Kopflastig: Sauerkraut

Bakterien finden „sauer“ gar nicht lustig

Sauerkraut ist aus angelsächsischer Sicht deutsches Kulturgut und heißt deshalb auf Englisch „the sauerkraut“. Im Lande der „Krauts“ bringt man Sauerkraut meist mit viel Fett und Würsten in Verbindung, der französische Elsässer denkt bei Choucroute auch an eine weit elegantere und feinere Variante: Sauerkraut mit Fisch und Buttersauce.

Tatsächlich ist Sauerkraut ursprünglich auch eher etwas Romanisches als Germanisches. Jedenfalls konservierten die Römer schon vor 2.000 Jahren ihren Kohl in Salzlake, von den Slawen und Orientalen wird solches ebenfalls berichtet, von den alten Germanen nicht.

Bluff statt Sauerkraut

Uns Heutigen kann das letztlich egal sein. Noch immer machen wir unserem britischen Spitznamen als „Krauts“ alle Ehre und verschlingen pro Kopf durchschnittlich zwei Kilo Sauerkraut, also jedes Jahr ungefähr 160 Millionen Dosen. Sauerkraut entsteht, indem man zunächst die harten Hüllblätter des Kohls entfernt, die Strünke herausschneidet, den Kohl gleichmäßig fein schneidet und dann mit Salz versetzt in Bottiche packt, wo er gleichmäßig verteilt und gepresst wird, bis der Saft austritt. Luftdicht abgedeckt können die Milchsäurebakterien ihre Arbeit beginnen und die Kohlenhydrate im Kohl zu Milch-, Essigsäure und Kohlendioxid vergären.

Dabei entstehen auch die Geschmacksstoffe, an denen sich die Geister scheiden. Was den einen mundet, löst bei Kostverächtern eine Gänsehaut aus. Bei Industriesauerkraut wird der bis zu drei Monate dauernde, natürliche Gärungsprozess nach spätestens zehn Tagen abgebrochen. Damit ist es im Grunde genommen gar kein Sauerkraut, sondern tut nur so. Es schmeckt nur leicht sauer, außerdem braucht man für die Herstellung weniger Salz. Zur weiteren „Reifung“ wird das Kraut blanchiert, abgefüllt und mit Zucker oder Zuckeraustauschstoffen „verbessert“. Während natürlich durchgegorenes Sauerkraut sich selbst konserviert, wird hier zur Haltbarmachung noch Ascorbinsäure und Ameisen-, Benzoe- oder Sorbinsäure beigegeben, bevor das Sauerkraut pasteurisiert, d.h. kurzfristig auf 60 bis 90 Grad erhitzt wird. Durch diesen Erhitzungsprozess geht ein Teil der Vitalstoffe des Sauerkrauts verloren. Frisches Sauerkraut hat im Vergleich dazu um bis zu 60 Prozent mehr Vitamine. Besonders schade ist es um das Vitamin B12, das bei der Gärung entsteht und zusammen mit einem weiteren Kohlvitamin, der Folsäure, an der Bildung roter Blutkörperchen beteiligt ist. Vitamin B12 kommt ansonsten nur in tierischen Produkten vor.

Natürliche Nahrungsergänzung

Mit – natürlichem – Sauerkraut bewahrte bereits der englische Weltumsegler James Cook seine Schiffsmannschaft vor Skorbut und anderen Mangelkrankheiten. Sebastian Kneipp nahm in seinem Kommentar zum Sauerkraut moderne Forschungsergebnisse vorweg: „Viele sind der Ansicht, Sauerkraut erzeuge falsche Magensäure, doch ganz mit Unrecht; man genieße es mäßig, ohne viel dabei zu trinken, und die Erfahrung wird bald das Gegenteil beweisen.“ Inzwischen weiß man, dass Kohl sogar bei Magengeschwüren nützt. Der berühmte Chirurg Ferdinand Sauerbruch empfahl den Genuss von Sauerkraut, um die Wundheilung zu fördern.

Abgesehen von den im Kohl reichlich enthaltenen Vital- und Heilstoffen – den Vitaminen B, C und K sowie den Mineralstoffen Kalium, Kalzium, Eisen sowie vielen Ballaststoffen – macht die rechtsdrehende Milchsäure Sauerkraut so wertvoll. Potenzielle Krankheitserreger und Fäulnisbakterien haben in Gegenwart der Milchsäurebakterien einen schweren Stand. Sie wirken probiotisch, indem sie die Darmflora stabilisieren, die nützlichen Darmbakterien schützen und die schädlichen bekämpfen. Bei der Gärung im Krautfass entsteht außerdem Acetylcholin, ein wichtiger Neurotransmitter, also ein Stoff, der für die Erregungsübertragung zwischen Nerv und Muskel zuständig ist und die Darmbewegung in Schwung bringt. Wer viel Sauerkraut isst, ist gegen Verstopfungen gefeit. Da die Milchsäure bereits die Kohlenhydrate des Kohls „vorverdaut“ hat, werden die Verdauungsorgane entlastet – gut für Diabetiker. In Gegenwart der Milchsäure wird das ansonsten schlecht verfügbare pflanzliche Eisen gut vom Darm aufgenommen. Damit entspricht die Eisenaufnahme aus Sauerkraut in etwa der von Fleisch. Schädigend wirkt die Säuerung allerdings auf die antikrebswirksamen Glucosinolate im Kohl. Das fällt aber wenig ins Gewicht, wenn man bedenkt, dass die Milchsäure Krebs aktivierende Enzyme und die Bildung von Krebs auslösenden Nitrosaminen im Darm blockiert, Erbgut schädigende Substanzen „schluckt“ und dafür sorgt, dass weniger sekundäre Gallensäuren (ein Abbauprodukt tierischer Fette) entstehen, die ebenfalls als Krebsauslöser unter Verdacht stehen.

Küchentipp

Sauerkraut ist bekömmlicher als frischer Kohl, da schon ein Teil der blähenden Kohlsubstanzen entfernt ist. Zum Würzen eignen sich besonders Kümmel, Wacholderbeeren, Lorbeerblätter und Estragon. Unpasteurisiertes Sauerkraut ist eine lebendige Speise. Es gärt also im Kühlschrank nach und sollte rasch verzehrt werden. Probieren Sie doch mal eine selbst gemachte Sauerkrautpizza mit Räucherspeck und einem deftigen Käse.

100 Gramm Sauerkraut haben 17 kcal.

Sauerkraut selbst machen

Sauerkraut selbst machen ist gar nicht so schwer, wohl aber mühsam. Zunächst wird der Kohlkopf fein geschnitten, am einfachsten und schnellsten funktioniert das mit einem doppelschneidigen Krauthobel. Für einen 10l-Krauttopf benötigt man fünf bis sechs Köpfe. Dann kommt die erste Portion Kraut (von einem Kopf, gemischt mit ein paar Wacholderbeeren, zwei Lorbeerblättern, einer Prise Kümmel und ein paar Pfeffer-, Senf- und Pimentkörnern und 1,5 Prozent des Gesamtgewichts Salz) in einen Steintopf, idealerweise ist das ein Gärtopf mit Wasserrinne. Dort wird das Kraut so kräftig gestampft, dass die Pflanzenzellen aufplatzen und der Zellsaft austreten kann. Das Kraut ist dann genug gestampft, wenn der Saft den Kohl (weitgehend) bedeckt. Das Salz konserviert einerseits, entzieht dem Kraut aber auch weiteres Wasser.

Diese Prozedur wiederholt man pro Krautskopf. Falls am Schluss die oberste Schicht nicht vollständig von Saft bedeckt ist, füllt man mit (möglichst wenig) Wasser auf. Obenauf legt man einen Teller und einen schweren, mit kochendem Wasser desinfizierten Stein, um das Kraut zuverlässig unter Wasser zu halten. Den sorgfältig und möglichst luftdicht verschlossenen Topf lagert man bei Zimmertemperatur, so dass nach zwei bis drei Tagen die Gärung einsetzt. Diese ist in der Regel nach drei bis sechs Wochen abgeschlossen. Spätestens dann sollte das Kraut in den Keller, wo es kühler steht und ein paar Monate hält. Entnimmt man dem Topf (mit einer gründlich gereinigten Gabel) Kraut, müssen Teller und Beschwerungsstein immer wieder gesäubert werden.

Bobby Langer

Quellen: Brockhaus Ernährung; br-online.de; dge.de; eDiets; edeka.de; elbenau.de; enzazaden.de; farbenundleben.de; foodwatch.de; Gesellschaft für Ernährungsmedizin und Diätetik; hr-online.de; lebensmittellexikon.de; MDR; mediatime.ch; meduniqa.at; museumsmagazin.com; natur-forum.com; naturkost.de; novamex.de; onmeda.de; topnews.at; WDR; wikipedia

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