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(Aus: umwelt aktuell – Infodienst für europäische und deutsche Umweltpolitik 05/2019)

Bei Klima-, Umwelt-, Tier- und Naturschutz unterscheiden sich die Positionen teils deutlich.

Vom 23. bis 26. Mai entscheiden rund 400 Millionen EU-BürgerInnen, welche ParlamentarierInnen sie in den kommenden fünf Jahren in Brüssel und Straßburg vertreten werden. Wie wollen die deutschen Parteien Herausforderungen wie die Klimakrise, den enormen Ressourcenverbrauch, die Agrarwende oder das Artensterben angehen? Der DNR hat die Wahlprogramme von fünf im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien unter die Lupe genommen. VON ELENA HOFMANN, DNR

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Gerade aus Umwelt und Klimaschutzperspektive ist die Europawahl von großer Bedeutung: Rund 80 Prozent aller Umweltgesetze haben ihren Ursprung in Brüssel. Da Deutschland mit fast einem Siebtel  die meisten Abgeordneten im Parlament stellen, haben die deutschen Parteien einen großen Einfluss auf Abstimmungen über Gesetzgebungen.(1)

CDU/CSU

Das Wahlprogramm enttäuscht: Naturschutz scheint ein Fremdwort zu sein. Es findet sich lediglich eine Strategie zur Reduzierung des Plastikmülls. Der Schutz des Wolfs wird infrage gestellt und statt über Luftqualität und Gewässerschutz zu reden, träumen CDU/CSU lieber von Raumfahrten zum Mond und TTIP 2.0. Sie bekennen sich zwar zu Klimaschutz und den Zielen des Pariser Klimaabkommens. In der Umsetzung stellt sich aber die Frage, ob es sich hierbei nur um ein Lippenbekenntnis handelt.(2) Die Union will zur Zielerreichung eine globale Bepreisung der Treibhausgasemissionen – ein Vorschlag, der weder dem Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden nachkommt, noch mittelfristig umsetzbar ist. Mit dieser Nebelkerze lenkt die Union von der riesigen Bandbreite an kurz- und mittelfristig auf EU-Ebene umsetzbaren Maßnahmen ab. Genauso ignoriert die Union die Debatte um die planetaren Grenzen und hält an der Vereinbarkeit von  Wirtschaftswachstum mit Umwelt- und Klimaschutz weiter fest.

Die Vorschläge zur Agrarpolitik verkennen die zentrale Rolle, die die Landwirtschaft für Klima- und Umweltschutz spielen kann: So halten die Konservativen an Direktzahlungen und dem bestehenden Säulenmodell fest. Statt die Gelder, die in die Agrarpolitik fließen, effektiv für Umwelt- und Klimaschutz zu nutzen, setzen CDU/CSU auf Freiwilligkeit. Damit zementieren sie ein altes Agrarsystem, das den Herausforderungen von heute und morgen nicht mehr gerecht werden kann. Während SPD, Grüne und Linke sich für mehr Rechte der VerbraucherInnen in Fällen wie dem Dieselgate beispielsweise durch Verbandsklagerechte oder hohe Bußgelder einsetzen, bekennt sich die CDU/CSU zur Automobilindustrie. Auch den Forderungen der anderen Parteien nach mehr Transparenz und Partizipation durch ein Lobbyregister, eine Stärkung der Europäischen Bürgerinitiative oder öffentliche Sitzungen des Ministerrats greift die Union nicht auf.

SPD

In einigen Bereichen versuchen die Sozialdemokraten der Umwelt gerecht zu werden. So setzt die SPD sich für eine Agrarpolitik ein, in der Gelder an Leistungen für den Umwelt- und Tierschutz geknüpft sind, lehnt Glyphosat und Gentechnik in der Landwirtschaft ab, ist für einen eigenständigen Naturschutzfonds und möchte Tiertransporte auf maximal acht Stunden pro Tag begrenzen. Auch das Thema Plastikmüll geht die SPD umfassend an. Ziel ist es, bis 2030 die Plastikmülleinträge in die

Meere um 50 Prozent zu verringern, beispielsweise durch Mehrwegsysteme, eine Ausweitung des Verbots von Plastikartikeln, eine Kostenbeteiligung der Hersteller sowie Vorgaben zur abfallvermeidenden und recyclingfreundlichen Produktgestaltung. In anderen Bereichen bleibt die SPD jedoch stumm: Zur Wasserrahmenrichtlinie, zum umstrittenen Schutzstatus des Wolfs, zu einer Strategie zur Erhaltung der biologischen Vielfalt oder zu einem möglichen achten Umweltaktionsprogramm findet sich keine Positionierung im SPD-Europawahlprogramm.

Auch in Sachen Klimaschutz lassen die Forderungen der SPD zu wünschen übrig: Die geforderte Anhebung des EU-Klimaschutzziels auf mindestens 45 Prozent Treibhausgasminderung bis 2030 (im Vergleich zu 1990) sowie das langfristige Ziel der Klimaneutralität bis 2050 sind besser als momentan geltendes EU-Recht. Sie liegen aber unter den Forderungen des EU-Parlaments und werden nicht ausreichen, um die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind zwar breiter gefächert als bei CDU/CSU und FDP. Wichtige Stellschrauben wie ein rascher Kohleausstieg, eine Ablehnung von Investitionen in Infrastrukturen für Erdgas oder eine Anhebung der Ziele für erneuerbare Energien und Energieeffizienz bis 2030 fehlen jedoch.

Bündnis 90/Die Grünen

Das Europawahlprogramm der Grünen spiegelt zum Teil die Forderungen der Umwelt- und Naturschutzverbände wider. So setzen die Grünen sich, wie auch in der letzten Legislaturperiode(2), für ambitionierten Klimaschutz ein: Mit den Forderungen nach 55 Prozent Treibhausgasreduktion, 45 Prozent Erneuerbaren und 40 Prozent Energieeffizienz sowie einem Kohleausstieg vieler europäischer Länder bis 2030 wären wir auf dem richtigen Weg, die Pariser Klimaziele zu erreichen. Die Maßnahmen sind vielfältig und umfassen beispielsweise einen regionalen CO2-Mindestpreis, keine Neuzulassung von Autos mit Verbrennungsmotoren ab 2030, den Abbau klima- und umweltschädlicher Subventionen, eine Besteuerung des Flugverkehrs und Förderprogramme für Aufforstung.

Auch im Natur- und Tierschutz sind die Grünen stark aufgestellt: So setzen sie sich für eine ambitionierte Strategie zur Erhaltung der biologischen Vielfalt, eine Stärkung europäischer Naturschutzgebiete, einen konsequenten Meeres- und Gewässerschutz und bedürfnisorientierte Tierhaltung ein. Sie sind gegen die Aufweichung bestehender umweltpolitischer Normen. In der Agrarpolitik wollen die Grünen nur solche Leistungen honorieren, die das Gemeinwohl fördern, und Zahlungen an die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards koppeln. Darüber hinaus fordern sie einen eigenständigen Naturschutzfonds von 15 Milliarden Euro jährlich sowie ein Verbot von Glyphosat und Gentechnik in der Landwirtschaft.

Die Grünen zeigen sich in Ansätzen wachstumskritisch. So möchten sie beispielsweise das Bruttoinlandsprodukt (BIP) durch ein grünes BIP ersetzen und engagieren sich für eine Wirtschaft, die am Gemeinwohl orientiert ist. Gleichzeitig halten sie an Marktinstrumenten wie dem europäischen Emissionshandel fest.

Die Linke

Die Linke verfolgt eine sehr ambitionierte Klimapolitik, die teilweise die Forderungen von Umweltverbänden übertrifft. So verlangen sie, bis 2030 die Treibhausgasemissionen um 65 Prozent zu verringern, europaweit aus der Kohle auszusteigen und den Erneuerbarenanteil auf 45 Prozent und Energieeffizienz auf 40 Prozent zu erhöhen. Statt des Emissionshandels setzen sie auf verbindliche Vorgaben, etwa im Hinblick auf ein Ende der Kohleverstromung in Kombination mit einem CO2-Mindestpreis, einer Kohlenstoffsteuer, Divestment, Maßnahmen zur Stärkung der CO2-Senken und strengen Nachhaltigkeitskriterien für Bioenergie. Ähnlich wie die Grünen stehen auch die

Linken für starken Natur- und Tierschutz: Die Beibehaltung bestehender umweltpolitischer Normen, eine ambitionierte Biodiversitätsstrategie, die Stärkung europäischer Naturschutzgebiete, einen konsequenten Meeres- und Gewässerschutz und strenge Tierschutzvorgaben (einschließlich der Verankerung der Rechte von Tieren in einer europäischen Verfassung) sind bei den Linken Programm. Fördermittel in der Agrarpolitik sollen nur für konkrete gesellschaftliche Leistungen und für die Einhaltung sozialer, ökologischer und Tierschutzkriterien gezahlt werden. Wie auch die Grünen will die Linke Glyphosat und Gentechnik in der Landwirtschaft verbieten sowie gegen Lebensmittelverschwendung vorgehen.

FDP

Die Liberalen betrachten ein „gesundes“ Wirtschaftswachstum als mindestens ebenso wichtig wie Klimaschutz. Maßnahmen zur Minderung der Treibhausgasemissionen sind rein marktwirtschaftlich: Der europäische Emissionshandel allein soll es richten und weltweit und für alle Sektoren gelten. Die FDP versucht hiermit eine Nebelkerze zu werfen, da die Einführung eines globalen Emissionshandels im derzeitigen politischen Klima absolut unrealistisch ist. Die vorgeschlagenen Marktmechanismen, über die Mitgliedstaaten nicht erreichte Klimaziele durch die Finanzierung von Maßnahmen in anderen Ländern ausgleichen können, kommen nicht der globalen Gerechtigkeit nach. Die UN-Nachhaltigkeitsziele werden nur in Bezug auf Entwicklungszusammenarbeit genannt. Zumindest erkennt die FDP die Wichtigkeit von CO2-Senken für den Klimaschutz an. Diese Erkenntnis spiegelt sich jedoch nicht in den Positionen zu Naturschutz und Agrarpolitik wider.

Beim Natur-, Arten- und Ressourcenschutz enttäuschen die Liberalen auf ganzer Linie. Der propagierte Bürokratieabbau bereitet den Weg für Deregulierungen zugunsten der Wirtschaft auf Kosten von Umwelt und VerbraucherInnen. So spricht sich die FDP für eine Aufweichung von Politiken, die wildlebende Arten in Europa schützen sollen, und der Natura-2000-Gebiete aus. Darüber hinaus sollen Agrarsubventionen sukzessive abgebaut werden, was grundsätzlich sinnvoll sein kann. Das Agrarbudget sollte dann allerdings in die Honorierung von Umweltleistungen gesteckt statt – wie von der FDP vorgeschlagen – abgeschafft werden. Außerdem setzt die FDP sich für eine Neuordnung des europäischen Gentechnikrechts ein, bei der die Nutzung von CRISPR/Cas9 in der Landwirtschaft erlaubt werden soll.

Auch beim Tierschutz sieht es bescheiden aus: Die FDP spricht sich nicht für mehr Tierschutz aus, etwa durch ein Verbot von Massentierhaltung oder durch die Begrenzung der Dauer von Tiertransporten.

AfD

Das Wahlprogramm enthält diskriminierende, europafeindliche und menschenverachtende Äußerungen: Grundpfeiler der demokratischen Gesellschaft, die Genfer Flüchtlingskonvention oder die deutsche EU-Mitgliedschaft erkennt die AfD nicht an. Den wissenschaftlich belegten anthropogenen Klimawandel leugnet sie und lehnt das Pariser Klimaabkommen ab. Auf dieser Basis ist kein Natur-, Umwelt- und Tierschutz möglich. Daher verzichten wir auf eine Analyse des Wahlprogramms.