Fridays for Future haben die Forderung nach einem Sondervermögen Klimaschutz in Höhe von 100 Mrd. Euro. Warum? Wozu?

„Die Klimakrise ist kein Wohlfühlproblem“, sagt Luisa Neubauer, „sondern eine Katastrophe.“ Das pfeifen inzwischen die Spatzen von den Dächern, etwa des Ahrtals, nicht jedoch im Regierungsviertel.

„Wir riskieren, dass unser Wirtschaftsmodell wegbricht.“

Inzwischen hat sich sogar Marcel Fratzscher in die Diskussion eingeschaltet. Der Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und Professor für Makroökonomie an der Berliner Humboldt-Universität formuliert ähnlich dringlich wie Luisa Neubauer: „Wir haben eine dramatische Situation für die Wirtschaft. Viele Unternehmen können mit den hohen Energiepreisen über fossile Energieträger nicht umgehen, sind von Insolvenz und Überschuldung bedroht. Wir riskieren, dass unser Wirtschaftsmodell wegbricht.“ Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten, so der Professor, würden in Zukunft deutlich weiter zunehmen, „wenn es uns jetzt nicht gelingt, die notwendige Transformation voranzubringen“. Der Einwand, 100 Milliarden Euro seien zu viel Geld für Klimaschutzmaßnahmen, sei falsch, genau das Gegenteil treffe zu. „Je länger wir warten, desto höher sind nicht nur die Kosten für die Menschen, sondern eben auch die wirtschaftlichen Kosten für Unternehmen.“ Fratzscher will deshalb die Initiative von Fridays for Future „ganz nachdrücklich unterstützen“.

Auch das „Haus Wirtschaft“ braucht ein solides Fundament

Wer ein Haus plant, benötigt ein geologisches Gutachten. Warum? Die Antwort ist jedermann einsichtig. Wer will schon, dass sein Haus wegrutscht, einsinkt oder auf einer alten Giftmülldeponie errichtet wird?

Wer ein Haus baut, braucht also ein solides Fundament, auch unterhalb der Bodenplatte. Das gilt nicht nur für relativ kleine wirtschaftliche Vorhaben, sondern auch für große. Die Bodenplatte, wenn man so will, auf der die deutsche Wirtschaft ruht, ist ihre zuverlässige Energieversorgung. Aber unter der Bodenplatte bröckelt es nicht nur, sondern es verschieben sich ganze Gesteinsschichten – nicht erst, seit uns die Gasversorgung knapp wird, sondern seitdem man zuverlässig weiß, dass die fossilen Ressourcen garantiert wegbrechen werden, also seit Jahrzehnten.

Zukunftsvergessen und ruchlos

Der gesunde Menschenverstand legt folglich seit Jahrzehnten nahe, sich verantwortungsvoll um eine weniger riskante Energieversorgung zu kümmern. Aber seit Jahrzehnten funktioniert der gesunde Menschenverstand nicht. Im Gegenteil: Die Bundesregierung pumpt nach wie vor 65 Milliarden Euro im Jahr in Erdöl und Erdgas, statt diese widersinnigen Investitionen in zukunftsfähige Quellen umzulenken. Da setzt das Aushängeschild der deutschen Finanzwirtschaft, die Deutsche Bank, noch den i-Punkt an Zukunftsvergessenheit und Ruchlosigkeit obendrauf: mit ihrer geplanten Finanzierung der EACOP-Pipeline, mit der 1445 Kilometer geheiztes Erdöl vom Westen Ugandas durch Tansania zum Indischen Ozean gebracht werden soll. Rund 7000 Menschen wurden dafür bereits zwangsumgesiedelt, weitere ca. 90.000 Menschen sollen noch ihre Heimat verlieren – ganz abgesehen davon, dass das Tilenga-Ölfeld zum Teil im Murchison-Falls-Nationalpark liegt, dem größten und ältesten ugandischen Nationalpark. Aber wen kümmert das schon, außer Luisa Neubauer? Bei einem 3,5-Milliarden-Dollar-Projekt lässt sich schließlich gut verdienen. Und was tut die Bundesregierung? Es geht sie nicht wirklich etwas an, auch nicht die Bundesumweltministerin.

Das Geld im Land lassen

Gewichtige Argumente pro 100 Mrd. Euro liefert auch Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin. 100 Mrd. Euro in Klimaschutzmaßnahmen in Deutschland würden das Geld im Land lassen und den Menschen zugute kommen, statt „weiter auf den Import von Öl, Kohle und Gas zu setzen“. Allein in diesem Jahr würde Deutschland voraussichtlich weit über 100 Milliarden Euro für den Import dieser fossilen Energieträger ausgeben. Quaschning: „Zwischen 1990 und heute hat Deutschland mehr als 1500 Milliarden Euro nur für den Import von Öl, Kohle und Gas ausgegeben, das heißt also Geld, was aus Deutschland weg ist und was wir nicht investieren können.“

Die Transformation nicht verschlafen

Mit Bezug auf die Green-New-Deal-Überlegungen der Europäischen Union findet Fratzscher die Fridays-Forderung eher moderat. In Brüssel gehe man von einem zusätzlichen Investitionsbedarf von 10.000 Milliarden bis 2050 aus. Für Deutschland seien das hochgerechnet 120 Mrd. pro Jahr bzw. drei Prozent des BIP. Hoffnungen weckt in Fratzscher „die tolle Forschungslandschaft. Wir waren weltweit die ersten, die in die Energiewende eingestiegen sind, aber wir haben irgendwann immer die Puste verloren“. Es ist also neues Luftholen angesagt. Um die Energiewende voranzubringen, braucht Deutschland aus Quaschnings Sicht „das größte Fort- und Weiterbildungsprogramm, das die Bundesrepublik Deutschland jemals gesehen hat. Und Sie können natürlich ohne Geld keine Weiterbildung machen, also auch hier brauchen wir natürlich massive Investitionen.“ Und Fratzscher warnt: „Wir können es uns in Deutschland nicht leisten, diese Transformation zu verschlafen, weil sonst andere Länder und andere Unternehmen – Wettbewerber von deutschen Unternehmen – da schneller sind.“

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