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von Frank Braun

Über die Medienberichterstattung zur letzten Generation

Es macht mich unglaublich traurig, wie sie über die letzte Generation berichten. Das ist manipulierend und in der Sache nicht wirklich hilfreich. Da ist kein Versuch zu erkennen, die Frage zu klären, was denn junge Menschen dazu bringt, mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen (was übrigens noch nicht einmal eindeutig klar ist, siehe nächster Absatz). Glauben sie wirklich, dass diese Menschen nicht auch lieber glücklich das Leben genießen würden, ohne möglicherweise Gesetze zu brechen? Da ist keine Auseinandersetzung mit der Frage von Recht und Moral, zu der wir durchaus unterschiedliche Meinungen haben dürfen. – Gott sei Dank leben wir in einem Land, wo das möglich ist. –

Nein, all das spielt keine Rolle. Einzig der Fakt, dass hier Menschen Geld erhalten, um möglicherweise damit auch Widerstand zu leisten gegen einen Lebensstil, der Natur und Menschen rund um uns herum aufzehrt, um unsere Wachstumsmaschine zu ölen. Dafür ist jedes Mittel recht, auch der Rechtsbruch gegen Menschenrechte, die SDGs, etc. Ich bin selbst Betriebswirtschaftler. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir uns über gut bezahlte Manager aufregen, die für Nestle, Monsanto, Apple und Co. Unrecht einfach in unseren toten Winkel verlagern, in sogenannte Länder mit Entwicklungsbedarf, wo Umwelt und Menschenrechte der eigenen Not geopfert werden, da es zunächst einmal darum geht, den Tag zu überleben. Ich habe bis Februar 22 drei Jahre in Peru gelebt und dort gesehen, was unser Lebensstil anrichtet. Dafür ist es ok, Geld zu verdienen?

Und dann ist da die Frage von Recht, die ja hier immer wieder als Argument genommen wird. Niemand von ihnen erwähnt dabei Artikel 20 Absatz 4 unseres Grundgesetzes, der es in bestimmten Situationen erlaubt, sich über geltendes Recht hinwegzusetzen, um Rechtsbruch zu vermeiden. Ich sehe diesen Artikel selbst mit großem Respekt und bin mir bewusst, welche Sprengkraft darin liegt. Aber es gibt diesen Artikel seit den 1968-iger Jahren aus gutem Grund! Auch wird nicht erwähnt, dass sich Deutschland der Menschenrechtscharta, den Nachhaltigen Entwicklungszielen etc. verpflichtet hat und diese bis 2030 umsetzen will. Ziel 13 formuliert hier explizit den Klimaschutz. Es ist also nicht nur ein Recht, sondern sogar eine Pflicht unser aller, für den Klimaschutz, Umwelt- und Menschenrechte einzutreten!

Und nun also dieser Shitstorm, „Klimaaktivisti“ nähmen Geld für ihre Arbeit. Ja und? Das macht mich unglaublich wütend, das als Argument zu verwenden, als ob es für die aktuelle Debatte rund um die Aktionen der Letzten Generation eine Rolle spielen würde, ob die Leute das bezahlt oder unbezahlt täten? Tut es nicht! Also lasst uns bei den Fragen bleiben, die es zu klären gilt, anstatt Menschen zu diskreditieren, weil sie – wie wir alle – Geld zum Leben brauchen!

Die ganze Umwelt-, Klima- und Soziale-Gerechtigkeits-Bewegung, die seit Jahrzehnten unermüdlich daran arbeitet, dass sich daran etwas ändert, arbeitet, so sie es denn nicht ehrenamtlich tut, vorwiegend in befristeten Teilzeitarbeitsverträgen, zu Konditionen, die für die meisten ihrer Leser:innen lächerlich wären. Das gilt für traditionelle Organisationen wie den NABU genauso wie für neue Bewegungen wie die For Future-Bewegung.

Gleichzeitig ist der Wunsch nach Information und Weiterbildung riesig. Täglich bekommen wir Anfragen von Schulen, Konfirmandengruppen, Kirchengemeinden etc., die uns anfragen, ob wir denn mit ihnen Workshops, Seminare, Vorträge etc. zu Fragen wie Fairer Handel, Klima, Ökologie, den SDGs etc. machen könnten. Geld hätten sie aber keines. So machen das Zehntausende von Menschen meist ehrenamtlich oder eben in den wenigen bezahlten Stellen. Selbstausbeutung ist hier tägliche Realität, weil die meisten dieser Menschen im Herzen für ihre Arbeit brennen und sie nicht allein wegen des Geldes verrichten.

Auch die erst seit 2021 existierende Bewegung „Aufstand der Letzten Generation“ versucht, einen Beitrag zu sozialer und ökologischer Gerechtigkeit zu leisten. Deren Forderungen sind übrigens m.E. keineswegs radikal. Bei den Blockadeaktionen im Dezember standen zwei Kernforderungen im Fokus:

  • ein sofortiges Tempolimit von 100 km/h auf deutschen Autobahnen, um „jährlich bis zu 5,4 Millionen Tonnen CO2“ einzusparen. „Es ist sofort umsetzbar und das nahezu kostenlos.“
  • ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket: „Bezahlbare Bahnen sind in Zeiten steigender Lebenshaltungskosten nur gerecht! Außerdem würde ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket sogar noch mehr CO2 einsparen als ein Tempolimit.“

Ist das wirklich so wirklichkeitsfern und radikal? Zudem ist das Festkleben auf Straßen oder das beschmieren von Kunst nur ein kleiner Teil der Arbeit, den diese Bewegung leistet.

Ich sehe durchaus auch manche der Aktionsformen der letzten Generation kritisch, aber wir sollten das Kind nicht mit dem Badewasser auskippen, denn eines kann ich gut verstehen: Es gibt eine wachsende Anzahl junger Menschen, die sich nicht erst genommen fühlen, die Angst um ihre Zukunft haben, die verzweifelt sind und nicht mehr weiterwissen. Nun fangen Medien an, diese Menschen lächerlich zu machen, sie an den  Rand zu drängen, anstatt sich mit der eigentlichen Kernfrage zu befassen:
Warum leben wir einfach so weiter, als wüssten wir nicht, dass unser Lebensstil Menschenleben kostet, das Klima verändert, die Biodiversität vernichtet?

Das wiederum liegt meines Erachtens daran, dass wir alle Komplizen dieses Lebensstils sind. Das wohl niemand unter uns Schreibenden von sich sagen könnte, er lebe kompromisslos einen sozial und ökologisch gerechten Lebensstil – auch ich nicht! Das wiederum macht uns Angst, denn eigentlich wissen wir alle, dass FAIRänderungen unabdingbar sind. Es fehlt uns gerade der Mut und die Fantasie zu sehen, wie das gehen könnte, also verharren wir lieber und machen erst einmal weiter so.

Können wir bitte mit dieser verlogenen Doppelmoral aufhören.
Können wir bitte aufhören, die Gesellschaft zu polarisieren. Am Ende wollen wir alle eine gutes Leben leben. Dieses Bedürfnis tragen wir alle in uns!
Können wir bitte endlich anfangen, gemeinsam und ernsthaft an Lösungen zu arbeiten, wie sich das ändern kann. Und ja, für Länder wie Deutschland wird das bedeuten, sich an einigen Stellen radikal zu ändern. Ich bin überzeugt, das ist nicht nur möglich, sondern wird am Ende Raum geben – auch bei uns -, dass die Utopie einer Welt ohne Ausbeutung Realität werden kann.

p.s. Ich bin selbst auch freier Redakteur und habe erst vor kurzem einen Artikel zur Frage von zivilen Widerstand und Recht verfasst.