Für eine demokratische und kooperative Wirtschaft

, ,

September-Interview 2019 mit Ela Kagel und Thomas Dönnebrink

Ela Kagel gründete vor sechs Jahren den “Berliner Supermarkt“, einen unabhängigen Hub für die kooperative Wirtschaft in Berlin. Seit rund 20 Jahren hat sie an zahlreichen Plattformen und Projekten sowohl in Berlin als auch international federführend mitgearbeitet. Als Digitalstrategin berät sie heute Kunden aus Kultur und freier Wirtschaft und moderiert Workshops und Konferenzen zu Innovations- und Technologieprozessen.

Thomas Doennebrink ist als OuiShare.net-Connector für Berlin und Deutschland damit beschäftigt, die Collaborative Economy in diesem Land zu promoten und zu vernetzen und ist gern auf der Suche nach Abenteuern und umsetzbaren Modellen für eine nachhaltige Zukunft. Seit einigen Jahren arbeitet er eng mit dem Berliner Supermarkt zusammen

Beschreibt bitte in max. 3 Sätzen das Projekt, an dem Ihr gerade arbeitet.

Ela: Wir bauen Plattformgenossenschaften (Platform Coops) auf, damit die Leute digital und transnational arbeiten können.
Wir veranstalten Workshops und Konferenzen, Community Meetups, nehmen an Studien und Forschungsprojekten teil und beraten Gründer*innen bei der Entwicklung von kooperativen, dezentralen Unternehmen. Im Kern geht es um demokratische Arbeitsformen, Mitbestimmung, gemeinsamen Besitz – kurz um eine kooperative Wirtschaftsform.

Wie können wir die Grundlagen für eine kooperative Wirtschaftsform entwickeln?

Thomas: Dafür brauchen wir andere Methoden und auch andere Werkzeuge als bisher bekannt. Und wir brauchen eine andere Kultur mit positiven Narrativen. Vor allem sollte man keine lähmende Panik verbreiten, sondern sich experimentierfreudig und mit Zuversicht am Entstehen alternativer Ansätze beteiligen .
Ela: Was wir tun können, ist mitzuhelfen, die Rahmenbedingungen für einen solchen Paradigmenwechsel zu schaffen: Projekte mit auf den Weg bringen, mit neuen Steuerungs- und Abstimmungstools experimentieren, neue Organisationsformen mitentwickeln und politische Arbeit leisten. Und, ganz wichtig: die kooperativen Unternehmen, die sich gerade im Aufbau befinden, nach Kräften unterstützen!

Seid Ihr in Kooperation mit anderen Organisationen, die möglicherweise in Euren Bereichen aktiv sind? Wünscht Ihr Euch mehr Kooperationen mit bestimmten Organisationen?

Ela: Wir streben nach Kooperationen auf Augenhöhe, die sinnstiftend und effizient ausgerichtet sind. Wir arbeiten mit einer ganzen Reihe von Akteuren zusammen: Mit Platform Coops, mit Genossenschaftsbanken, Mitarbeiter*innen der Senatsverwaltung und anderen Netzwerkorganisationen wie zum Beispiel SEND e.V. oder dem Platform Coop Consortium.
Thomas: Wir verstehen uns selber als einen dynamischen Knotenpunkt, in dem spontan neue Kooperationen entstehen. Auch arbeiten wir mit traditionellen institutionellen Partnern zusammen.

Habt Ihr einen konkreten Appell an die Gesellschaft?

Ela: Eine faire Wirtschaft ist möglich, man muss sie eben machen. Wir sollten vermeiden, zynisch zu werden, und stattdessen an unseren Überzeugungen und Werten festhalten. Immer den Fokus behalten auf das, was wirklich wichtig ist. Lasst uns gemeinsam engagieren, wo immer wir können. Lasst uns soziale Experimente machen, am kollektiven Leben teilnehmen, uns zusammenschließen, wo immer wir können. Die neoliberale Wirtschaftsagenda macht Menschen einsam. Bevor wir anfangen, an uns selbst und unseren Umständen zu verzweifeln, sollten wir rausgehen und Verbündete suchen. Und nicht alles nur als Verzicht ansehen, sondern auch als Gewinn.
Thomas: Viele Menschen halten an ihrem Geld und Status fest, tragen aber selber kaum noch zur Lösung bei, sondern sind nicht selten Teil des Problems. Dadurch werden demokratische und nachhaltige Strukturen erschwert, verhindert, belastet. Lösungsansätze und zukunftsgewandte Ansätze kommen heutzutage immer mehr aus den Reihen der Zivilgesellschaft. Sie sind, neben Markt und Staat, längst zur dritten Kraft geworden. Hier sehe ich vor allem das notwendige Erneuerungs- und Systemveränderungspotential. Die Kräfte müssen mehr gehört werden und Gewicht bekommen.

Welche Plattformlösungen braucht es aus Eurer Sicht, mit der sich ein faires Wirtschaftssystem organisieren lässt? Inbegriffen Wasserwerke, Müllabfuhr, Stadtplanung, Energieversorgung etc.?

Ela: Da sollte man vorsichtig sein. Nicht eine Lösung funktioniert 100-prozentig. Daneben braucht es auch soziale Protokolle, es braucht echtes Vertrauen. Am besten funktionieren Ökosysteme unterschiedlicher Komplexitäten mit einer Vielzahl an Lösungen. Das führt in der Regel zur konstruktiven Selbstorganisation. Mit Interesse verfolgen wir derzeit die Entwicklungen des FairCoin (faire Kryptowährung für ein kooperatives Wirtschaften) und der Plattform Coinsence.org (soziales Netzwerk mit digitalen Währungen).
Thomas: Es geht darum: Was braucht es für Lösungen konkret hier und jetzt? Was sind die jeweiligen konkreten Kontexte. Masterpläne funktionieren immer weniger, wenn sie es je getan haben.

Das Interview führte Peter Hartmann

1 Kommentar
  1. Holger Roloff sagte:

    Es gibt einerseits diese Indigo-Theorie, dass man lauter kleine Keimzellen/Indigozellen schafft und dann am Ende daraus was ganz Neues entstehen kann. Nur kann man so tatsächlich einen riesigen Moloch an Wirtschaft mit 82 Mio. Menschen, Seilschaften und verkrusteten Strukturen usw. einfach so umkrempeln??? Ich vermuten das wird so – alleine aus sich selbst heraus – nicht klappen.

    Es bedarf noch zwingend einer Zutat, eines Hebelansatzes, der eine gesamtgesellschaftliche Akzeptanz dieser Grundidee sowie einen Rahmen dafür schafft. Das bezeichne ich als Hebeltheorie. Dieser Hebel muss im Heute, im Hier und Jetzt ansetzen und dafür sorgen, dass die Keimzellen nicht im Klein Klein münden oder erstickt werden, sondern wie Pflanzen gegossen werden, um gedeihen und blühen zu können, denn das braucht Zeit. Der Hebel hat zwei Teile.

    1. Es braucht einen Paradigmenwechsel der großen Politik, die so eine Entwicklung will, um die stoffliche Seite bewusst zu steuern, anstatt über einen abstrakten Markt.
    2. Es braucht zwingend eine demokratisch organisierte MONETATIVE, die eine Bundesagentur für Einkommen finanziell ausstattet. Die Monetative kann Gelder schöpfen: Lebensgeld (für ein BGE), Projektgeld (für temporäre Projektarbeit/Commons), Arbeitsgeld (für kontinuierliche Prozesstätigkeiten/Commons) sowie Sachgeld (Erwerb von Fremdleistungen/Material/Strom usw.). Die BfE koordiniert und zahlt die Gelder aus, solange wir noch in der Geldform sind.

    So wird es realistisch, dass man sich da allmählich rausarbeiten kann, aus der totalen Diktator der Marktlogik. Die Lebensbereiche sind den Märkten Stück für Stück als Verwertungsgrundlage zu entziehen und in eine Gemeinwohlwirtschaft umzuwandeln. Aus abstrakter Lohnarbeit nach dem Wertschöpfungsprinzig ( http://www.hh-violette.de/das-goldene-kalb-der-arbeit/ ) wird dann Commoning (konkrete Arbeit) in einer kooperativen Ressourcenwirtschaft – siehe: http://www.hh-violette.de/wp-content/uploads/2013/11/Wirtschaftsvision_Die-Violetten_Okt.2013.pdf

    und hier: http://www.hh-violette.de/wp-content/uploads/2017/07/BGE-Wirtschaftsvision-Ergänzung.pdf

    Leider wird man wohl kaum ad hoc aus der Geldform rausspringen können. Leider…das wäre die beste Lösung. Aber über den Umweg einer Übergangs- und Transformationsphase mit so einem Hebel dürfte es gehen. Geld wird dann allmählich überflüssig, denn warum sollte man für etwas bezahlen, wenn man es per Commoning preisfrei erhält?

    Gruss aus Hamburg
    Holger Roloff
    PS: Letzten Freitag riesige Klima-Demo hier: http://www.hh-violette.de/allefuersklima-bei-fridayyforfuture/

    Antworten

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert