Wovon wollen wir weg, wo wollen wir hin?
„Gute Frage, nächste Frage“, würde man umgangssprachlich antworten, wie man das immer tut, wenn einen die Dimension einer Frage überfordert. Ich will mich trotzdem dran wagen. Da wäre erst einmal das „Wir“ in den Blick zu nehmen. Wer ist „wir“? Meine Blase oder deine Blase? Natürlich haben Lehrerinnen andere Wünsche als Schülerinnen, Arbeiterinnen andere als Managerinnen, Dogendealer andere als Drogenfahnder. Aber so ist das auch nicht gemeint, nicht so klein, klein.
Ich würde auch nicht von Wünschen sprechen, denn die reichen von Zartbitter bis Vollmilch-Nougat, gehen also gegen unendlich. Es geht mir um unsere Grundbedürfnisse, Bedürfnisse, die uns alle verbinden. Alle? Ja, alle. Man kann da viel herumtheoretisieren, aber es steht nun mal fest, dass die überwiegende Mehrheit aller Menschen ohne Lebensgefahr leben möchte (die Dealer wie die Fahnder), dass wir uns ganz generell die nötige Sicherheit für ein angstfreies Leben wünschen, dass nur ganz wenige von uns zur Einsiedlerin geboren sind und dass wir gerne gemäß unseren Fähigkeiten leben möchten.
Aber haben wir das nicht längst? Dazu gibt es ein klares Jein. Mit Betonung auf Nein. Denn der Satz „Das haben wir doch längst“ beansprucht eine prinzipielle Wahrheit. Nur wenn er für jede und jeden gälte, wäre er richtig. Mit anderen Worten: Er ist falsch. Er trifft nicht auf die eben gekündigte Arbeiterin zu, nicht auf den Flüchtling, der in der Kälte eines polnischen Waldes festsitzt, noch auf die Bäuerin in der Sahelzone, die den nächsten Regen herbeisehnt oder den Bangladeshi, der mit Sorge auf den steigenden Meeresspiegel blickt und auf die, die dafür verantwortlich sind. Laut UNO-Angaben hungert etwa jeder zehnte Mensch auf der Erde. Ich muss es nochmals betonen: Sie oder er HUNGERT. Sie oder er weiß nicht, ob und wann er das nächste Mal etwas zu essen bekommt und wie lange er oder sie das noch durchhält. Das gilt natürlich auch für ihre oder seine Kinder. Jedes vierte Kind auf der Erde ist chronisch unterernährt; vielleicht ja auch nur jedes fünfte. Gleichzeitig sind rund neun Prozent der deutschen Sieben- bis Zehnjährigen adipös, auf gut Deutsch: fett. Aber es geht nicht um Zahlen, es geht um ein ganz normales, ja banales Mitgefühl, das wir alle für selbstverständlich halten und Menschen für hartherzig betrachten, denen es mangelt. Es geht auch nicht um Klage oder Anklage, sondern nur um die Fragen: Wovon wollen wir weg, wo wollen wir hin?
Und ich denke, wir können uns ohne große Mühe darauf einigen, dass wir von solchen Zuständen himmelschreienden Unrechts wegwollen und Zustände erreichen möchten, in den wir alle tatsächlich ein angstfreies, gutes Leben leben können. WIR ALLE.
Das wäre doch schon einmal ein Anfang. Und wenn wir dann wissen, wohin wir wollen, dann können wir uns an den Händen fassen und gemeinsam
1. nach den Ursachen für „diese Zustände“ suchen und
2. nach Mitteln und Wegen, sie zu beseitigen.
Darum müsste die weltweite gesellschaftliche Debatte gehen, nämlich um die sozial-ökologische Transformation unserer Welt: Wie erreichen wir eine zukunftsfähige Lebensweise? Dass die mit einer weiteren Mitweltzerstörung nicht zu haben ist, dass wir also zu einem mitweltverträglichen Leben hinwollen, dafür erscheint mir keine Vertiefung nötig. In diesem „Reiseführer“ wollen wir zeigen, dass es zu den Fragen „Wovon wollen wir weg? Wo wollen wir hin?“ längst gründliches Gedankengut und solide Lebensexperimente gibt, die sich diesen zwei Punkten zugewandt haben. Und was wir davon vielleicht für unser Leben übernehmen können.