Demonstrieren war gestern. Wirklich?

Ich kann nicht sagen, dass ich ein großer Freund von Demos bin. Mir fehlt der Glaube, dass sie etwas bewirken. Und doch: Aus dem „fehlt“ wird gerade ein „fehlte“. Denn Demo ist nun mal nicht Demo. Ab einer gewissen Menge von Menschen heben selbst die müdesten Politiker ihre schweren Köpfe vom Lobbytisch und beginnen auf den Wähler zu lauschen: „Hä??? Ob ich nicht vielleicht doch mal …?“

Von der Kraft der Ameisen

Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Mein Glaube an die Handlungsfähigkeit von Berufspolitikern ist noch geringer als mein Glaube an Sinn und Zweck von Demonstrationen. Letztlich hängen beide Unglauben aber zusammen. Ein Bild mag das verdeutlichen. Mein Glaube an die Chance von Ameisen, einen liegenden Elefanten auf die Beine zu stellen, geht gegen Null. Das liegt nicht am mangelnden Engagement der Ameisen, sondern an der Schwerkraft und dem Gewicht des großen Tiers. Wenn aber nun 100.000 Ameisen auf den Elefanten krabbelten und ihm Ameisensäure in die Ohren spritzten? Hm …

Von der Schwerfälligkeit der großen Tiere

Schauen wir uns also mal den Elefanten an. Die für revolutionäre Umtriebe eher wenig bekannte Wochenzeitung ZEIT schrieb am 29. April 2019:

„Wie die Auswertung des Registers von LobbyControl ergibt, sind zwei Drittel der 25.000 Lobbyisten in Brüssel Vertreterinnen und Vertreter von Unternehmen.
Das Jahresbudget der Konzernvertreter beträgt rund 1,5 Milliarden Euro … Die Unternehmen mit den höchsten Ausgaben für Lobbying sind unter anderem der Verband der Europäischen Chemischen Industrie mit 12 Millionen Euro, auf Platz zwei folgt die Unternehmensberatung FTI Consulting. Auf der Liste der zehn Lobbyakteure, die am meisten Geld für die Einflussnahme ausgeben, finden sich auch Google auf Platz sieben und Microsoft, Platz zehn.“

Die Trägheit des Elefanten ist also eine gewollte, induzierte Trägheit. Und was haben wir schon dem Jahresbudget der Konzernvertreter entgegenzusetzen? Allenfalls – und alles zusammengenommen – vielleicht ein paar wenige Milliönchen. Da gähnt der Elefant, dreht sich auf die andere Seite und wir müssen aufpassen, dass er uns dabei nicht erdrückt.

Von der Solidarität für zivilen Ungehorsam

Aber da gibt es ja nicht nur die Demos, sondern auch den Zivilen Ungehorsam; den kleinen von Fridays for Future und den größeren von Extinction Rebellion (die Aktionen von greenpeace nicht zu vergessen). Der kommt nur dann so richtig zur Geltung, wenn er in eine breite, eine massenhafte Solidarität eingebettet ist. Denn klar kann sich nicht jede und jeder an ein Geländer ketten und erhobenen Kopfes in den Knast marschieren. Aber unsere Unterstützung für jene ausdrücken, die den Mut und die Kraft haben, es zu tun, können wir allemal. Und dann auch in die Praxis umsetzen, zum Beispiel durch Prozesskosten-Beihilfe (oder, oder …).
So absurd es sich zunächst anhört: Gerade weil Demos einen so geringen Effekt haben, sollten wir demonstrieren gehen – nämlich um jene zu unterstützen, die mehr tun als nur zu demonstrieren. Klar?
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Ach, noch eine Leseempfehlung aus dem Jahr 1849: „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“ von David Henry Thoreau. Der wollte damals nicht für die USA in den Krieg und ging lieber ins Gefängnis. Damit wurde er zum Vorbild für zwei Herren namens Gandhi und King. Zitat daraus: „Wir sollten erst Menschen sein, und danach Untertanen.”

Das englische Original findet sich HIER, die deutsche Übersetzung hat der Diogenes Verlag veröffentlicht. Für unter 10 Euro. Und schon dieser Satz daraus wäre die zehn Kröten wert: „Wenn aber das Gesetz so beschaffen ist, dass es dich zwingt, einem anderen Unrecht anzutun, dann, sage ich, brich das Gesetz. Mach dein Leben zu einem Gegengewicht, um die Maschine aufzuhalten.“

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