Fasten kann man nur ausprobieren
Die einen malen den Teufel an die Wand, die anderen fühlen sich happy und high
Von Bobby Langer
Buchinger war der Durchbruch. Mit der Selbstheilung des Doktors hat regelmäßiges Fasten auch in Deutschland immer mehr Freunde gefunden: für die einen eine willkommene Herausforderung, für anderen der Gewinn eines neuen Lebensgefühls, für viele spirituelle Praxis.
Einst raunte der Lübecker Privatdozent Dr. med. Ulrich Schweiger: „Bereits kurzes Fasten ist riskant, sowohl körperlich als auch seelisch.“ Diese negative Haltung der Schulmedizin hat sich in den letzten Jahren gürndlich geändert hin zum Positiven. Die WDR-Sendung Quarks fasst kompakt zusammen: „Risikolos trotz möglicher Nebenwirkungen.“
Bei der Ärzte-Gesellschaft Heilfasten und Ernährung e.V. (ÄGHE), die im Wesentlichen das Buchingerfasten unterstützt, war man schon lange vom Nutzen des Heilfastens überzeugt. Die Geschichte des Arztes Dr. Buchinger spricht für sich. Auf dem Panzerkreuzer „SMS Hertha” war Buchinger im besten Mannesalter 1918 an einer Mandelentzündung erkrankt, die zu einer schweren Gelenkentzündung führte. Als „unheilbar“ wurde er mit 39 Jahren aus dem Dienst entlassen. Doch statt sich seinem Schicksal zu fügen, versuchte der Mediziner ein uraltes Gegenmittel: Er fastete. Nach 19 Tagen mit Tee, Wasser und Säften war er schmerzfrei. Nur zwei Jahre später – 1920 – hatte Dr. Otto Buchinger die ersten Fastenpatienten bei sich in Witzenhausen. Seine Nachkommen führen heute nach seiner Methode zwei Kliniken in Bad Pyrmont im Weserbergland und in Überlingen am Bodensee.
Buchingers Heilung, von ihm stammt übrigens der Begriff „Heilfasten”, war der Beginn einer regelrechten Fastenwelle, die unvermindert bis heute anhält und unter Medizinern regelmäßig zu erbitterten Auseinandersetzungen führt. Die Mehrheit betont die gedeihlichen Wirkungen des Fastens; so berichteten Forscher des Intermountain Medical Center, in dem Experten aus 75 amerikanischen Institutionen zusammenarbeiten, Fasten verbessere mehrere Risikofaktoren für das Herz wie etwa Triglyceride, Gewicht oder Blutzucker. Andere Mediziner sehen im Fasten allerdings eine gesundheitsbedrohende Selbstkasteiung, vor allem wegen des mit dem Fasten einhergehenden Eiweißverlusts (der nur kurzzeitig stattfindet, wie man heute weiß).
Die jährlich wachsende Fastengemeinde kümmert der wissenschaftliche Zwist wenig, und sie genießt immer neue Varianten des Verzichts: Suppenfasten, Saftfasten, Früchtefasten, Basenfasten. Der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt. Sabrina fastet nach der Jesus-Methode: 40 Tage mit Wasser, Tee und verdünnten Säften. Das ist sicher extrem. Doch für viele Freunde des Fastens gehören Fasten und Spiritualität zusammen. Umso besser, wenn’s auch noch der Figur zugute kommt. Dann ist auch das Fastenjogurt mit 0,1 Prozent Fettanteil willkommen.
Das durch richtiges Fasten ausgelöste Hochgefühl – das allerdings vielen verwehrt bleibt – ist eine seit Jahrtausenden bekannte Erfahrung, die nicht zum gelegentlichen Horrorszenario der Fastengegner passt. Der Göttinger Neurobiologe und Stressforscher Professor Gerald Hüther führt den „Gute-Laune-Effekt” durch Fasten auf die vermehrte Ausschüttung des körpereigenen Glückshormons Serotonin zurück. Hüther: „Zum einen fallen beim Fasten die Blutwerte des Stresshormons Kortisol bis zur Hälfte ab, man wird also ruhiger. Zum anderen greift Fasten in Prozesse des sogenannten serotogenen Systems ein.” Dieser Gehirnbereichs schüttetet vermehrt das Serotonin aus, das sich harmonisierend auf das zentrale Nervensystem auswirkt und ca. ab dem dritten Fastentag die Laune hebt. Wer fastet, dies ist alt bekannt, „hebt leicht ab”. „Fasten your seatbelts” ist deshalb nicht nur ein Wortspiel, sondern auch eine Warnung: Fasten kann süchtig machen und im schlimmsten Fall zur Magersucht führen. So absurd es zunächst klingt: Fasten sollten nicht nur Gesunde, sondern auch nur Menschen, die gerne essen.
Um die wohltuende Wirkung des Fastens zu erzeugen, ist allerdings auch die positive Stimmung bedeutsam, mit der sich jemand auf das bevorstehende Fasten einstellt. Vor starken und vor allem unangenehmen beruflichen und privaten Verpflichtungen sollte man sich während des Fastens hüten.
Und wer auf Nummer Sicher gehen will, sollte ärztliche Begleitung in Anspruch nehmen, um Herz-Kreislauf-Probleme und Mangelerscheinungen zu verhindern. Und: in einer Fastenklinik ist man vor dem eigenen Alltag sicher und in guten Händen.
Körperliche Auswirkungen des Fastens
In der Entwicklungsgeschichte des Menschen waren oft unfreiwillige Nahrungspausen zu überstehen. Der Organismus hat daher Strategien entwickelt, Reserven anzulegen und sie in Mangelzeiten zu nutzen.
Im Normalfall speichert der Organismus Energie überwiegend in Form von Körperfett. Darüber hinaus verfügt er über wenig freie Kohlehydrate und Eiweiß.
Zu Beginn des Fastens deckt er seinen Energiebedarf aus den Glycogenreserven, in den folgenden Tagen findet vermehrt eine Glucoseneubildung aus Eiweißbestandteilen statt. Um einen gefährlichen Eiweißverlust zu verhindern, schaltet der Körper allmählich auf einen Eiweißsparmechanismus und eine “innere Ernährung” um: den Fastenstoffwechsel. Mit Hilfe der sogenannten Ketogenese stehen zunehmend die Fettreserven zur Energiegewinnung zur Verfügung. Dabei wendet der Organismus einen Trick an, um Fettsäuren (über 90 Prozent der abgebauten Fettmenge), die normalerweise von den Muskelzellen nicht verstoffwechselt werden können, dennoch nutzbar zu machen. Dies geschieht durch die Umwandlung von Fettsäuren in Ketonkörper (das sind ß-Hydroxybutyrat, Acetoacetat und Aceton), die nun zur allgemeinen Energiegewinnung auch den Muskel- und Nervenzellen zur Verfügung stehen und Hungergefühle vermindern. Leider ist das Aceton aber auch für den sehr unerotischen “Fastenatem” verantwortlich.
Von nicht fastenärztlicher Seite wird immer wieder auf die Gefahr des Eiweißabbaus beim Fasten hingewiesen. Tatsächlich werden in den ersten zwei, drei Fastentagen täglich ca. 75-100 g körpereigenes Protein (ca. 400 kcal) zur Bereitstellung von Glucose abgebaut, auf die das Gehirn angewiesen ist. Der übrige Energiebedarf wird durch Mobilisation von ca. 160 g Fett gedeckt. Nach einigen Tagen kann das Gehirn die aus der Fettverbrennung entstehenden Ketonkörper verwerten. Damit wird der tägliche Glucosebedarf stark reduziert. Die für die Gluconeogenese benötigte Proteinmenge beträgt dann nur noch rund 20 g täglich, also 3-5 Prozent des täglichen Energiebedarfs. Dr. Hilmar Burggrabe, erster Vorsitzender der 1986 gegründeten Deutschen Fastenakademie, zu diesem Thema: „Schon nach etwa zwei Tagen gewinnt der Körper 80 Prozent der Energie, die er braucht, aus dem Fettgewebe. Der Eiweißabbau ist daher auf Dauer ziemlich gering und es wird auch nur das verwertet, was der Körper nicht benötigt. Lebenswichtige Proteine aus Nerven, Gehirn oder Herzmuskel werden während einer normalen Fastenperiode also nicht angegriffen. Und auch die Skelettmuskeln bauen sich nur ab, wenn der Mensch sich nicht genügend bewegt.“
Darm: Nach wie vor sind Darmbewegungen vorhanden, doch werden weniger Verdauungssäfte ausgeschieden.
Gallenblase: Zunächst wird mehr Galle abgesondert, später weniger. Die Gallenblase entleert sich.
Haut/Atem: Bei der Fettverbrennung entsteht die unangenehm riechende Acetessigsäure (Ketonkörper), die der Körper über den Schweiß und die Atemluft entsorgt.
Immunsystem: Im Verdauungstrakt befinden sich über 80 Prozent unseres Immunsystems. Während des Fastens wird dieser Teil der Abwehrkräfte von seiner Aufgabe entlastet. Das Immunsystem beruhigt sich durch die verminderte Zufuhr von Allergenen und Nährstoffen, die an Entzündungsreaktionen beteiligt sind. Zudem bilden sich im Verdauungstrakt kaum noch Gärungsprodukte und bakterielle Gifte.
Auch das generelle Wohlbefinden (bei den weitaus meisten Fastenden) unterstützt das Immunsystem. Welche Zusammenhänge zwischen Immun- und Hormonsystem bestehen, erforschen Wissenschaftler allerdings erst seit kurzem.
Kreislauf: Die Pulszahl nimmt ab. Niedriger Blutdruck steigt, hoher Blutdruck sinkt. Burggrabe: „Kreislaufschwächen entstehen, wenn zu wenig getrunken wird oder der Körper unterzuckert ist. Eine Unterzuckerung kann in den ersten zwei Tagen schon einmal auftreten, wenn der Organismus noch nicht richtig umgestellt hat. Etwas Honig oder Traubenzucker hilft.“
Magen: Der Säuregehalt im weiter gebildeten Magensaft nimmt ab.
Nervensystem: Das Fasten wirkt beruhigend und entkrampfend, steigert die Leistungsfähigkeit und verändert die Stimmungslage.
Nieren: Weniger, stark saurer Harn mit weniger Stickstoff.
WEBLINKS
Zentrum für Ernährungskommunikation und Gesundheitspublizistik (ZEK): www.svendavidmueller.de
– Ärzte-Gesellschaft Heilfasten und Ernährung e.V. (ÄGHE): https://aerztegesellschaft-heilfasten.de/(dort auch eine aktuelle Liste von Fastenkliniken)
– Deutsche Fastenakademie: https://fastenakademie.de/
– Klinik Dr. Otto Buchinger, Heilfasten und Komplementärmedizin: www.buchinger.de und www.buchinger.com
– Webforen: www.fastenfueralle.com, www.heilfastenkur.de, www.gesund-heilfasten.de
– ZDF-Animationsfilm zu den körperlichen Auswirkungen des Fastens auf den Stoffwechsel: https://de.wikipedia.org/wiki/Fasten#Auswirkungen_des_Fastens_auf_den_Stoffwechsel_(Animation)
Quellen: Humboldtuniversität Berlin; Ärztegesellschaft Heilfasten & Ernährung; 4well.de; American College of Cardiology; datadiwan.de; Deutsches Institut für Ernährungsmedizin und Diätetik; dgk.de; ead.de; fasten-kolleg.de; fastenfreude.de; fastenfueralle.com; Fokus; Freie Heilpraktiker e. V.; Freundin; naturheilkunde-aktuell.de; UGB; WAZ; WDR; wikipedia; ZDF
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