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Eine Polemik von Bobby Langer und Maria Ghoebel

Nennen wir ihn Franz. Franz wirkt – mal mehr, mal weniger hoffend – seit Jahren auf einen „Wandelfonds“ hin. Diverse Anläufe gingen mit schmerzlicher Regelmäßigkeit schief. Franz zählt sich mit gutem Grund zur „Wandelbewegung“ und macht sich mit mindestens ebenso gutem Grund große Sorgen um die Zukunft, nein die Zukünfte: die Zukunft der versehrten Erde, die Zukunft ihrer hilflosesten, vom Menschen abhängigen Geschöpfe, die Zukunft der Menschheit und – naturgemäß – seine eigene Zukunft. Das alles ist auch eine Klassenfrage. Warum? Um die Antwort geht es hier.

Geräumige, grüne „Bubble“

Ich sehe schon die beim Begriff „Klassenfrage“ hochgezogenen Augenbrauen und gerümpften Nasen. „‚Klassengesellschaft‘, das gibt’s doch nicht. Ist ein Begriff aus der Mottenkiste der Kommunisten.“ So in etwa könnte die süffisante Anmerkung eines standardisierten „Grünen“ lauten. Damit meine ich jene bekennenden Grünen, die in der Mittelschicht (gelegentlich auch der Oberschicht) aufgehoben sind, sich in einer Blase (bubble) bewegen, einer „Echokammer[1]“, die so geräumig ist, dass der Eindruck, gar die Überzeugung entsteht, gepflegte Grünanlagen, Öko-Häuser, Handys, Solarzellen und Elektroautos – und natürlich Facebook, TikTok, Google und Amazon – entstünden von alleine, sozusagen arbeiterfrei. Zu dieser Echokammer gehören genauso Biomärkte, Naturkosmetik, Öko-Kleidung und vegane Schuhe; schöne grüne Welt. Natürlich: Rein theoretisch weiß man, dass sich „da draußen“ Menschen für Hungerlöhne abschuften; dass für unseren westlichen Über-Komfort, diesen elitären Wohlstand, Tag für Tag mehr Natur- und Kulturräume samt zahlreicher Tier- und Pflanzenarten vor die Hunde gehen. Rein praktisch denken wir lieber nicht dran und spenden vorsichtshalber für Greenpeace oder den Regenwald.

Die, die ihre Seele nicht verkaufen wollen

Aber da ist etwas noch Dunkleres, das meistens nicht einmal in der Theorie aufscheint: Dass nämlich diese Echokammer so gut abgeschottet ist, dass für eine enkeltaugliche Welt wenig bis nichts vorangeht; dass nach fünfzig Jahren Umweltbewegung und Hunderten von Konferenzen sich die Erde nach wie vor unnötig erwärmt, nach wie vor täglich Arten sterben, nach wie vor Tausende Quadratkilometer Primärwald abgeholzt, Böden versiegelt und Flüsse von Bergbauminen vergiftet werden. Und dass die SUVs fröhliche Urständ feiern. Der Echokammer gelingt es erfolgreich, dass die eigene Beteiligung an diesen exponentiell wachsenden Verbrechen an der Mitwelt im wahrsten Sinne des Wortes „außen vor“ bleiben kann. Als Mittelklasse definiere ich hier mal all jene, die den Euro nicht umdrehen müssen, wenn es um den Wocheneinkauf oder die Urlaubsplanung geht. Man wirft das Geld zwar nicht zum Fenster raus, aber man hat es in ausreichendem Maße auf der hohen Kante.

Aber wie ist es mit all den zugegebenermaßen wenigen wie Franz, die sich an der Schädigung der Mitwelt nicht beteiligen wollen; die nicht „mitmachen“ wollen; denen es nicht gelingt, den täglich angerichteten Schaden unseres Zivilisationsmodells unter den Gewissensteppich zu kehren; die nicht ihre Seele verkaufen wollen oder können? Das sind naturgemäß die, die keinen einträglichen Job haben, die von der Hand in den Mund leben. Das sind die, die sich bücken und eine Schnecke vom Gehweg aufklauben, ehe sie zertreten wird; das sind die, die nur das Nötigste einkaufen und forschen, wo sie es am günstigsten und am wenigsten schädlich herbekommen. Den Bio-Supermarkt können sie sich leider nicht leisten; und um sich auch mal etwas Gesundes gönnen oder am öffentlichen Kulturleben teilnehmen zu können, müssen sie an Strom, Heizung und Warmwasser sparen.

Kein Budget für Eigen-PR

Verstehen Sie jetzt, weshalb das Thema „Klassengesellschaft“ endlich im „Grünbezirk“ ankommen sollte? Und warum ein „Wandelfonds“ so nützlich wäre? Er könnte all den sensiblen Seelen auf die Beine helfen, denen die Mitwelt WIRKLICH und nicht nur theoretisch am Herzen liegt. Erst dann wären echte Oasen der sozial-ökologischen Transformation möglich und nicht nur solche, in denen sich all jene tummeln, die ein paar zehntausend Euro zur Verfügung haben, um sich in ein Ökodorf einzukaufen. Erst dann käme das Wörtchen „sozial“ auch im Grünbezirk an, könnte der alte Arbeiterbegriff der Solidarität eine neue, zukunftsfreundliche Bedeutung annehmen. Man kann nicht solidarisch sein mit Bienchen und Berggorillas, aber blind sein gegenüber den Menschen im eigenen Grünbezirk und sie am ausgestreckten Arm verhungern lassen.

Beispiel Ökoligenta: Diese im deutschsprachigen Bereich einzigartige Plattform, die den sozial-ökologischen Wandel so vollständig wie möglich abbildet, gibt es inzwischen seit 2017. Seit 2019 erscheint monatlich der Wandel-Newsletter. In beides sind Aberhunderte von Arbeitsstunden eingeflossen. Aufrufe und Bitten um eine Spende, diese Arbeit zu unterstützen, sind nahezu ausnahmslos verhallt. Nicht etwa, weil all jene, die davon profitieren, keine zehn Euro übrighätten, sondern deshalb, weil ihr Echoraum sie nicht wahrnehmen lässt, dass es „da draußen“ Menschen gibt, die solche Spenden wirklich „brauchen“. Und – entscheidend – die „da draußen“ haben für die Eigen-PR kein Budget, sondern sind froh, wenn ihnen die Waschmaschine nicht kaputt geht. Umgekehrt halten es die Grünbezirkler für selbstverständlich, sich für ihre (oftmals oberflächlichen) Dienstleistungen im Bereich „Wandel“ stattlich bezahlen zu lassen. Für das Wochenend-Seminar „Beziehungen im Einklang mit der Erde“ legt man rund 300 Euro hin, wer bereit ist, im Freien zu übernachten, darf für 200 Euro dabei sein. Das WE-Seminar „Neue Männer für eine neue Epoche“ kostet 360 Euro zuzüglich Übernachtung und Verpflegung. Für einen Online-Kurs zur „Ermächtigung der Weiblichkeit“ darf man gerne 3000 Euro hinlegen. Ein Mensch wie Franz, der aus seinem „indigenen Bewusstsein“ heraus mit Herzblut für die große sozial-ökologische Transformation die eigene Haut aufs Spiel setzt, muss draußen bleiben. Er passt nicht ins System, seine Anwesenheit würde stören. Sie könnte die wohl einstudierte Performance infrage stellen und die sie begleitende Scheinheiligkeit enttarnen. Mit Nachhaltigkeits-Label, Buddhismus, spiritueller Erleuchtung und Selbstversorgung hingegen lässt sich gut locken. Ein Hype. Man brüstet sich zwar mit Permakultur, übersieht aber, dass zur Permakultur eine grundsätzlich demütige und ehrende Haltung gegenüber Natur und Schöpfung gehört. Das wäre dann doch zu anstrengend und umfassend. Aber „Permakultur“ – das klingt halt gut. Der Green New Deal lässt die Kassen klingeln. Mit Chat-GPT sind schnell die richtigen Sätze zusammengebastelt und fertig ist das grüne, spirituelle Image.  Würden all jene, die diese Transformation täglich mit wohlgewählten Worten und schillerndem Halbwissen herbeireden, einen Euro im Monat in einen Wandelfonds einzahlen, dann wäre die Gründung echter Wandel-Oasen ein Kinderspiel. Sie würden dann auch sehen und erleben können, wie sich die eigene Lebensweise verändern lässt, ohne Krieg gegen die Natur zu führen und ohne an Wohlstand zu verlieren. Es würde ein geradezu kraftvoller Ruck durch die Gesellschaft gehen. Der, auf den so viele seit Jahrzehnten warten.

Auch die Zukunft ist eine Klassenfrage

Rein theoretisch gibt es sogar eine „Wandelbewegung“. Zumindest gab es vor ein paar Jahren Ansätze eines breitflächigen Zusammengehörigkeitsgefühls all derer, die den Großen Wandel der westlichen Industriezivilisation für notwendig hielten. Franz zählte sich dazu – und wurde auch da enttäuscht. Es fanden viele akademische und gescheite Grundsatzdebatten statt, aber echte Fortschritte für die „Wandelbewegung“ da draußen gibt es bis heute nicht. Man diskutiert munter Strukturen und Abläufe, als hätte man noch Jahrzehnte Zeit, das Handeln und Wirken der Menschheit zu transformieren. Die Erde, Mutter Natur muss eben warten mit ihrem Kollaps.  Die für ein paar Jahre aufgedämmerte, emotionale Solidarität ist fadenscheinig geworden. Von echter und wirksamer Kooperation im Alltag findet sich kaum eine Spur. Während Deutschland eine Billion Euro und mehr in eine Brutto-Sozial-Produkt-fähige Pseudosicherheit investiert, wird der ökologisch mögliche und wahrscheinliche Super-GAU erfolgreich ausgeblendet. Der findet allenfalls bei „den Wilden“ statt, irgendwo im Kongo, auf Borneo oder am Amazonas, wo wir ihnen die Lebensräume wegholzen, oder in Bolivien, Chile und Argentinien, wo wir ihnen das Lithium stehlen und zum Dank verseuchte Erde hinterlassen. Zukunft ist offenbar das, was wir uns im (digitalisierten) Kopf zurechtzimmern und nicht das, was real stattfindet. Auch die Zukunft ist eine Klassenfrage, aber diesmal auf globaler Ebene.

Ideen und Anregungen bzgl. eines „Wandelfonds“ bitte an info@oekoligenta.de

[1] Der Begriff des Echokammer-Effektes stammt aus der Kommunikationswissenschaft. Gemeint ist hier eine verengte Weltsicht, in der man sich die gemeinsame Weltsicht nur als die einzig richtige bestätigt.

Die vielleicht zentralste Herausforderung für jeden von uns, der hofft, Bürger des Planeten A zu werden, besteht darin, für die Zukunft bereit zu sein. Wie können wir unsere innere Stärke so weit entwickeln, dass wir uns auf die entstehende regenerative Zukunft konzentrieren können?

Dazu gehört auch, dass wir lernen, wie wir konkurrierende Wahrheiten in der Öffentlichkeit verhandeln und wie wir unser Wohlbefinden angesichts einer sich verschlechternden Umwelt fördern können.

Andererseits gibt es Zuversicht, wenn man mit anderen zusammen ist, die die grünen Triebe einer besseren Zukunft sehen können, wo vorher keine war. Neue Formen von Intelligenz und Handlungsfähigkeit zu gewinnen und ihnen Aufmerksamkeit zu schenken, belebt jeden Raum. Unsere Erfahrung, auf diesem Planeten zu leben, wird in Echtzeit verändert.

Emotionale Bedürfnisse und Ressourcen

Nach den Human Givens-Prinzipien ist der Mensch so konzipiert, dass er neun wesentliche emotionale Bedürfnisse hat, die ihm helfen, zu überleben, indem er sozial wird. Dies sind die Bedürfnisse nach Status, Zugehörigkeit, Autonomie, Verbundenheit, Privatsphäre, Sinn und Zweck, Leistung und Intimität.

Wir sind auch so konzipiert, dass wir diese Bedürfnisse selbst befriedigen können, indem wir unsere gegebenen Ressourcen nutzen: die Fähigkeit, uns zu erinnern, uns etwas vorzustellen, in Beziehung zu treten, uns einzufühlen und uns selbst zu beobachten. Wenn unsere Gemeinschaften und Arbeitsbereiche so gestaltet sind, dass sie uns helfen, unsere Bedürfnisse im Gleichgewicht zu befriedigen, schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass jeder von uns ansprechbar wird.

Integrales Wachstum

Jeder von uns durchläuft einen Entwicklungsbogen von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter (heute geht man davon aus, dass wir mit 24 Jahren voll entwickelt sind). In gewissem, aber nicht ausschließlichem Zusammenhang damit stehen Fortschritte in der psychosozialen Handlungsfähigkeit – wir bewegen uns wie auf einer Leiter durch verschiedene Reaktionen auf unsere Umwelt und entwickeln langsam neue Handlungsmöglichkeiten.

Als Kinder reagieren wir emotional und stellen unsere eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund. Als junge Erwachsene sind wir oft durch Sicherheit und eine wachsende Fähigkeit zur Strukturierung unseres Lebens motiviert. Später können wir in unseren Beziehungen zu anderen strategischer vorgehen. Um ins volle Erwachsenenalter zu gelangen, werden wir irgendwann auch ein Erwachen für die Rechte aller Menschen erleben, das unsere eigenen Handlungsweisen verändern wird.

Nach der integralen Lehre bedeutet Reife, wenn die Bedingungen es zulassen, dass wir uns dieser verschiedenen Handlungsweisen in uns bewusst werden und lernen, sie zu integrieren. Gleichzeitig können wir die Gesellschaft als eine Gesellschaft sehen, die aus der gleichen Vielfalt von Verhaltensweisen besteht, und neue Arbeitsweisen entwickeln, um dieser Vielfalt gerecht zu werden.

Praxis

Immer mehr Menschen üben sich darin, ihre Aufmerksamkeit zu schulen, die Fähigkeit zu entwickeln, einander zuzuhören und Visionen zu entwickeln. Einige dieser Praktiken werden individuell, andere kollektiv durchgeführt. Die Achtsamkeitspraxis hat in den letzten 20 Jahren auf allen Ebenen der Gesellschaft – von der Schule über die Wirtschaft bis zur Regierung – exponentiell zugenommen.

Es gibt jedoch keine Garantie dafür, dass mehr Achtsamkeit in einer Kultur, die selbst unreflektiert ist – die ihre eigenen grundlegenden Prinzipien nie in Frage stellt und denselben Weg weitergeht -, den Unterschied ausmachen wird, den wir in dieser Zeit der Dringlichkeit brauchen.

Planet A bietet einen Kontext für die Praxis der persönlichen Entwicklung – er hilft jedem, seine Reaktionsfähigkeit zu entwickeln, um gemeinsam mit anderen, die dasselbe tun, handeln zu können.

Aktionspunkte

  • Studieren Sie die Wissenschaft der emotionalen Bedürfnisse und Ressourcen (das Human Givens Modell ist eines davon, Damasio und Panksepp sind andere)
  • Studieren Sie die integrale Theorie und schließen Sie sich bei Emerge Praktizierenden aller Art an.
  • Finden Sie eine Praxis , die Ihnen hilft, in diesem Zeitalter des Chaos und der konkurrierenden Theorien über die Zukunft Ihre eigenen Gedanken zu besitzen und sich zu zentrieren.

Als politischer Dissident in der Tschechoslowakei machte sich Václav Havel eine scharfe strategische Erkenntnis zu eigen, die ihm sein Kollege Václav Benda vermittelt hatte. Wie kann man die Menschenwürde und die politische Handlungsfähigkeit für ernsthafte Veränderungen fördern, während man „innerhalb der Lüge“ eines totalisierenden politischen Systems lebt – in seinem Fall des kommunistischen Staates?

Havel beklagte „die irrationale Eigendynamik der anonymen, unpersönlichen und unmenschlichen Macht“ und argumentierte, dass die Menschen eine parallele Polis schaffen müssten. Da Havel das Engagement der Bürger gegenüber dem Staat als vergeblich oder enttäuschend bescheiden ansah, plädierte er für die Schaffung von „informierten, unbürokratischen, dynamischen und offenen Gemeinschaften“.

Diese wurden als Ausweg aus der Sackgasse betrachtet, da sie als eine Art entstehende Parallelwirtschaft und präfigurative Gesellschaftsordnung fungieren könnten. Eine parallele Polis könnte einen Raum bieten, in dem gewöhnliche Menschen, die von einem unterdrückerischen System bedrängt werden, moralisches Handeln und Wahrheit geltend machen können.

Sie könnten ihr Engagement für soziale Solidarität trotz eines äußerst feindseligen Umfelds in die Tat umsetzen. Schon der Prozess des Aufbaus einer parallelen Polis könnte dazu beitragen, Vertrauen, Offenheit, Verantwortung, Solidarität und Liebe im öffentlichen Leben wiederherzustellen.

Ich glaube, dass das Bestreben, ein Commonsverse aufzubauen – ein stückweises, noch im Entstehen begriffenes Unterfangen –, dem Bestreben ähnelt, eine parallele Polis aufzubauen. Es geht darum, gesunde Werte und verschiedene Arten des Seins, des Wissens und des Handelns zu ehren.

Da wir innerhalb der Normen und Institutionen der kapitalistischen politischen Ökonomie auf globaler Ebene leben, bietet das Commoning den Menschen Möglichkeiten, ein gewisses Maß an Selbstbestimmung und Autonomie gegenüber den kapitalistischen Märkten und der staatlichen Macht zu behaupten.

Von Gleichgesinnten betriebene, sozial konviviale Modelle der Versorgung und Verwaltung bieten wichtige „sichere Räume“ für die Entfaltung einer gesünderen kulturellen Ethik jenseits von transaktionalem Individualismus, materiellem Eigeninteresse und Kapitalakkumulation.

Obwohl Commoning nicht direkt politisch ist – es konzentriert sich in der Regel mehr auf die Befriedigung spezifischer existenzieller Bedürfnisse und den Schutz gemeinsamen Reichtums (Land, Wasser, Softwarecode, kreative Werke) -, läuft es häufig auf eine indirekte Form politischen Handelns hinaus.

Die Existenz von Allmendegütern ist oft ein stiller moralischer Vorwurf an das herrschende System. Sie bekräftigt, dass andere, sozial konstruktivere Wege der Bedürfnisbefriedigung möglich sind. Sie macht eine organisierte Gruppe von Menschen mit strukturell ehrgeizigen Zielen sichtbar.

Der Commons-Diskurs, wie er von verschiedenen transnationalen Netzwerken des Commoning propagiert wird, lenkt unsere Aufmerksamkeit auf neuartige praktische Lösungen.

Der Aufstieg der Open-Source-Software in den späten 1990er Jahren ist trotz ihrer winzigen Größe und des Fehlens konventioneller Finanzmittel ein solches Beispiel. Open Source (oder genauer gesagt sein Vorläufer „freie Software“3) stellte eine ernsthafte moralische und marktwirtschaftliche Herausforderung für die Vorherrschaft von Microsoft dar, die schließlich ein robustes neues Paradigma der offenen und gemeinschaftlichen Softwareentwicklung hervorbrachte.

In ähnlicher Weise provozierte der Aufstieg lokaler ökologischer Lebensmittelsysteme in den 1980er und 1990er Jahren eindringliche Fragen zu den Pathologien des industriellen Lebensmittelsystems, wie z. B. dessen Abhängigkeit von Monokulturen, Pestiziden und gentechnisch verändertem Saatgut sowie von Praktiken, die den fruchtbaren Boden ausbeuten.

Im Laufe der Zeit hat diese einheimische, lokal ausgerichtete Bewegung die Agrarökologie, die Permakultur, die gemeinschaftsgestützte Landwirtschaft und die Slow-Food-Bewegung hervorgebracht.

Diese Bemühungen zielen alle darauf ab, den gemeinsamen Reichtum (Land, Lebensmittel, Code) mit Sorgfalt und ganzheitlicher Aufmerksamkeit zu verwalten. Sie versuchen, dem Reichtum seinen Warencharakter zu nehmen, um seine Unabhängigkeit von der Finanzwirtschaft und den kapitalgesteuerten Märkten zu gewährleisten.

Sie wollen die Menschen in die Lage versetzen, ihre eigenen Versorgungssysteme zu verwalten, wobei sie den Schwerpunkt auf Zugang, Transparenz und Fairness legen.

Heute trägt das Commonsverse diese Agenda in einem breiteren Rahmen in viele weitere Bereiche des Wandels. Die Commons werfen nicht nur tiefgreifende Fragen zur Markt-/Staatsordnung und zum neoliberalen Kapitalismus in verschiedenen Bereichen auf (Landwirtschaft, Städte, Cyberspace, Wälder, Wasser, Ozeane), sondern bieten auch eine Vision und ein Arsenal an Instrumenten für den Aufbau funktionierender Alternativen.

Zeitgenössisches Commoning ist bedeutsam, weil es sich auf einer zellulären Ebene der Kultur, vor Ort, in den Herzen und Köpfen der Menschen entfaltet. Es dient als Raum, in dem die Bestrebungen und die Vorstellungskraft der Menschen angeregt werden und sich ihre Subjektivität und kulturellen Zugehörigkeiten verändern.

Manuela Zechners Bericht über selbstverwaltete Nachbarschaftsräume in Barcelona weist auf „radikalere, kontinuierliche und kollektive Modalitäten der Beteiligung“ hin, als die Stadtverwaltung im Allgemeinen fördert oder zulässt.

Unter der Stadtverwaltung von Barcelona en Comú sind autonome Nachbarschaftsgruppen nun berechtigt, ihre eigenen Projekte (Gebäude, soziale Dienste, Informationsbeschaffung) mit Unterstützung der Stadt und rechtlicher Anerkennung zu verwalten. Aktivistengruppen und Bürgervereinigungen verwalten auch La Borda, eine große Wohnungsbaugenossenschaft, die Konzertsäle, Werkstätten, ein Bibliotheksarchiv, eine Bar und ein Unterstützungszentrum als Gemeingüter verwaltet.

Durch diese Übertragung von Befugnissen und Verantwortung werden nicht nur die materiellen oder politischen Bedürfnisse der Menschen befriedigt, sondern auch ihre kreative Handlungsfähigkeit, ihr Gefühl der Kontrolle, ihre Würde und ihre kulturellen Bereiche in einer Weise gestärkt, die von der herkömmlichen Politik und Bürokratie oft ignoriert wird.

Wie solche Beispiele zeigen, kann Commoning eine wichtige Quelle für soziale Innovation sein. Die engen „politisch-ontologischen Grundlagen“ der neoliberalen Institutionen sind genau das, was sie daran hindert, kreative Energien, soziale Zusammenarbeit und Bürgerinitiative zu mobilisieren.

Staatliche Institutionen neigen dazu, einen strikten Instrumentalismus, quantitative Messgrößen und marktorientierte Interventionen zu bevorzugen, was erklärt, warum sie so viele „Projekte mit leerem Herzen“ hervorbringen … „Präfigurative Initiativen“ wie das Commoning „bleiben unterhalb des Radars der Anerkennung und Unterstützung“.

Gibt es einen konstruktiven Weg, diese Schwierigkeiten zu überwinden? Koen P.R. Bartels plädiert für die Entwicklung von „relationalen Ökosystemen“ der Allmende als einen Weg, der neoliberale Institutionen von ihren eigenen hegemonialen Vorurteilen befreien könnte.

Durch die Förderung von Gemeingütern könnte der Staat damit beginnen, die tatsächlichen Gefühle, Erfahrungen, Talente und Bestrebungen der Menschen zu ihren eigenen Bedingungen anzuerkennen, und auf diese Weise dazu beitragen, konstruktive soziale Innovationen anzuregen.

Die große Herausforderung könnte darin bestehen, die Beziehungsdynamik des Commoning als konstruktive soziale Kraft besser sichtbar zu machen. Catherine Durose und ihre Mitautoren bieten einige ausgezeichnete Vorschläge an, beginnend mit der Notwendigkeit, „die Mikropraktiken des Commoning besser zu verstehen“ und „wie lokale Akteure zur urbanen Transformation beitragen können“.

Wie in den obigen Beispielen sind auch hier die Mikropraktiken und das Gefühlsleben des Commoning für Sozialwissenschaftler, Politiker und Regierungsbeamte oft unergründlich. Sie erkennen in der Regel nicht, dass Praxisgemeinschaften ein sehr nuanciertes, realistisches und sogar tiefgreifendes Verständnis ihrer Probleme und möglichen Lösungen haben können.

Das Problem ist, dass ihr Erfahrungswissen, das nicht theoretisch ist und nicht von Experten stammt, oft als unzureichend fachkundig, zu quantitativ oder nicht mit den Verwaltungssystemen kongruent abgetan wird.

Die tatsächlichen Befugnisse des Commoning werden in der Theorie nicht anerkannt und sind daher eher unsichtbar. Wir täten gut daran, uns an Elinor Ostroms trockene Feststellung zu erinnern, dass „ein Ressourcenarrangement, das in der Praxis funktioniert, auch in der Theorie funktionieren kann“.

Um die Entwicklung geeigneterer „Theorien“ über Gemeingüter zu beschleunigen, machen Durose et al. einen wertvollen Vorschlag, indem sie zu einem „größeren systemischen Vergleich“ von Gemeingüterpraktiken aufrufen, zusammen mit einer besseren fortlaufenden Interpretation der Feldarbeit, die dabei zutage tritt.

Eine neue Sichtbarkeit von Commons-Projekten, von Fall zu Fall, wird mit der Zeit die Theorien und den Diskurs über das Commoning stärken. Der Aufruf von Durose et al. zu einem „Wissensmyzel“ ist zeitgemäß und wichtig. Ein kollaboratives Netzwerk zur Angleichung des Wissens über Commoning in Praxis und Theorie würde das Commonsverse sicherlich sichtbarer machen.

Es würde auch dazu beitragen, die blinden Flecken in der Wahrnehmung neoliberaler Institutionen und Politik aufzudecken und neue Perspektiven für Untersuchungen und Innovationen in der öffentlichen Verwaltung zu eröffnen.

Für den Moment möchte ich nur den grundlegenden Punkt unterstreichen, dass jegliche Veränderungen im demokratischen Gemeinwesen und in der Politik auf der Mikroebene der alltäglichen Praxis und Kultur ansetzen müssen. Dies ist eine der wichtigsten Lehren aus den Occupy-Lagern im Jahr 2011, den Protesten auf öffentlichen Plätzen in Ägypten, Tunesien und der Türkei sowie der wachsenden Klimaschutzbewegung.

Es wird immer wichtiger zu erkennen, dass politischer Wandel nicht ohne persönliche, erfahrungsbasierte Bewusstseinsveränderungen stattfinden wird.

Wie Manuela Zechner darlegt, führen mikropolitische Bestrebungen zu neuen Weltanschauungen, und diese persönlichen Veränderungen verzweigen sich im Laufe der Zeit nach außen und finden ihren Ausdruck auf der Makroebene der Gesellschaft – im Recht, im institutionellen Leben und in der Konfiguration der staatlichen Macht.

Commoning dient bereits als Vehikel für größere gesellschaftliche Veränderungen, wie sie in sozialen Vereinigungen zu beobachten sind, die normalerweise nicht miteinander verbunden sind:

  • Nachbarschaften und Netzwerke gegenseitiger Hilfe, Online-Communities und Open-Source-Design- und Produktionsnetzwerke („kosmolokale Produktion“);
  • agrarökologische Projekte und gemeinschaftliche Landtreuhänderschaften; Komplementärwährungen und gegenseitige Kreditsysteme;
  • digitale autonome Organisationen und Plattform-Kooperativen;
  • das „Engagement-Pooling“ indigener Völker
  • und von Hacker-Gemeinschaften geschaffene Online-Infrastrukturen.

Diese kooperativen Sozialformen, die auf den unterschiedlichsten Schauplätzen agieren, verändern die Alltagssubjektivität der Menschen und damit auch ihre Vorstellungen von sozialem und politischem Wandel.

In diesem Sinne entfalten sich vor unseren Augen bereits neue Formen demokratischer Möglichkeiten…

[Originalartikel: What might a parallel polis feel like? David Bollier’s idea of a “commonsverse” – a world in which commons are viable & valued – could tell us]

Bobby Langer: Jascha, dein kürzlich erschienenes Buch „Die große Kokreation“ bezeichnet sich als „Standardwerk für transformative Kokreation in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft“. Ist das ein Buch für Spezialisten bzw. Experten, also zum Beispiel Soziologen oder Politologen, oder schreibst du für eine breitere Zielgruppe?

Jascha Rohr: Ich schreibe für alle, die sich engagieren, die Dinge bewegen und verändern wollen und wissen, dass das gemeinsam besser geht als alleine. Das ist, so hoffe ich, eine sehr breite Zielgruppe, die Expert:innen einschließt, sich darüber hinaus aber auch an Führungskräfte, Aktivist:innen, Unternehmer:innen, Projektleiter:innen, lokal Engagierte und viele mehr richtet, die den Anspruch haben, mit ihrer Arbeit einen positiven Beitrag zur Gestaltung der Welt zu leisten.

B.L.: Was verpasst man, wenn man es nicht gelesen hat?

J.R.: Das Buch ist voller Modelle, Methoden, Theorie und Praxis, so dass wir zu informiert Handelnden werden können. Ich persönlich sehe den wertvollsten Beitrag des Buches aber darin, dass es ein neues ökologisches Paradigma anbietet, mit dem wir die Prozesse von Entwicklung, Veränderung und Gestaltung viel besser verstehen und anwenden können.

B.L.: Du sagst, es gehe dir um die „Neuerfindung unserer planetaren Zivilisation“. Das klingt im ersten Moment ziemlich abgehoben. Weshalb hältst du diese Neuerfindung für notwendig?

J.R.: Das ist natürlich erst einmal eine Provokation. Und eine homogene globale Zivilisation gibt es in diesem Sinne auch gar nicht. Aber klar ist: Wenn wir global so weitermachen wie bisher, zerstören wir unsere Lebensgrundlagen und damit das, was wir Zivilisation nennen. Das kennen wir aus der Vergangenheit der Menschheit im Kleinen. Da konnte es dann aber immer an anderer Stelle weitergehen. Kollabieren wir heute als globale Zivilisation, gibt es keinen Ausweichplaneten. Diesmal muss es uns gelingen, uns neu zu erfinden, bevor wir komplett kollabieren. Das nenne ich Neuerfindung unserer Zivilisation.

B.L.: Wer bist du, um sagen zu können, du wärest zu einer solchen Konzeptleistung in der Lage?

J.R.: Mein Beruf ist es, seit ca. 25 Jahren kleine und große Gruppen darin beizustehen, sich selbst neu zu erfinden – vom Dorf bis zur nationalen Ebene habe ich Beteiligungs- und Gestaltungsprozesse konzipiert und begleitet. Meine Leistung dabei ist es, den Prozess zu strukturieren und zu halten, in dem diese Gruppen sich selbst erfinden. Ich bin so etwas wie eine Gestaltungshebamme. In diesem Sinne würde ich mir auch nicht anmaßen, alleine unsere Zivilisation neu zu erfinden. Aber ich fühle mich gut darauf vorbereitet, auch große internationale und globale Prozesse zu konzipieren, methodisch zu unterstützen und zu begleiten, in denen die Beteiligten miteinander beginnen, „Zivilisation“ neu zu erfinden.

B.L.: Gibt es nicht mehr als eine Zivilisation auf dem Planeten? Wenn du also von „planetarer Zivilisation“ sprichst, klingt das so, als würdest du die westliche, industriell geprägte Zivilisation mit der planetaren gleichsetzen?

J.R.: Ja genau, das klingt so, dessen bin ich mir bewusst, und das ist natürlich nicht so. Und doch gibt es so etwas wie eine globale diverse Gesellschaft, globale Märkte, eine globale politische Arena, eine globale Medienlandschaft, globale Diskurse, globale Konflikte und globale Prozesse, zum Beispiel in Bezug auf Corona oder den Klimawandel. Dieses sehr heterogene Feld nenne ich vereinfacht globale Zivilisation, um klarzumachen: Dieses globale Feld ist in seiner Ganzheit eher toxisch als heilsam. Es muss transformiert werden im Sinne einer globalen Regeneration.

B.L.: Du schreibst ein ganzes Buch lang über Methoden und Werkzeuge. Hast du keine Sorge, dass deine Zielgruppe auf Inhalte pocht?

J.R.: Das ist die Krux. Es gab viele, die hätten sich lieber ein einfaches Rezeptbuch gewünscht: Lösungen zum Nachmachen. Und genau da wollte ich ehrlich bleiben: Aus dieser Rezeptlogik müssen wir aussteigen, sie ist Teil des Problems. Nachhaltige Lösungen haben immer damit zu tun, dass wir lokale Kontexte verstehen und dafür angepasste Lösungen entwickeln. Das habe ich aus der Permakultur gelernt. Dazu müssen wir uns trainieren und ausbilden. Dafür braucht es Methoden und Werkzeuge. Den Rest müssen die Kokreator:innen vor Ort leisten.

B.L.: Du schreibst: „Benutzen wir … die Werkzeuge der alten Zivilisation, kann nur eine neue Version der alten Zivilisation dabei herauskommen.“ Das ist logisch. Nur: Wie willst du als Kind der alten Zivilisation Werkzeuge einer neuen Zivilisation finden?

J.R.: Das geht nur über Transformationsprozesse. Und ich benutze diesen Begriff nicht leichtfertig, sondern in aller Konsequenz und Tiefe: Jede:r, der oder die mal einen Kulturschock erlebt hat und sich in eine neue Kultur einleben musste, der oder die eine religiöse Einstellung geändert hat, das berufliche Leben neu begonnen hat oder eine langfristige Beziehung für eine neue verlassen hat, kennt solche einschneidenden Veränderungsprozesse. Ich selbst habe meine ganz persönlichen Krisen und Auseinandersetzungen gehabt, in denen ich immer wieder zumindest Aspekte der „alten Zivilisation“ persönlich transformieren konnte. Meine Gründungen der Permakultur Akademie, des Instituts für partizipatives Gestalten und der Cocreation Foundation waren jeweils von genau solchen Erkenntnisprozessen getragen, die dann ihren gestalterischen Ausdruck in diesen Organisationen gefunden haben. Aber natürlich bin auch ich noch verhaftet, ich verstehe mich als Mensch in Transition.

B.L.: Obwohl du deine Augen nicht vor der Lage der Menschheit verschließt („Der Einsatz ist hoch, die Welle gefährlich, möglicherweise tödlich“), ist der Grundtenor deines Buches ausgesprochen positiv. Woher nimmst du deinen Optimismus?

J.R.: Der Optimismus ist eine Überlebensstrategie. Ohne ihn hätte ich gar nicht die Kraft, das zu tun, was ich tue. Woher sollen wir die Energie für so viel Wandel und Gestaltung nehmen? Ich glaube, dass wir das nur schaffen, wenn wir aus dieser Aufgabe Kraft, Freude, Lebendigkeit und Fülle für uns schöpfen. Ich mache das mit Hoffnung spendenden Narrativen. Wenn ich mich damit selbst manipuliere, nehme ich das gerne in Kauf: Lieber eine positive selbsterfüllende Prophezeiung als eine negative!

B.L.: Das Buch war der Band 1. Was können wir von Band 2 erwarten?

J.R.: In Band 1 haben wir den Werkzeugkoffer gepackt und uns den Kollaps und die Vision angeschaut. In Band 2 gehen wir in die Transformation, in die Höhle des Monsters sozusagen. Die drei bestimmenden Themen werden sein: Resonanz, Trauma und Krise. Heftiger Stoff, aber auch unglaublich spannend! Ich forsche gerade sehr stark dazu, was es in Gruppen heißen kann, das kollektive Nervensystem zu beruhigen, zu regulieren und Traumata zu integrieren. Ich glaube – eine weitere grobe Metapher –, dass unsere globale Zivilisation sich am besten mit einer Suchtanalogie beschreiben lässt: Wir sind süchtig nach Energie und Konsum. Eine nachhaltige Regeneration wird uns nur gelingen, wenn wir von der Nadel kommen. Das ist keine einfach zu lösende Sachthematik, sondern ein kollektivpsychologisches Problem. Aber meine Arbeitsweise ist ja generativ, ich bin selbst gespannt, was im weiteren Schreibprozess passiert.

Rezension

Internetseite zum Buch

Jascha Rohr, Die große Kokreation. Eine Werkstatt für alle, die nicht mehr untergehen wollen. 400 S., 39 Euro, Murmann Verlag, ISBN 978-3-86774-756-1

Ein Katalysator für die Wandelbewegung – das ist eine Selbstbeschreibung von Ökoligenta, einer Plattform, die unzählige Mosaiksteinchen des ökosozialen Wandels zusammenträgt. Damit will Ökoligenta zeigen, was es alles schon gibt und vor allem, wie das gute Leben für alle aussehen kann. Im Mut-Talk erzählt Bobby auch über seinen persönlichen Lebens- und Wachstumsweg und die bunten Biografien der Menschen hinter Ökoligenta.

Nein, diese Überschrift, so sehr sie einer ähnelt, ist keine. Sie fasst nichts zusammen, liefert allenfalls Stichworte, wirkt „nach unten“ in den Text hinein, und der Text klimmt nach oben und keimt in den drei Lücken zwischen den Worten und den dreißig Buchstaben. Die Kommata und später die Punkte sind Pflanzlöcher, größere Verschnaufpausen, durch die hindurch – wie durch die kleinen Lücken – Sinn entsteht und wieder verraucht.

Wohin?

Seit einer geraumen Weile denkt es in mir über die neue Ontologie nach, die wir so dringend brauchen, keinen Paradigmenwechsel, der sich so leicht dahinsagen und einfordern lässt, sondern tatsächlich ein neues Verständnis für das Wesen des Seins und, sich daraus entwickelnd, einen anderen Umgang mit unserer Mitwelt, der sich so sehr von allem Bisherigen unterscheidet wie Traumwelt von Alltagswelt, eine neue, geistige Weltordnung.

Es geht also um nichts weniger als um einen Ontologiewechsel*. Ein paar Sätze zum Ausgangspunkt, nein zur Ausgangsebene, die so selbstverständlich unser tägliches Sein bestimmt, dass es schwerfällt, sie sprachlich fassend der bewussten Wahrnehmung zuzuführen: Wir schlafen ein und erwachen, schlafen ein und erwachen, immerzu in dieser Richtung vom ersten bis zum letzten Atemzug. Dieser Rhythmus unserer geistigen Bewegung verläuft Tag für Tag in eine Richtung: von der Traumwelt zur sogenannten Wirklichkeit. Im abgrenzenden Begriff der Wirklichkeit spiegelt sich eine maßlose Überheblichkeit gegenüber der Traumebene, der ich nicht folgen möchte. Ich werde die beiden Wirklichkeiten deshalb im Folgenden entweder einfach Nacht und Tag oder „Traumwirklichkeit“ und „Standardwirklichkeit“ nennen.

Dieser Richtungsverlauf von der Nacht zum Tag durchzieht unsere komplette Weltanschauung, von Alpha bis Omega, von der Art, wie wir fühlen, bis hin zu metaabstraktem Denken. Die Richtung ist uns vorgegeben: Wir sollen nicht nur der Traumwirklichkeit entkommen, sondern auch der Kindheit entrinnen, um erwachsen zu werden, den Idealen der Jugend, um sachlich und pragmatisch zu werden, den romantischen Gefühlen, um nüchtern zu werden, und einer spielerisch anarchischen, mystischen Weltwahrnehmung, um kalkulierbar und beherrschbar zu werden. Das uns vorgegebene Ziel ist eine vorgestellte „höhere Plattform“ der Standardwirklichkeit, von der herab wir auf die Welt schauen: erwachsen, objektiv, wissenschaftlich, nüchtern, diszipliniert und eingeordnet in eine logisch erklärbare, durchstrukturierte Welt, die Emotion, Gefühl und Intuition allenfalls einen Unterhaltungswert zuweist. Weg also von der undurchschaubaren, dämonischen Nacht, hin zum Tag, zu gedanklicher Klarheit und patriarchaler Würde.

Und doch ist diese Ausrichtung unserer lebenslangen, inneren Orientierung schon bei einem oberflächlichen Blick irreführend. Denn wir kommen nicht aus dem Tag und wir enden nicht im Tag, sondern in der Nacht bzw. einer zeitlosen Traumwirklichkeit, der wir anfangs entstiegen sind.

Was würde es nun bedeuten, wenn wir vom Tag zur Nacht hin lebten, wenn nicht eine turmhohe Ratio das Ziel unserer täglichen, inneren Ausrichtung wäre, sondern zeitentiefe Intuition; wenn wir den allbestimmenden Zeitpfeil infrage stellten, wenn wir uns innerlich nicht bewegten wie ein technikgetriebenes Schiff auf den jeweils nächsten Hafen zu, sondern wie das allbewegte Meer und seine Gezeiten im Wechselspiel mit dem Himmel? Was würde das bedeuten hinsichtlich der großen Komplexe Arbeit, Bildung, Erziehung, Gewalt, Industrie, Justiz, Mann/Frau, Mitwelt, Sexualität, Sprache, Werte und Wirtschaft?

Und als letzte große Frage: Was machte es mit unserer Vorstellung des Heiligen? Auf jeden Fall würde es aus den konfessionellen Katakomben an die frische Luft geholt. Würde es am Ende bedeuten, das Ziel allen Denkens und Handelns wäre ein heiliges Leben, die in den Alltag übersetzte Ultima Intuitio?

*Ontologie ist die Lehre von den Grundstrukuren der uns bestimmenden Wirklichkeit.

Das Paradies ist der Ort, den wir gerne erreichen würden. Aber er liegt hinter uns, unerreichbar verschollen in der Vergangenheit. Erst allmählich dämmert uns, dass es nicht nur der Apfel war, weshalb wir von dort vertrieben wurden. Und je mehr wir das verstehen und verinnerlichen, desto mächtiger baut sich ein neuer Sehnsuchtsort auf, ein Ort, an dem wir sein können, ohne haben zu müssen, an dem wir nicht an Geld oder Leistung gemessen werden, an dem wir zu Hause sein und uns geborgen fühlen können; und der dennoch ein moderner Ort ist. Weiterlesen

Wir befinden uns an einer historischen Passage-Stelle. Oder sollte ich sagen: an einem systemischen Netzwerkknoten. Nicht der böse Wille der Menschen bedroht den Planeten mit allen seinen Wesen, sondern widersinnige, gefährliche Strukturen. Allen, zumindest äußerlich, voran die Wirtschaftsstrukturen. Diese müssen – wenn nicht jetzt, wann dann – umstrukturiert werden. Letztlich wissen das sehr viele. Abermillionen Menschen wünschen sich das, wollen das, fragen sich aber: WIE. Könnte da das Netzwerk NOW einen passenderen Namen haben? NOW steht für Netzwerk Oekonomischer Wandel.

Wir können nur alle aufrufen, dieses Netzwerk nach Kräften zu unterstützen, damit diese historisch vermutlich einmalige Chance nicht verlorengeht, bevor die alten Strukturen, noch erbarmungsloser als zuvor, wieder zupacken. Weiterlesen

Drei Beispiele von AkteurInnen der Wandelbewegung, die – vermutlich – nichts von einander wissen:

  • Das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung dürfte kaum Kontakt haben zu
  • SOL – Menschen für Solidarität, Ökologie und Lebensstil oder zu
  • den Transformativen Theaterworkshops

Alle drei sind natürlich auf ökoligenta vertreten, aber das kann nur ein Anfang sein. Viel besser wäre, sie würden miteinander kommunizieren, sich vielleicht sogar „irgendwie“ zusammentun. Damit das immer besser geschehen kann (und sie alle sichtbarer werden), wurde kürzlich das „Wandelbündnis – Gesamtverband für den sozial-ökologischen Wandel“ gegründet. Ein klassischer Verband ist das aber nicht. Warum nicht? Weil das Wandelbündnis kein eigenes Thema hat (wie Wirtschaft, Kultur, IT etc.). Alles, worum es geht, ist die sozial-ökologische gesellschaftliche Transformation voranzubringen – auf allen Ebenen, mit allen Themen. Das gelingt am besten, wenn jede/r einzelne AkteurIn mit seinem Thema gestärkt wird.

Die Logik freilich scheint schwer verständlich. Schon geht es los mit Besitzstandswahrung, Ängsten um Terrainverlust etc. Dabei ist und bleibt es so: Je mehr wir uns umeinander kümmern und einander vernetzen, helfen und verstärken, umso stärker wird jede/r Einzelne.

Aber vielleicht tickst Du ja gar nicht so, liebe Leserin, lieber Leser. Vielleicht überlegst Du ja längst, einen Mitgliedsantrag zu stellen? Das würde mich freuen.

Leo hält nichts von dem ganzen Öko-Zeugs. Aber er mag Mona, die bei Transition ist und an der Verschönerung ihrer Stadt arbeitet:

Asrid Raimann wollte wissen, was Menschen dazu bewegen könnte, ihre Stadt zu verwandeln: „Ich bin zum Schuster gegangen und habe ihn gefragt, was seiner Meinung nach passieren müsste, damit die Stadt zur Transition Town wird. (Schuster wissen immer alles.) Er meinte: ‚Nix. Da gibts nix. Die werden sich in hundert Jahren nicht ändern. Die sind einfach zu dumm.‘ Weil ich das nicht glaube, hab ich einen Comic gemacht: MOSCHBERG. Und darin die Geschichte von Mona und Leo.“