und sie bestehen auf diesem Nachdenken, egal, ob sie „von irgendeinem eloquenten Politiker oder CEO als undemokratisch“ bezeichnet werden. Das Totschlagargument ist ihnen egal, weil ja Totschlag systemimmanent ist. „Diese Wirtschaft tötet“, befand Papst Franziskus, der definitiv kein activisto ist, sondern eben ein Postaktivist. Postaktivisten eint das Bewusstsein, sich „viel grundsätzlicher zu empören, zu vernetzen und selbst für die Zukunft des Planeten einzustehen“. Aktivismus im oben beschriebenen Sinne ist einfach oldschool.

Zivilisatorische Kehrtwende

Phillip Maiwald hat sich auf das Phänomen Postaktivismus eingelassen und ihm ein gleichnamiges Buch gewidmet, Untertitel: „Die Stille im Inneren der Krise“. Es geht also nicht mehr darum, sich mit den Auswirkungen des Orkans zu beschäftigen, sondern bis ins stille Auge des Orkans vorzudringen. Es zeugt von Beuysscher Radikalität, wenn Maiwald fordert: „Ich bestehe … auf Schönheit und ich ernenne sie hiermit zu einer der Topmerkmale des Postaktivismus. Ich wünsche mir … einen Aktivismus, der smarter, kreativer, frecher, dabei freundlicher, unkonventioneller, radikaler und besser organisiert ist als der mir noch immer über weite Strecken begegnende.“

Postaktivismus wird gebraucht, weil der Aktivismus seit den 80er Jahren nicht funktioniert hat; sonst „würden wir heute nicht vor diesen ökologischen Wahnsinnsproblemen stehen“. Dabei will Maiwald all die kleinen Erfolge vergangener aktivistischer Aktionen nicht schmälern, doch sei jetzt weit mehr angesagt, nämlich „eine zivilisatorische Kehrtwende“: „In Anbetracht unserer heutigen Situation sollte man sich die Frage stellen, ob wir die uns anvertraute Natur durch eine alle Bereiche des Lebens durchziehende Technologie ersetzen wollen, oder ob wir versuchen wollen, das Viele am Leben zu erhalten, was heute trotz widriger Umstände noch immer da ist und was wir unsere Heimat nennen.“

Unbequeme Fragen müssen sein

Dann aber seien unbequeme Fragen zu beantworten:

– „Wie geht man emotional mit … dem Ökozid des Planeten um?“

– „Wie vereint, organisiert und mobilisiert man eine revolutionäre Bewegung?“

– „… sollten wir die Zerstörung vielleicht sogar beschleunigen, um unnötiges Leid zu vermeiden?“

– „Wie verteidigt man sich gegen den Vorwurf, Mitglied einer radikalen, ökologischen Gemeinschaft zu sein? Muss man sich überhaupt verteidigen?“

– „Ist es ein legitimer Akt von Gewalt, wenn man einen den Regenwald abholzenden Bulldozer anzündet?“

-„Ist es ein Akt von Gewalt, wenn ich Fleisch esse?“

Vom Wert der Tränen

Mit seinem Buch „Postaktivismus“ spricht Phillip Maiwald letztlich dem tiefenökologischen Gedanken das Wort, dass wir erst dann wirklich ins Handeln kommen, wenn wir den Schmerz über die Verwüstungen der Erde (und in uns) zulassen. An das berühmte William-Blake-Zitat „A tear is an intellectual thing” [eine Träne ist eine intellektuelle Sache] anknüpfend sagt er, man könne die ganze Welt daran aufhängen. Es ist eben diese Träne, die wichtiger ist als all diese „Überheblichkeiten und Grabenkämpfe“; „Wir werden in Zukunft mit Menschen zusammenarbeiten müssen, die wir noch vor kurzem für Fachidioten und Hampelmänner gehalten haben, wir werden mit Nationalisten, Populisten und Kapitalisten sprechen und zusammenarbeiten müssen. Nur so können wir den Herausforderungen der Zukunft auch nur annähernd gerecht werden.“

Radikal mit dem Alten aufräumen

Die fetten Jahre sind vorbei, und die Zeit für lang gehätschelte Glaubenssätze ebenfalls. Diesbezüglich erinnert Maiwald an den riesigen Werbescreen am New Yorker Times Square, auf dem die Künstlerin Jenny Holzer den Spruch installiert hatte: „Protect me from what I want“ [Schütze mich vor dem, was ich möchte]. Vielmehr sei es sinnvoll, einen Minimalkonsens zu entwickeln, „für den man sich begeistern und einsetzen kann, während man über unvermeidliche Unterschiede … großzügig hinweg sieht“. Man könne nun mal „keinen radikalen Wandel auf den Weg bringen und zur gleichen Zeit alles beim Alten belassen“. Bei seinem Formulierungsversuch eines solchen Minimalkonsens‘ zeigt sich rasch, welche Tabuthemen angefasst werden müssten, zum Beispiel: konsequente Umverteilung von materiellem Reichtum, Schließung energieverschlingender Veranstaltungsräume, neues Finanzsystem, sofortiger Ausstieg aus fossilen Brennstoffen, Vergesellschaftung der Chemie-, Energie- und Stahlindustrie, Austritt aus der Nato. Stattdessen Verankerung von Tier-/Pflanzenrechten und den Rechten kommender Generationen im Grundgesetz, Einführung bzw. Subventionierung von Kreislaufwirtschaft in allen Industriezweigen und Geld für die ganzheitliche Bildung der Kinder.

Hüter/innen der Erde

Weil die Erfüllung all dieser Forderungen einer Umwälzung sämtlicher gesellschaftlichen Verhältnisse gleichkäme, werden die meisten davon, nüchtern betrachtet, wohl unangetastet bleiben – mit allen langfristig unvermeidlichen und voraussichtlich desaströsen Folgen für Mensch und Mitwelt. Doch gemäß der hartnäckigen Einsicht „Wir haben zwar keine Chance, aber wir nutzen sie“, liegt der Wert von Phillip Maiwalds Buch nicht in der detaillierten Analyse eines sozial-ökologischen Umbaus der Industriegesellschaft, sondern darin, das Notwendige zu Ende zu denken und dabei auch Denktabus nicht länger hinzunehmen. Schließlich gehe es darum, „wirklich etwas zu wagen und gemeinsam das Richtige zu tun; wir sind ohne Einschränkung die Hüterinnen und Hüter der Erde bis zum letzten, lebendigen Wesen“.

Phillip Maiwald, Postaktivismus, 20 €, Büchner Verlag, ISBN 978-3-96317-345-5


Siehe auch: civil integrity – postactivism

Eine Rezension von „Schöner grüner Schein“

Von Bobby Langer

„Was auch immer Sie lieben, es ist bedroht. Aber lieben ist ein Tätigkeitswort. Möge diese Liebe uns ins Handeln bringen.“

Es gibt so etwas wie das „fröhliche gute Gewissen der Grünen“. Gemeint sind damit nicht nur die Parteimitglieder, sondern alle, die auf diesem Segelschiff der Illusionen mitschwimmen. Im Schiffsbauch befindet sich die Vorstellung eines Green New Deal, mit dem wir die westliche Industriegesellschaft ohne sonderliche Abstriche retten und weiterbetreiben können.

Die Autoren von „Schöner grüner Schein“, Derrick Jensen, Lierre Keith und Max Wilbert, bezeichnen die Segelmeister und Passagiere dieses Segelschiffs als die „Hellgrünen“.  Mit ihrem jüngst auf Deutsch erschienenen Buch tun sie alles, um Bewegung in die Wogen zu bringen und dieses ruhige Gewissen aufzuscheuchen. Kapitel für Kapitel belegen sie, dass eine „grüne“ Industriegesellschaft nur um den Preis weiterer und unaufhaltsamer Umweltzerstörungen möglich ist. „Hellgrüne Lösungen sind nur dazu da, den lebenden Planeten wieder und immer weiter zu zerstören.“

So sei also an den Anfang dieser Besprechung einerseits eine Warnung gestellt, andererseits ein Versprechen. Eine Warnung, weil die Lektüre der 463 Textseiten einem die „grüne Unschuld“ nimmt und der „deflorierte Leser“ danach ernüchtert seine Positionen überdenken muss; ein Versprechen hingegen für all jene, die schon immer das „Weiter so“ unter grüner Flagge mit Bauchgrimmen wahrgenommen haben. Hier bekommen sie endlich das inhaltliche, argumentative Rüstzeug für die nächste Debatte. Denn wenn in diesem Buch etwas nicht fehlt, dann sind das die Fakten: Fakten zur Solar- und Windindustrie, Fakten zur grünen Energiespeicherung, Fakten zu Recycling und Effizienz, zur grünen Stadt, zum grünen Netz und zur Wasserkraft sowie diversen Scheinlösungen wie Geothermie oder Kohlenstoffabscheidung.

Das Spektrum des Umweltschutzes [aus Sicht der Autoren]

Tiefgrün

Sowohl der lebende Planet als auch die nichtmenschlichen Lebewesen haben das Recht zu existieren. Das menschliche Wohlergehen hängt von einer gesunden Ökologie ab. Um den Planeten zu retten, müssen die Menschen innerhalb der Grenzen der natürlichen Welt leben.

Lifestylisten

Der Mensch ist von der Natur abhängig, und die Technologie wird die Umweltprobleme wahrscheinlich nicht lösen, aber politisches Engagement ist entweder unmöglich oder unnötig. Das Beste, was wir tun können, ist, uns in Eigenverantwortung zu üben … Der Rückzug wird die Welt verändern.

Hellgrüne

Es gibt ernsthafte Umweltprobleme, aber grüne Technologie und grünes Design sowie ethisches Konsumverhalten werden es möglich machen, den modernen, energieintensiven Lebensstil auf unbestimmte Zeit fortzusetzen.

Vernünftige Nutzer

Es gibt zwar ökologische Probleme, aber die meisten davon sind nicht so schlimm und können durch ein angemessenes Management gelöst werden.

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Alles, worum Derrick Jensen bittet, ist „ehrlich mit uns selbst zu sein“. Was er damit meint, zeigt er am Beispiel einer „unschuldigen“ Brille: „Sie besteht aus Plastik, für das Öl und Transportinfrastrukturen benötigt werden, und aus Metall, für das Bergbau, Öl und Transportinfrastrukturen erforderlich sind … und die moderne Glasherstellung erfordert Energie und Transportinfrastruktur. Die Minen, aus denen die Materialien für meine Lesebrille kommen, müssen irgendwo liegen, und die Energie für die Herstellung muss auch irgendwoher kommen.“ Es gibt nun mal kein Abrakadabra-Simsalabim für irgendein Industrieprodukt, auch wenn es uns so vorgespiegelt wird. Wir meinen, wir bräuchten nur das nötige Kleingeld zu haben, und schon „zaubern“ wir uns, ohne Umweltkosten, unseren Komfort herbei – eine kindliche Vorstellung.

Ein kleiner Wermutstropfen angesichts der vielen Fakten ist ihr relatives Alter. Der US-Titel „Bright Green Lies: How the Environmental Movement Lost Its Way and What We Can Do About It” erschien 2021. Die im Buch genannten Zahlen sind also wenigstens fünf Jahre alt. Andersherum wissen wir: So gut wie nichts hat sich seither zum Besseren gewendet.

Wie gut, dass das Autorenteam einen nicht im Regen stehen lässt. Auf rund 40 Seiten befasst es sich mit „wirklichen Lösungen“, an denen – zumindest dieser Logik nach – kein Weg vorbeigeht. Letzten Endes gehe es um alles oder nichts. Zu einer zukunftsfähigen Lösung, so die Autoren, werden wir erst kommen, wenn wir bereit sind, „eine Lawine von Wehmut auszuhalten … Aber wenn man diesen Planeten liebt, muss man es tun“. Was anstehe, sei eine Reindigenisierung der westlichen Lebensweise. „Wir müssen erkennen, dass, da die Erde die Quelle allen Lebens ist, die Gesundheit der Erde bei unseren Entscheidungsprozessen an erster Stelle stehen muss … Wenn wir unsere Werte ändern, werden bisher unlösbare Probleme lösbar.“ Wir müssen aufhören, uns die falschen Fragen zu stellen.  „‚Wie können wir weiterhin industrielle Energiemengen gewinnen, ohne Schaden anzurichten?‘, ist die falsche Frage. Die richtige Frage lautet: ‚Was können wir tun, um der Erde zu helfen, die durch diese Kultur verursachten Schäden zu reparieren?‘“

Zurück zum Einstieg: Dieses Buch ist schwer verdauliche Kost, nicht weil es schwer zu lesen wäre, sondern weil es seinen Leserinnen und Lesern von Kapitel zu Kapitel mehr den Staub der Illusionen aus dem Zivilisationsmäntelchen klopft. „Schöner grüner Schein“, schreibt Vandana Shiva, sei „ein dringend notwendiger Weckruf, wenn wir verhindern wollen, dass wir schlafwandelnd aussterben – und damit den 200 unserer Mitgeschöpfe und Verwandten folgen, die täglich von einer extravistischen, kolonisierenden Geldmaschine in den Tod getrieben werden, die von grenzenloser Gier geschmiert und vom mechanistischen Geist des Industrialismus geleitet wird.“

Schöner grüner Schein. Warum »grüne« Technologien derselbe Irrweg in Grün sind. Von Derrick Jensen, Lierre Keith und Max Wilbert, Verlag Neue Erde, 517 S., 36 Euro, ISBN 978-3-89060-838-9

Von Charles Eisenstein

[Dieser Artikel ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 3.0 Deutschland) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen darf er verbreiten und vervielfältigen werden.]

Jemand schickte mir am 19. Januar [2021] ein Video, in dem der Gastgeber, unter Berufung auf eine geheime Quelle aus der „White Hat Power“-Fraktion, sagte, dass endgültige Pläne im Gang sind, um den kriminellen Tiefen Staat ein für alle Mal zu stürzen. Die Amtseinführung von Joe Biden werde nicht stattfinden. Die Lügen und Verbrechen der satanischen Menschenhandels-Elite würden offenbar werden. Die Gerechtigkeit werde sich durchsetzen, die Republik wiederhergestellt werden. Vielleicht, sagte er, werde der Tiefe Staat einen letzten verzweifelten Versuch machen, an der Macht zu bleiben, indem er eine gefälschte Einweihung inszeniert, mit Deep-Fake-Videoeffekten, um es so aussehen zu lassen, als würde Chief Justice John Roberts wirklich Joe Biden vereidigen. Lassen Sie sich nicht täuschen, sagte er. Vertrauen Sie dem Plan. Donald Trump wird weiterhin der eigentliche Präsident bleiben, auch wenn die gesamten Mainstream-Medien etwas anderes sagen.

Die Demokratie ist am Ende

Es ist kaum die Zeit wert, das Video an sich zu kritisieren, da es ein unspektakuläres Beispiel für sein Genre ist. Ich schlage nicht vor, dass Sie es sich ansehen. Was ernst genommen werden muss und alarmierend ist, ist Folgendes: Die Zersplitterung der Wissensgemeinschaft in unzusammenhängende Realitäten ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass eine große Anzahl von Menschen bis heute glaubt, Donald Trump sei insgeheim Präsident, während Joe Biden ein als Weißes Haus getarntes Hollywood-Studio bewohnt. Dies ist eine abgeschwächte Version des viel weiter verbreiteten Glaubens (Dutzende von Millionen Menschen), dass die Wahl gestohlen wurde.

In einer funktionierenden Demokratie könnten die beiden Seiten die Frage, ob die Wahl gestohlen wurde, durch Beweise aus für beide Seiten akzeptablen Informationsquellen diskutieren. Heute gibt es keine solche Quelle. Der größte Teil der Medien hat sich in separate und sich gegenseitig ausschließende Ökosysteme aufgespalten, die jeweils die Domäne einer politischen Fraktion sind, was eine Debatte unmöglich macht. Alles, was übrigbleibt, ist, wie Sie vielleicht schon erlebt haben, ein Schrei-Duell. Ohne Debatte muss man zu anderen Mitteln greifen, um in der Politik den Sieg zu erringen: Gewalt statt Überzeugung.

Dies ist ein Grund, warum ich denke, dass die Demokratie am Ende ist. (Ob wir sie jemals hatten, oder wie viel davon, ist eine andere Frage.)

Sieg ist inzwischen wichtiger als Demokratie

Angenommen, ich wollte einen rechtsextremen, Trump-unterstützenden Leser davon überzeugen, dass die Behauptungen über Wahlbetrug unbegründet sind. Ich könnte Berichte und Faktenchecks auf CNN oder der New York Times oder Wikipedia zitieren, aber nichts davon ist für diese Person glaubwürdig, die mit einiger Berechtigung annimmt, dass diese Publikationen gegenüber Trump voreingenommen sind. Das Gleiche gilt, wenn Sie ein Biden-Anhänger sind und ich versuche, Sie von massivem Wahlbetrug zu überzeugen. Beweise dafür finden sich nur in rechten Publikationen, die Sie sofort als unzuverlässig abtun werden.

Lassen Sie mich dem aufgebrachten Leser etwas Zeit ersparen und Ihre vernichtende Kritik des Obigen für Sie formulieren. „Charles, Sie stellen hier eine falsche Gleichsetzung auf, die schockierend ignorant gegenüber bestimmten unbestreitbaren Fakten ist. Fakt eins! Fakt zwei! Fakt drei! Hier sind die Links. Sie erweisen der Öffentlichkeit einen Bärendienst, wenn Sie auch nur die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die andere Seite es wert ist, gehört zu werden.“

Wenn auch nur eine Seite das glaubt, sind wir nicht mehr in einer Demokratie. Mir geht es hier nicht darum, beide Seiten gleich zu behandeln. Mein Punkt ist, dass keine Gespräche stattfinden oder stattfinden können. Wir sind nicht mehr in einer Demokratie. Demokratie hängt von einem gewissen Maß an bürgerlichem Vertrauen ab, von der Bereitschaft, über die Verteilung der Macht durch friedliche, faire Wahlen zu entscheiden, die von einer objektiven Presse begleitet werden. Sie erfordert die Bereitschaft, sich auf Gespräche oder zumindest Debatten einzulassen. Sie erfordert, dass eine wesentliche Mehrheit etwas – die Demokratie selbst – für wichtiger hält als den Sieg. Andernfalls befinden wir uns entweder in einem Zustand des Bürgerkriegs oder, wenn eine Seite dominant ist, in einem Zustand des Autoritarismus und der Rebellion.

So wird die Linke zur Rechten

An diesem Punkt ist es klar, welche Seite die Oberhand hat. Es liegt eine Art poetische Gerechtigkeit darin, dass der rechte Flügel – der die Informationstechnologie der Volksverhetzung und der narrativen Kriegsführung überhaupt erst perfektioniert hat – nun ihr Opfer ist. Konservative Experten und Plattformen werden schnell aus den sozialen Medien, aus den App-Stores und sogar ganz aus dem Internet verdrängt. Wenn ich das in der heutigen Umgebung überhaupt sage, erregt es den Verdacht, dass ich selbst ein Konservativer bin. Ich bin genau das Gegenteil. Aber wie eine Minderheit von linken Journalisten wie Matt Taibbi und Glenn Greenwald bin ich entsetzt über die Löschung, den Ausschluss von sozialen Netzwerken, Zensur und Dämonisierung der Rechten (einschließlich 75 Millionen Trump-Wähler) – etwas, das man nur als Totalen Informationskrieg bezeichnen kann. Im Totalen Informationskrieg (wie in militärischen Konflikten) ist es eine wichtige Taktik, seine Gegner so schlecht wie möglich aussehen zu lassen. Wie können wir eine Demokratie haben, wenn wir von den Medien, auf die wir uns verlassen, um uns zu sagen, was real ist, was „Nachrichten“ sind, und was die Welt ist, dazu aufgehetzt werden, uns gegenseitig zu hassen?

Es sieht heute so aus, als würde die Linke die Rechte in ihrem eigenen Spiel schlagen: dem Spiel der Zensur, des Autoritarismus und der Unterdrückung von Dissens. Aber bevor Sie die Vertreibung der Rechten aus den sozialen Medien und dem öffentlichen Diskurs feiern, verstehen Sie bitte das unvermeidliche Ergebnis: Die Linke wird zur Rechten. Dies ist bereits seit Langem im Gange, wie die überwältigende Präsenz von Neocons, Wall-Street-Insidern und Unternehmensvertretern in der Biden-Administration beweist. Der parteiische Informationskrieg, der als Links-Rechts-Konflikt begann, mit Fox auf der einen Seite und CNN und MSNBC auf der anderen, wandelt sich rasch in einen Kampf zwischen dem Establishment und seinen Herausforderern.

Erzwungene Illegitimität

Wenn Big Tech, Big Pharma und Wall Street auf der gleichen Seite sind wie das Militär, die Geheimdienste und die Mehrheit der Regierungsbeamten, wird es nicht lange dauern, bis diejenigen zensiert sind, die ihre Agenda stören.

Glenn Greenwald bringt es gut auf den Punkt:

 Es gibt Zeiten, in denen sich Repressions- und Zensurmaßnahmen eher gegen die Linke richten, und Zeiten, in denen sie eher gegen die Rechte gerichtet sind, aber es ist weder eine inhärent linke noch eine rechte Taktik. Es ist eine Taktik der herrschenden Klasse, und sie wird gegen jeden eingesetzt, der als Abweichler von den Interessen und Orthodoxien der herrschenden Klasse wahrgenommen wird, ganz gleich, wo auf dem ideologischen Spektrum er sich befindet.

Für das Protokoll: Ich glaube nicht, dass Donald Trump noch Präsident ist, noch glaube ich, dass es massiven Wahlbetrug gegeben hat. Allerdings denke ich auch, dass, wenn es ihn gegeben hätte, wir keine Garantie hätten, das herauszufinden, weil genau die Mechanismen zur Unterdrückung von Wahlbetrugs-Fehlinformationen auch zur Unterdrückung dieser Informationen verwendet werden könnten, falls sie wahr wären. Wenn Konzern-Regierungs-Mächte die Presse und unsere Mittel der Kommunikation (das Internet) gekapert haben, was soll sie davon abhalten, Dissens zu unterdrücken?

Als Autor, der in den letzten zwanzig Jahren gegenkulturelle Ansichten zu vielen Themen vertreten hat, stehe ich vor einem Dilemma. Die Beweise, auf die ich mich berufen kann, um meine Ansichten zu untermauern, verschwinden aus den Wissensbeständen. Die Quellen, die ich verwenden könnte, um dominante Narrative zu untergraben, sind illegitim, weil gerade sie dominante Narrative untergraben. Die Wächter des Internets erzwingen diese Illegitimität durch eine Vielzahl von Mitteln: algorithmische Unterdrückung, tendenziöses automatisches Ausfüllen von Suchbegriffen, Dämonisierung abweichender Kanäle, Kennzeichnung abweichender Ansichten als „falsch“, Löschung von Accounts, Zensur von Bürgerjournalisten und so weiter.

Der Kultcharakter des Mainstreams

Die daraus resultierende Erkenntnisblase belässt den Durchschnittsbürger genauso in der Realitätsferne wie jemanden, der glaubt, Trump sei noch Präsident. Der kultähnliche Charakter von QAnon und der extremen Rechten ist klar erkennbar. Was weniger offensichtlich ist (vor allem für diejenigen, die sich darin befinden), ist der zunehmend kultähnliche Charakter des Mainstreams. Wie können wir es anders nennen als eine Sekte, wenn sie Informationen kontrolliert, abweichende Meinungen bestraft, ihre Mitglieder ausspioniert und ihre physischen Bewegungen kontrolliert, es an Transparenz und Verantwortlichkeit in der Führung mangelt, sie vorschreibt, was ihre Mitglieder sagen, denken und fühlen sollen, sie ermutigt, sich gegenseitig zu denunzieren und auszuspionieren, und eine polarisierte Wir-gegen-die-Mentalität aufrechterhält? Ich sage sicherlich nicht, dass alles, was die Mainstream-Medien, die Wissenschaft und die Akademiker sagen, falsch ist. Wenn jedoch mächtige Interessen Informationen kontrollieren, können sie die Realität ausblenden und die Öffentlichkeit dazu bringen, Absurditäten zu glauben.

Vielleicht geschieht das mit der Kultur im Allgemeinen. „Kultur“ kommt von der gleichen sprachlichen Wurzel wie „Kult“. Sie erzeugt eine gemeinsame Realität, indem sie die Wahrnehmung konditioniert, den Gedanken strukturiert und die Kreativität lenkt. Was heute anders ist, ist, dass etablierte Kräfte verzweifelt versuchen, eine Realität aufrechtzuerhalten, die nicht mehr zum Bewusstsein einer Öffentlichkeit passt, die sich schnell aus dem Zeitalter der Trennung herausbewegt. Die Verbreitung von Sekten und Verschwörungstheorien spiegelt die zunehmend aus den Angeln gehobene Absurdität der offiziellen Realität sowie der Lügen und Propaganda wider, die sie aufrechterhalten.

Anders ausgedrückt: Der Wahnsinn, der die Trump-Präsidentschaft war, war keine Abweichung von einer Entwicklung hin zu immer größerer Vernunft. Sie war kein Stolpern auf dem Weg von mittelalterlichem Aberglauben und Barbarei hin zu einer rationalen, wissenschaftlichen Gesellschaft. Sie bezog ihre Kraft aus einer zunehmenden kulturellen Turbulenz, so wie ein Fluss immer heftigere Gegenströmungen erzeugt, wenn er sich seinem Sturz über den Wasserfall nähert.

Diskreditierende Belege einer anderen Realität

In letzter Zeit hatte ich als Autor das Gefühl, dass ich versuche, einen Verrückten von seinem Wahnsinn abzubringen. Wenn Sie jemals versucht haben, mit einem QAnon-Anhänger zu argumentieren, wissen Sie, wovon ich spreche, wenn ich versuche, mit dem öffentlichen Verstand zu argumentieren. Ich will mich nicht als das einzige vernünftige Individuum in einer verrückt gewordenen Welt darstellen (und damit meine eigene Verrücktheit demonstrieren), sondern vielmehr ein Gefühl ansprechen, das sicher viele Leser teilen: dass die Welt verrückt geworden ist. Dass unsere Gesellschaft in die Unwirklichkeit abgedriftet ist, sich in einer Illusion verloren hat. So sehr wir auch hoffen, den Wahnsinn einer kleinen und beklagenswerten Untergruppe der Gesellschaft zuschreiben zu können, handelt es sich doch um einen allgemeinen Zustand.

Als Gesellschaft sind wir aufgefordert, das Inakzeptable zu akzeptieren: die Kriege, die Gefängnisse, die gezielt herbeigeführte Hungersnot im Jemen, die Vertreibungen, die Landnahmen, die häuslichen Misshandlungen, die rassistische Gewalt, die Kindesmisshandlungen, die Abzocke, die Zwangsfleischfabriken, die Bodenzerstörung, den Ökozid, die Enthauptungen, die Folter, die Vergewaltigungen, die extreme Ungleichheit, die Verfolgung von Whistleblowern… Auf irgendeiner Ebene ist uns allen bewusst, dass es verrückt ist, mit dem Leben fortzufahren, als ob all dies nicht geschehen würde. Zu leben, als ob die Realität nicht real wäre – das ist die Essenz des Wahnsinns.

Ebenfalls an den Rand der offiziellen Realität gedrängt ist ein Großteil der wunderbaren heilenden und schöpferischen Kraft von Menschen und anderen als menschlichen Wesen. Ironischerweise, wenn ich einige Beispiele dieser außergewöhnlichen Technologien erwähne, zum Beispiel in den Bereichen Medizin, Landwirtschaft oder Energie, handle ich mir den Vorwurf ein, „unrealistisch“ zu sein. Ich frage mich, ob der Leser, wie ich, direkte Erfahrungen mit Phänomenen hat, die offiziell nicht real sind?

Ich bin sehr versucht zu behaupten, dass die moderne Gesellschaft auf eine enge Unwirklichkeit beschränkt ist, aber genau das ist das Problem. Alle Beispiele, die ich von jenseits akzeptabler politischer, medizinischer, wissenschaftlicher oder psychologischer (Un-)Realität anführe, diskreditieren automatisch mein Argument und machen mich für jeden, der mir nicht ohnehin zustimmt, zu einer verdächtigen Figur.

Informationskontrolle erzeugt Verschwörungstheorien

Lassen Sie uns ein kleines Experiment machen. Hey, Leute, Geräte mit freier Energie sind echt, ich habe eins gesehen!

Also, vertrauen Sie mir nach dieser Aussage eher mehr oder weniger? Jeder, der die offizielle Realität in Frage stellt, hat dieses Problem. Schauen Sie, was mit Journalisten passiert, die darauf hinweisen, dass Amerika all die Dinge tut, die es Russland und China vorwirft (Einmischung in Wahlen, Sabotage von Stromnetzen, Bau von elektronischen Hintertüren [zum geheimdienstlichen Abhören]). Sie werden nicht oft auf MSNBC oder der New York Times zu finden sein. Die von Herman und Chomsky beschriebene Fabrikation von Zustimmung („manufacture of consent“) geht weit über die Zustimmung zum Krieg hinaus.

Indem die herrschenden Institutionen Informationen kontrollieren, erzeugen sie eine passive öffentliche Zustimmung zu der Wahrnehmungs-Realitäts-Matrix, die ihre Dominanz aufrechterhält. Je erfolgreicher sie bei der Kontrolle der Realität sind, desto unwirklicher wird sie, bis wir das Extrem erreichen, bei dem jeder vorgibt zu glauben, aber niemand es wirklich tut. Wir sind noch nicht so weit, aber wir nähern uns diesem Punkt schnell. Wir sind noch nicht auf dem Stand des späten sowjetischen Russland, als praktisch niemand die Prawda und die Iswestija für bare Münze nahm. Die Irrealität der offiziellen Realität ist noch nicht so vollständig, ebenso wenig wie die Zensur der inoffiziellen Realitäten. Wir befinden uns immer noch in der Phase der verdrängten Entfremdung, in der viele das vage Gefühl haben, in einer VR-Matrix, einer Show, einer Pantomime zu leben.

Was verdrängt wird, neigt dazu, in extremer und verzerrter Form zum Vorschein zu kommen; zum Beispiel Verschwörungstheorien, dass die Erde flach ist, dass die Erde hohl ist, dass sich chinesische Truppen an der US-Grenze sammeln, dass die Welt von babyfressenden Satanisten regiert wird und so weiter. Solche Überzeugungen sind Symptome dafür, dass man die Menschen in eine Matrix von Lügen einsperrt und ihnen vorgaukelt, sie sei real.

Umso strenger die Behörden Informationen kontrollieren, um die offizielle Realität zu bewahren, desto virulenter und verbreiteter werden die Verschwörungstheorien. Schon jetzt schrumpft der Kanon der „autoritären Quellen“ bis zu dem Punkt, an dem Kritiker der US-Außenpolitik, israelische/palästinensische Friedensaktivisten, Impfstoffskeptiker, ganzheitliche Gesundheitsforscher und gewöhnliche Dissidenten wie ich Gefahr laufen, in die gleichen Internet-Ghettos verbannt zu werden wie die Vollblut-Verschwörungstheoretiker. In der Tat tafeln wir zu einem großen Teil am selben Tisch. Welche andere Wahl gibt es, wenn der Mainstream-Journalismus seiner Pflicht, die Macht energisch herauszufordern, nicht nachkommt, als auf Bürgerjournalisten, unabhängige Forscher und anekdotische Quellen zurückzugreifen, um der Welt einen Sinn zu geben?

Suche nach einem kraftvolleren Weg

Ich merke, dass ich übertreibe, dass ich den Sachverhalt überzeichne, um den Grund für meine jüngsten Gefühle von Vergeblichkeit herauszukitzeln. Die uns zum Konsum angebotene Realität ist keineswegs in sich konsistent oder vollständig; ihre Lücken und Widersprüche können ausgenutzt werden, um Menschen dazu einzuladen, ihre Vernünftigkeit in Frage zu stellen. Es geht mir nicht darum, meine Hilflosigkeit zu beklagen, sondern zu erkunden, ob es für mich einen kraftvolleren Weg gibt, das öffentliche Gespräch angesichts der von mir beschriebenen Umnachtung zu führen.

Ich schreibe seit fast 20 Jahren über die bestimmende Mythologie der Zivilisation, die ich das Narrativ des Getrenntseins nenne, und ihre Folgen: das Programm der Kontrolle, die Denkweise des Reduktionismus, den Krieg gegen das Andere, die Polarisierung der Gesellschaft.

Offensichtlich haben meine Essays und Bücher den Anspruch meines naiven Ehrgeizes nicht eingelöst, genau die Umstände zu verhüten, denen wir heute gegenüberstehen. Ich muss gestehen, dass ich müde bin. Ich bin es leid, Phänomene wie den Brexit, die Trump-Wahl, QAnon und den Capitol-Aufstand als Symptome einer viel tieferen Krankheit zu erklären, als es bloßer Rassismus oder Kultismus oder Dummheit oder Wahnsinn ist.

LeserInnen können mit jüngsten Essays extrapolieren

Ich weiß, wie ich diesen Aufsatz schreiben würde: Ich würde die versteckten Annahmen, die verschiedene Seiten teilen, aufdecken und die Fragen, die nur wenige stellen. Ich würde darlegen, wie die Werkzeuge des Friedens und des Mitgefühls die zugrunde liegenden Ursachen der Affäre aufdecken könnten. Ich würde dem Vorwurf der falschen Gleichwertigkeit, des Both-Sideism und des Spirituellen Bypassings zuvorkommen, indem ich beschreibe, wie Mitgefühl uns befähigt, über den endlosen Krieg gegen das Symptom hinauszugehen und die Ursachen zu bekämpfen. Ich würde beschreiben, wie der Krieg gegen das Böse zu der gegenwärtigen Situation geführt hat, wie das Programm der Kontrolle immer virulentere Formen dessen erzeugt, was es auszurotten versucht, weil es nicht die ganze Reihe von Bedingungen sehen kann, die seine Feinde hervorbringen. Diese Bedingungen, so würde ich erklären, beinhalten in ihrem Kern eine tiefgreifende Enteignung, die aus dem Zusammenbruch von definierenden Mythen und Systemen herrührt. Schließlich würde ich beschreiben, wie eine andere Mythologie der Ganzheit, der Ökologie und des Zusammenseins eine neue Politik motivieren könnte.

Fünf Jahre lang habe ich für Frieden und Mitgefühl plädiert – nicht als moralische Gebote, sondern als praktische Notwendigkeiten. Ich habe wenig Neues über die gegenwärtigen internen Auseinandersetzungen in meinem Land [USA] zu sagen. Ich könnte die grundlegenden konzeptionellen Werkzeuge meiner früheren Arbeit nehmen und sie auf die gegenwärtige Situation anwenden, aber stattdessen mache ich eine Atempause, um zu hören, was unter der Erschöpfung und dem Gefühl der Vergeblichkeit liegen könnte. LeserInnen, die von mir einen detaillierteren Blick auf die aktuelle Politik wünschen, können aus den jüngsten Essays über Frieden, Kriegsmentalität, Polarisierung, Mitgefühl und Entmenschlichung extrapolieren. Es ist alles da in Building a Peace Narrative, The Election: Hate, Grief, and a New Story, QAnon: A Dark Mirror, Making the Universe Great Again, The Polarization Trap und anderem.

Wende zu einer tiefen Auseinandersetzung mit der Realität

Also, ich nehme eine Auszeit vom Schreiben erklärender Prosa oder zumindest eine Verlangsamung. Das heißt nicht, dass ich aufgebe und in den Ruhestand gehe. Ganz im Gegenteil. Indem ich auf meinen Körper und seine Gefühle höre, bereite ich mich nach tiefer Meditation, Beratung und medizinischer Arbeit darauf vor, etwas zu tun, was ich bisher noch nicht versucht habe.

In „Der Verschwörungsmythos“ habe ich die Idee erforscht, dass die Kontrolleure der „Neuen Weltordnung“ keine bewusste Gruppe von menschlichen Übeltätern sind, sondern Ideologien, Mythen und Systeme, die ein Eigenleben entwickelt haben. Es sind diese Wesen, die die Marionettenfäden derer ziehen, von denen wir normalerweise glauben, dass sie die Macht haben. Hinter dem Hass und der Spaltung, hinter dem unternehmerischen Totalitarismus und dem Informationskrieg, der Zensur und dem permanenten Biosicherheitsstaat sind mächtige mythische und archetypische Wesen im Spiel. Sie können nicht direkt wörtlich angegangen werden, sondern nur in ihrer eigenen Sphäre.

Ich beabsichtige, das durch eine Geschichte zu tun, wahrscheinlich in Form eines Drehbuchs, aber möglicherweise auch mit einem anderen Medium der Fiktion. Einige der Szenen, die mir eingefallen sind, sind atemberaubend. Mein Bestreben ist ein Werk, das so schön ist, dass die Leute weinen, wenn es vorbei ist, weil sie nicht wollen, dass es aufhört. Keine Flucht vor der Realität, sondern eine Wende hin zu einer tieferen Auseinandersetzung mit ihr. Denn das, was real und möglich ist, ist viel größer, als der Kult der Normalität uns glauben machen will.

Ein Ausweg aus der kulturellen Sackgasse

Ich gebe freimütig zu, dass ich wenig Grund habe zu glauben, dass ich in der Lage bin, so etwas zu schreiben. Ich hatte nie viel Talent für Fiktion. Ich werde mein Bestes tun und vertraue darauf, dass mir eine so durchdringend schöne Vision nicht gezeigt worden wäre, wenn es keinen Weg dorthin gäbe.

Seit Jahren schreibe ich über die Macht der Geschichte. Es ist an der Zeit für mich, diese Technik voll einzusetzen, im Dienst einer neuen Mythologie. Ausführliche Prosa erzeugt Widerstand, aber Geschichten berühren einen tieferen Ort in der Seele. Sie fließen wie Wasser um die intellektuellen Abwehrkräfte herum und weichen den Boden auf, so dass schlummernde Visionen und Ideale Wurzeln schlagen können. Ich wollte gerade sagen, dass es mein Ziel ist, die Ideen, mit denen ich gearbeitet habe, in fiktionale Form zu bringen, aber das ist es nicht ganz. Es geht darum, dass das, was ich ausdrücken möchte, größer ist, als es in erklärender Prosa untergebracht werden kann. Fiktion ist größer und wahrhaftiger als Sachtexte, und jede Erklärung einer Geschichte ist weniger als die Geschichte selbst.

Die Art der Geschichte, die mich aus meiner persönlichen Sackgasse befreien kann, könnte auch für die größere kulturelle Sackgasse von Bedeutung sein. Was kann die Kluft überbrücken in einer Zeit, in der die Uneinigkeit über eine gültige Quelle von Fakten eine Debatte unmöglich macht? Vielleicht sind es auch hier Geschichten: sowohl fiktionale Geschichten, die Wahrheiten transportieren, die sonst durch die Barrieren der Faktenkontrolle unzugänglich sind, als auch persönliche Geschichten, die uns gegenseitig wieder menschlich machen.

Die Wissensallmende des Internets ausschöpfen

Zu Ersterem gehört die Art von gegen-dystopischer Fiktion, die ich schaffen will (nicht unbedingt ein Bild von Utopia malen, aber einen Ton der Heilung anschlagen, den das Herz als authentisch erkennt). Wenn dystopische Fiktion als eine „prädiktive Programmierung“ dient, die das Publikum auf eine hässliche, brutale oder zerstörte Welt vorbereitet, können wir auch das Gegenteil erreichen, indem wir Heilung, Erlösung, Sinneswandel und Vergebung beschwören und normalisieren. Wir brauchen dringend Geschichten, in denen die Lösung nicht darin besteht, dass die Guten die Bösen in ihrem eigenen Spiel (Gewalt) schlagen. Die Geschichte lehrt uns, was unweigerlich darauf folgt: Die Guten werden zu den neuen Bösen, genau wie in der Informationsschlacht, die ich oben erörtert habe.

Mit der letzteren Art von Erzählung, der der persönlichen Erfahrung, können wir einander auf einer zentralen menschlichen Ebene begegnen, die sich nicht widerlegen oder leugnen lässt. Man kann über die Interpretation einer Geschichte streiten, aber nicht über die Geschichte selbst. Mit der Bereitschaft, die Geschichten derer zu suchen, die außerhalb der eigenen vertrauten Ecke der Realität stehen, können wir das Potenzial des Internets zur Wiederherstellung der Wissensallmende ausschöpfen. Dann werden wir die Zutaten für eine demokratische Renaissance haben. Demokratie hängt von einem gemeinsamen Gefühl von „Wir, das Volk“ ab. Es gibt kein „Wir“, wenn wir uns gegenseitig durch parteipolitische Karikaturen sehen und uns nicht direkt engagieren. Wenn wir die Geschichten der anderen hören, wissen wir, dass im wirklichen Leben Gut gegen Böse selten die Wahrheit ist, und dass Herrschaft selten die Antwort ist.

Wenden wir uns einem gewaltfreien Umgang mit der Welt zu

[…]

So begeistert habe ich mich noch nie bei einem kreativen Projekt gefühlt, seit ich 2003–2006 „The Ascent of Humanity“ geschrieben habe. Ich fühle, dass sich das Leben regt, Leben und Hoffnung. Ich glaube, dass in Amerika und wahrscheinlich auch an vielen anderen Orten dunkle Zeiten auf uns zukommen. Im vergangenen Jahr habe ich Phasen tiefer Verzweiflung durchlebt, als Dinge eintraten, die ich zwanzig Jahre lang zu verhindern versucht hatte. All meine Bemühungen schienen vergeblich. Doch jetzt, da ich eine neue Richtung einschlage, erblüht in mir die Hoffnung, dass andere das Gleiche tun werden, und das menschliche Kollektiv ebenso. Denn haben sich nicht auch unsere furiosen Bemühungen, eine bessere Welt zu schaffen, als vergeblich erwiesen, wenn man den aktuellen Zustand von Ökologie, Wirtschaft und Politik betrachtet? Sind wir als Kollektiv nicht alle erschöpft von dem Kampf?

Ein Schlüsselthema meiner Arbeit war die Berufung auf andere kausale Prinzipien als Gewalt: Morphogenese, Synchronizität, die Zeremonie, das Gebet, die Geschichte, der Samen. Ironischerweise sind viele meiner Essays selbst von einem gewaltsamen Typus: Sie tragen Beweise zusammen, setzen Logik ein und tragen einen Fall vor. Es ist nicht so, dass Technologien der Gewalt von Natur aus schlecht sind; sie sind nur begrenzt und unzureichend für die Herausforderungen, vor denen wir stehen. Beherrschung und Kontrolle haben die Zivilisation dorthin gebracht, wo sie heute ist, im Guten wie im Schlechten. Wie sehr wir uns auch an sie klammern mögen, sie werden Autoimmunkrankheiten, Armut, ökologischen Kollaps, Rassenhass oder den Trend zum Extremismus nicht lösen. Diese werden nicht ausgerottet werden. Genauso wird die Wiederherstellung der Demokratie nicht kommen, weil jemand einen Streit gewinnt. Und so erkläre ich gerne meine Bereitschaft, mich dem gewaltfreien Umgang mit der Welt zuzuwenden. Möge diese Entscheidung Teil eines morphischen Feldes sein, in dem die Menschheit kollektiv das Gleiche tut.

Übersetzung: Bobby Langer

Spenden ans gesamte Übersetzerteam werden gerne angenommen:

GLS Bank, DE48430609677918887700, Verwendungszweck: ELINORUZ95YG

 

(Originaltext: https://charleseisenstein.org/essays/to-reason-with-a-madman)

 

von Frank Braun

Über die Medienberichterstattung zur letzten Generation

Es macht mich unglaublich traurig, wie sie über die letzte Generation berichten. Das ist manipulierend und in der Sache nicht wirklich hilfreich. Da ist kein Versuch zu erkennen, die Frage zu klären, was denn junge Menschen dazu bringt, mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen (was übrigens noch nicht einmal eindeutig klar ist, siehe nächster Absatz). Glauben sie wirklich, dass diese Menschen nicht auch lieber glücklich das Leben genießen würden, ohne möglicherweise Gesetze zu brechen? Da ist keine Auseinandersetzung mit der Frage von Recht und Moral, zu der wir durchaus unterschiedliche Meinungen haben dürfen. – Gott sei Dank leben wir in einem Land, wo das möglich ist. –

Nein, all das spielt keine Rolle. Einzig der Fakt, dass hier Menschen Geld erhalten, um möglicherweise damit auch Widerstand zu leisten gegen einen Lebensstil, der Natur und Menschen rund um uns herum aufzehrt, um unsere Wachstumsmaschine zu ölen. Dafür ist jedes Mittel recht, auch der Rechtsbruch gegen Menschenrechte, die SDGs, etc. Ich bin selbst Betriebswirtschaftler. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir uns über gut bezahlte Manager aufregen, die für Nestle, Monsanto, Apple und Co. Unrecht einfach in unseren toten Winkel verlagern, in sogenannte Länder mit Entwicklungsbedarf, wo Umwelt und Menschenrechte der eigenen Not geopfert werden, da es zunächst einmal darum geht, den Tag zu überleben. Ich habe bis Februar 22 drei Jahre in Peru gelebt und dort gesehen, was unser Lebensstil anrichtet. Dafür ist es ok, Geld zu verdienen?

Und dann ist da die Frage von Recht, die ja hier immer wieder als Argument genommen wird. Niemand von ihnen erwähnt dabei Artikel 20 Absatz 4 unseres Grundgesetzes, der es in bestimmten Situationen erlaubt, sich über geltendes Recht hinwegzusetzen, um Rechtsbruch zu vermeiden. Ich sehe diesen Artikel selbst mit großem Respekt und bin mir bewusst, welche Sprengkraft darin liegt. Aber es gibt diesen Artikel seit den 1968-iger Jahren aus gutem Grund! Auch wird nicht erwähnt, dass sich Deutschland der Menschenrechtscharta, den Nachhaltigen Entwicklungszielen etc. verpflichtet hat und diese bis 2030 umsetzen will. Ziel 13 formuliert hier explizit den Klimaschutz. Es ist also nicht nur ein Recht, sondern sogar eine Pflicht unser aller, für den Klimaschutz, Umwelt- und Menschenrechte einzutreten!

Und nun also dieser Shitstorm, „Klimaaktivisti“ nähmen Geld für ihre Arbeit. Ja und? Das macht mich unglaublich wütend, das als Argument zu verwenden, als ob es für die aktuelle Debatte rund um die Aktionen der Letzten Generation eine Rolle spielen würde, ob die Leute das bezahlt oder unbezahlt täten? Tut es nicht! Also lasst uns bei den Fragen bleiben, die es zu klären gilt, anstatt Menschen zu diskreditieren, weil sie – wie wir alle – Geld zum Leben brauchen!

Die ganze Umwelt-, Klima- und Soziale-Gerechtigkeits-Bewegung, die seit Jahrzehnten unermüdlich daran arbeitet, dass sich daran etwas ändert, arbeitet, so sie es denn nicht ehrenamtlich tut, vorwiegend in befristeten Teilzeitarbeitsverträgen, zu Konditionen, die für die meisten ihrer Leser:innen lächerlich wären. Das gilt für traditionelle Organisationen wie den NABU genauso wie für neue Bewegungen wie die For Future-Bewegung.

Gleichzeitig ist der Wunsch nach Information und Weiterbildung riesig. Täglich bekommen wir Anfragen von Schulen, Konfirmandengruppen, Kirchengemeinden etc., die uns anfragen, ob wir denn mit ihnen Workshops, Seminare, Vorträge etc. zu Fragen wie Fairer Handel, Klima, Ökologie, den SDGs etc. machen könnten. Geld hätten sie aber keines. So machen das Zehntausende von Menschen meist ehrenamtlich oder eben in den wenigen bezahlten Stellen. Selbstausbeutung ist hier tägliche Realität, weil die meisten dieser Menschen im Herzen für ihre Arbeit brennen und sie nicht allein wegen des Geldes verrichten.

Auch die erst seit 2021 existierende Bewegung „Aufstand der Letzten Generation“ versucht, einen Beitrag zu sozialer und ökologischer Gerechtigkeit zu leisten. Deren Forderungen sind übrigens m.E. keineswegs radikal. Bei den Blockadeaktionen im Dezember standen zwei Kernforderungen im Fokus:

  • ein sofortiges Tempolimit von 100 km/h auf deutschen Autobahnen, um “jährlich bis zu 5,4 Millionen Tonnen CO2” einzusparen. “Es ist sofort umsetzbar und das nahezu kostenlos.“
  • ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket: “Bezahlbare Bahnen sind in Zeiten steigender Lebenshaltungskosten nur gerecht! Außerdem würde ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket sogar noch mehr CO2 einsparen als ein Tempolimit.“

Ist das wirklich so wirklichkeitsfern und radikal? Zudem ist das Festkleben auf Straßen oder das beschmieren von Kunst nur ein kleiner Teil der Arbeit, den diese Bewegung leistet.

Ich sehe durchaus auch manche der Aktionsformen der letzten Generation kritisch, aber wir sollten das Kind nicht mit dem Badewasser auskippen, denn eines kann ich gut verstehen: Es gibt eine wachsende Anzahl junger Menschen, die sich nicht erst genommen fühlen, die Angst um ihre Zukunft haben, die verzweifelt sind und nicht mehr weiterwissen. Nun fangen Medien an, diese Menschen lächerlich zu machen, sie an den  Rand zu drängen, anstatt sich mit der eigentlichen Kernfrage zu befassen:
Warum leben wir einfach so weiter, als wüssten wir nicht, dass unser Lebensstil Menschenleben kostet, das Klima verändert, die Biodiversität vernichtet?

Das wiederum liegt meines Erachtens daran, dass wir alle Komplizen dieses Lebensstils sind. Das wohl niemand unter uns Schreibenden von sich sagen könnte, er lebe kompromisslos einen sozial und ökologisch gerechten Lebensstil – auch ich nicht! Das wiederum macht uns Angst, denn eigentlich wissen wir alle, dass FAIRänderungen unabdingbar sind. Es fehlt uns gerade der Mut und die Fantasie zu sehen, wie das gehen könnte, also verharren wir lieber und machen erst einmal weiter so.

Können wir bitte mit dieser verlogenen Doppelmoral aufhören.
Können wir bitte aufhören, die Gesellschaft zu polarisieren. Am Ende wollen wir alle eine gutes Leben leben. Dieses Bedürfnis tragen wir alle in uns!
Können wir bitte endlich anfangen, gemeinsam und ernsthaft an Lösungen zu arbeiten, wie sich das ändern kann. Und ja, für Länder wie Deutschland wird das bedeuten, sich an einigen Stellen radikal zu ändern. Ich bin überzeugt, das ist nicht nur möglich, sondern wird am Ende Raum geben – auch bei uns -, dass die Utopie einer Welt ohne Ausbeutung Realität werden kann.

p.s. Ich bin selbst auch freier Redakteur und habe erst vor kurzem einen Artikel zur Frage von zivilen Widerstand und Recht verfasst.

Menschen, die es wagen, gegen den Widerstand des griechischen Staates die Insel Samos zu betreten, müssen mit mehrjährigen Gefängnisstrafen rechnen – sofern sie freundlicherweise nicht zuvor im Meer ertrunken sind. Was zunächst wie der legitim hoheitliche Akt eines europäischen Staates anmutet, erweist sich bei näherer Betrachtung als Veitstanz der Gerechtigkeit.

Kann die Überschreitung einer Grenze Unrecht sein? Wird mit solcherlei Gesetzen nicht die Willkür zum Maß der Justiz und die Dummheit ihr Lehrer? Macht die juristische Strafbewehrung im Fall der Übertretung einer abstrakten Linie namens Grenze nicht Justitia zur beliebigen Hure eines jeden Möchtegern-Potentaten, auch wenn er sich „demokratischer Politiker“ oder Nationalstaat nennt? Haben Nationalstaaten ein Anrecht auf Beliebigkeit und Willkür?

Warum die Empörung?

Nun, nehmen wir an, ich wohnte im unterfränkischen Waldbüttelbrunn und wollte die von Julius Echter von Mespelbrunn erbaute gotische Kirche von Gaubüttelbrunn besuchen, so könnte ich die rund 19 Kilometer in, sagen wir einmal, vier Stunden gut bewältigen. Ich durchquerte Eisingen und Kleinrinderfeld und wanderte schließlich, Kirchheim hinter mir lassend, fröhlich singend meinem Ziel entgegen. Doch kurz vor Gaubüttelbrunn versperrt mir ein Schlagbaum den Weg, und auf meine Frage, warum ich nicht weitergehen könne, bescheidet mich ein Uniformierter, hier beginne das Hoheitsgebiet des neuen Warlords von Lauda-Königshofen, das ich nur gegen Vorzeigen eines Visums betreten dürfe.

Mein kurz aufflammender Zorn sinkt angesichts einer drohend auf meine Brust gerichteten Maschinenpistolenmündung in sich zusammen. Ich entschuldige mich untertänigst, freue mich, überlebt zu haben, und mache mich auf den Rückweg, um am Folgetag meinen Visumsantrag im Rathaus von Waldbüttelbrunn zu stellen. Dort erfahre ich, dass ich gegen vorherige Bereitstellung von 10.000 Euro innerhalb von zwei Monaten ein solches Dokument mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg erwerben könne. Ich entschließe mich, dem Warlord von Lauda-Königshofen meine Reverenz nicht zu erweisen und eine weniger bewehrte Kirche zu besichtigen.

Oh Gesetz, du schlotterichte Königin! Verstehen Sie mich? Wären Sie nicht empört an meiner Stelle? Oder sollten es wenigstens sein!

Wurden solche Grenzlinien nicht allesamt (oder doch beinahe alle) in Gewaltprozessen ausgehandelt? Sind sie nicht letzten Endes allesamt (oder doch beinahe alle) die Ergebnisse von Willkür in juristischem Gewand, also letztlich von einer einstigen Rechtsbeugung, die durch Gewaltprozesse Legitimität erhielt? Ja, sind Grenzen wie die erdachte zwischen Kirchheim und Gaubüttelbrunn oder die ebenfalls nur erdachte, aber existierende zwischen der offenen See der Ägäis und der Insel Samos nicht allesamt Beweisstücke real existierenden Unrechts?

Und richtig gefolgert: Gilt dies nicht letztlich für alle nationalstaatlichen Grenzen Europas und der Welt? Sie unterscheiden sich durch nichts von den Grenzen eines von einem Vierjährigen eifersüchtig bewachten Sandkastens im Garten seiner Eltern – außer durch die Machtmöglichkeiten ihrer Verteidigung. Aber schafft meine Möglichkeit, Sie zu erschießen, weil Sie in meinem Sandkasten spielen möchten, bereits Unrecht auf Ihrer Seite und auf der meinen Recht? Legitimität gar? Von Seriosität einmal ganz zu schweigen?

Verschärft muss meine Frage also lauten: Nicht kann, sondern darf die Überschreitung einer Grenze in einem Rechtsstaat, der dieses Namens würdig ist, jemals Unrecht sein? Oder anders herum: Ist die Würde des Menschen durch nationalstaatliche Grenzen eben doch antastbar?

Siehe dazu: The real crime is the border regime sowie https://freethesamostwo.com.

oder Soziale Medien sind … was für mich!

ein Beitrag von Jele Oppermann

Prof. Ulrich Kelber, der „Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit“ (1), hat im Juni 2021 einen Brief an alle Bundesministerien und obersten Bundesbehörden (2) geschickt. Darin weist er darauf hin, dass er von Abhilfemaßnahmen Gebrauch machen wird – ja, das ist eine Drohung –, wenn die besagten Stellen ihre Seiten auf Facebook nicht löschen; er meint, ein datenschutzkonformer Betrieb einer Facebook-Fanpage sei gegenwärtig nicht möglich. Schon im April letztes Jahr hatte er Bundesbehörden quasi verboten, WhatsApp zu nutzen (3). Und das mitten in der Pandemie, als wir wirklich andere Sorgen hatten als ein bisschen pille-palle Datenschutz! Ja, ist der Mann denn irre?!

Nein, das ist er natürlich nicht.
Er weiß einfach nur, dass Daten in jeder Hinsicht das neue Öl sind. Weiterlesen

Diesmal erteile ich Konstantin Wecker das Wort zu diesen Zeiten.
“Dennoch nicht verzagen.
Widersteh’n.
Leben ist Brücken schlagen,
über Ströme, die vergehn …

Stürmische Zeiten, mein Schatz,
doch oft tragen die Stürme
Botschaften ferner Himmel in unsere Welt,
und es ist immer der Hochmut der prächtigsten Türme,
der allem voran zu Staub und Asche zerfällt.”

Seit ich weiß, dass es Prostitution gibt, frage ich mich, weshalb es so anrüchtig ist, einen winzigen Teil seines Körpers zu verkaufen, aber völlig akzeptabel, dass man seinen Körper oder Geist vollständig verkauft. Wir alle, die wir als Arbeiter, Angestellte, Beamte oder Selbständige arbeiten, verkaufen uns, und meistens sogar unter Wert.

Wir prostituieren uns

Letzteres ist ein eigenes Thema, das im linken Spektrum rauf und runter diskutiert wurde und wird. Worum es mir hier geht, ist die Tatsache, dass wir uns ganz unhinterfragt, ganz selbstverständlich verkaufen; so dass uns die eigene Verkäuflichkeit so normal vorkommt wie die Jahreszeiten. Doch indem wir uns verkaufen, verbrüdern uns mit den Käufern, begeben uns auf die gleiche Ebene mit ihnen und streiten nur darum, ob wir mehr oder weniger wert sind. Mit anderen Worten: Wir prostituieren uns in einer Tour. Und wir bringen unseren Söhnen und Töchtern von klein auf bei, Weiterlesen

Dieses 12-Minuten-Video erklärt knapp und klar, warum so viele Prozesse in der westlichen Welt so laufen, wie sie eben laufen.
Und dass der Planet in diesen Prozessen gar nicht vorkommt.