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Astrid Reimann empfiehlt das großartige Buch „Geflochtenes Süßgras“ von Robin Wall Kimmerer.
Daher der Titel “Gras und andere Lehrer”. Ein kleiner Auszug aus ihrer Rezension:

“Wie wäre das, wenn wir uns der Erde, unserer Ur-Mutter, gegenüber genauso anständig benehmen würden wie bei der Oma?

Wir würden ganz anders ernten. Kimmer schreibt von der „ehrenhaften Ernte“. Wir würden unsere Gärten und Äcker, unsere Viehhaltung, die Jagd, Bergbau und Industrie völlig anders gestalten. Wir würden besser verstehen, wie alles zusammenwirkt. Wenn wir Menschen ein Teil der Natur sind und sie uns nicht als „Objekt“ gegenüberstellen, kann sie keine Ware sein. Ein anderes Wirtschaftssystem würde entstehen. Ein anderes Miteinander – auch zwischen uns Menschen.

Es wäre eine Revolution.”

Hier geht’s zur vollständigen Besprechung.

Ein wundervolles Video, in dem Andreas Weber anhand eines Kindheitserlebnisses Interbeing in zugleich lyrische wie nachdenkliche Worte fasst, Trauer eingeschlossen:

Der Mensch im Durchbruch zu einem neuen Bewusstsein*, zu einem neuen Welt- und Menschenbild

Von Sepp Stahl

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Was haben wir uns in den letzten 30, 40 Jahren informiert, was haben wir alles analysiert, was haben wir uns engagiert. Was haben wir appelliert, an uns selber, an andere, an Kirchen und Gemeinden, an Politik und Gesellschaft. Denken wir nur an die großen Friedensmärsche und Demos Anfang der 80-er Jahre, an Wackersdorf, an den Konziliaren Prozess seit 1985, an Gorleben, an die große Zahl von Menschen, die in vielen NGOs aktiv sind.

Und? Die Krisen sind immer nur größer geworden und wachsen weiter.

Albert Einstein hat 1929 gesagt: „Die Probleme, die es in der Welt gibt, sind nicht mit der gleichen Denkweise zu lösen, die sie erzeugt hat.“

Demnach brauchen wir eine neue Denkweise, ein neues Bewusstsein, ein neues Welt- und Menschenbild.

Nun, das was notwendig ist, das was dran ist, entwickelt sich auch. Wer offen ist, wer auf der Suche ist, hat mitbekommen, dass wir tatsächlich am Anfang einer weiteren, entscheidenden Entwicklungsepoche der Evolution stehen. In Literatur und Wissenschaft mehren sich die Erkenntnisse und Aussagen dazu.

Der Jesuit und Zenmeister Hugo M. Enomiya-Lassalle hat 1986 ein Buch veröffentlicht, mit dem Titel: „Am Morgen einer besseren Welt – Der Mensch im Durchbruch zu einem neuen Bewusstsein“.

Der jetzigen Phase, dem mentalen Bewusstsein, wie er sie bezeichnet, folge nun etwas wesentlich Neues – das integrale Bewusstsein. Lassalle meint, die Menschheit stehe an einer Wende, die nicht von ihr abhängt, wohl aber, ob sie bald zustande kommt. Er ist weiter der Ansicht, dass einem größeren Epochensprung der Evolution immer eine besondere Krisenzeit vorausgeht und ihn kennzeichnet.

Der Benediktinermönch und Zenmeister Willigis Jäger nannte das 21. Jahrhundert: Das Jahrhundert der Metaphysik, und das 3. Jahrtausend: Das Millennium des Geistes, des Bewusstseins.

Der Physiker und Philosoph Ken Wilber aus den USA sieht dies ähnlich. Er teilt die Evolution nach dem Urknall in Physio-Sphäre, in Bio-Sphäre und in die mit der Aufklärung beginnende Geist-Sphäre ein.

„Was die Welt heute mehr als alles andere braucht, ist eine Revolution des Bewusstseins. Es ist an der Zeit, uns von einem Glauben an das Äußerliche, Kurzfristige und Flüchtige zu einer Wertschätzung des Inneren, Dauerhaften und Essenziellen hinzubewegen.“ (Beide Sätze sind Masami Saionjis Aufsatz in „Impulse für eine Welt in Balance“ entnommen, Hrsg „Global Marshall Plan Initiative“)

Im selben Buch schreibt Dr. Ashok Gangadean: „Wir Menschen sind in einem tiefgreifenden Entwicklungssprung begriffen, hinauf auf eine höhere Stufe globalen Bewusstseins, das durch die Jahrhunderte in Kulturen, Religionen und Weltbildern gewachsen ist. Dieses Erwachen eines globalen Bewusstseins bedeutet nichts Geringeres als den Umbruch, die Reifung, von eher egozentrischen Lebensformen hin zu einer höheren Form integrativen, dialogischen Lebens …. Die großen geistig- meditativen Traditionen haben schon lange erkannt, dass der Schlüssel zum Überleben, zu Nachhaltigkeit und Wohlergehen, im Bewusstseinswandel zur dialogischen Lebensweise liegt, die die wahre moralische, vernünftige und spirituelle Natur unserer Spezies zum Vorschein bringt.“

Peter Russel, Physiker, lässt in seinem Buch: „Der direkte Weg“ den Engländer John White zu Wort kommen:
„Nur durch eine Veränderung des Bewusstseins kann die Welt ‚gerettet‘ werden. Jeder muss bei sich selbst beginnen. Politisches Handeln, Sozialarbeit, jeder -ismus, jede Ideologie sind alle unvollständig und nutzlos, wenn sie nicht von einem neuen und erweiterten Bewusstsein begleitet werden. Das höchste Ziel ist dann keine Handlung, sondern eine Veränderung des Bewusstseins. In anderen Worten: Die wahre Revolution ist ein Bewusstseinssprung. Wenn dies weltweit geschieht, werden die bisherigen Probleme, falschen Vorstellungen und Ungerechtigkeiten wie von selbst verschwinden. Erst dann wird die ‚Revolution‘ zur ‚Evolution‘.“

Ausgangspunkt dieser neuen Sichtweisen sind vor allem die heutigen Erkenntnisse der Naturwissenschaften. Die neuen, geradezu revolutionären Forschungsergebnisse kommen maßgeblich aus der Physik, indem die Kernphysiker immer tiefer im Mikrokosmos vordrangen, immer kleinere Einheiten fanden und ihre Funktionen erkannten – bekannt als Quantenphysik.

Das Vordringen in immer weitere Räume des Weltalls hat durch die Astrophysik ähnliche bahnbrechende Ergebnisse gebracht.

Nach Willigis Jäger kommen im Zuge ihrer Grundlagenforschung viele Wissenschaftler mehr und mehr an die Grenzen ihres Denkens, dort begegnet ihnen eine Wirklichkeit, die sie nicht mehr mit den Mitteln der Logik und des analytischen Denkens begreifen können. Fast alle großen Naturwissenschaftler des 20. Jahrhunderts haben sich intensiv mit ihren Grenzerfahrungen auseinandergesetzt, im Besonderen seit der Relativitätstheorie Albert Einsteins und der Quantenphysik.

Auf der Suche, ihre geheimnisvollen Entdeckungen sprachlich auszudrücken, benutzten die Wissenschaftler häufig religiös spirituelle Formen, oft angelehnt an die asiatischen Religionen, an die Mystik im Christentum und an den Sufismus im Islam.

Der Münchner Physiker H.P. Dürr hat als Herausgeber Aussagen aller großen Physiker des 20. Jahrhunderts dazu in dem Buch ”Physik und Transzendenz” veröffentlicht. Die Tiefe und Deutlichkeit ihrer Worte überraschen und erstaunen ungemein. Einige Beispiele:

David Bohm, Physiker:
„Die Ergebnisse der modernen Naturwissenschaften werden nur noch einen Sinn ergeben, wenn wir eine innere, einheitlich und transzendente Wirklichkeit annehmen, die allen äußeren Daten und Fakten zugrunde liegt.“

Carlo Rubia, Atomphysiker:
„Als Forscher bin ich tief beeindruckt durch die Ordnung und Schönheit, die ich im Kosmos finde, sowie im Zauber der materiellen Dinge. Und als Beobachter der Natur kann ich den Gedanken nicht zurückweisen, dass hier eine höhere Ordnung der Dinge im Voraus existiert. Die Vorstellung, dass dies alles das Ergebnis eines Zufalls oder bloß statistischer Vielfalt sei, das ist für mich vollkommen unannehmbar. Es ist hier eine Intelligenz auf höherer Ebene vorgegeben, jenseits der Existenz des Universums selbst.“

Max Plank, Physiker:
„Ich bin fromm geworden, weil ich zu Ende gedacht habe und dann nicht mehr weiterdenken konnte. Wir hören alle zu früh auf zu denken.“

In einem Zitat von Carsten Bresch, einem deutschen Molekularbiologen, ist für mich diese Sichtweise so mancher Naturwissenschaftler exemplarisch ausgedrückt:

„Es ist also in der Evolution eine eindeutige Tendenz zu immer höherer Komplexität festzustellen. Wenn man dies in allen Phasen beobachtet, dann fragt man natürlich nach den Ursachen dieser ‚Komplexifikation‘, wie Teilhard de Chardin es ausgedrückt hat. Man kommt ins Staunen und kann eigentlich nicht anders, als alles auf einen Ursprung zurückzuführen, das heißt, davon auszugehen, dass im Ursprung des ganzen Universums diese Entwicklung bereits begründet ist. Und dann ist es nicht mehr weit, Ehrfurcht vor diesem Geschehen zu verspüren und religiös zu werden.“ Soweit Carsten Bresch.

Von Albert Einstein gibt es dazu viele Aussagen, ein Beispiel:
”Das schönste und tiefste Gefühl, das wir erfahren können, ist die Wahrnehmung des Mystischen. Sie ist die Quelle aller wahren Wissenschaft.”

Werner Heisenberg, Physiker, einer der Väter der Quantentheorie:
„Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaften macht atheistisch, auf dem Grund des Bechers wartet Gott.“

Indem die Wissenschaftler immer tiefer in den Mikro- und Makrokosmos vordrangen und vordringen, lernen viele von ihnen Staunen, sie staunen vor der Genialität und Schönheit der Schöpfung, dem gesamten Kosmos. Eine Genialität und eine Schönheit, die mit menschlicher Sprache nicht entsprechend gewürdigt werden können.

Schon für Leibniz war es die beste aller möglichen Welten.

Für Platon war Staunen der Beginn der Philosophie, und Gottlieb Herder war der Überzeugung, ohne Staunen, ohne Begeisterung geschah nichts Großes und Gutes auf der Welt.

Das Staunen war bei den Mystikern in allen Religionen, in besonderer Weise in den Naturreligionen, ein erster, wesentlicher Zugang zur Spiritualität.

Das Staunen-Können löst weitere Prozesse aus.

Dorothee Sölle beschreibt dies so wunderbar in „Mystik und Widerstand“. Für sie führt der Weg über Staunen zu Ehrfurcht und Lobpreis.

Staunen oder Bewunderung ist eine Art, den Schöpfer zu loben, auch wenn sein Name nicht genannt wird.

Wie sehen nun Wissenschaftler heute den Menschen, die Welt, den Mikro-, den Makrokosmos?

Die Urknalltheorie wird heute von den meisten Wissenschaftlern als eine sehr wahrscheinliche gesehen. Hintergrundstrahlung! Letzte Gewissheit gibt es nicht.

Der amerikanische Astrophysiker Trinh Xuan Thuan sagt in seinem Buch „Die verborgene Melodie“, es gebe Geheimnisse, was die Entstehung und Weiterentwicklung des Kosmos angeht und es würden Geheimnisse bleiben. Er schreibt über die phantastische Feinabstimmung von etwas mehr als 12 physikalischen Konstanten im Kosmos, und würden sie nur in kleinsten Nuancen abweichen, so gäbe es uns und diesen Kosmos so nicht oder gar nicht.

Zitat Thuan: „Von diesen Konstanten hängt die phantastische Hierarchie der Strukturen und Massen im Universum ab: vom kleinsten Atom bis zum größten Galaxiensuperhaufen über den Menschen, die Planeten, die Sterne und die Galaxien. Am erstaunlichsten aber sind die physikalischen Größen, die – zusammen mit den Anfangsbedingungen des Universums – die Entfaltung des Lebens und die Entstehung des Bewusstseins und der Intelligenz ermöglichten. Die Existenz des Lebens hängt von einem sehr empfindlichen Gleichgewicht und vom einzigartigen Zusammentreffen ganz bestimmter Umstände ab. Schon die geringste Änderung der Zahlenwerte oder der Anfangsbedingungen würde zu einem völlig anderen Universum führen – uns gäbe es dann allerdings nicht.“

Eines der Grundprinzipien in der Evolution ist die Entwicklung zu immer komplexeren Formen, zu anorganischen wie zu organischen.

Heute geht man davon aus, dass allen Vorgängen in der Evolution eine Selbststeuerung innewohnt, die Bestand und Weiterentwicklung sichert. Der englische Biologe Sheldrake nennt dieses Phänomen, das allen Vorgängen zu jeglichem Leben gegeben ist – morphogenetisches Feld – ein geistiges Feld, wie er feststellt.

Die Entdeckung der Unschärferelation durch Heisenberg hat die physikalische Vorhersage und Sicherheit tief erschüttert.

Ab jetzt gilt: In allen Entwicklungsbereichen der Evolution ist alles offen, nichts mehr vorhersagbar, alles möglich oder eben nicht.

Der Heisenberg-Schüler Hans P. Dürr dazu: „Zukunft ist prinzipiell nicht vorhersagbar.“

Hans P. Dürr bemühte sich jahrelang landauf landab, die Vorgänge in der Tiefe des Seins, die wesentlichen Erkenntnisse durch die Quanten-Theorie erklärbar zu machen. Aus seinem Buch: „Auch die Wissenschaft spricht nur in Gleichnissen“ mit dem Untertitel: „Die neue Beziehung zwischen Religion und Naturwissenschaften“; daraus zwei Passagen:

„In der Quantenphysik gibt es das Teilchen im alten klassischen Sinne nicht mehr, d. h. es existieren im Grunde keine (kleinsten) zeitlich mit sich selbst identischen Objekte. Damit geht die ontische Struktur der Wirklichkeit verloren. Die Frage: Was ist, was existiert? wird dynamisch verdrängt durch: Was passiert? Was wirkt? Das Primäre ist nicht mehr die reine Materie, die, selbst gestaltlos, den Raum besetzt; es gilt nicht mehr ‚Wirklichkeit als Realität‘, sondern im Grunde dominiert die immaterielle Beziehung, reine Verbundenheit, das Dazwischen, die Veränderung, das Prozesshafte, das Werden, eine Wirklichkeit als Potenzialität‘.

Die zweite Stelle:

„Die Gestalt, die innere Form ist grundlegender als die Materie. Dies verführt uns zu der Analogie aus unserer erweiterten, menschlichen Erfahrungswelt: Die Grundwirklichkeit hat mehr Ähnlichkeit mit dem unfassbaren, lebendigen Geist als mit der uns geläufigen greifbaren stofflichen Materie. Die Materie erscheint mehr als eine ‚Kruste‘ des Geistes. Ich betone nochmals: Dies ist zunächst nur als ein Gleichnis gemeint, denn Worte wie Geist und Lebendigkeit kommen in der Physik nicht vor. Im Grunde gibt es also nur Gestalt, eine reine Beziehungsstruktur ohne materiellen Träger.“

Als weiteres einige Fragmente aus einem Vortrag von ihm am 11. März 2005 am Goethe-Institut in München.

„Materie ist nicht aus Materie aufgebaut, das Fundament der Welt ist nicht materiell. Stattdessen finden wir hier Informationsfelder, Führungsfelder, Erwartungsfelder, die mit Energie und Materie nichts zu tun haben.“

„Die Grundlage der Welt ist nicht materiell, sondern geistig. Und die Materie ist gewissermaßen die Schlacke des Geistes, sie bildet sich hinterher durch eine Art Gerinnungsprozess.“

Das Paradigma des Unlebendigen lautet: In Zukunft passiert das Wahrscheinliche wahrscheinlicher.

Beim Lebendigen ist es umgekehrt: In Zukunft ist das Unwahrscheinliche wahrscheinlich. Er selber sagt, noch unverständlicher ist: „Es gibt echt kreative Prozesse: Etwas entsteht aus dem Nichts und vergeht im Nichts.“

Als DAS entscheidende Grundprinzip der Evolution nennen immer mehr Wissenschaftler den unwissenschaftlichen Begriff: die Liebe.

Die beiden chilenischen Biologen und Nobelpreisträger Humberto R. Maturana und Francisco J. Varela bringen in ihrem Buch: „Der Baum der Erkenntnis“ als Naturwissenschaftler gar den Begriff „Liebe“ ins Spiel. Sie schreiben: „Wir halten keine Moralpredigt, wir predigen nicht die Liebe. Wir machen einzig und allein die Tatsache offenkundig, dass es, biologisch gesehen, ohne Liebe, ohne Annahme anderer, keinen sozialen Prozess gibt … Zu leugnen, dass die Liebe die Grundlage des sozialen Lebens ist, und die ethischen Implikationen dieser Tatsache zu ignorieren, hieße, all das zu verkennen, was unsere Geschichte als Lebewesen in mehr als 3,5 Milliarden Jahren aufgewiesen hat. Es mag uns ungewöhnlich vorkommen und wir mögen uns dagegen sträuben, den Begriff „Liebe“ in einem naturwissenschaftlichen Zusammenhang zu gebrauchen, da wir um die Objektivität unseres rationalen Ansatzes fürchten. Aus dem, was wir in diesem Buch aufgezeigt haben, sollte jedoch erhellen, dass eine solche Furcht unbegründet ist. Liebe ist eine biologische Dynamik mit tiefreichenden Wurzeln.“

Auch Ken Wilber bezeichnet die Liebe im weitesten Sinn als die eigentliche, die treibende Kraft des Lebens und der Evolution. Er sagt: Die Bereitschaft (die er als Liebe benennt) zur Selbsttranszendenz zur nächst höheren, komplexeren Form ist überall in der Evolution, im gesamten Kosmos erkennbar. Bereitschaft oder Liebe im Sinne einer absoluten Offenheit für alles und jedes.

Hans P. Dürr benutzte ebenso den Begriff Liebe: „Denn Allverbundenheit, die wir Liebe nennen können und aus der Lebendigkeit sprießt, ist in uns und in allem anderen von Grund auf angelegt.“

Der Neurobiologe Gerald Hüther gibt einem seiner Bücher gar den Titel: „Die Evolution der Liebe“ und schreibt, dass primär die Liebe „die lebendige Welt, den Einzelnen, das Paar, eine Gruppe, die ganze menschliche Gemeinschaft im Innersten zusammenhält“.

Und dass eben nicht Konkurrenz, natürliche Auslese und Kampf ums Dasein, wie nach Darwin lange die Meinung vorherrschte, die bestimmenden Verhaltensweisen sind.

Die ganz neuen Forschungsergebnisse aus der Neurobiologie der letzten zehn Jahre beschreibt Joachim Bauer in seinem Buch „Prinzip Menschlichkeit“. Sie fügen sich nahtlos zu den anderen Erkenntnissen.

Joachim Bauer:
„Wir sind nicht primär auf Egoismus und Konkurrenz eingestellt, sondern auf Kooperation und Resonanz. Das Gehirn belohnt gelungenes Miteinander durch Ausschüttung von Botenstoffen, die gute Gefühle und Gesundheit erzeugen.“

Joachim Bauers wichtigste Aussage:
„Die beste Droge für den Menschen ist der Mensch.“

Aus dem Inhalt des Buches zwei wesentliche Aussagen:

„Das natürliche Ziel der Motivationssysteme sind soziale Gemeinschaft und gelingende Beziehungen mit anderen Individuen, wobei dies nicht nur persönliche Beziehungen betrifft, Zärtlichkeit und Liebe eingeschlossen, sondern alle Formen sozialen Zusammenwirkens.“ Für den Menschen bedeutet dies: „Kern aller Motivation ist es, zwischenmenschliche Anerkennung, Wertschätzung, Zuwendung oder Zuneigung zu finden und zu geben. Wir sind aus neurobiologischer Sicht – auf soziale Resonanz und Kooperation angelegte Wesen.“

Weiter:

„Besonders heftig reagieren die Motivationssysteme des Menschen, wenn Liebe im Spiel ist, egal, ob es sich um elterliche, kindliche oder sexuelle Liebe handelt.“

Aus all diesen bisher aufgezeigten neuen Forschungsergebnissen der modernen Naturwissenschaften entsteht ein neues Welt- und Menschenbild. Und dieses wird wiederum unser Bewusstsein beeinflussen und verändern.

Überall bin ich dem gleichen Tenor begegnet:

Erwin Laszlo, Club of Rome:
„Die Welt ist vielmehr eine ganzheitliche Welt der Information und der Teilhabe. Jedes Teilchen, jedes Atom ist durchdrungen von der Ganzheit des Universums.“

Nochmals H.P. Dürr:
„Die Natur ist im Grunde nur Verbundenheit … Diese fundamentale Verbundenheit führt dazu, dass die Welt eine Einheit ist.“

Das Holistische, das Ganzheitliche ist auch das wesentliche Charakteristikum der Quantenphysik.

Das ganzheitliche, holistische Denken ist heute Allgemeingut aller modernen Naturwissenschaften, nämlich der Quantenphysik, der Astrophysik, der Theoretischen Chemie, der System-Theorie, der Ökologie, der Klimatologie und der Neurobiologie.

Es gilt: das Prinzip der Vernetzung, der Zusammengehörigkeit, der Einheit, des Eins-Seins. Es gilt: die Einheit von Körper, Geist und Seele. Es gilt: Der Wechsel vom dualistischen Entweder-Oder zum polaren Sowohl-als-auch.

Und wieder Hans P. Dürr:
„Wir sind angehalten, in einem grundlegenden neuen Denken zu einem umfassenden Verständnis unserer Wirklichkeit zu gelangen, in der auch wir uns als Faser im Gewebe des Lebens verstehen, ohne dabei etwas von unseren besonderen menschlichen Qualitäten opfern zu müssen. Wir lernen, dass wir wie alles andere, untrennbar mit dieser wundersamen, irdischen Geobiosphäre verbundene Teilnehmer und Teilhabende sind.“

Willigis Jäger abschließend:
„Haben wir die Erfahrung der Einheit und Zusammengehörigkeit gemacht, ist die Liebe nicht mehr Gegenstand eines Gebotes, sondern der selbstverständliche Ausdruck des eigenen Wesens. Die Liebe ist nicht befohlene Tätigkeit, sondern Seins-Zustand der transpersonalen Existenz.“

Wir haben also die Liebe als das zentrale Merkmal der Evolution, des Lebens des Kosmos erkennen dürfen.

In dieser ganzheitlichen Geisteshaltung wird sich der Mensch nachhaltig und zukunftsfähig in die Kreisläufe und Wachstumsprozesse der Natur einfügen.

Nicht mehr die Suche nach den letzten Teilchen, sondern das Aufzeigen systemischer Zusammenhänge ist wichtig, nicht mehr das zerlegende Analysieren, sondern ganzheitliches Verstehen. Eine zentrale Aussage hierzu: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.

Fritjof Capra widmet sein neueres Buch: „Lebensnetz – ein neues Verständnis der lebendigen Welt“ dieser Thematik. Er versucht darin das synergetische Denken in einer ganzheitlichen Wissenschaft zu etablieren.

Dieses systemische, ganzheitliche Denken trägt zu einem neuen Verständnis des Menschen bei. Die Natur wird nicht mehr als zu beherrschendes Gegenüber verstanden, sondern wir Menschen als ihr integraler Teil, als Zellen in einem erdumspannenden Lebensnetz.

Mit einem solchen Bewusstsein brauchen wir keine ethischen Appelle mehr, sondern wollen ganz selbstverständlich „anders besser leben“ als bisher: Solidarisch, ökologisch, gesund, nachhaltig, also zukunftsfähig und schöpfungsbewusst.

Das wesentliche Neue ist im Kleinen, in Ansätzen bereits überall da. Wer sucht, wer offen ist, dem wird es begegnen, dem wird es zufließen.

Spiritualität als Alltags- und Lebensprinzip

Albert Schweitzer hat zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Spiritualität beschrieben, die im heutigen Kontext ganz aktuell ist. Längere Zeit habe er nach einer spirituellen Kurzform gesucht: „Ehrfurcht vor dem Leben“

Seine zentralen Aussagen:

„Der Mensch erlebt das andere Leben in dem seinen. Als gut gilt ihm: Leben erhalten, Leben fördern, entwickelbares Leben auf seinen höchsten Wert bringen.“ – „Ethisch ist er nur, wenn ihm das Leben als solches, das der Pflanze und des Tieres wie das des Menschen, heilig ist, und er sich dem Leben, das in Not ist, helfend hingibt. Die Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben begreift also alles in sich, was als Liebe, Hingebung, Mitleiden, Mitfreude und Mitstreben bezeichnet werden kann.“

Schweitzers Schlüsselsatz: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das Leben will.“

Für Willigis Jäger sind Alltag und Spiritualität nicht zu trennen. Er sagt: „Die Durchdringung von Alltag und Spiritualität setzt die Erfahrung voraus, dass es nichts gibt, was nicht eine Ausdrucksform des Göttlichen wäre. Dementsprechend ist der Vollzug des Lebens der wirkliche Inhalt der Religiosität und alle Gebete und Riten sind etwas, was wir dem hinzufügen, mit dem wir diese Wahrheit feiern.“

Mit diesen oben aufgezeigten Einstellungen ist das Los-Lassen-Können von einer einseitigen Betonung und Fixierung des Materiellen, des Besitzens, von ausufernden Bedürfnissen in unserer Konsumwelt kein Verzicht, keine Askese, sondern eine Selbstverständlichkeit. Die Widersprüche zwischen unserem Wissen, unseren Idealen und unserer Lebensweise heben sich so Schritt für Schritt auf.

Mit einem systemischen, ganzheitlichen Denken, mit einem integralen, ja kosmischen Bewusstsein fällt es uns leicht „anders besser zu leben“, zukunftsfähig mit Körper, Geist und Seele.

In diesem geistigen spirituellen Befinden kann sich eine Kultur des Mitfühlens, der Achtsamkeit, der Zusammengehörigkeit, Verbundenheit und der Vernetzung entfalten. Allein das Gefühl für Zusammengehörigkeit und Verbundenheit beinhaltet in sich spirituelle Dimensionen.

Der Mensch wird sich als ein Glied in diesem vielfältigen Lebensnetz erkennen und zu einer Art Geschwisterlichkeit, nicht nur zwischen den Menschen, sondern mit allem Geschaffenen finden.

Hierin entdecken wir das Wesen einer mystischen Spiritualität. Und ein Wort von Karl Rahner passt an dieser Stelle:

„Der Christ der Zukunft wird Mystiker sein, oder er wird nicht sein.“

Zum Schluss eine persönliche Anmerkung:

Seit Jahren sind mir diese Entwicklungen und Erkenntnisse zu meinem persönlichen Schwerpunkt, zu meinem Herzensanliegen geworden. Ich habe ganz neue Perspektiven und Zuversicht gewonnen. Meine Träume und Visionen sind intensiver und gefestigter, zwar nicht für die nähere Zukunft, sondern für eine Zeit danach, die ich nicht mehr erleben werde. Es ist mir bewusst, dass wir die Talsohle von Leid, Tod und Sterben und weiterer Zerstörung unserer Lebensgrundlagen noch nicht erreicht haben.

* „Am Morgen einer besseren Welt.  Der Mensch im Durchbruch zu einem neuen Bewusstsein“ ist der Titel eines Buches von Hugo M. Enomija-Lassalle, 1986, Jesuit und Zenmeister

Von Charles Eisenstein

Vor ein paar Wochen traf ich eine Frau, die mit einem Kogi Mama, einem Schamanen aus der kolumbianischen Sierra Nevada, zusammenarbeitet. Dieser Schamane war vor einigen Jahren in Kalifornien, um auf einem bestimmten Stück Land umfangreiche Zeremonien durchzuführen. Er hatte gesagt: „Ihr solltet hier besser regelmäßig Zeremonien abhalten, sonst wird es schwere Waldbrände geben.“ Niemand machte die Zeremonien, und im folgenden Jahr gab es Waldbrände. Er kam später zurück und wiederholte seine Warnung: „Wenn ihr die Zeremonien nicht macht, dann werden die Waldbrände noch schlimmer.“ Im folgenden Jahr waren die Waldbrände noch schlimmer. Er kam wieder, um noch ein drittes Mal zu warnen: „Macht diese Zeremonien, sonst werden die Waldbrände in diesem Teil der Welt noch schlimmer sein als bisher.“ Bald darauf verwüstete das sogenannte Camp Fire die gesamte Region.

Im Nachhinein fand die Frau heraus, dass in der Umgebung dieser vom Kogi-Schamanen bestimmten Ritualstelle ein kaltblütiger Völkermord an den vormals dort lebenden indigenen Menschen stattgefunden hatte. Er konnte das irgendwie wahrnehmen. Seinem Verständnis nach hat solch ein Trauma nicht nur Auswirkungen auf die Menschen, sondern auch auf das Land. Letzteres wird wütend, gerät aus der Balance und kommt erst wieder ins Gleichgewicht, wenn es durch eine Zeremonie geheilt wird.

Vor zwei Jahren traf ich einige Priester der Dogon und fragte sie, wie sie den Klimawandel sähen. Die Dogon haben, genauso wie die Kogi, ihre zeremoniellen Praktiken über tausende von Jahren erhalten. Die Männer sagten: „Es ist nicht so, wie ihr denkt. Das Klima spielt vor allem deshalb verrückt, weil ihr Heiligtümer, die mit großer Sorgfalt platziert wurden, von ihren Bestimmungsorten geraubt habt, um sie in Museen nach London und New York zu bringen.“ Ihrem Verständnis nach halten diese Gegenstände und die sie begleitenden Zeremonien den Bund zwischen Menschen und Erde lebendig. Im Gegenzug für das von den Menschen dargebrachte Schöne und die Aufmerksamkeit bietet die Erde den Menschen einen bewohnbaren Lebensraum.

Meine Freundin Cynthia Jurs hält schon seit einigen Jahrzehnten Zeremonien ab, in denen sie sogenannte „Erd-Schatz-Vasen“ (engl. „Earth Treasure Vases“) eingräbt. Diese Kultgefäße werden in einem Kloster in Nepal einem bestimmten Ritual folgend hergestellt. Cynthia lernte die zeremonielle Praxis (das klingt jetzt nach einem Klischee, aber es ist wirklich so passiert) von einem 106 Jahre alten Lama in einer Höhle im Himalaya. Sie fragte ihn: „Wie kann ich der Heilung dieser Welt am besten dienen?” Er antwortete: „Nun, wann immer du Menschen zu einer Meditation zusammenbringst, bewirkt das Heilung. Aber wenn du noch mehr machen willst, dann kannst du Erd-Schatz-Vasen eingraben.” Anfangs war Cynthia enttäuscht von dem Vorschlag. Als Anhängerin des tibetischen Buddhismus zweifelte sie nicht an der Schönheit dieser Zeremonie, aber mal ehrlich, es gibt auf der Welt doch reale soziale und ökologische Wunden, die Heilung brauchen. Menschen müssen sich zusammentun. Systeme müssen sich ändern. Was bringt da eine Zeremonie?

Trotzdem nahm sie einige der Vasen, die der Lama in einem Kloster in der Nähe in Auftrag gegeben hatte, als Geschenk an. Fünf Jahre später begann sie ihre Weltreise an Orte, wo Land und Menschen schwere Traumata erlitten hatten, um die Vasen den zeremoniellen Anweisungen entsprechend zu vergraben. An manchen dieser Orte geschahen große und kleine Wunder, unter anderem recht „banale“ (irdische) soziale Wunder wie die Gründung von Friedenszentren. Nach allem, was sie beobachtet, funktionieren diese Zeremonien.

Rituale, Zeremonien und Materialismus

Wie erklären wir uns solche Geschichten? Der politisch korrekte, moderne Geist will andere Kulturen respektieren, aber er zögert, ihre radikal andere Sichtweise auf kausale Zusammenhänge ernst zu nehmen. Die Zeremonien die ich meine, entsprechen nicht dem modernen Verständnis wirkungsvollen Handelns in der Welt. Eine Klimakonferenz kann vielleicht damit beginnen, dass ein indigener Mensch die vier Himmelsrichtungen anruft, anschließend aber geht man wieder zum harten Geschäft der Metriken, Modelle und Regulierungen über.

In diesem Essay will ich aus einem anderen Blickwinkel erforschen, was moderne Menschen aus einem zeremoniellen Zugang zum Leben mitnehmen können, wie ihn traditionelle, indigene und ortsverbundene Ethnien (die Orland Bishop “Kulturen der Erinnerung” nennt) und auch esoterische Strömungen innerhalb der dominanten Kultur praktizieren.

Dieser alternative Blickwinkel soll kein Ersatz für pragmatische oder rationale Ansätze zur Lösung persönlicher und sozialer Probleme sein. Er ist auch nicht parallel zu – und getrennt von – pragmatischen Ansätzen zu verstehen. Und er ist auch nicht von anderer Leute Ritualen geborgt oder übernommen.

Er basiert auf einer fundamental anderen Sicht auf die Welt und vereint das Zeremonielle mit dem Pragmatischen.

Beginnen wir mit einer vorläufigen Unterscheidung zwischen Zeremonie und Ritual. Auch wenn wir sie vielleicht oft nicht als solche sehen, ist unser modernes Leben voll von Ritualen. Eine Kreditkarte an der Kasse durchziehen ist ein Ritual. In der Schlange stehen ist ein Ritual. Medizinische Behandlungen sind Rituale. Die Unterzeichnung eines Vertrages ist ein Ritual. Ein Häkchen bei „Ich habe die allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Kenntnis genommen“ setzen ist ein Ritual. Die Steuererklärung einreichen ist ein kompliziertes Ritual, für dessen ordnungsgemäße Vollziehung viele den Beistand eines Priesters brauchen – eines Menschen, der in die geheimnisvollen Riten und Regeln eingeweiht ist, eine für Laien kaum verständliche, sonderbare Sprache fließend spricht und dessen Rang und Ehre sich durch einen dem Namen beigefügten Ehrentitel auszeichnet. Mithilfe der Steuerberaterin kannst du das Ritual vollziehen und ein angesehenes Mitglied der Gesellschaft bleiben. Rituale umfassen die Verarbeitung von Zeichen in einer vorgeschriebenen Art und Reihenfolge, um mit der sozialen und materiellen Welt in Beziehung zu bleiben.

Dieser Definition zufolge sind Rituale weder gut noch schlecht, sondern schlichtweg eine Art, wie Menschen und andere Wesen ihre Realität zusammenhalten.

Eine Zeremonie ist nun eine besondere Art des Rituals. Sie ist ein Ritual, das in der bewussten Präsenz des Heiligen vollzogen wird; im Bewusstsein, dass göttliche Wesen uns zusehen oder dass Gott uns bezeugt.

Für jene, in deren Weltsicht das Heilige, göttliche Wesen oder Gott keinen Platz haben, sind Zeremonien entweder abergläubischer Unsinn oder bestenfalls noch ein psychologischer Trick, mit dem man seine Aufmerksamkeit konzentrieren und sein Gemüt beruhigen kann.

Moment mal. In einer Weltsicht, in der es das Heilige, göttliche Wesen oder Gott gibt, würde Er oder Sie, oder würden sie alle, uns dann nicht ständig beobachten – und alles sehen, was wir tun? Und wäre dann nicht alles eine Zeremonie?

Ja, das wäre es – wenn du dir der Gegenwart des Göttlichen ständig bewusst wärst. Wie oft ist das der Fall? Und wie oft würdest du auf eine Frage hin lediglich vorgeben, die Präsenz des Göttlichen zu spüren, ohne sie wirklich voll und ganz zu spüren? Bis auf ganz wenige Ausnahmen scheinen die religiösen Menschen, die ich kenne, sich nicht so zu verhalten, als würde Gott alles sehen und hören. Beispiele für solche Ausnahmen finden sich über alle Konfessionsgrenzen hinweg. Man erkennt sie an einer Art Tiefe und Bedeutsamkeit, die sie ausstrahlen. Alles, was sie sagen oder tun, hat Gewicht. Diese Würde verkörpern sie nicht nur zu besonderen Anlässen, sondern ständig: in ihrem Lachen, ihrer Wärme, ihrer Wut und ihren Alltagsmomenten. Wenn so ein Mensch eine Zeremonie abhält, ist es, als würde sich die Schwerkraft im Raum verändern.

Zeremonien sind keine Flucht vor der chaotischen, materiellen Welt in eine spirituelle Hokuspokus-Welt, sondern im Gegenteil: die vollere Annahme des Stofflichen. Es ist die ständige Übung, der Materie den angemessenen Respekt zu zollen – sei es, weil die Materie an sich heilig ist oder deshalb, weil sie Teil von Gottes Meisterwerk ist. Am Altar stellt man die Kerze in einer ganz bestimmten Weise hin. Ich habe ein Bild des Mannes vor Augen, von dem ich gelernt habe, was Zeremonie bedeutet. Er ist bedächtig und präzise, nicht streng, aber auch nicht nachlässig. Den Anforderungen des Momentes und des Ortes lauschend wird jede seiner Bewegungen zu einem Kunstwerk.

In einer Zeremonie ist man ganz bei der Sache. Man macht alles genau so, wie es sein soll. In der Zeremonie übt man also für alle anderen Momente des Lebens, alles genau richtig zu machen. Eine aufrichtige zeremonielle Praxis zieht wie magnetisch andere Bereiche des Lebens in ihr Feld. Sie ist wie ein Gebet mit dem Wunsch: „Möge alles, was ich tue, eine Zeremonie sein. Möge ich jede Handlung in höchster Achtsamkeit, Sorgsamkeit und mit größtem Respekt für die Sache tun.“

Pragmatismus und Pietismus

Die Kritik, die vielen mit Zeremonien verplemperten Tage wären doch mit Bäume pflanzen oder Kampagnen gegen die Holzindustrie besser genutzt, übersieht also ganz klar etwas Wichtiges. Der Gärtner wird sich – von der Zeremonie beseelt – um die richtige Stelle für jeden Baum und die richtige Baumart je nach Mikroklima und ökologischer Nische kümmern. Er wird darauf achten, den Baum in der richtigen Tiefe einzupflanzen. Und er wird dafür sorgen, dass der Baum weiterhin geschützt und gepflegt wird. Er wird danach streben, es genau richtig zu machen. Genauso wird die Aktivistin unterscheiden können, was zielführend ist, um die Abholzung zu verhindern, und was bloß ihrem falschen missionarischen Stolz, ihrem Märtyrer-Komplex oder ihrer Selbstgerechtigkeit dient. Sie wird nicht aus den Augen verlieren, welcher Sache sie dient.

Es ist Quatsch, über eine indigene Kultur zu sagen: „Dass sie fünftausend Jahre lang nachhaltig auf diesem Land gelebt haben, hat nichts mit ihren abergläubischen Zeremonien zu tun, sondern damit, dass sie scharfsinnige Beobachter der Natur sind und sieben Generationen in die Zukunft denken.“ Einen Ort zu verehren und auf seine Bedürfnisse achtzugeben ist integraler Bestandteil ihrer zeremoniellen Lebensweise. Die Geisteshaltung, die uns eine Zeremonie vollziehen lässt, lässt uns auch die Frage stellen: „Was möchte das Land? Was möchte der Fluss? Was möchte der Wolf? Was möchte der Wald?“ – und ihren Antworten lauschen. Die Geisteshaltung sieht Land, Fluss, Wolf und Wald als Wesenheiten – und zählt sie zu jenen göttlichen Wesen, die uns immer bezeugen, und deren Bedürfnisse und Interessen mit den unseren verflochten sind.

Was ich sage, mag für manche klingen, als würde ich gegen die Theologie sprechen. Deshalb werde ich für jene, die an einen Schöpfergott glauben, eine Übersetzung anbieten. Aus jedem Baum, Wolf, Fluss und Wald schaut uns Gott zu. Alles wurde mit einer Bestimmung und Absicht geschaffen. Und so fragen wir: Wie können wir unseren Teil zur Erfüllung der Bestimmung beitragen? Und die Antwort wird dieselbe sein wie auf die Frage: Was möchte der Wald? So kannst du auch den Rest des Textes für dich übersetzen, wenn du an einen Schöpfergott glaubst.

Ich persönlich kann nicht behaupten zu wissen, dass göttliche Wesen mich immer beobachten. So wie ich erzogen wurde, waren göttliche Wesen wie der Himmel, die Sonne, der Mond, der Wind, die Bäume und die Ahnen überhaupt keine göttlichen Wesen. Der Himmel war eine gewisse Menge an Gaspartikeln, die sich im Nichts des Alls verlieren. Die Sonne war ein Ball aus verschmelzendem Wasserstoff. Der Mond war ein Felsbrocken (und ein Felsbrocken ist ein Agglomerat an Mineralien, und Mineralien sind ein Haufen lebloser Moleküle…). Der Wind war das Zusammenspiel von bewegten Molekülen und geomechanischen Kräften. Bäume waren biochemische Säulen, und die Ahnen waren Leichen unter der Erde. Die Welt außerhalb von uns war stumm und tot, ein zufälliges Tohuwabohu aus Kraft und Masse. Da draußen gab es nichts, keine Intelligenz, die mein Sein und Handeln bezeugte; und keinen Grund, irgendetwas besser zu machen, als sich durch die rational vorhersehbaren Konsequenzen rechtfertigen ließ.

Warum sollte ich die die Kerze auf meinem Altar genau richtig hinstellen? Ist sie doch bloß Wachs, das um einen Docht herum oxidiert. Die Position der Kerze übt keine Kraft auf die Welt aus. Warum sollte ich mein Bett machen, wenn ich eh in der nächsten Nacht wieder darin schlafen werde? Warum sollte ich für irgendetwas mehr tun, als die Note, der Chef oder der Markt es verlangen? Warum sollte ich mich je bemühen, etwas schöner zu machen, als es sein muss? Ich mogle mich ein bisschen durch – das fällt schon keinem auf. In meiner kindlichen Fantasie konnten die Sonne und der Wind und das Gras mich sehen, aber mal ehrlich, sie sehen mich nicht wirklich, sie haben keine Augen, sie haben auch kein zentrales Nervensystem, sie sind keine lebendigen Wesen, wie ich eines bin. In dieser Ideologie bin ich aufgewachsen.

Die zeremonielle Weltsicht leugnet nicht, dass es nützlich sein kann, den Himmel als einen Haufen Gaspartikel und einen Stein als Zusammensetzung aus Mineralien zu sehen. Aber sie beschränkt den Himmel und den Stein nicht darauf. Statt einzig ihre Zusammensetzung als ihre „eigentliche“ Natur zu betrachten, erachtet sie andere Interpretationen als genauso wahr und nützlich. Die Alternative zu der Weltsicht meiner Kindheit ist deswegen nicht, alles Nützliche für irgendeine zeremonielle Ästhetik über Bord zu werfen. Die Trennung zwischen Nützlichkeit und Ästhetik ist falsch. Sie wird nur einer kausalen Weltsicht gerecht und übersieht die mysteriöse und elegante Intelligenz des Lebens. Die Wirklichkeit ist nicht so, wie sie uns erklärt wurde. In der Welt wirken Intelligenzen, die die menschliche weit übersteigen, und andere kausale Prinzipien als physikalische Kräfte. Synchronizität, morphische Resonanz und Autopoiese (Prozess der Selbsterschaffung und -erhaltung eines Systems) können, während sie keine Antithesen zur Kausalität der Kräfte darstellen, unseren Möglichkeitshorizont erweitern. Dementsprechend wird eine Zeremonie nicht Dinge in der Welt „machen“, sondern die Wirklichkeit in eine Form bringen, in der andere Dinge passieren.

In einem Leben ohne Zeremonie stehen wir ohne Verbündete da. Nachdem wir sie aus unserer Realität verbannt haben, entlassen sie uns in eine Welt ohne Intelligenz – die modernistische Ideologie. Das mechanistische Weltbild wird zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung, sodass uns tatsächlich nur bleibt, mittels Kraft auf die Welt einzuwirken.

Traditionelle Gesellschaften wie die Kogi oder die Dogon wollen nicht, dass wir ihre Zeremonien nachahmen; sie laden uns ein, zu einer Weltsicht überzugehen, in der wir Menschen als Gefährten an einer Welt teilhaben, deren Intelligenzen miteinander im Gespräch sind, in einem Universum voller lebendiger Wesen. Eine Zeremonie ist Ausdruck der Entscheidung, in so einem Universum zu leben und an der Erschaffung seiner Wirklichkeit teilzuhaben.

Zeremonien zur Heilung der Umwelt

In der Praxis – warte mal! Alles, was ich gesagt habe, ist schon wunderbar praktisch. Ich möchte stattdessen darüber sprechen, wie die zeremonielle Geisteshaltung auf Umweltpolitik und -Praxis ausgeweitet werden kann. Das heißt, jedem Ort auf der Erde gerecht zu werden, ihn als Wesenheit zu sehen; zu wissen, dass, wenn wir jeden Ort, jede Spezies und jedes Ökosystem als heilig ansehen, wir den ganzen Planeten in eine heilige Ganzheit bringen.

Manchmal passen die Handlungen, die daraus entspringen, jeden Ort als heilig anzusehen, gut in die Logik der Kohlenstoffsequestrierung und des Klimawandels; zum Beispiel wenn wir ein Pipeline-Projekt verhindern, um einen heiligen Fluss zu beschützen. Manchmal scheint die Logik von CO2-Budgets dem Instinkt der zeremoniellen Geisteshaltung zu widersprechen. Heutzutage werden Wälder abgeholzt, um riesigen Solar-Anlagen Platz zu machen, und Vögel sterben in den Rotorblättern riesiger Windräder, die über der Landschaft thronen. Außerdem wird alles, was keinen besonderen Einfluss auf die Treibhausgas-Bilanz hat, für umweltpolitische Entscheidungsträger unsichtbar. Was ist der praktische Nutzen einer Wasserschildkröte? Eines Elefanten? Was spielt es für eine Rolle, wenn ich meine Kerze schludrig auf den Altar stelle?

In einer Zeremonie spielt jedes Detail eine Rolle. Durch den zeremoniellen Blick auf ökologische Heilung weitet sich unsere Wahrnehmung. Während die Wissenschaft mehr und mehr die Wichtigkeit von zuvor unsichtbaren oder banalisierten Lebewesen entdeckt, wächst auch der Einflussbereich der Zeremonie. Boden, Myzelien, Bakterien, die Form von Wasserläufen – sie alle fordern einen Platz auf dem Altar unserer Land- und Forstwirtschaft und in allen Beziehungen mit dem Rest des Lebens. Je feiner unser Gespür für kausale Zusammenhänge wird, desto mehr erkennen wir auch, wie entscheidend beispielsweise Schmetterlinge oder Frösche oder Wasserschildkröten für eine gesunde Biosphäre sind. Am Ende stellen wir fest, dass das zeremonielle Auge angemessen war: dass die Gesundheit unserer Umwelt nicht auf ein paar messbare Größen reduziert werden kann.

Das soll keine Empfehlung sein, ökologische Sanierungsprojekte aufzugeben, die auf einem plumperen Verständnis von der Welt, also zum Beispiel auf einem mechanistischen Verständnis von Natur, beruhen. Die Frage lautet: Was ist der nächste Schritt zur Vertiefung unserer zeremoniellen Beziehung zur Natur? Vor Kurzem hatte ich mit Ravi Shah zu tun, einem jungen Inder, der atemberaubende Arbeit zur Regeneration von Teichen und dem umliegenden Land leistet. Ganz nach dem Vorbild von Masanobu Fukuoka arbeitet er mit einer feinspürigen Liebe zum Detail, pflanzt ein bisschen Schilf hier, reißt dort einen invasiven Baum aus und vertraut auf die regenerative Kraft der Natur. Je kleiner sein Eingriff, umso größer der Effekt. Das heißt nicht, dass gar kein Eingriff den allergrößten Effekt hätte. Sondern: Je feiner und präziser er die natürliche Bewegung der Natur versteht, umso mehr kann er sich ihr anpassen und ihr dienen, und umso weniger muss er eingreifen. Das Ergebnis ist, dass Ravi eine üppige, grüne Oase inmitten einer kargen Landschaft, einen lebendigen Altar geschaffen – oder genauer gesagt, dass er dessen Entstehung gedient – hat.

Ravi ist verständlicherweise unglücklich mit großdimensionierten Wasserrestaurationsprojekten wie denen, die ich in meinem Buch beschrieben habe: Rajendra Singhs Arbeit in Indien und die Wasserrückhaltemaßnahmen am Lössplateau, die niemals der Hingabe und Ehrerbietung nahekommen, die Ravi den unmittelbaren örtlichen Eigenheiten entgegenbringt. Diese Projekte erwachsen aus einem konventionelleren, mechanistischen Verständnis von Hydrologie. „Wo ist das Heilige?“, möchte er wissen. Wo ist die Demut vor der Weisheit miteinander verflochtener Ökosysteme und ihrer jeweiligen örtlichen Einzigartigkeit? Sie bauen doch nur Teiche. „Vielleicht stimmt das,“ war meine Antwort, „aber wir müssen die Menschen dort abholen, wo sie sind, und jeden Schritt in die richtige Richtung würdigen.“ Selbst diese mechanistischen, hydrologischen Projekte sind im Kern von einem Respekt für das Wasser getragen. Ravis Arbeit bietet einen Einblick, wo es hingehen könnte; ohne die Projekte, welche die ersten von vielen Schritten dorthin darstellen, schlechtzumachen.

Ich möchte anfügen, dass ein Land für seine Heilung ein gesundes Vorbild braucht; ein Reservoir der Gesundheit, von dem es lernen kann. Ravis Oasen ökologischer Gesundheit können nach außen in die soziale und ökologische Umgebung abstrahlen und heilend auf angrenzende Orte wirken (zum Beispiel als Zufluchtsorte oder Laichplätze für Pflanzen und Tiere), und sie können Inspiration für andere Menschen sein, die sich um die Heilung der Erde bemühen. Deswegen ist der Amazonas so entscheidend, besonders seine Quellgebiete, die möglicherweise das größte intakte Reservoir und die Quelle von ökologischer Gesundheit auf der Erde sind. Hier ist Gaias Gedächtnis von Gesundheit, einer vergangenen und zukünftigen heilen Welt, noch intakt.

Ravis Arbeit zur Wiederherstellung von Ökosystemen funktioniert genau wie eine Zeremonie. Man könnte jetzt sagen, man sollte besser keine bestimmten Zeremonien machen – jede Handlung sollte eine Zeremonie sein. Warum sollten nur diese 10 Minuten heilig sein? Gleichermaßen könnte man darauf bestehen, dass jeder Ort auf der Welt so behandelt werden sollte, wie Ravi seine Orte behandelt. Die meisten von uns (wie auch die Gesellschaft als Ganzes), sind für so einen Schritt aber noch nicht bereit. Die zu überwindende Kluft ist zu groß. Wir können nicht erwarten, unsere techno-industriellen Systeme, unsere gesellschaftlichen Systeme oder unsere tief eingeprägte Psychologie über Nacht zu verändern. Was hingegen für die meisten von uns funktioniert, ist eine Oase der Perfektion – die Zeremonie – so gut es geht zu verankern, bis sie in unserer Lebenslandschaft Wellen schlägt, und damit mehr und mehr Aufmerksamkeit, Schönheit und Kraft in jede Handlung bringt. Jede Handlung zur Zeremonie zu machen beginnt damit, eine Handlung zur Zeremonie zu machen.

Zeremonien aus erster Hand

Der Rest des Lebens wird nicht automatisch profan und unzeremoniell, wenn man einen bestimmten Teil zur Zeremonie macht. Im Gegenteil, in der Durchführung der Zeremonie hegen wir die Absicht, sie möge auf den Tag oder die Woche ausstrahlen. Sie ist ein Fels in der Brandung des Lebens. Ebenso wenig wollen wir nur einige ausgewählte Orte verwilderter Natur, Naturreservate und Nationalparks bewahren oder einige Orte in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzen. Diese Orte sind vielmehr wie Leitsterne: Beispiele und Erinnerung daran, was möglich ist. Weil Menschen wie Ravi solche Orte hegen, sind wir dazu aufgerufen, ein bisschen, und Stück für Stück mehr davon an alle Orte zu bringen. Mit der Einbettung eines kurzen zeremoniellen Moments in unser Leben wächst der Ruf, ein bisschen davon, und Stück für Stück mehr davon in jeden Augenblick mitzunehmen.

Wie erwecken wir in einer Gesellschaft, in der sie fast ausgestorben sind, Zeremonien wieder zum Leben? Das Imitieren oder Importieren von Zeremonien aus anderen Kulturen ist, wie ich bereits schrieb, nicht die Lösung. Es ist auch nicht notwendig, den Zeremonien der eigenen Ahnen nachzujagen, ein Unterfangen, mit dem wir scheinbar das Risiko der kulturellen Aneignung ausschließen aber gleichzeitig riskieren, unsere eigene Kultur zu vereinnahmen. Zeremonien sind lebendig; beim Versuch sie zu imitieren oder zu konservieren erzeugen wir nur eine Attrappe.

Welche Möglichkeit bleibt uns nun? Uns unsere eigenen Zeremonien zu schaffen? Nein, streng genommen nicht. Zeremonien werden nicht erschaffen, sondern entdeckt.

Folgendermaßen könnte es gehen. Du beginnst mit einer rudimentären Zeremonie, vielleicht zündest du jeden Morgen eine Kerze an und nimmst dir einen Moment Zeit, darüber nachzudenken, wer du heute sein willst. Aber wie zündest du die Kerze richtig an? Wie zündest du sie perfekt an? Vielleicht nimmst du sie in die Hand und hältst sie schräg über das Streichholz. Und wo legst du das Streichholz hin? Auf einen kleinen Teller an der Seite vielleicht. Dann stellst du die Kerze wieder zurück, genau richtig. Dann schlägst du vielleicht ein Glöckchen drei Mal an. Mit wie viel Abstand zwischen den Schlägen? Hast du es eilig? Nein, du wartest bei jedem Ton, bis er in Stille übergeht? Ja, genau so ist es richtig …

Mir geht es nicht darum, dass diese Regeln und Abläufe deine Zeremonie bestimmen sollen. Um eine Zeremonie zu entdecken, folge dem Gefühl von „Ah ja, so ist es genau richtig“, das deine Achtsamkeit enthüllt. Im Lauschen, Beobachten, im aufmerksamen Da-Sein erspüren wir, was zu tun, was zu sagen ist, und wie wir uns daran beteiligen. Nicht anders haben Menschen wie Fukuoka gelernt, richtig mit dem Land umzugehen.

Vielleicht wird aus der Kerze ein kleiner Altar, und aus dem Entzünden wird eine etwas längere Zeremonie, sich um diesen Altar zu kümmern. Dann strahlt es aus. Vielleicht räumst du bald deinen Schreibtisch mit derselben Sorgsamkeit auf. Oder dein Zuhause. Und bald wendest du dich mit derselben Sorgfalt und demselben Wohlwollen deinem Arbeitsplatz, deinen Beziehungen und dem Essen, das du in deinen Körper gibst, zu. Mit der Zeit wird die Zeremonie ein Anker, eine Brücke hinüber in die Realität, in der du lebst. Vielleicht hast du das Gefühl, dass sich dein Leben rund um die Intention deiner Zeremonie neu ausrichtet. Womöglich erlebst du Synchronizitäten, die zu bestätigen scheinen, dass hier tatsächlich eine größere Intelligenz am Werk ist.

Wenn dies geschieht, taucht das Gefühl auf, dass uns hier unzählige Wesen begleiten. Die Zeremonie, die nur Sinn hat, wenn heilige Wesen uns zuschauen, befördert uns in eine erfahrbare Realität, in der diese heiligen Wesen tatsächlich anwesend sind. Je mehr wir diese Anwesenheit spüren, umso inniger ist die Einladung, mehr Handlungen, wirklich jede Handlung als Zeremonie und mit unserer vollen Aufmerksamkeit und Wahrhaftigkeit zu begehen. Wie wäre dann das Leben? Was wäre dann die Welt?

Volle Aufmerksamkeit und Wahrhaftigkeit kann unter unterschiedlichen Umständen ganz verschieden aussehen. In einem Ritual äußert sie sich ganz anders als in einem Spiel, in einem Gespräch, oder beim Kochen. Eine Situation erfordert Präzision und Ordnung, eine andere Spontanität, Wagemut oder Improvisation. Die Zeremonie schlägt einen Grundton an, an dem sich jede Handlung und jedes Wort stimmig danach ausrichten kann, wer man wirklich ist, wer man sein möchte und in welcher Welt man leben möchte.

Eine Zeremonie gewährt uns Einblick in das heilige Ziel, wo gilt:

Jede Handlung eine Zeremonie.
Jedes Wort ein Gebet.
Jeder Schritt eine Pilgerschaft.
Jeder Ort eine heilige Stätte.

Eine heilige Stätte verbindet uns mit dem Heiligen, das über die eine heilige Stätte hinausgeht und alle heiligen Stätten miteinschließt. Eine Zeremonie kann aus einem Ort eine heilige Stätte machen und bietet so einen Rettungsanker hinüber in eine Realität, in der alles heilig ist. Sie ist der Vorposten dieser Realität oder dieser Geschichte über die Welt. Genauso ist jedes regenerierte Stück Erde ein Vorposten der verbliebenen Oasen ursprünglicher Lebendigkeit wie dem Amazonas, dem Kongo, vereinzelten Resten unberührter Korallenriffe, Mangrovenwälder und so weiter. Wir schauen verzweifelt auf die Pläne der neuen brasilianischen Regierung zur Plünderung des Regenwaldes und fragen, was wir tun können, um ihn zu retten. Politische und wirtschaftliche Handlungen sind bestimmt notwendig, aber wir können zeitgleich auf einer anderen Ebene handeln. Jeder Ort, der geheilt wird, nährt den Amazonas und bringt uns einer Welt näher, in der er intakt bleibt. Mit der Vertiefung unserer Beziehung zu solchen Orten rufen wir bislang unerkannte Kräfte her, unsere Entschlossenheit zu stärken und unsere Bündnisse zu koordinieren.

Die Wesen, die wir aus unserer Realität ausgeschlossen haben, die wir in unserer Wahrnehmung zu Nicht-Wesen degradierten, sind noch immer da und warten auf uns. All meinem angelernten Unglauben zum Trotz (mein eigener innerer Zyniker, der Naturwissenschaften, Mathematik und analytische Philosophie studiert hat, ist mindestens so penetrant wie deiner) spüre ich, wenn ich mir einen Moment aufmerksame Stille erlaube, dass diese Wesen sich versammeln. Stets hoffend scharen sie sich um die ihnen gewidmete Aufmerksamkeit. Spürst du sie auch? Inmitten deiner Zweifel – vielleicht – und ohne Wunschdenken: Kannst du sie spüren? Es ist dasselbe Gefühl, wie im Wald zu stehen und plötzlich wie zum ersten Mal zu erkennen: Der Wald lebt. Die Sonne schaut mir zu. Und ich bin nicht allein.

Übersetzung: Christoph Peterseil, Nikola Winter, Vanessa Groß und Stephan Pfannschmidt

Spenden ans Übersetzerteam werden gerne angenommen:

GLS Bank, DE48430609677918887700, Verwendungszweck: ELINORUZ95YG

 

Hinweis zur deutschen Übersetzung:

Die Unterscheidung zwischen profanen und „heiligen“ ( = „in der Präsenz des Göttlichen durchgeführten“) Handlungen ist wesentlicher Gegenstand des Textes. Zur Unterscheidung stellt Charles die beiden Begriffe „Ceremony“ und „Ritual“ gegenüber. „Ritual“ ist bei Charles das Profane, „Ceremony“ das Heilige.

Die Übersetzung dieser Begriffe ins Deutsche erwies sich als unvermutet knifflig. Schließlich ist in der Ritualarbeit (z.B. Visionssuche) im deutschen Sprachraum vielerorts das Wort „Ritual“ gebräuchlich, wo man in Nordamerika „Ceremony“ sagt. Eine direkte Vertauschung der beiden Begriffe für den deutschen Text wurde in Erwägung gezogen, schien aber auch nicht stimmig – unter anderem, weil dann ein vergleichendes Lesen der verschiedenen Sprach-Fassungen Verwirrung stiften würde. Deshalb blieben die Kernbegriffe bei ihren gleichlautenden Pendants: das englische „Ritual“ für das deutsche „Ritual“, „Ceremony“ für „Zeremonie“.

Nein, diese Überschrift, so sehr sie einer ähnelt, ist keine. Sie fasst nichts zusammen, liefert allenfalls Stichworte, wirkt „nach unten“ in den Text hinein, und der Text klimmt nach oben und keimt in den drei Lücken zwischen den Worten und den dreißig Buchstaben. Die Kommata und später die Punkte sind Pflanzlöcher, größere Verschnaufpausen, durch die hindurch – wie durch die kleinen Lücken – Sinn entsteht und wieder verraucht.

Wohin?

Seit einer geraumen Weile denkt es in mir über die neue Ontologie nach, die wir so dringend brauchen, keinen Paradigmenwechsel, der sich so leicht dahinsagen und einfordern lässt, sondern tatsächlich ein neues Verständnis für das Wesen des Seins und, sich daraus entwickelnd, einen anderen Umgang mit unserer Mitwelt, der sich so sehr von allem Bisherigen unterscheidet wie Traumwelt von Alltagswelt, eine neue, geistige Weltordnung.

Es geht also um nichts weniger als um einen Ontologiewechsel. Ein paar Sätze zum Ausgangspunkt, nein zur Ausgangsebene, die so selbstverständlich unser tägliches Sein bestimmt, dass es schwerfällt, sie sprachlich fassend der bewussten Wahrnehmung zuzuführen: Wir schlafen ein und erwachen, schlafen ein und erwachen, unser ganzes Leben lang. Dieser Rhythmus unserer geistigen Bewegung verläuft Tag für Tag in eine Richtung: von der Traumwelt zur Wirklichkeit bzw. zu dem, was wir so nennen. Im abgrenzenden Begriff der Wirklichkeit spiegelt sich eine unüberhörbare Überheblichkeit gegenüber der Traumwelt, der ich nicht folgen möchte. Ich werde die beiden Wirklichkeiten deshalb im Folgenden entweder einfach Nacht und Tag oder Traumwirklichkeit und Standardwirklichkeit nennen.

Dieser Richtungsverlauf von der Nacht zum Tag durchzieht unsere komplette Weltanschauung. Wie wir der Traumwirklichkeit entkommen wollen, so sollen wir der Kindheit entrinnen, den Idealen der Jugend, den romantischen Gefühlen und einem anarchischen Weltwahrnehmung. Ziel ist eine vorgestellte „höhere Plattform“ der Standardwirklichkeit, von der herab wir auf die Welt schauen: erwachsen, objektiv, wissenschaftlich, nüchtern, diszipliniert und eingeordnet in eine logisch erklärbare, durchstrukturierte Welt, die Emotion, Gefühl und Intuition lediglich einen Unterhaltungswert zuweist. Weg also von der Nacht, hin zum Tag, zu gedanklicher Klarheit und patriarchaler Würde.
Und doch ist diese Ausrichtung unserer lebenslangen, inneren Orientierung schon bei einem oberflächlichen Blick irreführend. Denn wir kommen nicht aus dem Tag und wir enden nicht im Tag, sondern in der Nacht bzw. einer zeitlosen Traumwirklichkeit, der wir anfangs entstiegen sind.

Was würde nun bedeuten, wenn wir vom Tag zur Nacht hin lebten, wenn nicht eine turmhohe Ratio das Ziel unserer täglichen, inneren Ausrichtung wäre, sondern zeitentiefe Intuition; wenn wir den allbestimmenden Zeitpfeil in Frage stellten, wenn wir uns innerlich nicht bewegten wie ein technikgetriebenes Schiff auf den jeweils nächsten Hafen zu, sondern wie das allgetriebene Meer und seine Gezeiten? Was würde das bedeuten hinsichtlich der großen Komplexe Arbeit, Bildung, Erziehung, Gewalt, Industrie, Justiz, Mann/Frau, Mitwelt, Sexualität, Sprache, Werte und Wirtschaft?

Und als letzte große Frage: Was machte es mit unserer Vorstellung des Heiligen? Auf jeden Fall würde es aus den konfessionellen Katakomben an die frische Luft geholt. Würde es am Ende bedeuten, das Ziel allen Denkens und Handelns wäre ein heiliges Leben, die in den Alltag übersetzte Ultima Intuitio?

Das Paradies ist der Ort, den wir gerne erreichen würden. Aber er liegt hinter uns, unerreichbar verschollen in der Vergangenheit. Erst allmählich dämmert uns, dass es nicht nur der Apfel war, weshalb wir von dort vertrieben wurden. Und je mehr wir das verstehen und verinnerlichen, desto mächtiger baut sich ein neuer Sehnsuchtsort auf, ein Ort, an dem wir sein können, ohne haben zu müssen, an dem wir nicht an Geld oder Leistung gemessen werden, an dem wir zu Hause sein und uns geborgen fühlen können; und der dennoch ein moderner Ort ist. Weiterlesen

„Ohne Staunen, ohne Begeisterung geschah nichts Großes und Gutes auf der Welt.“ Gottlieb Herder

Von Sepp Stahl, 20.01.2022

Am Anfang der Philosophie steht Staunen.

Aristoteles sieht im Staunen den Beginn des Philosophierens, das einen starken Akzent auf Verwunderung legt. „Das Staunen ist ein Zustand, der vor allem dem Freund der Weisheit (Philosophen) zukommt, ja es gibt keinen anderen Anfang der Philosophie als diesen.“ So Plato. „Das Höchste, wozu der Mensch gelangen kann, ist Erstaunen.“ J.W. Goethe

Auch am Anfang jeder Religion steht das Staunen. Staunen, sich wundern, innehalten und betrachten gehören zum Ursprung aller Religionen. Das Staunen ist eine Spielart des Glaubens – wer staunt, lässt sich berühren. Weiterlesen

Letzthin bin ich in Gedanken durchgegangen, was man sich üblicherweise wünscht zu Weihnachten: frohe Weihnachten, fröhliche Weihnachten, frohes Fest, schöne Festtage; und mich dann gefragt, wer das noch wirklich ernst meint oder noch genauer: wie ernst das überhaupt gemeint sein kann? Damit will ich nicht auf dem alten Gedanken herumreiten, dass Weihnachten zum Konsumfest verkommen ist. Sorry, mit 68 Jahren habe ich diese Klage mindestens schon 30-mal gehört. Nachdenklich werde ich eher bei dem Wort „Fest“.

Wenn ich an „Fest“ in seiner ursprüng­lichen Form denke, dann sehe ich Deutschland, sagen wir mal, vor 300 Jahren, also 1721. Der größte Teil der Bevölke­rung lebte von der Hand in den Mund, Hunger, Krankheit und Tod waren für die meisten von uns die ständige Begleitung und Bedrohung. Aber manchmal blieb doch etwas übrig, das man beiseitelegen konnte für besondere Gelegen­heiten. Und wenn dann jeder von seinen Habselig­keiten etwas dazutat, alle die Großmütter und -väter, die Mumen und Oheime, Vettern und Basen, Nachbarn und das ganze Dorf, dann konnte ein „Fest“ gefeiert werden. Und Groß und Klein war dabei. Dann zog man seinen Sonntagsstaat an, vergaß für ein paar Stunden alle Mühsal, tanzte und war „guter Dinge“. Und vielleicht hat man dann, vor dem nächsten Unwetter, der nächsten Dürre, vor dem nächsten Übergriff des Gutsherren oder dem kommenden Krieg, bereitwillig und lustvoll „über die Stränge geschlagen“, ein- oder zweimal im Jahr. Was für rauschende Höhepunkte müssen das gewesen sein!

Und heute? Was ist heute ein Fest? Jeder Kindergeburtstag ist ein Fest, jede Grillparty, jedes Club-Wochenende. Und wenn junge Leute abends weggehen, dann treffen sie sich zum „Feiern“. Nach einem Grund muss man nicht fragen, Feiern ist Selbstzweck geworden. Die Zweieinhalbliter-Flasche ist für ein paar Euro zu haben. Es geht uns so gut, dass wir jede Woche Feste feiern können. Und natürlich erodiert die Freude im Dauerregen der Spaßveranstaltungen, und das Wort „Fest“ bekommt in so einer Situation einen lauwarmen Geschmack, Weihnachten hin oder her.

Ich selbst bin ja so gar kein Feiertyp. Ein Gläschen Rotwein, ein gutes Gespräch, Nähe genießen, Vertrautheit mit Menschen, die ich mag und die mich mögen, nachdenkliche, ja auch besinnliche Stunden: gerne. Da blitzen dann immer wieder mal Minuten auf, die zu feiern sind oder doch wären, kurze Glücksspritzer auf die Alltagssuppe.

Rezension von „Das Gottesmädchen“

Um es gleich vorweg zu sagen: Männer spielen in dem Roman von Ismael Wetzky keine herausragende Rolle. In den Hauptrollen sind Gisele, eine Philosophiestudentin, und ihre ultrasexy Freundin Chloë, beide definitiv U30. Noch jünger ist nur noch Gott bzw. ihre Erscheinungsform. Gott tritt nämlich in Gestalt eines jungen Mädchens von elf, zwölf Jahren auf.

Damit nicht genug der Überraschungen in diesem Roman. Die Sprache auf den rund 400 Seiten ist so jung – und gekonnt jung – wie die Protagonistinnen. Man begrüßt sich lässig mit „Hi!“, findet Dinge „abgefahren“, „ultraspannend“ oder „echt mega“, und dass Modeschimpfwörter wie „Fuck“ etc. fallen, stört nicht, sondern passt. Tatsächlich gelingt es Ismael Wetzky, seine Mädels in einer Jugend-Kunstsprache reden zu lassen, die überzeugend ist, in keiner Weise aufgesetzt wirkt und auch für ältere Semester wie den Rezensenten gut und amüsant lesbar ist. Fiktion und Realität mischen sich, etwa, wenn echt funktionierende Links in den Text eingefügt sind. Weiterlesen

„Spüren was ist“ – Rezension von Bobby Langer

Mit Messern sollte man vorsichtig umgehen, sie am Griff anpacken und nicht an der Schneide. Lässt sich dieser Satz auf Bücher übertragen? Im Endeffekt ja. Was ich damit meine?

Manche Bücher sind harmlos wie stumpfe Messer. In so ein Buch kann ich mich hineinwerfen und das Buch lässt das mit sich geschehen, weil es genau diesen Typ von Leser will. Dann zieht es mich am Handlungsstrang bis ans Ende, an dem ich aufatmen kann: „Ah, das war also der Mörder!“ Oder: „Ja, so ist das Leben.“ So zu lesen ist ein bisschen wie Sex ohne Zuneigung.

Bei anderen Büchern empfiehlt sich eine vorsichtige Herangehensweise. Man nähert sich ihnen am besten an, indem man sich in ihren Sinn und ihre Aussagen hineintastet, hineinspürt. Man macht dem Buch gewissermaßen den Hof, bis es einen erhört – oder abweist. Lese ich so, dann lasse ich die ersten Sätze und Seiten in mich einfließen, ohne sie zu bewerten und schaue, was sie in mir bewirken, was mit mir geschieht. Und wenn alles gut geht, dann werde ich getragen, statt fortgerissen.

Marc Seegers Buch „Spüren was ist – Die Symmetrie des Lebens“ gehört zur zweiten Kategorie. Und das, obwohl es ein Ratgeber ist. Man könnte es auch als ein Lehrbuch der Achtsamkeit verstehen. Denn „spüren“ ist der Kernbegriff, um den es hier geht. Spüren verstanden als „achtsam sein in Bezug auf etwas“, „Bewusstheit für etwas entwickeln“, also zum Beispiel sein Herz spüren, seinen Atem spüren, oder, schon komplizierter, sein Bewusstsein spüren, seinen Willen, sein Innen und Außen. Dabei knüpft Seeger an den Satz von Saint-Exuperys Kleinen Prinzen an: „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“

1001 Gedanken wirbeln in diesem Buch durcheinander, werden in Verbindung gebracht, wieder aufgelöst, neu verknüpft; eine Denk- und Spüranregung ersten Ranges. Übungen erleichtern die teils sehr theoretischen Zugänge und öffnen Türen ins eigene Selbst. „Ziel ist es“, so schreibt Marc Seeger, „zu spüren, was ist. Um dahin zu kommen, um ins Spüren zukommen, ist es hilfreich, die eigene Lebenswelt und die verschiedenen Kräfte zu betrachten. Das Spüren ermöglicht es, in ein Gleichgewicht zu kommen und in der eigenen Mitte zu sein.“ Und: „Spüren bringt uns wieder in unseren Rhythmus, den wir an den Takt von Maschinen und Technik verloren haben.“ Dazu gehört auch ein fruchtbarer Umgang mit der eigenen Intuition.

In vielen spirituellen Ratgebern wird zu einem achtsamen Leben aufgefordert. Die Antwort darauf, wie man da hinkommt, bleiben sie oft schuldig. Anders in „Spüren was ist“. Hier werden die nahezu unbegrenzten Dimensionen achtsamen Lebens sehr detailliert beschrieben und jeweils mit Übungen vertieft: „Sich spüren – Alles oder Nichts“, „Gefühle spüren – Unsere Realität“, „Zwischenmenschliches Erspüren – Der Raum entsteht“, „Mitwelt – Die Dimension von Natur und Umwelt“, „Unsere Gegenwart – Die zeitliche Dimension“.

Um nicht im Ungefähren hängen zu bleiben, liefert Marc Seeger mit Hilfe der Blume des Lebens verschiedene Musteransätze, mit denen sich die Verwobenheit von Wirklichkeit und Innenwelt in ihren verschiedensten Aspekten erschließen lässt. Beispiele zeigen, wie man damit umgehen könnte, und unbeschriftete Modelle lassen sich individuell ausfüllen. Letztlich geht es wieder und wieder darum, „sich in der Mitte zwischen den Kräften einzufinden“, sich nicht in Polaritäten zu verlieren, in der Symmetrie des Lebens die Gegensätze aufzulösen.

Das dem Buch angefügte Glossar ist, anders als gewohnt, kein Anhängsel, sondern liefert ganz eigene, oft erstaunliche Anregung, um ins Spüren zu kommen; zum Beispiel das scheinbar so banale Stichwort „Boden“. Ihm kann man sich neu und achtsam nähern mit folgenden Fragen des Autors:

  • Wie nehme ich Böden und den Untergrund, auf dem ich gehe, wahr?
  • Welche Beläge/Untergründe kenne ich? Welche sind natürlich, welche künstlich? Wie wurden die künstlichen hergestellt? Welcher Aufwand ist damit verbunden?
  • Auf welchen bin ich schon barfuß gelaufen?
  • Welche Unterschiede nehme ich wahr?
  • Wie ist mein Gang auf den Böden (vielleicht sicher, fest, locker, weich …)?
  • Nehme ich wahr, dass ich mich auf der ERDE bewege, die sich im Universum befindet?
  • Welchen Kontakt habe ich zu Mutter Erde? Bin ich dankbar dafür, mit auf Mutter Erde zu bewegen? Kann ich ihre Energie aufnehmen und sie durch die Füße in den ganzen Körper verteilen?
  • Welche Unterschiede bemerke ich, wenn ich Energie in der Stadt oder im Wald aufnehme?S

Eine Warnung sei allerdings ausgesprochen: Wer überhaupt keinen Draht zu esoterischen Denkansätzen hat oder sich von Denkmustern wie Feinstofflichkeit, Aura oder Chakra sogar abgestoßen fühlt, sollte von diesem Buch die Finger lassen. Ein Beispiel: „Die Seele kommt auf die Erde, um dazuzulernen, aber auch um das Ursprüngliche zu erhalten und zu bewahren. Da uns das abhandengekommen ist, sind viele Seelen damit beschäftigt, andere Seelen … an ihre Aufgabe zu erinnern.“ Voraussetzung für eine sinnvolle Nutzung des Buches „ist die Bereitschaft, Neues zuzulassen, sich Neuem hinzuwenden und Bekanntes infrage zu stellen“.

Marc Seeger, Spüren was ist. Die Symmetrie des Lebens. Tredition Verlag. ISBN 978-3-347-20955-8 (28,99 €, Hardcover) oder ISBN 978-3-347-20954-1 (19,99 €, Softcover). Am besten zu bestellen direkt beim Autor: marc.seeger@email.de.